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Nachdem er sich endlich entschlossen hatte, sein Packet unverzüglich dem General zuzusenden, näherte sich Oberst Everard der Zimmerthüre, wo, wie man aus dem leisen Athmen hören konnte, der gefangene Wildrake nach seiner Ermüdung und seinem Trunk im tiefen Schlafe lag. Das Umdrehen des Schlüssels verursachte ein Geräusch, das den Schlafenden störte, ohne ihn jedoch aufzuwecken. Everard stellte sich an sein Bett, und hörte ihn brummen: »Ist die Sonne schon aufgegangen, Gefangenwärter? Du elender Schurke, hättest du nur einen Funken Menschlichkeit in dir, du würdest deine Nachrichten mit einem Glas Sekt versüßen. – Hängen ist doch ein trauriges Handwerk, meine Herren, und Kummer trocknet die Kehle aus.«
»Wach auf, Wildrake! Wach auf, du Böses prophezeiender Träumer,« sagte sein Freund, indem er ihn am Kragen schüttelte.
»Bleib nur von mir,« antwortete Jener im Schlafe, – »ich kann die Leiter schon allein hinauf steigen.« Dann richtete er sich auf, öffnete die Augen, blickte wild um sich und rief: »Alle Welt, Mark, bist du es? Ich glaubte, es wäre schon ganz aus mit mir – die Ketten der Füße wurden mir schon gelöst, ein Strick um den Hals gebunden, schon klirrte das Eisen – kurz, ich war auf dem besten Wege zu einem Tanze im Freien.«
»Höre, Wildrake, schließe einen Waffenstillstand mit deiner Thorheit ab, denn der Teufel des Trunks, dem du dich, wie es scheint, verkauft hast –«
»Für eine Ohm Wein,« fiel Wildrake ein; »ganz richtig, der Handel wurde im Weinkeller abgeschlossen.«
»Wenn ich dir etwas anvertraute,« sagte Markham, »so müßte ich eben so unsinnig sein wie du. Du bist, glaube ich, noch immer nicht wieder zur Besinnung gekommen.«
»Glaubst du allenfalls,« antwortete er, »ich hätte selbst im Schlafe noch getrunken? Nein, so weit gings nicht; es träumte mir nur, ich hätte mit Oliver ein Halbbier von seiner eigenen Brauerei getrunken. – Aber warum siehst du mich so finster an, Freund. – Ich bin ja immer noch derselbe Roger Wildrake, der ich immer war, wild wie ein Rebhuhn, aber treu wie ein Kampfhahn. Freund, kennst du mich denn nicht? ich bin ja dein Gefährte, dir verpflichtet durch Wohlthaten – devinctus beneficio, wie der Lateiner sagt. Aber wo ist denn der Auftrag, den ich nicht ausführen wollte, oder konnte, sprich; soll ich allenfalls dem Teufel mit meinem Dolche die Zähne reinigen, wenn er ein Frühstück von puritanischen Rundköpfen gehalten hat?«
»Du wirst mich wahrhaftig noch wahnsinnig machen,« sagte Everard. »In dem Augenblick, wo ich dir mein Theuerstes auf Erden zur Besorgung anvertrauen will, stellst du dich wie ein Wahnsinniger. In der vergangenen Nacht hatte ich deines Rausches wegen Nachsicht mit deinen Tollheiten, aber mit was soll ich sie am Morgen entschuldigen? Lieber Wildrake, es bringt dir und mir Gefahr – es ist unfreundschaftlich – ich könnte fast sagen, undankbar von dir.«
»Nein, Freund, sage das nicht,« erwiederte der Ritter gefühlvoller, »beurtheile mich nicht mit einer Strenge, die auf meinen gegenwärtigen Zustand nicht passend ist. Siehe, Everard, in diesem unglücklichen Kampfe haben wir Alles verloren, was wir besaßen, sind gezwungen, uns kümmerlich fortzuhelfen, wissen heute nicht, wie es morgen sein wird, unser einziger Zufluchtsort ist der Kerker, unsere beste Aussicht das Schaffot, warum willst du mir es nun mißgönnen, daß ich mein Schicksal mit leichtem Herzen trage, da ich sonst darunter erliegen müßte?«
Der gefühlvolle Ton des Freundes rührte Everard im Innersten der Seele, er ergriff ihn bei der Hand, und drückte sie herzlich.
»Wildrake, ich gestehe es dir, daß es mehr um deiner Sicherheit willen, als um der meinigen geschah, wenn ich hart gegen dich schien. Ich weiß es wohl, hinter deinem Leichtsinn liegt ein so tiefes Gefühl für Ehre und Menschlichkeit verborgen, als in irgend einem Herzen. Aber du bist unbedachtsam – bist rasch, und ich schwöre es dir zu, wenn du dich in der Sache, die ich dir anvertraue, verriethest, so würden mich die schlimmen Folgen, die es für mich hätte, in größere Besorgniß setzen, als der Gedanke, dich in eine solche Gefahr zu bringen.«
»Nein, Mark, wenn du in diesem Tone sprichst,« versetzte der königlich Gesinnte, indem er zu lächeln versuchte, um eine andere Gemüthsstimmung zu verbergen, »wenn du so sprichst, so wirst du uns beide zu Kindern machen; vertrau' dich mir an, wenn Zeit und Umstände es erfordern, so kann ich auch vorsichtig sein. Wenn es galt, wachsam zu sein, sah mich noch Niemand trinken. Ich will auch gewiß keinen Schoppen Wein versuchen, bis ich dir deinen Auftrag besorgt habe. Es bleibt also dabei, ich bin dein Secretär – dein Schreiber, wollte ich sagen, trage deine Depeschen zum Cromwell, und nehme mich wohl in Acht, mich durch mein Stückchen von Royalität zu verrathen, auch werd' ich es bestens den loyalen Händen übergeben, an die es in tiefster Unterthänigkeit adressirt ist. – Aber höre Mark, denke doch noch ein wenig darüber nach, du wirst es doch gewiß nicht so weit treiben, daß du mit diesem blutigen Rebellen gemeine Sache machst? Befiehl mir lieber, ihm einen Stiletstich zu geben, ich werde es gewiß mit besserem Willen thun, als ihm dein Packet zu überreichen.«
»Halt Freund,« sagte Everard, »das geht über unseren Contract hinaus! Wenn du mir helfen willst, so ist es gut, im entgegengesetzten Fall kann ich keine Zeit verlieren, um mit dir zu streiten; ein jeder Augenblick, welcher verstreicht, ehe der Brief in den Händen des Generals ist, scheint mir ein Jahrhundert zu sein. Es ist der einzige Weg, der noch offen steht, um für meinen Oheim und seine Tochter Schutz und Obdach zu erhalten.«
»Wenn das ist,« antwortete der Ritter, »so will ich meinen Sporn nicht schonen. Mein Pferd steht in der Stadt, und wird sogleich gesattelt sein; und dann kannst du sicher darauf rechnen, daß ich in so kurzer Zeit dem Old Noll – ich wollte sagen, deinem General Cromwell – meine Aufwartung machen werde, als mein Pferd im Stande ist, mich von Woodstock nach Windsor zu tragen. Denn ich hoffe, deinen Freund an der Stelle zu treffen, wo er gemordet hat.«
»Still, nicht ein Wort davon! Als wir in der vergangenen Nacht Abschied nahmen, habe ich dir den Weg gezeigt, der dir besser ziemt, als der bloße Anstand der Sprache und des äußeren Wesens, den du so wenig besitzest. Ich habe dem General zu verstehen gegeben, daß schlechtes Beispiel und schlechte Erziehung –«
»Soll wahrscheinlich das Gegentheil heißen,« erwiederte Wildrake; »denn, auf meine Ehre, ich bin aus eben so guter Familie, habe eine eben so gute Erziehung genossen, als nur irgend Einer.«
»Höre mir doch um's Himmelswillen zu! – Ich sage also darin, das böse Beispiel hätte dich verleitet, die Partei des verstorbenen Königs zu ergreifen. Aber als du gesehen hättest, was der General für große Dinge bewirkt hätte, wärest du zu einer bessern Erkenntniß gelangt und hättest jetzt die feste Ueberzeugung, daß Se. Excellenz das große Werkzeug wäre, diesem zerrütteten Reiche die sehnlich gewünschte Ruhe wieder zu schenken. Er wird dir deßwegen nicht allein einige Sonderbarkeiten verzeihen, welche etwa ohne deinen Willen an's Licht kommen könnten, sondern es wird dir auch seine Gunst erwerben, als nähmest du einen besonderen Antheil an seiner Person.«
»Ohne Zweifel, so wie der Fischer die Forelle gern sieht, die an seiner Angel hängt.«
»Er wird dir wahrscheinlich Briefe an mich mitgeben, die mir Vollmacht ertheilen, den Maßregeln der Sequestratoren Einhalt zu thun; vielleicht gibt er auch dem armen alten Ritter Henry Lee die Erlaubniß, sein Leben unter seiner vielgeliebten Eiche zu beschließen. Dahin ging meine Bitte, und ich glaube, die Freundschaft meines Vaters und meine eigene können diese Aufmerksamkeit wohl von ihm verlangen, besonders bei dem jetzigen Stand der Dinge, verstehst du mich?«
»Vollkommen,« sagte der Ritter, »ganz genau. Doch möchte ich dem alten räuberischen Königsmörder lieber einen Strick umlegen, als Geschäfte mit ihm verhandeln. Aber, wie gesagt, ich will mich von dir leiten lassen, Markham, gewiß, es ist mein Wille.«
»Nun, so sei denn vorsichtig,« sagte Everard, »gib wohl Acht auf Alles, was er sagt und thut, – aber ganz besonders auf das, was er thut. Freund Oliver ist einer von den Menschen, die man aus ihren Handlungen besser, als aus ihren Worten kennen lernt. Aber warte doch, du wärest ja wahrhaftig bald fortgeritten, ohne einen Pfennig in der Tasche zu haben.«
»Du hast recht, Mark,« sagte Wildrake; »mein letzter Rosenobel ging mir in der verwichenen Nacht mit euren Reitersknechten drauf.«
»Wenn's weiter nichts ist, Roger,« sagte der Oberst, indem er seine Börse in seine Hand ausschüttete, »dafür soll bald geholfen sein. Aber du bist doch ein unbesonnener Mann, dich, so wie du gehst und stehst, auf den Weg machen zu wollen, ohne einen Pfennig, deine Reisekosten zu zahlen! Was hättest du denn angefangen?«
»Wahrhaftig, daran hab' ich nicht gedacht – ich hätte eben dem ersten besten, den ich getroffen hätte, die Pistole auf die Brust setzen müssen. Bei diesen schlimmen Zeiten muß sich mancher ehrliche Kerl so durchhelfen.«
»Sei doch stille,« sagte Everard, »gib fein Acht auf dich, weiche deinen leichtsinnigen Freunden aus – halte deine Zunge im Zaum – fliehe den Wein (es hätte freilich wenig zu sagen, wenn du nur nüchtern dabei bleiben könntest). Mäßige vor Allem deine Ausdrücke, fluche und prahle nicht!«
»Das heißt mit andern Worten, werde solch ein Wicht, wie ich. Auch recht – was die Außenseite anbelangt, so glaube ich meine Puritaner-Rolle so gut spielen zu können wie du. Ach Mark, weil wir doch einmal von Rollen sprechen, erinnerst du dich noch der fröhlichen Zeiten, als wir im Schauspielhause Mills den Bomby geben sahen, zur Zeit, als ich noch gestickte Mäntel und Edelsteine trug, und dir die gefurchte Stirne und der puritanische Knebelbart unbekannt waren!«
»Wie die meisten Genüsse dieser Welt, kitzelten sie den Gaumen, und waren doch schwer zu verdauen, Wildrake. Nun aber spute dich, deine Antwort kannst du mir entweder hieher, oder im Gasthause zum St. Georg bringen. – Glück auf! Sei nur vorsichtig in deinem Betragen.«
Versunken in Nachdenken blieb der Oberst zurück. – »Ich habe mich doch, wie es mir vorkömmt, nicht allzutief mit dem General eingelassen. Denn in Kurzem muß Cromwell mit dem Parlamente brechen, und das wird uns in einen neuen Bürgerkrieg verwickeln, den wir Alle so sehr fürchten. Wohl möglich, daß mein Gesandter ihm mißfällt, aber das fürchte ich nicht sehr. Er weiß wohl, daß ich Niemanden wählen würde, auf den ich mich nicht völlig verlassen kann, und er hat Menschenkenntniß genug, zu wissen, daß es bei jeder Partei Menschen gibt, die eine doppelte Maske tragen.