Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunzehntes Kapitel.

Nun sind die Harpien fort – doch eh' wir dahin ziehen,
Wo diese Vögel nisteten, räumet erst
Das Niedere weg, das sie zurücke ließen.

Agamemnon.

Wildrake's Gesandtschaft war vorzüglich durch die Vermittlung des bischöflichen Geistlichen gelungen, den wir früher als den Kaplan der Familie haben kennen lernen, und dessen Stimme bei dem Haupte derselben großen Einfluß hatte. Kurz zuvor, ehe die Sonne ihren höchsten Standpunkt erreicht hatte, befand sich Sir Henry Lee und seine kleine Haushaltung von Neuem im unbestrittenen Besitz ihrer alten Zimmer im Jägerhause zu Woodstock, und die vereinten Kräfte des Joceline Joliffe, der Phöbe und der alten Hanne waren geschäftig, alles wieder auf den gehörigen Platz hinzustellen, was die aufdringlichen Gäste in großer Unordnung verlassen hatten.

Wie alle Personen von Stande zu seiner Zeit, besaß Sir Henry Lee eine Liebe zur Ordnung, die sich bis auf's Kleinliche erstreckte; und wie eine vornehme Dame, deren Anzug in einem Gewühle in Unordnung geräth, fühlte er sich durch die Verwirrung, in welcher die Möbel hingeworfen worden waren, beleidigt und gedemüthigt, und verlangte ungeduldig, daß sein Haus so bald wie möglich von allen Spuren des Daseins der aufdringlichen Gäste gereinigt werde. In seinem Eifer gab er mehr Befehle, als die beschränkte Zahl seiner Dienerschaft auszuführen Zeit und Hände hatten. »Die Elenden haben noch obendrein solch einen Schwefelgeruch hinterlassen,« sagte der alte Ritter, »als wenn der alte David Leslie und die ganze schottische Armee unter ihnen campirt hätte.«

»Es wird fast ebenso schlimm sein,« sagte Joceline, »denn man sagt für gewiß, der Teufel wäre persönlich unter ihnen erschienen und hätte sie zu Paaren getrieben.«

»Dann,« sagte der Ritter, »ist der Fürst der Finsterniß ein Edelmann, wie der alte Will Shakespeare sagt, er unterhält sich nie mit denen, die seine eigene Kleidung tragen; denn schon seit 500 Jahren leben hier die Lee's, Vater und Sohn, ohne beunruhigt zu werden, und kaum kommen diese ungeschlachten Kerls, als er auch schon seine Rolle unter ihnen spielt.«

»Nun, etwas haben sie uns doch hinterlassen,« sagte Joliffe, »wofür wir uns bedanken dürfen, nämlich so viel und so schönen Schinken und so gute Butter, als man seit langen Jahren im Jägerhause zu Woodstock nicht gesehen hat; Hammelskeulen, geräuchert Fleisch, Fäßlein Conditorwaaren, Pfeifen und Schläuche voll Sekt, Muskatwein, Bier und wer weiß, was noch ferner. Wir werden den halben Winter über königliche Zeiten verleben, und die Hanne muß nun gleich an's Einpökeln und Räuchern gehen.«

»Du Elender,« sagte der Ritter, »sollen wir uns von den Ueberbleibseln der Tafeln dieser Ameisen ernähren? Wirf' es augenblicklich weg! Aber nein – das wäre eine Sünde, schenke es den Armen oder schicke es den Eigenthümern zurück und höre, ich mag auch ihre Liqueure nicht – ich will lieber mein Lebenlang Wasser trinken, wie ein Eremit, als Nutzen von diesen Schurken ziehen, wie ein armseliger Wirth, welcher, nachdem die Gäste ihre Rechnung gezahlt haben und fortgegangen sind, das trinkt, was in den Bouteillen übrig geblieben ist. Höre ferner, ich will kein Wasser aus den Cisternen trinken, aus denen sich diese Sclaven haben bedienen lassen – geh' hinab und fülle mir eine Schale aus dem Rosamundenquell.«

Alexis hörte den Befehl, und da sie wohl wußte, daß für die übrigen Mitglieder der Familie genug zu thun da sei, nahm sie ruhig eine kleine Schale, warf ihren Mantel um und ging selbst hin, um ihrem Vater von dem Wasser zu holen, das er wünschte. Unterdessen sagte Joceline, »es wäre noch ein Diener der Fremden zurückgeblieben, der die Koffer und Mantelsäcke der Commissäre besorge, und die Befehle Sr. Gnaden wegen des Mundvorraths empfangen könnte.«

»Laß ihn herkommen;« (das Gespräch fiel nämlich in der Halle vor), »warum schwankst du denn noch, Joceline?«

»Nur deßwegen,« erwiederte der Förster, »weil Euer Gnaden ihn vielleicht nicht zu sehen wünschen werden, weil es derselbe ist, welcher in der vergangenen Nacht –«

Er hielt ein.

»Mein Schwert dem Firmamente zuschickte, willst du sagen? Nun, wann war ich denn einem Manne böse, weil er seinen Grund gegen mich behauptete? Wenn er schon ein Rundkopf ist, mein Freund, so mag ich ihn doch deßwegen nur um so viel mehr leiden. Ich durste darnach, noch einen Gang mit ihm zu machen. Ich habe seit der Zeit immer an sein Ausfallen gedacht, und ich glaube, wenn er es wieder versuchen sollte, so wüßte ich eine Finte, um es zu pariren. Schicke ihn nur gleich hieher.«

Demzufolge ward der ehrliche Tomkins sogleich eingeführt, der sich mit einer eisernen Ruhe betrug, und den weder das Entsetzen der vergangenen Nacht, noch das würdige Betragen der hohen Person, vor der er stand, einen Augenblick aus seiner kalten Ruhe brachte.

»Wie steht's, mein guter Geselle,« sagte Sir Henry, »ich möchte doch gerne noch mehr von deiner Kunst sehen, die mich neulich Abends beschämte – aber ich glaube wahrlich, das Licht blendete meine schwachen Augen – nimm ein Rappier, Freund; jetzt gehe ich in diesen Hallen, und mit mir ist die lebensathmende Tageszeit, wie Hamlet sagt. – Nimm also ein Rappier in die Hand.«

»Da es der Wunsch Ew. Gnaden ist,« sagte der Beamte, indem er seinen langen Mantel fallen ließ, und das Rappier ergriff.

»Nun,« sagte der Ritter, »wenn du bereit bist, so bin ich es auch. Mir däucht's, als wenn der Tritt auf diesem alten Getäfel das Podagra weggezaubert hätte, das mich bedrohte. – So – so – ich trete ja so fest auf, wie ein Streithahn.«

Sie kämpften lebhaft, und ob der alte Ritter mit dem Floret wirklich kaltblütiger focht, als mit der scharfen Waffe, oder ob ihm der Beamte in diesem Kampfe zum bloßen Vergnügen gern einen Vortheil ließ, so viel ist gewiß, Sir Henry übertraf seinen Gegner. Sein glücklicher Erfolg versetzte ihn in eine vortreffliche Laune. »Jetzt,« sagte er, »habe ich Ihren Kunstgriff gefunden, nein, zweimal besiegt man nicht auf dieselbe Weise – es war ein schöner Stoß. – Hätte ich nur neulich in der Nacht mehr sehen können – aber es nützt nichts, davon zu reden, wir wollen aufhören; ich will nicht fechten, wie wir unweisen Royalisten mit euch rundköpfigen Schurken, so daß wir euch so oft schlugen, daß wir euch lehrten, zuletzt uns zu schlagen. – Nun aber sage mir einmal, warum habt ihr denn so viel Schinken zurückgelassen? – Glaubt ihr, ich und meine Familie könnten übrig gebliebene Eßwaaren gebrauchen? Könnt ihr eure sequestrirte Victualien nicht besser gebrauchen, als sie zurückzulassen, wenn ihr eine Wohnung verlaßt?«

»Wenn es Euer Gnaden gefällt,« sagte Tomkins; »glaube ich wohl, daß Sie das Ochsen-, Hammels- und Ziegenfleisch nicht wünschen. Dennoch aber, wenn Sie erfahren, daß es von Ihren Zinsen und Capitalien zu Ditchley, das schon seit länger als einem Jahre zum Gebrauch des Staates unter Beschlag liegt, angeschafft und bezahlt wurde, so werden Sie minder zurückhaltend sein, sie zu Ihrem eigenen Gebrauche zu benutzen.«

»Ganz gewiß nicht,« sagte Sir Henry, »und freue mich recht sehr, daß ihr mir zu einem Theil meines Eigenthums helft. Freilich war ich ein Esel, zu vermuthen, daß deine Herren bestehen könnten, außer auf eines ehrlichen Mannes Unkosten.«

»Und was den Ochsenrumpf betrifft,« fuhr Tomkins mit derselben Feierlichkeit fort, »so steht zu Westmünster noch ein Rumpf, der uns Soldaten noch viel Hacken und Hauen kosten wird, ehe er nach unserem Geschmacke zugerichtet sein wird.«

Sir Henry schwieg, als wollte er erst überlegen, was der Soldat mit dieser Anspielung meine, denn er war mit keiner ausgezeichnet schnellen Fassungskraft begabt. Als er aber endlich die Meinung begriff, brach er in ein so lautes Gelächter aus, wie Joceline es in langer Zeit nicht von ihm gehört hatte. »Recht, Bursche,« sagte er, »ich begreife deinen Witz, das ist die rechte Moral des Puppenspiels. Faust erhebt den Teufel, wie das Parlament die Armee. – Dann fliegt der Teufel mit dem Faust davon, so wie die Armee mit dem Parlament davon fliegen wird – oder mit dem Rumpfe, wie du es nanntest oder dem Sitzung haltenden Theil des sogenannten Parlamentes. – Und sieh', Freund, der ärgste Teufel von allen hat meine Erlaubniß, wiederum mit der Armee fortzufliegen vom höchsten General bis herunter auf den niedrigsten Trommelschläger. – Nun, mach' nur kein so bitteres Gesicht darüber, bedenke, daß es noch hell genug ist, um einen Gang mit scharfen Waffen machen zu können.«

Der ehrliche Tomkins schien es für das Beste zu halten, sein Mißvergnügen zu unterdrücken, und indem er bemerkte, daß die Wagen bereit wären, das Eigenthum der Commissäre nach Woodstock zu bringen, nahm er von dem Sir Henry Lee ernsthaft Abschied.

Unterdessen schritt der alte Mann in seinen wiedererlangten Hallen auf und ab, rieb sich die Hände und legte größere Spuren der Freude an den Tag, als er seit dem unglückseligen Dreißigsten im Januar gezeigt hatte.

»Nun, da sind wir nun wieder in dem alten freiherrlichen Gebäude Joliffe – mit Mundvorrath gut versehen noch obendrein. Wie der Bursche meinen Gewissenszweifel löste, der Dümmste von ihnen ist doch ein herrlicher Ausleger, wenn es sich vom Nutzen handelt. Siehe doch einmal, ob nicht einige von unserem zerrissenen Regimente umher schleichen, Joceline, denen ein Mundvoll eine Gottesgabe sein würde. – Und dann seine Finte, Joceline, obgleich der Bursche recht brav stößt, ja recht wacker. Aber du sah'st, wie ich mit ihm fertig ward, als ich gehöriges Licht hatte, Joceline.«

»Ja freilich, Ihro Gnaden,« erwiederte der Förster. »Sie lehrten ihn den Herzog von Norfolk von dem Gärtner Saunders unterscheiden, ich geb' Ihnen mein Wort drauf, er wird es nicht wünschen, das Floret Euer Gnaden wieder zu versuchen.«

»Je nun, ich werde alt,« sagte Sir Henry; »aber die Fertigkeit verliert sich nicht mit den Jahren, obgleich die Gelenke steif werden; aber mein Alter ist ein fröhlicher Winter, wie Will sagt, kalt, aber freundlich, und wie wenn wir in unserem Alter noch bessere Tage erlebten! Ich sage dir, Joceline, mich freut dieser Kampf zwischen den Schurken der Schranken und den Schurken des Schwerts. Wenn sich die Diebe zanken, so haben ehrliche Leute Hoffnung, wieder zu dem Ihrigen zu kommen.«

So triumphirte der alte Ritter in der dreifachen Glorie, seine Wohnung und dadurch, wie er glaubte, seine Würde wieder erlangt zu haben, und weil er endlich eine Veränderung der Zeiten voraussah, wobei er hoffte, daß etwas für das königliche Beste zu thun sein könnte.

Unterdessen ging Alexis mit stolzerem, fröhlicherem Herzen als seit vielen Tagen in ihrem Busen schlug, und mit einer Fröhlichkeit, die ihr in der letzten Zeit unbekannt war, um das ihrige für die Haushaltung beizutragen, und frisches Wasser zu holen, das aus dem Brunnen der schönen Rosamunde quoll. Vielleicht erinnerte sie sich daran, daß ihr Vetter Markham, als sie noch ein kleines Mädchen war, sie unter anderem auch diese Pflicht erfüllen ließ, wenn sie eine gefangene trojanische Prinzessin vorstellen sollte, welche durch ihre Lage gezwungen war, zum Gebrauche des stolzen Siegers, Wasser aus einem griechischen Brunnen zu holen. – Auf jeden Fall freute sie sich herzlich, ihren Vater wieder in seine alte Wohnung eingeführt zu sehen, und ihre Freude war nicht minder aufrichtig, da sie wußte, daß ihre Zurückkunft nach Woodstock durch Vermittlung ihres Vetters stattfand, – daß Everard selbst in den vorurtheilsvollen Augen ihres Vaters von der Anklage, welche der alte Ritter gegen ihn vorgebracht hatte, freigesprochen worden war, und daß, wenn auch noch keine völlige Versöhnung stattgefunden hatte, doch die Präliminarien festgesetzt worden waren, durch welche man leicht zu einem so wünschenswerthen Schlusse gelangen konnte. Es war wie der Anfang einer Brücke, wenn das Fundament sicher liegt und die Pfeiler sich über das Bett des Stroms erheben; das Werfen der Schwibbögen kann man in der folgenden Jahreszeit leicht zu Stande bringen.

Das zweifelhafte Schicksal ihres einzigen Bruders hätte selbst diesen augenblicklichen Schimmer der Sonnenstrahlen umwölken können; aber Alexis war während der beständigen Bürgerkriege auferzogen, und hatte die Gewohnheit erlangt, für diejenigen, welche ihr theuer waren, so lange zu hoffen, bis alle Hoffnung vorüber war. Im gegenwärtigen Falle schienen alle Berichte die Sicherheit ihres Bruders zu bestätigen.

Diese Gründe zur Fröhlichkeit ungerechnet, genoß Alexis Lee das freudige Gefühl, den Wohnort und die Gegenden, worin sie ihre Kindheit verlebt hatte, wieder zu bewohnen, von denen sie sich nicht ohne Schmerz hätte trennen können, der vielleicht um so viel heftiger war, weil sie ihn, um ihres Vaters Gefühl seines Unglücks nicht zu reizen, unterdrücken mußte. Endlich genoß sie für den Augenblick jenen Schimmer der Selbstzufriedenheit, welcher junge, wackere Leute so oft belebt, wenn sie, wie man sich auszudrücken pflegt, denen die sie lieben hülfreich sein können, und, wenn es nöthig ist, jene kleinen häuslichen Verrichtungen übernehmen können, welche das Alter mit so vielem Vergnügen von den bereitwilligen Händen der Jugend empfängt. So daß Alexis Lee, als sie durch die Ueberreste und Spuren der schon erwähnten Wildniß eilte, und von da ungefähr einen Bogenschuß weit in den Park, um einen Schlauch Wasser vom Rosamundenquell zu holen, für einen Augenblick die fröhliche glänzende Lebhaftigkeit des Ausdrucks wieder erlangte, welche ihre Schönheit in ihren früheren glücklicheren Tagen belebte.

Diese Quelle alten Andenkens war einst mit architektonischen Zierden, die sich besonders auf alte Mythologie bezogen, verschönert. Doch lag jetzt alles wüste und herabgestoßen, und bestand nur als eine mit Moos bedeckte Ruine, während der lebendige Quell fortfuhr, täglich seine reichen Schätze zu spenden, obgleich die Quantität nur gering war, da er zwischen Steinen hervorsprudelte, und über Ueberbleibsel alter Bildhauerei einherrieselte.

Leichten Schrittes und mit lächelnden Zügen näherte sich das junge Fräulein von Lee der sonst so einsamen Quelle, blieb aber stehen als sie Jemanden daneben sitzen sah. Doch ging sie zutrauensvoll, obgleich mit minder freudigem Schritte fort, als sie bemerkte, daß diese Person ein Frauenzimmer war; – vielleicht eine Magd aus der Stadt, welche eine launige Gebieterin hingeschickt hatte, um das für besonders rein gehaltene Wasser der Quelle zu holen, oder eine alte Frau, welche sich ein Geschäft daraus machte, es den vermögenderen Familien zu bringen, und es für eine Kleinigkeit zu verkaufen. Es war also kein Grund zur Furcht vorhanden.

Doch waren die Schrecken der Zeit so groß, daß Alexis selbst eine Fremde von ihrem eigenen Geschlecht nicht ohne Furcht erblicken konnte. Entartete Frauen waren wie gewöhnlich dem Lager der beiden Armeen während des Bürgerkriegs gefolgt, und übten auf der einen Seite mit offener Ausschweifung und Entwürdigung, auf der anderen mit dem trügerischen Tone der Schwärmerei und Scheinheiligkeit in fast gleichem Grade ihre Talente zum Raub und zum Mord. Aber es war heller Tag – die Entfernung vom Jägerhause nur gering, und obgleich sie ein wenig beunruhigt war, da eine Fremde zu finden, wo sie tiefe Einsamkeit erwartete, hatte die Tochter des hochmüthigen alten Ritters doch zu viel Muth, als daß sie sich ohne bestimmten entschiedenen Grund hätte fürchten können. Alexis ging also ernst dem Brunnen zu, nahm eine ruhige Miene an als sie die daselbst sitzende Frau betrachtet hatte, und eilte dann zu dem Geschäfte den Krug zu füllen. Die Frau, deren Gegenwart die Alexis Lee überraschte und etwas erschreckte, war eine Person niederen Ranges, deren rother Rock, mit blauen Blumen gesticktes Halstuch, und ein kleiner Strohhut im besten Falle nichts Höheres anzeigte, als die Frau eines kleinen Pächters, oder vielleicht die Haushälterin eines Amtmanns. Glücklich, wenn sie nichts Schlimmeres war. Zwar waren ihre Kleider von guten Stoffen; aber das weibliche Auge entdeckte auf den ersten Blick, daß sie nachlässig geordnet und angezogen waren. Es sah aus, als gehörten sie der Person, die sie trug, nicht eigenthümlich zu, sondern als wäre sie durch irgend einen Zufall, wo nicht gar durch einen gelungenen Raub, zu ihrem Besitze gekommen. Auch entging es Alexis, so schnell sie sie betrachtet hatte, nicht, daß ihre Größe ungewöhnlich war, ihre Züge schwärzlich und ungewöhnlich rauh, und ihre Manieren höchst unzuvorkommend. Fast hatte die junge Dame, als sie ihren Krug füllen wollte, gewünscht, dem Joceline den Auftrag gegeben zu haben, aber nun war es zu spät, und sie mußte ihre unangenehmen Gefühle so gut wie möglich zu unterdrücken suchen.

»Dich beglücke dieser schöne Tag, welcher doch noch nicht so schön ist wie du,« sagte die Fremde mit rauher aber keineswegs unfreundlicher Stimme.

»Ich danke Ihnen,« sagte Alexis; und fuhr fort ihren Krug mit Hülfe eines eisernen Bechers zu füllen, welcher an einem der Steine des Brunnens angekettet war.

»Wenn du meine Hülfe annehmen wolltest, schönes Mädchen, so würde dein Geschäft schneller von Statten gehen,« sagte die Fremde.

»Ich danke Ihnen,« sagte Alexis, »wenn ich Hülfe nöthig hätte, so hätte ich mir Leute mitbringen können, um mir zu helfen.«

»Daran zweifle ich keineswegs, mein schönes Kind,« antwortete das Weib; »es gibt ja in Woodstock Bursche genug, die Augen im Kopfe haben – ohne Zweifel hättest du einen von denen, die dich ansehen, mitbringen können, wenn du gewollt hättest.«

Alexis erwiederte keine Sylbe, denn die Freiheit, welche sich die Frau erlaubt hatte, mißfiel ihr, und sie wünschte die Unterredung abzubrechen.

»Bist du beleidigt, mein schönes Fräulein?« sagte die Fremde, »das war meine Absicht nicht – aber ich will die Frage anders setzen. – Sind die guten Frauen von Woodstock so sorglos um ihre schönen Töchter, daß sie die Blume von allen herumgehen lassen, ohne Mutter oder sonst Jemanden, um den Fuchs zu verhindern mit dem Lamme davon zu laufen? – Diese Sorglosigkeit zeigt meiner Meinung nach von wenig Liebe.«

»Beruhigt Euch, gute Frau, ich bin nicht fern von Schutz und Hülfe,« sagte Alexis, der die Frechheit ihrer neuen Bekannten immer weniger gefiel.

»Ei, ei, mein schönes Mädchen,« sagte die Fremde, indem sie mit ihren rauhen und breiten Händen Alexis über den Kopf fuhr, welchen diese bisher der Quelle zugeneigt hatte. »Es wäre doch schwer, ein Stimmchen wie das deinige bis nach Woodstock zu hören, du möchtest nun schreien so laut du wolltest.«

Aergerlich stieß Alexis die Hand der Frau zurück, nahm die nur halbvolle Schale, und als sie sah, daß die Fremde zu gleicher Zeit aufstand, sagte sie furchtlos und mit dem Ausdruck beleidigter Würde: »Ich brauche meine Stimme nicht zu erheben, daß man es bis nach Woodstock hört; wäre ich gezwungen um Hülfe zu rufen, so könnte ich sie näher finden.«

Der Beweis war gleich zur Hand, denn in diesem Augenblick drang der edle Hund Bevis durch das Gebüsche, stand ihr zur Seite, richtete seine feuerfunkelnden Augen auf die Unbekannte, erhob jegliches Haar seines zierlichen Rückens gleich den Borsten eines wilden Ebers, wenn er hart bedrängt wird, bleckte die Zähne, die sich mit denen eines russischen Wolfes hätten vergleichen können, und ohne zu bellen oder empor zu springen, schien er mit seinem dumpfen Geheul nur ein Zeichen zu erwarten, das Weib, das ihm sogleich verdächtig schien, zu Boden zu werfen.

Aber die Fremde kam nicht außer Fassung.

»Mein schönes Mädchen,« sagte sie, »du hast da freilich einen furchtbaren Wächter, wenn du es mit verzogenen städtischen Jünglingen und Bauerlümmeln zu thun hast; aber uns, die wir im Kriege waren, sind Zauberformeln bekannt, solche furchtbare Drachen zu bändigen. Laß also deinen vierfüßigen Beschützer nicht auf mich los, denn es ist ein edles Thier, und nur Selbstvertheidigung könnte mich dazu bringen, ihn zu verwunden oder umzubringen.« Indem sie das sagte, zog sie eine Pistole aus ihrem Busen, spannte den Hahn und richtete sie gegen den Hund, als erwarte sie, daß er auf sie losspringen würde.

»Halt Weib, halt ein,« rief Alexis, »der Hund wird dir nichts thun. Nieder Bevis, leg dich nieder – und ehe Ihr es wagt, ihm ein Leides anzuthun, wißt, daß es der Lieblingshund des Sir Henry Lee von Ditchley, des Aufsehers des Woodstocker Parkes ist, der seine Verwundung oder seinen Tod streng rächen würde.«

»Und du, mein schönes Mädchen, bist ohne Zweifel die Haushälterin des alten Ritters, ich habe schon oft gehört, daß die Lee's guten Geschmack haben.«

»Ich bin seine Tochter, gute Frau.«

»Seine Tochter! – Ich war verblendet, – aber es ist wahr, nichts minder Vollkommenes konnte der Beschreibung genügen, welche alle Welt von Fräulein Alexis von Lee macht. Ich hoffe, meine Thorheit wird Sie, mein junges Fräulein, nicht beleidigt haben, und Sie werden mir zum Zeichen der Versöhnung gestatten, ihren Krug zu füllen, und ihn so weit zu tragen, als Sie es erlauben.«

»Wie Sie will, gute Mutter, aber ich muß augenblicklich in das Jägerhaus zurückgehen, wo ich zu dieser Zeit keinen Fremden aufnehmen kann. Ihr könnt mir nicht weiter als bis an die Gränze der Einöde folgen; denn ich bin jetzt schon zu lange von Hause entfernt, und ich will Euch Jemand entgegen schicken, um den Krug abzuholen.« Sie sprachs, wandte sich mit einem Gefühl des Schreckens um, wofür sie keinen Grund anzugeben wußte, und ging eilig dem Jägerhause von Woodstock zu, hoffend, daß sie auf diese Weise am leichtesten ihrer beunruhigenden Bekannten loswerden würde.

Aber sie hatte ihre Rechnung ohne den Wirth gemacht; denn in einem Augenblick war ihre neue Gefährtin ihr zur Seite, indem sie zwar nicht lief, aber mit so ungeheuren, langen, unweiblichen Schritten einherging, daß sie den eiligen, ängstlichen Schritt des furchtsamen Mädchens bald einholte. Doch war ihr Betragen achtungsvoller als vorher, obgleich ihre Stimme merkwürdig rauh und unangenehm ertönte, und ihre ganze Gestalt ein unbestimmtes aber unwiderstehliches Gefühl der Ahnung erregte.

»Verzeihen Sie einer Fremden, liebenswürdiges Fräulein Alexis,« sagte ihre Verfolgerin, »die nicht im Stande war, ein Fräulein von Ihrem hohen Range von einer Bauerndirne zu unterscheiden, und die sich Freiheiten herausnahm, die sich gegen Ihren Stand und Ihren Rang nicht ziemten, und die Sie, wie ich fürchte, beleidigt hat.«

»Durchaus nicht,« erwiederte Alexis, »aber gute Frau, ich bin nah' an unserem Hause und kann Ihre weitere Gesellschaft entbehren. – Sie sind mir unbekannt.«

»Daraus folgt aber noch nicht,« sagte die Fremde, »daß auch Ihr Schicksal mir unbekannt ist, mein schönes Fräulein Alexis. Sehen Sie meine bräunliche Stirn – England erzeugt keine solche – und in dem Lande aus dem ich komme, verleiht die Sonne, die unsere Haut schwärzt, Wissenschaften unserem Geist, die denen in milderen Klimaten versagt sind. Laß mich deine schöne Hand betrachten –« sagte sie, indem sie es versuchte, sich ihrer zu bemächtigen – »und ich verspreche dir, du sollst Angenehmes hören.«

»Ich höre Unangenehmes,« sagte Alexis mit Würde; »Sie müssen Ihre Kunststücke, Ihre Prophezeihungen und Wahrsagungen bei den Bauernweibern anwenden. – Wir Adelichen halten sie für Betrug oder ungesetzmäßige Kenntniß.«

»Doch möchten Sie, wette ich, gerne etwas von einem gewissen Obrist wissen, den gewisse, unglückliche Verhältnisse von seiner Familie getrennt haben. Sie würden wohl mehr als Silber darum geben, wenn ich Ihnen mit Bestimmtheit sage, daß Sie ihn in einem oder zwei Tagen, ja vielleicht noch früher sehen werden.«

»Ich weiß nicht wovon Ihr sprecht, gute Frau; wenn Ihr ein Almosen wollt, da habt Ihr ein Silberstück – das ist Alles was ich in meinem Beutel habe.«

»Es wäre ja erbärmlich, wenn ich es annähme,« sagte das Weib; – »doch geben Sie es mir; – denn im Feen-Mährchen muß die Prinzessin durch ihre Freigebigkeit immer erst die Güte der wohlthätigen Fee erwerben, ehe sie durch ihren Schutz belohnt wird.«

»Nehmt es – nehmt es – gebt mir den Krug,« sagte Alexis, »und geht – da kömmt einer von den Dienern meines Vaters. – Höre! – Joceline – Joceline! –«

Die alte Wahrsagerin warf schnell etwas in die Schale, als sie dieselbe der Alexis Lee wiedergab, und verschwand unter dem Schutze des Gebüsches.

Bevis wandte sich nach allen Seiten herum, und zeigte einige Neigung den Rückzug der verdächtigen Person zu verhindern, doch lief er, als wäre er ungewiß, was zu thun sei, auf Joliffe zu, wedelte mit dem Schweife, um seinen Rath und seine Aufmunterung zu verlangen. Joceline aber beruhigte das Thier, näherte sich seiner jungen Gebieterin, und frug sie was es gebe und warum sie so erschrocken wäre? Alexis erzählte ihm den Grund, obgleich sie eigentlich keine Ursache anzugeben wußte, denn das Betragen der Frau war zwar kühn und aufdringlich, aber keineswegs bedrohend. Sie sagte ihm also bloß, sie habe am Rosamunden-Brunnen einer Wahrsagerin begegnet, von der sie sich nur mit einiger Mühe hätte losreißen können.

»Ach die Zigeunerdiebe,« sagte Joceline, »sie haben es schon ausgespürt, daß es etwas zu essen in der Speisekammer gibt! – Diese Landstreicher haben einen Geruch wie die Raben. Sehen Sie, Fräulein Alexis, Sie werden jetzt in diesem blauen Himmel auf eine Meile weit keinen Raben und keine Krähe sehen, aber lassen Sie plötzlich ein Schaf umsinken, und ehe noch das arme Thier todt ist, werden Sie ein Dutzend solcher Gäste ächzen hören, als wenn sie sich gegenseitig zum Gastmahl einladeten. Gerade so verhält es sich mit diesen wandernden Bettlern. Wenn nichts zu geben da ist, werden Sie wenige sehen, aber wenn der Topf voll ist, wollen sie auch ihren Antheil daran haben.«

»Du bist so stolz auf den frischen Zuwachs in der Vorrathskammer,« sagte Alexis, »daß du glaubst, ein Jeder habe eine Absicht darauf. Doch glaube ich, wird es das Weib nicht wagen, sich deiner Küche zu nahen.«

»Es wird auch wohl am besten für sie sein,« erwiederte Joceline, »sonst würde ich ihr etwas zur Verdauung geben. – Aber geben Sie mir den Krug, es ist doch ziemender, daß ich ihn trage als Sie. – Aber was ist das, was glänzt denn da auf dem Boden?«

»Ich glaube die Frau warf etwas hinein,« sagte Alexis.

»Nein da müssen wir nachsehen, denn es kann ein Zauber sein, und wir haben schon Teufelszeug genug in Woodstock – wir wollen das Wasser nicht schonen, ich kann ja zurücklaufen und den Krug wieder füllen.« Er goß das Wasser auf das Gras, und auf dem Grund der Schale fand sich ein goldener Ring mit einem Rubin besetzt, der dem Anschein nach einigen Werth zu haben schien.

»Nun, wenn das keine Verzauberung ist, so weiß ich nicht, wofür ich es denn halten solle,« sagte Joceline, »wahrhaftig Fräulein Alexis, ich glaube Sie thäten am Besten, wenn sie den Zauberring wegwürfen. Gaben von solchen Händen sind eine Art Handgeld, das der Teufel gibt, um zu seinem Hexen-Regiment zu werben; und wenn man nur eine Bohne von ihm annimmt, so wird man sein unterthäniger Sclave auf Lebelang. Ja, jetzt sehen Sie einen Edelstein, aber morgen werden sie einen bleiernen Ring mit einem Kiesel dafür finden.«

»Nein Joceline, ich halte es für besser, wenn man das schwarzbraune Weib wieder aufsucht, und ihr das zurückgibt, was einigen Werth zu haben scheint. Laß also nachforschen, und sorge dafür, daß sie den Ring wieder zugestellt bekömmt. Er scheint zu kostbar zu sein, um zerstört zu werden.«

»Hm, so geht's immer mit den Weibern,« brummte Joceline, »selbst die Beste möchte keinen Schmuck wegwerfen. Uebrigens, Fräulein Alexis, scheinen Sie mir noch zu jung und zu schön, um bei einem Hexen-Regiment eingeschrieben zu werden.«

»Ich werde mich nicht davor fürchten, bis daß du ein Zauberer wirst,« sagte Alexis; »eile also zur Quelle, wo du wahrscheinlich die Frau noch finden wirst, und sage ihr, daß Alexis Lee ihre Gaben eben so wenig als ihre Gesellschaft wünscht.«

Indem sie das sagte, setzte die junge Dame ihren Weg zum Jägerhause fort, während Joceline nach dem Rosamunden-Brunnen ging, um seinen Auftrag auszuführen.

Aber die Wahrsagerin, oder was sie sonst sein mochte, war nirgends zu finden; auch gab sich Joceline keine sonderliche Mühe, weitere Nachforschungen nach ihr anzustellen.

»Wenn dieser Ring, den die Zigeunerin wahrscheinlich irgendwo gestohlen hat,« sagte der Förster zu sich selbst, »einen Dukaten werth ist, so ist er besser in ehrlichen Händen, als in denen einer Landstreicherin. Mein Herr hat ein Recht auf alles unbekannte Eigenthum und auf alles Gestohlene, und da dieser Ring einer Zigeunerin gehört, so ist er gewiß gestohlen. Ich will ihn also ohne weiteres confisziren, um den Ertrag für die Haushaltung des Sir Henry anzuwenden. Gott sei Dank, meine militärische Erfahrung hat mich gelehrt, wie man einen Haken angreift, das ist Soldaten-Recht. Aber am besten ist es doch, wenn ich ihn dem Markham Everard zeige, und ihn um Rath frage – ich halte ihn jetzt für unsern rechtsgelehrten Anwalt in allen Dingen, worin Fräulein Alexis verwickelt ist, und auch meinem gelehrten Doctor, welcher der Kirche, des Staates und Sir Henry Lee's willen namenlos bleiben soll. Die sollen meine Glieder den Raben und den Krähen vorwerfen, wenn sie finden, daß ihr Vertrauen nicht sicher in meinem Busen ist.«



 << zurück weiter >>