Heinrich Seidel
Leberecht Hühnchen als Großvater
Heinrich Seidel

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7. Es kommt Besuch.

Der achtundzwanzigste August des nächsten Jahres war ein bemerkenswerther Tag, denn als ich am Nachmittage von meinem Bureau nach Hause kam, war unterdessen ganz plötzlich Besuch angekommen. Frau Lore, die sich schon am Vormittage zufällig eingefunden hatte, um sich nach ihrer Tochter umzusehen, kam mir strahlenden Angesichts mit dieser Nachricht entgegen. Dieser Besuch stellte sich dar als ein höchst sonderbarer kleiner Herr mit mangelhaftem Haarwuchs und einem ältlichen, verdriesslichen Gesichte, das so roth war wie eine Schlackwurst. Sein Benehmen war ein höchst anspruchsvolles, und seine erste That bei der Ankunft in unserer Häuslichkeit war gewesen, mit ungemein lauter Stimme und mit grenzenloser Rücksichtslosigkeit sein allerhöchstes Missfallen mit Allem und Jedem auszusprechen. Drei Frauenzimmer, meine Schwiegermutter, Lotte, und eine fremde weise Frau von behäbigem und freundlichem Aussehen hatten sich bemüht, allen seinen Wünschen gerecht zu werden, sie hatten ihm die schmeichelhaftesten Dinge gesagt, sie hatten ihm ein Bad bereitet, sie hatten ihn in köstliche weiche Leinwand gekleidet, ihn sanft in Kissen gehüllt und ihn in einen schönen funkelnagelneuen Wagen gelegt, der sonderbarer Weise schon seit einiger Zeit im Hause bereit stand. Dies hatte ihn endlich soweit beruhigt, dass er in einen tiefen Schlaf gefallen war. Man sagte mir, dass Schlafen und Trinken die einzigen Beschäftigungen des kleinen Herrn wären, die nur unterbrochen würden durch Aeusserungen kräftigen Unwillens und andere sehr wichtige Thätigkeiten, die fortwährend Veranlassung zu kleinen Wäschen geben. Trotz aller dieser wenig empfehlenden Eigenschaften des neuen Gastes herrschte Glück und Freude über ihn in der ganzen Wohnung und auch ich muss gestehen, dass ich über seine Ankunft ausserordentlich vergnügt war, und dass ein ungekanntes Gefühl von Würde mich durchströmte wegen der Standeserhöhung, die mir durch diesen Besuch zu Theil geworden war. Am glücklichsten aber war wohl Frieda, die zwar etwas blass, aber mit seligem Lächeln in ihrem Bette lag, den Kopf immer ein wenig nach jener Seite hingewendet, wo der kleine Mann in seinem Wagen ruhte.

Nach einer Weile klingelte es und als ich hinging, um zu öffnen, stand Hühnchen vor der Thür. »Ich weiss Alles,« rief er, »Lore hat mir eine Pustkarte geschickt. Hurrah!« Dann ging er eilig in das grosse Vorderzimmer und zog mich geheimnissvoll an der Hand nach sich. Er öffnete die Thür des Berliner Zimmers und sah vorsichtig hinein. »Sie sind Alle hinten, was?« fragte er dann. Ich bejahte dies.

»Theuerster,« sagte er dann, »Du siehst mich jetzt an der Schwelle des Greisenalters stehen. Ich bin zwar erst sechsundvierzig Jahre alt und habe noch kein graues Haar, aber die Thatsache ist nicht zu leugnen: Ich bin Grossvater, ein richtiger veritabler unanfechtbarer Grossvater. Das freut mich ganz unmenschlich und ich muss, theuerster Schwiegersohn, ich muss, und wenn es mein Leben kosten sollte, ich muss in diesem feierlichen Augenblicke einen Indianertanz loslassen, sonst gehe ich zu Grunde. Es soll meine letzte Jugendthorheit sein, und keine Handlung sollen deine Augen ferner von mir sehn, die nicht eines Grossvaters würdig wäre und als solche nicht im Panoptikum ausgestellt werden könnte. Hurrah! Hurrah! Hurrah!«

Und damit tanzte er los ohne Gnade und schwang sein Bein wie ein Jüngling, und, ich will es nur gestehen, ich tanzte mit, dass die Möbel zitterten, die Uhren klirrten und die ganze leicht gebaute Miethskaserne ins Wackeln kam und am andern Tage in der Zeitung stand, Falb's Theorie der kritischen Tage habe sich wiederum bewährt, denn in dem Hause Frobenstrasse No. 36 habe Herr Doktor Ramann (der über uns drei Treppen hoch wohnte) am 28ten August Nachmittags vier Uhr fünfundfünfzig Minuten die Spuren eines leichten Erdbebens bemerkt.

»So,« sagte Hühnchen, indem er nach Beendigung dieser Orgie doch ein wenig schnaufte, »nun ist mir wieder ganz wohl, sonst wären mir die versetzten Grossvaterfreuden am Ende in die Glieder gefahren. Tanzen in solchen Fällen ist furchtbar gesund. Schon in alten Zeiten that man das. Denk' nur an David.«

Dann aber hob er den Zeigefinger auf und sprach mit grosser Wichtigkeit: »Nun aber, lieber Schwiegersohn, kommt eine Frage von ungeheurer Bedeutung und diese lautet: Wie soll dieser Sohn heissen?«

»Ja,« sagte ich, »wir schwanken. Ich bin für Werner, Frieda für Konrad und deine Frau für Gottfried.«

Nun hätte man aber das pfiffige Gesicht sehen sollen, das Hühnchen machte und den Ausdruck erhabenen Triumphes hören, mit dem er sagte: »Ja, hättet ihr Grossvatern nicht!«

Dann nahm er mich an den Schultern, schob mich vor sich her in mein Zimmer vor den Abreisskalender und rief: »Nun, was steht da: August, 28. Donnerstag. W. v. Goethe geb. 1749. Merkst Du was? O, Du bist doch so ein halber Literaturmensch und musst Dir das von mir erst sagen lassen. Wie also soll dieser Sohn heissen?«

»Wolfgang!« antwortete ich.

»Gut!« rief Hühnchen, »setz Dich einen 'rauf.«

In diesem Augenblick ertönte vom Schlafzimmer her ein krähendes Geschrei und Hühnchen spitze die Ohren. »Ha,« sagte er, »das ist Musik, das ist noch mehr werth als Wachtel sein hohes C, das ist Nachtigallensang in meinem Ohre. Wolfgang schreit, mein Enkel meldet sich. Die Gelegenheit ist günstig. Auf zur Besichtigung!«

Ich muss hier nun offen gestehen, dass ich, was die Bewunderung neugeborener Kinder betrifft, ein Barbar bin wie die meisten Männer. Es war mein Sohn, es war sogar mein erster Sohn dieses froschartige röthliche Etwas mit dem merkwürdigen Faltenwurf an den Beinen, und ich liebte ihn und war stolz auf ihn, ganz gewiss. Auch konnte er wundervoll durchdringend schreien, bei welchem Geschäft er mit Leib und Seele war und beträchtlich zappeln mit seinen kleinen Gliedmassen, aber schön war er durchaus nicht. Er hatte, wie überhaupt alle Neugeborenen, wenig Menschenähnliches an sich. Die Augen der Frauen sehen darin anders und als Frau Lore ihn ausgebündelt hatte, sah sie ihn mit schwärmerischem Gesichtsausdruck von der Seite an und sagte mit dem Ausdruck tiefster innerlicher Ueberzeugung: »Ein schönes Kind, ein wahrer Engel, und ganz der Vater!« »Ganz der Vater!« wiederholte Lotte, die ihn von der anderen Seite ebenso schwärmerisch betrachtete. »Ganz der »Vater,« fuhr Hühnchen fort, indem er mich etwas schalkhaft dabei ansah.

Als ich dann einen schüchternen Versuch machte, meine gegentheiligen vorhin geäusserten Ansichten zum Ausdruck zu bringen, kam ich schön an.

»Aber Männchen!« sagte Frieda und:

»O pfui!« Frau Lore.

»Rabenvater!« rief Hühnchen.

Lotte sagte nichts, aber ich merkte, sie raisonnierte inwendig und unterdrückte Majestätsbeleidigungen.

Als ich nachher mit Hühnchen wieder allein war, sagte er zu mir: »Lieber Schwiegersohn und junger Vater, ein Mann von Erfahrung, ein Grossvater spricht zu Dir Worte der Weisheit. Merke wohl, was ich Dir sage: Neugeborne Söhne sind immer schön, sie mögen aussehen wie sie wollen. Sie sind immer »ganz der Vater« und darüber hat dieser glücklich zu sein. Seine Opposition hat er zu unterdrücken, selbst wenn es ihm noch so sauer wird. Denn nützen wird sie ihm niemals etwas, ebensogut könnte er gegen Naturgesetze ankämpfen und die Schwerkraft leugnen oder die Thatsache, dass zwei mal zwei vier ist. Und dass das weibliche Geschlecht so denkt und mit andern Augen sieht als wir, das musst Du achten, denn das ist ein Ausfluss jener herrlichsten Eigenschaft, die Gott in die Seele des Weibes gelegt hat, jener Kraft, die höher ist als Berge und tiefer als die See, – man nennt sie Mutterliebe.«

Ich schwieg ein wenig beschämt.

Frau Lore liess es sich nicht nehmen, bei uns zu bleiben und die erste Pflege des Kindes zu übernehmen, und ich siedelte für die nächste Zeit in das kleine dreieckige Fremdenzimmer über. Hühnchen, der nun so lange einsam in Steglitz hauste, ass Mittags bei uns, ehe er in sein neues Heim zurückkehrte. Denn im vorigen Jahre bereits hatte er sein kleines Haus verkauft und sich einstweilen ein anderes ebenso kleines mit einem etwas grösseren Garten gemiethet mit der Absicht, später, wenn er ein passendes Grundstück fände, sich anzukaufen und sich dort ein ganz wunderbares Haus zu bauen.

»Eine Dichtung soll es werden,« sagte er, »zwar ganz einfach und ohne jeglichen »Schtuck«, aber sinnig durchgearbeitet wie eine Novelle von Theodor Storm. Zweckmässigkeit und Behaglichkeit sollen wie ein sanfter Schimmer von ihm ausstrahlen, man soll die Empfindung haben, Alles in diesem ganzen Hause könne gar nicht anders sein als wie es ist. Aber das ist eine ganz besonders schwierige Aufgabe,« schloss er dann mit sorgenvoller Miene und gerunzelter Stirn.

In seiner freien Zeit sass er denn auch regelmässig am Reissbrett und »dichtete«, wie er es nannte, das heisst er entwarf Grundrisse von Häusern mit dazu gehörigen Gartenplänen. Er hatte schon eine ganze Mappe vollgedichtet. Oder er streifte mit Frau Lore auf Nachmittagsspaziergängen durch Steglitz und Umgegend und besah sich Grundstücke, wodurch er fortwährend wieder zu neuen Plänen angeregt wurde. In solcher Beschäftigung des steten Projektmachens gefiel er sich so wohl, dass eigentlich Niemand mehr an den Ernst dieser Sache glaubte.

Frieda erholte sich rasch und blühte bald wieder wie eine Rose und die kleine Knospe an ihrer Brust nahm ebenfalls zu an Weisheit und Schönheit und ward jeden Tag ein wenig menschenähnlicher. In der letzten Hälfte des Oktober wollten wir taufen und Hühnchen, Onkel Nebendahl, Bornemann und Doktor Havelmüller sollten Gevatter stehen. Frieda betrieb die Vorbereitungen zu diesem kleinen Feste mit grosser Wichtigkeit, denn bis jetzt hatten wir wohl zwei oder drei Freunde des Abends bei uns gesehen, doch noch niemals so viel wie diesmal zu Mittag und obwohl nur, uns mit eingeschlossen, sieben Personen zu bewirthen waren, so bangte sich ihr kleines Hausfrauenherz doch ein wenig.

Die ersten, welche kamen, waren Hühnchen und Frau. Hühnchen zog, als er kaum eingetreten war, eine kleine Schachtel aus der Tasche und holte daraus einen einfachen silbernen Becher hervor. »Mein Angebinde für den Sohn,« sagte er. »Dieser Becher hat Zauberkraft, denn trinkt man daraus hundert Jahre lang jeden Morgen regelmässig, ganz einerlei welches Getränk, so wird man unfehlbar uralt. Möge er daraus Kraft und Gedeihen saugen und möge ihm wie seinem grossen Geburtstagsgenossen ein Leben voller Glück und segensreicher Arbeit zu Theil werden.«

Bald hernach fand sich Doktor Havelmüller ein, zog mit geheimnissvoller Miene etwas in Seidenpapier Gewickeltes hervor und sagte: »Denkt Euch nur, lieben Freunde, mein Grundstück Neugarten in Tegel ist unerschöpflich in Ueberraschungen. Seit Ihr im vorigen Mai dort wart, habe ich seine Fauna um einundzwanzig Species und seine Flora gar um neununddreissig bereichern können. Und unter der Gruppe der Raubthiere befindet sich etwas ganz Grossartiges, nämlich ein Bär, ein unzweifelhafter wirklicher Bär, Ursus arctos. Der ist aber auch mit einem dicken rothen Strich ausgezeichnet. War seinem Führer, einem braven Polacken, weggelaufen, hatte sich durch eine Zaunlücke gezwängt, hatte mir sämmtliche Johannisbeeren abgefressen und sonst noch schauderhafte Verwüstungen angerichtet. Und ich geniesse das Glück darüber zuzukommen. Sie sagten nachher Alle, ich könne Entschädigung von dem Kerl verlangen. »Was Entschädigung,« sagte ich, »ich bin ja selig. Soll ich dem armen Vagabunden, der seine kümmerliche Nahrung aus diesem hungrigen Thiere zieht, seine paar Groschen abzwacken? Nein, meine Entschädigung steht hier,« sagte ich und zeigte auf mein Buch, wo es angemerkt war, wie gesagt, schön dick roth unterstrichen: Ursus arctos, festgestellt am 16ten Juli Abends 7 Uhr 3 Minuten. – Mit den Pflanzen ist es aber scheinbar nicht ganz mit rechten Dingen zugegangen. Ich hege einen düsteren Verdacht gegen meinen Freund Johannes, der im vorigen Jahre, wenn wir Pflanzen bestimmten, sich oftmals dort in höchst verdächtiger Weise zu thun gemacht hat. Denn in diesem Jahre zeigte sich eine ganz merkwürdige Bereicherung der Flora mit Pflanzen, die hier garnicht vorkommen, wie z. B. rother Fingerhut, Cymbelkraut und ähnliches. Da ich nun weiss, dass er sich allerlei Samen von seinen Reisen mitbringt oder aus Erfurt bezieht, um ursprünglich wild wachsende Pflanzen in seinem Gärtchen zu ziehen, so vermuthe ich hier schändlichen Betrug. Doch dies Alles nur nebenbei. Denn was ich eigentlich erzählen wollte, ist noch viel merkwürdiger. Als ich aufgefordert wurde, hier Gevatter zu stehen, da sagte ich mir, was schenkst du deinem Pathchen? Da ich nun, wie Ihr wisst, des Gebrauches der Wünschelruthe kundig bin, so dachte ich: »Wer weiss, ob mir nicht mein Grundstück Neugarten, das so unerschöpflich reich an Merkwürdigkeiten ist, auch hier aushilft. In der letzten Vollmondnacht machte ich einen Versuch mit der Ruthe und richtig nach einigen Hin- und Widergängen schlug sie mächtig, ganz in der Nähe von Kiefer Nr. 11. Ich grub und grub nun in fieberhafter Aufregung ein fürchterliches Loch so tief, dass ich fast schon die Antipoden Hurrah schreien hören konnte und endlich, endlich stiess ich auf was Hartes. Es war ein Stein von der Grösse eines Kinderkopfes. Unter diesem Stein aber – wer beschreibt mein Staunen, meine Wonne, meine Ueberraschung – fand ich dies hier, verehrten Freunde.«

Damit beseitigte er rasch das Papier und bot einen Becher von sogenanntem oxydirten Silber dar.

»Offenbar römische Arbeit,« sagte Havelmüller und betrachtete das Gefäss wohlgefällig von der Seite. »Jedenfalls zur Zeit der Völkerwanderung dort vergraben.«

Merkwürdige Ahnungen beschlichen mich, als nun Bornemann, roth und leuchtend wie der Vollmond beim Aufgange, ebenfalls mit einem Packet von höchst verdächtigem Aussehen in der Hand eintrat. Dieser machte nicht viel Worte, sondern wickelte sein Papier auseinander und zog daraus, wie das bei seiner durstigen Gemüthsart ja auch garnicht anders zu erwarten war, ebenfalls einen Becher hervor und zwar einen, der gegen die anderen ein Riese war.

»Geräumiges Lokal, was?« sagte er wohlgefällig. »Daraus soll dein Sohn immer trinken.«

Ich bedankte mich natürlich herzhaft und stellte den Becher zu den übrigen. »Warum,« dachte ich seufzend, »hast du nicht sieben Pathen geladen? Bei so seltener Einmüthigkeit hätte dein Sohn für jeden Tag der Woche einen Becher gehabt und reizvolle Abwechselung hätte bereits die Tage seiner frühesten Jugend verschönt.«

Dann kam der Pastor mit seinem würdevollen Adjutanten und die feierliche Handlung nahm ihren Anfang. Mein Sohn benahm sich während dieser sehr angemessen und sämmtliche Vertreterinnen des weiblichen Geschlechtes rechneten ihm das hoch an und betrachteten dies als einen schlagenden Beweis seiner frühzeitigen Klugheit und Bildung. Nachdem nun der kleine neue Christ, der ganz grell aus seinen weissen Spitzen und rosa Schleifen hervorschaute, genügend gelobt und bewundert war – selbst Bornemann liess sich hinreissen, ihn für ein »ganz manierliches Würmchen« zu erklären – verabschiedete der Geistliche sich, und der Täufling zog sich unter Aufsicht einer Frau aus den unterirdischen Regionen, die Frieda für diesen Tag angenommen hatte, wieder in seine Gemächer zurück. Wir aber »erhoben die Hände zum lecker bereiteten Mahle.«

Es war natürlich, da wir alle seit jener Zeit zum ersten Male wieder vereinigt waren, dass wir des Polterabends, der Hochzeit und ihrer lustigen Zwischenfälle gedachten und Hühnchen sagte dann ganz traurig: »Alle die kleinen behaglichen Räume, wo wir damals so lustig waren, sind nicht mehr. Bald nachher musste ich mein Häuschen verkaufen, wie ihr wisst. Es wurde abgebrochen und in wahnsinniger Hast ein grosser Kasten dort aufgeführt. Jetzt ist er schon bewohnt und gerade dort, wo mein kleiner Garten sich befand, hat ein Materialwaarenhändler sich eingemiethet. Ich war heut Morgen dort, um mir eine Kleinigkeit zu kaufen und bei dieser Gelegenheit mit wehmüthigen Gefühlen die schaudervolle Veränderung zu betrachten, welche dort stattgefunden hat. Ach, wo sonst an dem Weinspalier unser Fliegenschnäpper-Pärchen sein Nest zu bauen pflegte, war jetzt die Backpflaumen-Schiebelade. Wo mein Springbrunnen seinen feinen Strahl in die Lüfte sendete, lief jetzt die Essigtonne. An der Stelle, wo meine Rosen blühten in üppiger Pracht, dufteten Berliner Kuhkäse, Limburger und andere liebliche Sorten, und an dem Orte meines Napoleonsbutterbirnbaums stand ein fettglänzender Commis und verkaufte mit einem Lächeln wie Sirop für 'n Sechser Essig und für 'n Sechser Oel. Sic transit gloria mundi.«

In diesem Augenblicke schallte draussen die Hausthürglocke und der Postbote brachte ein Packet an mich von Onkel Nebendahl, dem vierten Pathen. Zu meiner Beruhigung war es ziemlich umfangreich und gab desshalb zu einer von uns bereits gehegten stillen Befürchtung keine Veranlassung. »Auspacken!« hiess es allgemein. Obendrauf lag ein Brief und nachdem ich ihn durchflogen hatte, musste ich unwillkürlich auflachen. Ich las die Stelle vor, welche diese Wirkung auf mich gehabt hatte. »Meine Frau hat ein Paar fette junge Hähne eingepackt, davon soll Frieda sich ordentlich stärken und von mir ist das andere kleine Packet. Aus dem silbernen Becher, der darin ist, soll Euer Wolfgang – warum habt Ihr ihm aber so einen schnurrigen Namen gegeben, der gar keine Mode mehr ist – daraus soll er also viele schöne fette Milch trinken, dass er strebig und stämmig wird und ein tüchtiger Jung'.«

Das war nun der vierte Becher und ich stellte ihn unter dem donnernden Gelächter der Anwesenden zu den übrigen. »Sie wollen deinen Sohn mit Gewalt zu einem Saufbold machen,« sagte Bornemann, dem diese Sache offenbar eine gewaltige Freude bereitete.

Wir hatten die Suppe, den Zander und die Hammelkoteletten mit Gemüse hinter uns, und nun erschien ein Gericht, das Hühnchen zu kühnen Vergleichen mit den schwelgerischen Gastmählern der alten Römer anfeuerte, nämlich Krammetsvögel, die mit den Füssen durch die Augen gespiesst und mit Speckschürzchen angethan, stilvoll zugerichtet, bräunlich und schön eine grosse Schüssel füllten. Alle sahen mit Wohlgefallen auf dieses Gericht, nur Frieda schien mir es mit einer scheuen Aengstlichkeit zu betrachten, was ich auf den Umstand schob, dass sie sich bisher noch nie mit der Zurichtung dieser wohlschmeckenden Thierchen befasst hatte. »Sehr schön!« sagte Hühnchen, nachdem er den ersten Vogel zerlegt und gekostet hatte. »Vorzüglich!« rief Havelmüller. »De–li–kat!« schmunzelte Bornemann. Doch alle diese schmeichelhaften Urtheile reichten nicht hin, Frieda's Unruhe zu beseitigen, die immer grösser wurde und es schien mir, als wenn ihre Blicke angstvoll von Teller zu Teller schweiften. Hühnchen war mit dem zweiten Vogel beschäftigt und es herrschte eine Weile Schweigen, nur das geschäftige Klappern der Messer und Gabeln war vernehmlich. Da sagte Hühnchen plötzlich mit einem Ausdruck leichten Schauers vor dem Geheimnissvollen und Unerklärlichen: »Die Wunder der Natur sind doch unerschöpflich. Dies ist nun schon der dritte Magen, der aus diesem Krammetsvogel hervorkommt.«

»Mir dagegen,« sagte Havelmüller, »ist es höchst angenehm aufgefallen, dass der Krammetsvogel, den ich soeben zerlegte, zwar durchaus keinen ungeniessbaren Magen, dagegen eine Fülle von delikaten Lebern und zwei Herzen enthielt.«

»Da muss meiner sehr gefrässig gewesen sein,« rief Hühnchen.

»Und meiner sehr gefühlvoll,« sagte Havelmüller.

Frieda aber sass da hochroth und mit einem Ausdruck zwischen Weinen und Lachen und rief nun endlich: »Ja nun ist es heraus! Es ist nämlich ein Unglück geschehen. Lotte hat die Dinger noch niemals zurecht gemacht und als ich nun heute im Berliner Zimmer mit Tischdecken zu thun hatte, da fiel mir mit einem furchtbaren Schreck ein, dass ich ihr garnicht gesagt hatte, sie dürften nicht ausgenommen werden. Fast in demselben Augenblicke war ich auch schon in der Küche. »Lotte,« sagte ich, »sind die Krammetsvögel schon gerupft?« »Jawoll,« sagte sie, »und ausgenommen hab ich ihr auch schon.« Ich dachte der Boden sollte unter mir wegsinken. »O Lotte,« rief ich, »was hast du gemacht, die dürfen ja nicht ausgenommen werden.« »Ja, wo kann ich das wissen,« sagte Lotte, »ich hab' das Eingethüm da all in die Schaal' gemacht.« Das war ein Hoffnungsstrahl. Ich holte zwei Theelöffel und nun sassen wir und füllten das »Eingethüm« sorgfältig wieder hinein und dachten, es sollte Niemand was merken. Zuletzt war noch was übrig, das haben wir vertheilt, wo Platz war. Zuletzt banden wir sauber die kleinen Speckschürzchen darüber und gaben uns den schönsten Hoffnungen hin. Aber Papa ist zu schlau, der lässt sich nichts vormachen.«

»Anatomische Kenntnisse, mein Kind!« warf Hühnchen dazwischen und schmunzelte pfiffig dazu.

Frieda war aber noch immer dem Weinen nahe und sagte nun in rührend kindlichem Tone: »Nicht wahr, es schadet doch nicht so sehr, es ist doch nicht so unverzeihlich schlimm.«

Ich nickte ihr freundlich zu, und während Hühnchen und Lore sie von beiden Seiten streichelten, legte Bornemann seine mächtige Hand auf diejenige Stelle seines ungeheuren Vorhemdes, wo er sein Herz vermuthete und strahlte voller Wohlwollen auf sie hin. Havelmüller aber sagte: »Sie haben die Anziehungskraft dieses an und für sich schon köstlichen Gerichtes nur vermehrt, indem Sie ihm durch das eingeschlagene Verfahren alle Reize des Glücksspiels verliehen haben. Wäre ich ein Kochbuchschreiber, so würde ich diese Zubereitungsweise unter dem Namen Krammetsvögel à la Lotte in mein Werk aufnehmen.«

Diese Wendung, welche Havelmüller der Sache zu geben verstand, ward mit Zustimmung begrüsst und wir alle priesen den Geist unseres Freundes, der es so geschickt verstanden hatte, die Nessel des Irrenden in den Lorbeer des Erfinders zu verwandeln.

 

 


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