Heinrich Seidel
Leberecht Hühnchen als Großvater
Heinrich Seidel

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1. Vorbereitungen.

Ueber zehn Monate waren vergangen seit jenem denkwürdigen Johannistage in Tegel, da Hühnchen's liebliches Töchterchen Frieda meine Braut wurde. Die Hochzeit stand nahe bevor und sollte am 14. Mai stattfinden. Ich hauste schon seit Ostern in der Frobenstrasse in Berlin, wo wir eine Parterre-Wohnung von fünf Zimmern gemiethet hatten. Hühnchen fand unser zukünftiges Heim »äusserst opulent,« obwohl das eine dieser Zimmer nur eine schmale Ritze darstellte, indem ich mit den Fingerspitzen der ausgestreckten Arme die gegenüberliegenden Wände berühren konnte. Ein anderes, neben der Schlafstube belegenes, war von dreieckiger Form und so winzig, dass eben gerade ein Bett, ein Schrank und ein Waschtisch darin stehen konnten. Dieser merkwürdige kleine Raum, der mit dem stolzen Namen Fremdenzimmer getauft war, gereichte Hühnchen zu besonderem Vergnügen, er freute sich darauf, später einmal darin zu schlafen und war überzeugt, er würde darin wegen der dreieckigen Grundform die ganze Nacht von den vier Kongruenzsätzen und allerlei trigonometrischen Problemen träumen. Das grösste Entzücken aber empfand er über die Aussicht aus den Vorderfenstern auf die hohe, mit weissem Kalkputz beworfene Mauer, die als Hinterseite der Stallungen für die Omnibus-Gesellschaft sich auf der anderen Seite der Strasse endlos hinzieht.

»Wie angenehm«, sagte er, »dass ihr kein Vis à vis habt und dass Niemand vermag euch unverschämt in die Fenster zu starren. Diese fensterlose Mauer betrachte ich als ein wahres Glück.«

Ich bin überzeugt, hätten dort Häuser gestanden, so würde er geschwärmt haben von den Reizen, die es gewährt, die Bewohner der gegenüberliegenden Seite in ihrem Leben und Treiben zu beobachten.

Zuerst war es ziemlich öde gewesen in den leeren Räumen, wo das Geräusch meiner Schritte klingend von den Wänden widerhallte. Nur vorne in den beiden Zimmern, die ich bewohnte, befanden sich die nothwendigsten Möbel. Aber allmählich füllte sich die Wohnung. Mit Schaudern kam mir zum Bewusstsein, mit welch' einer endlosen Menge von Gegenständen der Kulturmensch seine Häuslichkeit belastet. O, das waren noch schöne Zeiten, als unsere biederen Vorfahren sich begnügten mit einem Speer, einem Steinbeil, einem Bogen, einer Hand voll von Pfeilen, etwas Schmuck von Thierzähnen und Bernstein und einem umgehängten Fell. Dazu ein Paar Töpfe, roh mit der Hand geformt und eine Erdhütte, klein aber behaglich und schon damals ebenso geräumig für die Liebe eines glücklichen Paars, wie später zu den Zeiten Schillers. Aber jetzt war das ein anderes Ding. Orient und Occident wurden in Thätigkeit gesetzt, nur damit wir uns ein Nest bauen konnten. In China spannen die Seidenwürmer, in Schlesien schnurrten die Webstühle, in Solingen hämmerten die Schmiede und an verschiedenen Orten glühten die Porzellan- und Glasöfen für uns. Hölzer aus den fernsten Welttheilen schleppte man herbei, unsere Möbel zu schmücken, der Elephant lieferte seine Zähne, der Wal sein Fischbein, das Pferd sein Haar, das Schaaf seine Wolle, Palmen ihren Bast, die Thiere aller Zonen ihre Häute, Hörner und Knochen, nur weil wir heirathen wollten. Die Bergwerke Nevada's gaben ihr Silber her, Australien sein Gold, Britannien sein Zinn, Schweden sein Kupfer und Westfalen sein Eisen. Alles für uns. Wahrlich, wenn man sich eine Vorstellung machen will von dem subtilen Räderwerk der modernen Kultur und von dem weit verzweigten Spinnennetze, das Handel und Verkehr über die ganze Welt gesponnen haben, da braucht man sich nur auszumalen, welch' einen verwickelten Mechanismus ein einziges anspruchsloses Paar in Thätigkeit setzt, nur um sich ein bescheidenes Heim zu gründen.

Bei Hühnchen's herrschte schon seit lange eine geradezu unheimliche Rührigkeit, und Männer fühlten sich dort nur mässig behaglich. Denn den ganzen Tag rasselte die Nähmaschine und was da an Gesäumtem, Gebauschtem, Gefälteltem und mit Spitzen Besetztem im Laufe der Zeit zu Tage gefördert wurde, war einfach erschreckend. Es war mir wirklich manchmal zu Muthe, als hätte ich mich auf eine Sache eingelassen, deren Tragweite und deren nothwendige Folgen ich mir doch nicht genügend klar gemacht hatte. Das kleine Wörtchen »Ja« ist ein Keim, aus dem die merkwürdigsten Bäume hervorwachsen. Sah ich aber dann mein rosiges Mädchen in glühendem Fleisse und mit strahlendem Eifer in all dieser emsigen Thätigkeit mit dem hoffnungsvollen Leuchten ihrer Augen, so erfreute ich mich des blühenden Rosengartens, der auch aus diesem kleinen Wörtchen aufgeblüht war, und wir beide gedachten mit Wonne der Zeit, da wir ganz in ihm wohnen sollten.

Zu einer vollständigen Ausstattung meiner zukünftigen kleinen Frau gehörten nun auch jene zarten Gedichte aus Blumen, Federn und Bandwerk, die in den Schaufenstern der Putzläden eine so unerlöschliche Anziehungskraft auf weibliche Augen auszuüben pflegen, obgleich man schon im nächsten Jahre mitleidig zu lächeln pflegt über das, was vor Kurzem noch »entzückend« war. Man sah sich im Hühnchen'schen Hause dafür nach einer Hülfe um und Frieda schrieb desswegen an eine Schulfreundin, die sich in Berlin viel in Gesellschaften bewegte und sogar schon einmal einen Subskriptionsball mitgemacht hatte. Diese wies ihr auch ein geeignetes Fräulein nach und nun schrieb Frieda noch einmal um die näheren Bedingungen, denn man wusste im Hühnchen'schen Hause nicht, wie eine solche Künstlerin zu behandeln sei, da dergleichen Priesterinnen des Luxus noch niemals über diese Schwelle gekommen waren. Darauf erhielt sie folgenden Brief:

»Liebe Frieda!

Die erste Bedingung Fräulein Siebentritt gegenüber ist grosse Freundlichkeit, die zweite: Kaffee mit Brödchen und Butter bei'm Antritt, die dritte: Frühstück, bestehend aus belegtem Butterbrod, einem Ei, einem Glase Wein und einer Tasse Kakao, recht süss, die vierte: Mittagessen reichhaltig, jedoch ja keinen Sauerkohl. Pudding muss unbedingt dabei sein, ein Gläschen Wein darf nicht fehlen. Die fünfte Bedingung: Kaffee wie am Morgen, jedoch jetzt mit Kuchen, die sechste: gegen Abend ein Stück kalten Pudding, die siebente Abendbrot: Eier sehr beliebt, dazu auch Butterbrod mit Braunschweiger Wurst und Hamburger Rauchfleisch angenehm, Bier darf nicht fehlen, die achte: fünfzig Pfennige mehr geben, als sie verlangt.

So, nun weisst Du Alles, bemerken will ich nur noch, dass das Abendbrod sehr reichlich bemessen sein muss. Sie selbst zwar pflegt nur davon zu nippen, denn sie hat den Tag über schon so viel gepambst, dass ihre Kraft erschöpft ist, allein sie erwartet die Aufforderung, das Uebrige einzupacken und mit nach Hause zu nehmen. Sie verlangt viel Unterhaltung und ausserdem eine Apfelsine für ihre Mutter.

Mit herzlichen Grüssen

Deine

Mathilde.

Ps. Sie tritt Morgens gegen zehn Uhr an. D. O.«

An einem Sonntage, kurze Zeit nach Ankunft dieses Briefes, traf ich in Steglitz ein und fand die Damen des Hauses in ziemlich gedrückter Stimmung bei dem Studium dieses Schriftstückes. Hühnchen kam darüber zu und las den Brief mit grosser Sorgfalt und vielem Ernste. »Bei'm Lukull,« sagte er, »das wird ein Tag des Wohllebens und der Schlemmerei werden, wenn dieses Fräulein unsere niedere Hütte mit ihrer Gegenwart beehrt. Und wir werden uns eine Miene erhabener Gleichgültigkeit einüben müssen, um so zu thun, als ginge es immer so bei uns zu. Und Lore, ich fürchte, mit unserem Sauren wird es nichts sein. In der griechischen Weinhandlung bei Mentzer aus Neckargemünd giebt es eine »Milch der Greise«, »Nestor« genannt. Süss und kräftig. Davon werde ich mir ein Fläschchen einthun für diesen grossen Tag.«

Dann fuhr er zu mir gewendet fort: »Je älter man wird, theurer Freund, je mehr Blätter flattern welk herab vom Baume unserer Illusionen. Ich habe mir bis jetzt immer eingebildet, eine Putzmacherin sei eine Art von ätherischem Wesen, das in der Weise eines Vögelchens von irdischer Speise nur nippt, fortwährend Liedchen trällert und dazu mit unerschöpflichem Fleisse und mit wunderbar geschickten Fingern zierliche Gebilde formt. Aber darf ich von dem Einzelfalle, den dieser Brief darstellt, auf die Allgemeinheit schliessen, so kann ich mich der Ueberzeugung nicht erwehren, dass sehr irdische Geschöpfe unter dieser Menschenklasse gefunden werden.«

Doch die niedergedrückten Geister der Familie Hühnchen richteten sich bald wieder auf. Es wurde nach reiflicher Ueberlegung beschlossen, auf die Hülfe dieser anspruchsvollen Dame zu verzichten, da man allgemein der Ansicht war, sie sei zu schwierig zu ernähren, auch möchte der Rahmen des Hühnchen'schen Hauses keine geeignete Fassung für dieses Juwel sein. Frau Lore brachte dann später auch mit ihren geschickten Händen alles Nöthige zur Befriedigung der Kenner zu Stande.

Es war ein sonniger Tag am Ende des April, Fenster und Thüren waren geöffnet und eine köstliche Frühlingsluft wehte durch alle Zimmer. Gegen zwölf Uhr Mittags fiel es mir besonders auf, wie ungemein sonnig die Wohnung war, ja als ich näher zusah, bemerkte ich die auffallende Thatsache, dass das himmlische Gestirn sowohl in die Nord- als die Südfenster hineinglänzte. Diese beiden Sonnenscheine begegneten sich in der Mitte und brachten in dem breiten Gange, der die beiden Zimmer verband, strahlenden Glanz hervor. Als ich Hühnchen auf diese merkwürdige astronomische Thatsache aufmerksam machte, da leuchteten seine Augen ganz besonders und mit fast prahlerischem Tone begann er: »Ja, mein lieber Freund, diesen neuen Vorzug dieser merkwürdigen Wohnung kanntest Du noch garnicht. Was wir zuerst als ein Unglück beklagten, hat eitel Vortheil mit sich gebracht, denn einem Glücksvogel wie mir, müssen alle Dinge zum Besten dienen.«

Dann deutete er aus den Nordfenstern auf die blinkenden Spiegelscheiben einer grossen Miethskaserne, die dort vor Kurzem erst aus dem Boden gewachsen war und fuhr fort: »Du weisst doch, welches Vergnügen wir früher immer an der Aussicht aus diesen Fenstern hatten, als dort noch das kleine ländliche Haus stand. In dem eingezäunten Hofraume trieb sich ein stattlicher Hahn mit seinen Hühnern herum, dort watschelten Enten, und im Herbst auch Gänse, ja zuweilen liessen sich dort veritable Schweine sehen, die sich stilgemäss in Pfützen wälzten. Wir hatten dort eben immer eine ächt ländliche und höchst anheimelnde Aussicht. Nun kriegen die Leute hier aber im vorigen Jahre das Bauen und stellen dort eine himmelhohe Kaserne hin mit Karyatiden und Balkons und Obst und Südfrüchten. Die Aussicht ist fort und unser Nordzimmer sollte, wie wir meinten, noch dunkler werden, als es schon war. Aber was geschieht? Ganz das Gegentheil, wie Du siehst. Denn nun spiegelt sich die Sonne dort in den grossen Scheiben und wir haben sie von beiden Seiten, dass wir uns in ihrem Scheine baden können. Eine förmliche Sonnendouche haben wir jetzt. Mich dünkt, die Wohnung hat unermesslich gewonnen dadurch. Und noch eins Theuerster. Die Grundstücke hier in der Gegend sind durch die eingetretene Bausucht gewaltig im Preise gestiegen. Gestern war ein Bauunternehmer bei mir mit einem Burgundergesicht und drei Unterkinnen. Sein glattes Bäuchlein erschien mir wie ein Grabhügel von vielen Austern, Fasanen und Gänseleberpasteten und war geziert mit einer goldenen Uhrkette im Werthe eines kleinen Bauerngutes. Er wollte mir mein Grundstück abkaufen und bot schliesslich sechsmal mehr als es mir, den Neubau mit eingerechnet, im Ganzen gekostet hat. Einstweilen habe ich der Versuchung widerstanden, obwohl er sagte: »Gott, was wollen Sie? Für das, was ich Ihnen zahle, bau'n Sie sich in 'ner anderen Gegend wieder an und da können Sie haben eine Villa. Was haben Sie hier? Niedrige Räume, kleine Löcher. Ziehen Sie weiter hinaus auf das neue Villenterrain, da können Sie haben für das Geld, was ich Ihnen zahle, grosse Räume und alle Zimmer mit Schtuck, so viel Sie wollen. Hier haben Sie keinen Schtuck und Schtuck wünscht man doch jetzt allgemein. Und Sie können haben auf dem Flur die Wände von Schtuckmarmor und können haben Butzenscheiben und Alles altdeutsch in der schönsten Renaissance und mit Cuivre poli. Oder wollen Sie nicht Renaissance, so können Sie's haben in Gothisch oder Rokoko oder was Sie wollen, unsere Baumeister bauen Ihnen in jedem Geschmack.

Aber ich blieb fest und zuletzt sockte er zornig ab. Das aber muss ich Dir sagen: diesen Boden betritt jetzt mit Achtung, denn Du wandelst auf Gold.« Und Hühnchen ging mit Storchenschritten, wie zwischen Eiern im Sonnenschein herum, der ihn von beiden Seiten beleuchtete, und lachte und glänzte selber wie die Sonne.

Wie es möglich werden sollte Polterabend und Hochzeit in den beschränkten Räumen des Hühnchen'schen Hauses stattfinden zu lassen, war mir unerfindlich, allein mein zukünftiger Schwiegervater hatte sich nun einmal darauf versessen und seinem Genie musste es überlassen werden, diese Frage zu lösen. »Einer Hochzeit in einem Gasthause fehlt jegliche Weihe,« sagte er. »Das ist ein Geschäft, aber kein Fest. Wir laden so viele ein, als hineingehen in die Bude und dann soll's fidel werden. Was, alter Freund und Schwiegersohn? Und unser Freund Bornemann soll uns eine Maibowle ansetzen. Das zu sehen ist allein schon ein Festgenuss, wenn er wie ein Hoherpriester seines Amtes waltet. Die Zuthaten besorgt er selber aus den geheimnissvollsten und besten Quellen, die nur Gott und ihm bekannt sind.«

Auch die Gäste von auswärts sollten im Hause untergebracht werden. Das war nun allerdings so schlimm nicht, denn ausser meiner Mutter erwarteten wir nur noch Herrn Nebendahl, einen Onkel von Hühnchen, der in Mecklenburg ein Pachtgut hatte. Da nun die Zimmer oben, die ich bewohnt hatte, leer standen, so machte dies weiter keine Schwierigkeiten.

Unterdess hatte unsere neue Wohnung in der Frobenstrasse sich allmählich gefüllt, es duftete dort nach Lack, Politur und frischen Polstermöbeln und Alles sah unbeschreiblich neu und ungebraucht aus. Auch die Küche war schon vollständig eingerichtet, an den Wänden hingen Löffel, Kellen, Siebe, Trichter und andere Geräthschaften, deren Gebrauch mir ein düsteres Geheimniss war. Blanke Messingkessel blitzten über dem Heerde mit einem Mörser aus gleichem Stoffe um die Wette, und am Rande des Rauchfanges entlang hing eine Reihe von Bunzlauer Töpfen: Papa, Mama und sieben Kinder, eins immer kleiner wie das andere. Auch auf den Brettern der Speisekammer war allerlei Geschirr aufgestapelt, und stattliche Porzellantonnen waren dort aufmarschirt mit schönen deutlichen Inschriften. Alles war da, nur das Beste fehlte noch. Doch der Tag, der es bringen sollte, nahte heran, ob auch die Zeit schneckengleich dahinkroch, und endlich war der Polterabend da. Unsere auswärtigen Gäste waren eingetroffen, meine Mutter, die von der Familie Hühnchen mit unvergleichlicher Liebe und Ehrfurcht aufgenommen ward, und Herr Nebendahl, ein stattlicher, wohlbeleibter Herr mit einem rothbraunen Gesicht, einer Stimme, gleich der Posaune des Gerichts, und einer grossen Neigung zur Heiterkeit, die sich durch donnerndes Lachen kundthat und das Haus in seinen Grundfesten erschütterte.

»Na, Du hast dir da ja 'n gelungenes Vogelbauer eingerichtet Lebrecht,« sagte er, als er mit gewichtigen Schritten durch die kleinen Zimmer wandelte wie ein Löwe durch einen Menageriekäfig, »und 'n Garten is da ja auch. Den muss ich sehn.«

Hühnchen schmunzelte und steckte schnell einige Papiere zu sich, die auf seinem Schreibtische lagen. So etwas wie dieser Garten, war Herrn Nebendahl noch nicht vor Augen gekommen und als er den Kartoffelacker von vier Quadratmetern und alle die unglaublich winzigen Zwiebel-, Mohrüben-, Erbsen-, Bohnen-, Kohl-, Sellerie- und Erdbeerbeete sah, und als ihm nun gar die Bebauungspläne in ihren verschiedenen Jahrgängen vorgelegt wurden, da schallte der Donner seines Gelächters durch ganz Steglitz. »O du mein Schöpfer!« rief er, »zu Haus' hab' ich 'n paar Erdbeerbeete, die sind zusammen mal so gross als dieser ganze Garten. Un meine Frau hat 'n Karnaljenvogel in so 'n klein Drahthaus, der kriegt jeden Tag sein Grüns, und wenn ich den seh' Lebrecht, denn werd' ich von nu ab immer an dich und dein Haus und deinen Garten denken!«

Als er nun das Kartoffelfeld näher in's Auge fasste, wo eben das grüne Kraut aus der Erde hervorgedrungen war, erwachte seine Lustigkeit aufs Neue: »Junge, Junge,« sagte er, »wenn in 'n Herbst das Kartoffelracken losgeht, den musst Du dir doch woll 'ne Hülfe annehmen, oder könnt Ihr's allein zwingen. Die Kartoffeln steh'n aber gut. Was is es denn für 'ne Sorte?«

»Magnum bonum, länglich runde, nierenförmige,« antwortete Hühnchen schlagfertig. »Hier in diesem Garten werden nur edelste Sorten kultivirt, und die Samen sind von einer berühmten Firma in Erfurt bezogen. Wenn Du glaubst, dass diese Zwiebeln hier ganz gewöhnliche Wald- und Wiesenzwiebeln sind, da bist Du sehr im Irrthum, ich darf sie Dir vorstellen als die »grosse runde, gelbe, feinschmeckende Zittauer Riesenzwiebel.« Auch bei diesen Bohnen siehst Du nichts Gewöhnliches vor dir, es ist die »frühe, grosse, lange, extra breite, weisse Schlachtschwert-Bohne.« Und wenn Du glaubst, hier siehst Du nur so Erbsen schlechthin, da bist Du wieder betrogen. Nein sie nennt sich »grosse, weisse, frühe, krummschotige Säbel-Erbse.« Hier erblickst Du den »sehr grossen, zarten, gelben Non-plus-ultra-Salat und dort, wo Du noch nichts siehst, wird sich bald in ungeahnter Ueppigkeit die »längste, grüne Goliath-Schlangen-Gurke« entfalten. Doch wenn Du erst ahntest, was auf diesem Komposthaufen der Zukunft entgegenkeimt, da würde Ehrfurcht dein Herz erfüllen, denn dort ist angesäet der »Riesen-Melonen-Zentner-Kürbis,« der gegen hundert Kilogramm – denke nur zwei Zentner – schwer wird. Ich muss gestehen, vor diesem Gemüse habe ich einige Angst. Ich fürchte, es wird zu geräumig ausfallen für unseren Garten und eine erdrückende Wirkung ausüben.«

Herr Nebendahl hatte bei dieser ganzen Erklärung mit beiden Händen seinen Bauch gehalten, der wie von einem gewaltigen Erdbeben erschüttert ward – nun brach er endlich in ein donnerndes Gelächter aus. Als er sich endlich wieder erholt hatte, rief er: »Ne, Lebrecht, nu hör auf. Wenn das so weiter geht, denn werd' ich krank, das kann ja kein Deubel aushalten. Du bist der putzigste Kerl, der mir mein lebtag vorgekommen is.«

Der Rabe Hoppdiquax in seinem vergitterten Kasten an der Hauswand hatte sich dieser neuen und geräuschvollen Erscheinung gegenüber bis dahin mäuschenstill verhalten und sie nur mit dem forschenden Blicke des gewiegten Menschenkenners aufmerksam von der Seite betrachtet. Jetzt, da eine kleine Pause in der Unterhaltung eingetreten war, hielt er offenbar seine Zeit für gekommen, denn im tiefsten Bass sagte er plötzlich: »Da ist der Graf!«

Herr Nebendahl schrak zusammen: »Na, was is das?« rief er. »Sitzt da wer in dem Kasten. »Was is das?«

Hoppdiquax hüpfte drei Schritte seitwärts, wodurch er mehr in's Licht kam und indem er theils pfiffig, theils boshaft auf Nebendahl hinblickte, sagte er wie zur Erklärung: »Ein räthselhafter Vogel!« Denn diese Redensart, die von Hühnchen schon so oft auf ihn angewendet worden war, hatte er sich im Laufe der Jahre zu eigen gemacht.

Herr Nebendahl lachte nicht wie es wohl sonst seine Gewohnheit bei so auffallenden und sonderbaren Ereignissen war, sondern ward ein wenig blass und sah Hühnchen mit weit geöffneten Augen und gerunzelter Stirn an. »Du, Lebrecht,« sagte er, »das is ja ein graugeliges Thier, da kann Einen ja ganz angst vor werden.«

»Quatschkopp!« rief Hoppdiquax mit ungeheurem Nachdruck, sträubte die Nackenfedern und hüpfte in die hinterste Ecke seines Kastens, wo er scheinbar in gewaltigem Zorn auf einen längst abgenagten Knochen loshackte.

»Ne, sowas!« sagte Herr Nebendahl und ging ganz bedrückt mit Hühnchen wieder in das Haus zurück.

 

 


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