Heinrich Seidel
Leberecht Hühnchen als Großvater
Heinrich Seidel

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8. Es kommt noch mehr Besuch.

Ich will einen hohen Preis aussetzen für den, der mir ein Dienstmädchen nachweisen kann, das einen Vetter hat und bin überzeugt, dass ich mein Geld behalten werde. Einen »Cousin« dagegen haben sie alle ohne Ausnahme und sollten sie ihn aus der Erde graben. Diese liebliche verwandtschaftliche Beziehung dient ihnen gern zur Entschuldigung, wenn sie in einem vertraulichen Umgange mit männlichen Wesen betroffen werden und ist natürlich sehr geeignet, die Herrschaft zu entwaffnen, denn wer wollte wohl ein solcher Barbar sein, mit rauher Hand in den Verband einer Familie zu greifen und nahe Verwandte am Verkehr mit einander zu hindern. Unter Umständen aber tritt für den Cousin auch der »Landsmann« ein, der von ihnen ebenfalls wie eine Art Verwandter, etwa im Sinne der schottischen Clanschaft betrachtet wird. Lotte war merkwürdiger Weise schon über zwei Jahre bei uns und hatte sich noch immer sowohl ohne Cousin als auch ohne Landsmann beholfen, als Frieda einmal gegen Abend ganz blass aus der Küche kam und zu mir sagte: »Du, ich habe mich sehr erschrocken, denn eben als ich in die Küche kam, war bei Lotte ein Mann. Sie hatten mich wohl nicht gehört, weil ich auf Hausschuhen ging und als ich plötzlich in die Küche trat, da war es mir, als führen sie auseinander. Lotte war hochroth und that, als ob der Mann garnicht da wäre und klapperte mit den Ringen auf dem Feuerheerd, obgleich es heute Abend garnichts zu kochen giebt. Der Mann aber stand da und wusste nicht, wo er mit seinen Händen und seinen Augen bleiben sollte und that ebenfalls, als ob er garnicht da wäre. Und in der ganzen Küche roch es nach Pferden. Ich war so erschrocken, dass ich garnicht wusste, was ich sagen sollte und nahm nur schnell ein Sahnetöpfchen, als sei ich darum gekommen, und ging wieder hinaus. – Was macht man nun dabei? Es geht doch nicht, dass fremde Männer Lotte in der Küche besuchen.«

»Die noch dazu nach Pferden riechen,« sagte ich.

»Ach scherze doch nicht,« erwiderte Frieda, »es ist mir sehr ernst.«

»Na, ich will mal hingehen,« sagte ich.

»Aber werde nur nicht so heftig,« bat sie. »Sieh' mal, Du bist ja sonst immer so ruhig, aber wenn Du aussergewöhnlicher Weise mal aus Dir heraus gehst, dann wirst Du gleich so furchtbar wild.«

»Sei nur ohne Sorge,« sagte ich, »ich will sein wie ein Lamm, aber wie ein energisches Lamm.«

Als ich in die Küche kam, befand sich der Mann dort nicht mehr, und Lotte putzte mit verzehrendem Eifer irgend ein Geschirr.

»Lotte,« sagte ich, »was hatten Sie eben für Besuch?«

»Das war ja man bloss mein Landsmann,« sagte sie und hörte auf zu scheuern, denn arbeiten und zugleich sprechen, das überschritt ihre geistige Befähigung. Dann fuhr sie mit einer gewissen Entschlossenheit fort, indem sie zwischendurch immer ein Stückchen putzte: »Er is mit mich aus ein Dorf. – Er kennt mir schon lang'. – Wir sind zusammen eingesegent. – Er is bei die Anibusgesellschaft bei die Perde. – Er verdient sich sein schönes Lohn.« –

»Ja,« sagte ich, »das ist Alles ganz gut, aber Sie wissen doch, was wir gleich zu Anfang ausgemacht haben, dass Sie Bräutigamsbesuch in der Küche nicht haben dürfen.«

Nun fing sie aber an ganz mächtig zu kichern und rief: »Er is ja garnich mein Bräutigam, er is ja bloss mein Landsmann.«

Da ich nun auf diese feinen Unterschiede nicht eingearbeitet war, so beruhigte ich mich dabei und es ward nun ausgemacht, dass ein fernerer Austausch heimathlicher Erinnerungen und landsmannschaftlicher Gefühle abends nach gethaner Arbeit und nach vorher eingeholter Erlaubniss vor der Hausthüre stattzufinden habe und somit ward diese Angelegenheit zu allgemeiner Zufriedenheit erledigt.

Wir sahen denn die Beiden später auch manchmal um die Zeit der Abendröthe in spärlichem Gespräche nebeneinander wandeln oder zusammen vor der Hausthüre stehen. Da diese sich neben meinem kleinen Zimmer befand, so fing ich bei geöffnetem Fenster zuweilen drollige Bruchstücke ihrer Gespräche auf. Einmal unterhielten sie sich über die Titel des Grossherzogs von Mecklenburg-Schwerin. »Ja,« hörte ich Lotte sagen, »unser Grossherzog hat auch zu un zu viele Titels.«

»Wie heissen sie doch man all noch?« fragte der Pferdemensch, »Grossherzog von Mecklenburg, Fürst zu Wenden, Schwerin und Ratzeburg, auch Graf zu Schwerin, der Lande Rostock und Stargard Herr . . . ich krieg's garnich all mehr zusammen, es is noch 'n ganz Theil mehr.«

»Wo Sie das all auswendig wissen!« sagte Lotte bewundernd.

»Ja,« fuhr der Pferdemensch fort, »un nu könnt' er sich ja noch mehr Nams geben nach seine Güter un was ihn sonst noch gehört. Er könnt' sich ja noch nennen: Herr zu Ludwigslust und Herr von Raben-Steinfeld un so. Aber das thut er nich, das is ihn viel zu klein.« Das Gespräch ward für eine Weile durch das Rollen eines Wagens übertönt und desshalb verlor ich den Uebergang zu der nächsten Unterhaltung, die sich, wie es schien, um gesalzene Heringe drehte. Denn ich hörte nur noch wie der Landsmann den grossartigen Ausspruch that: »Ja, das muss ich nu sagen, so 'n rechten schönen weichen Matjeshering, der is mich viel lieber als 'n schlechten.«

Nun waren aber die beiden guten Leute bei'm Essen angelangt, eine Unterhaltung, bei der jedem echten Mecklenburger ganz besonders das Herz aufgeht, und damit kamen sie in flottes Fahrwasser und steuerten alsbald auf die Gans los.

Als mein Freund Bornemann einmal gefragt wurde, welcher Vogel den grössten poetischen Reiz auf ihn ausübe, antwortete er ohne Zögern: »Die Bratgans.« Aehnlichen Anschauungen huldigten auch Lotte und der Landsmann. Sie sprachen von diesem Vogel mit Hochachtung, Sachkenntniss und Liebe und zeigten sich wohl bewandert in den verschiedenen Formen seiner Zubereitung. Als sie aber auf das heimathliche Schwarzsauer kamen, nahmen ihre Stimmen einen elegischen Klang an und ich merkte, es war ihnen zu Muthe, wie dem Schweizer, wenn er in der Fremde das Alphorn hört. »Ja hier kennen sie das nich,« sagte Lotte in mitleidigem Tone, »un all so 'n schönes Essent, als wie Apfel un Getoffel un rothe Grütz' un Mehlgrütz' un Mehlbutter un Musgetoffel mit Buttermilch un all so was, das kennen sie hier auch nich.«

»Ja, in Mäkelburg is 's schön,« sagte nun der Landsmann elegisch, »un was 'n richtigen Mäkelbürger is, der wird 's in die Frömde nie recht an.«

»Jawoll,« erwiderte Lotte, »das muss ich Beifall geben. Un was ich sonst noch sagen wollt, nu denken Sie sich bloss mal an: Was hier in 'n Keller den Schuster seine Frau is, die is aus Dräsen, un die hat mich erzählt, in Sachsen da füllen sie die Gäns' mit Beifuss. Haben Sie woll sowas mal gehört?«

»Ne, wo is 's einmal möglich!« rief der Landsmann, und die unglaubliche Thatsache, dass man für diesen Zweck anstatt der uralt geheiligten Aepfel und Backpflaumen ein bitteres Unkraut nehmen könne, das an Feldwegen wächst, musste unendlich viel Komisches für die beiden haben, denn sie brachen in ein anhaltendes Lachduett aus.

Derartig harmloser Art waren die Unterhaltungen dieser beiden Landsleute und da auch der Pferdemensch uns in seinem Wesen sehr wenig von einem Don Juan zu haben schien, so sahen wir diesem Verkehr bald mit Beruhigung zu.

Als unser Wolfgang schon bald zwei Jahre alt war und fleissig auf seinen kleinen Beinchen im Hause herumpuddelte, kam plötzlich wieder Besuch und zwar diesmal in Gestalt eines niedlichen Fräuleins, das ebenfalls nach Aussage aller weiblichen Wesen übermenschlich schön und »ganz die Mutter« war. Hühnchen liess sich durch dieses Ereigniss sogar zu Versen hinreissen, die lauteten:

»Welch wundervolles Märchen!
Hurrah, hurrah! Ein Pärchen!«

In der Taufe sollte dieses kleine Mädchen den Namen Helene erhalten und zu dieser feierlichen Handlung hatten wir ausser anderen auch Tante Lieschen eingeladen, eine alte Dame, die früher eine kleine Stellung im grossherzoglichen Schlosse zu Schwerin innegehabt hatte und nun von ihrer Pension und den Zinsen eines kleinen Vermögens in derselben Stadt ganz behaglich lebte. Es hatte ihr einen grossen Entschluss gekostet, die Reise nach Berlin anzutreten, einem Orte, den sie sich vorzugsweise von Mördern, Dieben, Einbrechern, Bauernfängern, Falschmünzern, Betrügern und Angehörigen ähnlicher interessanter Geschäftszweige bewohnt dachte, die nur darauf lauerten, sie sofort beim Betreten dieses Gomorha's um das Ihrige zu bringen. »Mein lieber Neffe,« hatte sie geschrieben, »hole mich doch ja vom Bahnhofe ab, ich sterbe sonst vor Angst, wenn Du nicht da bist.« Nun ich fand mich auch zur rechten Zeit dort ein und hatte das Glück, gerade neben dem Wagen zu stehen, wo von rückwärts etwas sehr bekanntes, eingemummeltes Weibliches, in der einen Hand eine Reisetasche, in der anderen einen Pompadour, hinausstieg. Ich nahm ihr leise, ohne ein Wort zu sagen, die Reisetasche aus der Hand und sah im nächsten Augenblick in ein von Angst versteinertes Gesicht. Doch ihre Züge verklärten sich, als sie mich erkannte und sie rief: »Gott sei Dank, Du bist es! Gott sei Dank! Ich dacht' es ging' schon los.«

Dann als wir mit dem Strom der Menschen dem Ausgange und der Gepäckausgabe zustrebten, fielen ihre Augen auf eine Tafel, auf der stand: »Vor Taschendieben wird gewarnt!«

»O wie schrecklich, wie schrecklich!« flüsterte Tante Lieschen, »sieh mal, was da steht! Und ich habe über hundert Mark bei mir. Wo ist denn mein Portemonnai? Gott sei Dank, ich hab' es ja noch!«

Dann blickte sie sich scheu um und flüsterte mir wieder zu: »Du hinter uns geht einer, der hat solche Diebesaugen.«

»Liebe Tante,« sagte ich, »das ist ein harmloser Arbeiter, Taschendiebe sehen vornehmer aus.« Ich setzte sie nun in eine Droschke und liess sie zu ihrem Entsetzen allein, um das Gepäck zu besorgen. Der Zug war stark besetzt gewesen und es dauerte etwas lange, bis ich mit einem Gepäckträger und dem stattlichen Korbe zu dem Wagen zurückkehrte. Sie hatte unterdessen sichtlich wieder entsetzliche Angst ausgestanden und ihr Gesicht klärte sich sehr auf, als sie sich wieder unter meinem Schutze befand.

»Du, dem Kutscher trau ich nicht, er sieht so veniensch aus!« sagte sie. »Wenn er uns nur richtig fährt. Und denk' mal, unterwegs bin ich, weil das Damenkoupee besetzt war, »für Nichtraucher« gefahren, mit drei Männern zusammen, die waren ganz gewiss Bauernfänger. Denn, stelle dir nur vor, sie spielten Karten. Es war gewiss das fürchterliche »Kümmelblättchen,« denn sie brauchten ganz schreckliche Ausdrücke dabei, wie zum Beispiel »der grüne Junge« und der »rothe Junge,« und »Null auf 'n Bauch«, und sprachen eine Art Gaunersprache, wovon ich kein Wort verstand. Denk' dir meine Angst. Wenn sie mich nun aufgefordert hätten zum Mitspielen, was hätt' ich da machen sollen?«

Ich lachte laut auf. »Aber Tantchen,« sagte ich, »das waren drei harmlose Philister, die Skat spielten.«

Tante Lieschen war aber schon wieder auf neue Angstgedanken gekommen. »Du,« sagte sie, »der Kutscher fährt und fährt und biegt in immer neue Strassen ein, passt Du denn auch auf, wo er uns hinfährt. Wenn er nun.....o du mein Schöpfer, wo ist meine Handtasche?«

»Hier Tantchen, es ist ja Alles da!«

Wir kamen nach Hause zu einer früheren Zeit, als man uns erwartet hatte, und als ich die Thür aufschloss, fand ich inwendig die Kette vorgehängt. Klingeln konnte ich nicht, weil dieser Mechanismus, einer Lieblingsgewohnheit von ihm folgend, einmal wieder nicht in Ordnung war und auf mein Klopfen ward mir nicht aufgethan. Pauline, das neue Kindermädchen, war mit Wolfgang nach den Schöneberger Wiesen, Frieda schien von nothwendigen Besorgungen noch nicht zurückgekehrt, und Lotte konnte dies Klopfen, wenn sie hinten in ihren Regionen sich befand, nicht hören. Die vorgehängte Kette, und die Schwierigkeiten, in die Wohnung zu kommen, beunruhigten Tante Lieschen sehr. »Ach, da sieht man ja, wie ihr euch einschliessen und einriegeln und einketten müsst!« jammerte sie. »Bei uns in Schwerin ist das nicht nöthig. Wenn ich da ausgehen will, da schliesse ich zu und hänge den Schlüssel auf die Thürangel. Dann weiss Jeder, der mich besuchen will, dass ich nicht zu Hause bin und Diebe giebt's da nicht.«

Wir mussten uns zur Hinterthür der Wohnung begeben und als wir über den Hof gingen, sah ich Lotten's Kopf am Fenster des Fremdenzimmers. Sie lugte, durch das Geräusch unserer Schritte aufmerksam gemacht, dort aus und kam dann, wie es mir schien, mit sehr rothem Kopfe und in einer seltsamen Verwirrung, um uns die Hinterthür zu öffnen. Ich schickte sie fort, damit sie den Reisekorb von der Droschke hole und als Tante Lieschen und ich dann bei dem kleinen Fremdenzimmer vorbeikamen, führte ich sie hinein und überliess sie dort eine Weile sich selber.

Schrecken über Schrecken stürzten auf die arme Tante ein, seit sie den Fuss in das fürchterliche Berlin gesetzt hatte, und die zufällige Zukettung der Thür war ein wichtiges Glied zu einer Verkettung von Umständen, wie sie bei der Gemüthsart von Tante Lieschen nicht schrecklicher ausgedacht werden konnte. Denn kaum war sie kurze Zeit in dem kleinen Zimmer gewesen, als sich Fürchterliches ereignete. Sie hatte ihre Reisebekleidung abgelegt und ordentlicher Weise wollte sie diese gleich in den Kleiderschrank hängen. Als sie aber die Thür dieses Möbels öffnete, stand darin – o Grauen und Entsetzen – ein Mann, ein Mann, der, wie sie auf den ersten Blick hätte sehen müssen, fast noch mehr Angst hatte als sie, der an allen Gliedern zitterte und vor entsetzlicher Verlegenheit nicht vermochte, den Mund aufzuthun. Dafür aber hatte Tante Lieschen kein Auge. Sie sah nur, dass es wirklich so zuging in dem entsetzlichen Berlin, wie sie es sich gedacht hatte, und dass der erste Schrank, den sie öffnete, gleich einen schauderhaften Einbrecher enthielt. Sie war so entsetzt, dass sie nicht einmal einen Schrei auszustossen vermochte. Aber sie nahm sich zusammen, denn hier, so sagte sie sich, ging es um's Leben. Mit zitternder Hand grub sie ihr Portemonnaie hervor und hielt es dem entsetzlichen Manne entgegen. »Nehmen Sie, nehmen Sie lieber Herr Einbrecher und schonen Sie mein Leben. Es ist Alles, was ich habe!«

»Ich bin ja man bloss der Landsmann von das Mädchen,« stotterte der vermeintliche Einbrecher, »von die Lotte. Die Herrschaften haben uns ja übergerascht un da hab' ich mir in das Schrank verstochen. Ach verrathen Sie mir nich un lassen Sie mir gehn.«

»Nehmen Sie Alles, nehmen Sie meine Reisetasche, aber gehn Sie doch!« jammerte Tante Lieschen, die in ihrer Aufregung und Angst garnicht verstand, was der Mann sagte.

»Ach, verrathen Sie mir nich un lassen Sie mir doch geh'n!« wimmerte der Landsmann wieder in seiner Angst und so lamentierten sie eine Weile in gegenseitiger Furcht gegen einander an. Die Thür des geöffneten Schrankes verdeckte nämlich zum Theil den Ausgang des engen Zimmers und in der Lücke stand die zitternde Tante, welche nicht zu fliehen wagte, aus Furcht, sowie sie den Rücken wendete, den Mordstahl im Nacken zu haben. So konnte der unglückselige Landsmann nicht hinaus, ohne meine Tante bei Seite zu schieben, und das wagte er nicht. Nun aber kam ein Umstand hinzu, der ihn alle Rücksicht vergessen liess, denn ich war aufmerksam geworden auf die seltsamen jammernden Stimmen, welche sich dort vernehmen liessen, und das Geräusch meiner nahenden Schritte brachte den Landsmann zur Verzweiflung. Er fasste einen furchtbaren Entschluss, stürzte aus dem Schranke hervor, schob meine Tante zur Seite auf einen Stuhl und entfloh. Ich hörte einen furchtbaren gellenden Schrei und dann das Geräusch polternder Schritte über den Korridor nach der Küche hin, und als ich nun schnell hinzustürzte, fand ich die gute Tante bleich und zitternd in einer entsetzlichen Verfassung.

»Ist er fort?« flüsterte sie fast tonlos.

»Wer?« fragte ich.

»Der Räuber, der Einbrecher, der schreckliche Mörder!« wimmerte sie. »Er fuhr auf mich los und wollte mich umbringen. Er machte Augen wie ein Tiger!«

Ich wollte zur Küche eilen, doch Tante Lieschen schrie: »O Gott, er lässt mich allein!« Sie klammerte sich krampfhaft an meinen Arm und ich musste sie mitnehmen. In der Küche fand ich Lotte mit schlotternden Knieen, bleich und von Thränen überströmt.

»Herr du meines,« jammerte sie, »es war ja doch man bloss mein Landsmann. Er bimmelte an die Küchenthür un wollte mich bloss mal was sagen, un indem dass ich keine Zeit hätte, indem dass ich doch die Fremdenstub' zurecht machen müsst', da hab' ich ihn gesagt, er sollt' man 'ne Momang bei mich reinkommen. Un da is gleich der Herr über'n Hof gekommen un da verfehrte ich mir ganz fürchterlich, indem dass der Herr das doch verboten hätte un in mein Angst un meine Biesterniss verstach ich ihm in das Schrank!« Die letzten Worte brachte sie nur noch mühsam hervor und brach dann in ein schluchzendes Geheul aus.

Ich hatte Mühe, mir das Lachen zu verbeissen, nahm aber gewaltsam alle meine Würde zusammen und hielt Lotten eine schöne Standrede. Dann kehrte ich mit Tante Lieschen in die vorderen Zimmer zurück und hier sagte diese mit finsterer Entschlossenheit: »Du, wann geht der nächste Zug nach Schwerin?«

»Das weiss ich nicht, liebe Tante!« antwortete ich. »Aber ich muss es wissen!« sagte sie, »denn Du kannst nicht verlangen, dass ich noch eine Stunde in diesem fürchterlichen Orte bleibe. Muss ich noch einmal so etwas erleben, so ist es mein Tod. Ich fühle schon so ein Ziehen im Rücken, ich glaub' ich krieg' meine Zustände.«

Ich wandte alle Mittel der Beredsamkeit an, doch anfangs wollte es mir garnicht gelingen, sie zu beruhigen. Dann kam Frieda nach Hause und half mir Oel auf die aufgeregten Wogen der Tantengefühle zu giessen und als dann endlich Wolfgang erschien und ihr rosig freundlich und zutraulich entgegenlief, da sah man, wie sie schwankend ward. Nachdem wir sie endlich glücklich am Esstisch hatten und es uns gelungen war, ihre zerrütteten Nerven mit Beefsteack und Bratkartoffeln zu kräftigen und ihren gesunkenen Lebensmuth durch ein Gläschen süssen Weines wieder aufzurichten, da entschloss sie sich wenigstens, einen Versuch zu machen, wie es sich in dieser Mördergrube leben liesse. Als dann am Abend Hühnchen und Frau Lore erschienen, und ihr mit sonniger Gutherzigkeit freundlich entgegen kamen, da schien das Spiel gewonnen, denn sie musste sich doch wohl im Stillen sagen, dass ein Ort, wo so harmlose und gute Leute friedlich und fröhlich lebten, doch nicht ganz von Gott verlassen sein könnte.

Trotzdem war die Nacht, welche diesem Tage folgte, für sie und uns keine ruhevolle. Ich hatte ihr kleines Zimmer am Abend sorgfältig abgeleuchtet, um festzustellen, dass nirgendwo ein Mörder sich verborgen halte, ja sogar die Waschtisch-Schiebelade hatte ich scherzweise aufgezogen und untersucht, ob sie nicht etwa einen einbrecherischen Däumling berge, doch trotzdem liess ihre rege Phantasie die arme Tante nicht ruhen und ein jedes unbekannte Geräusch schreckte sie aus kurzem Schlafe wieder empor. Das erste Mal klopfte sie leise aber eindringlich etwa um Mitternacht. Ich sprang aus dem Bett und sie flüsterte durch das Schlüsselloch: »Hörst Du denn nicht, da draussen bohrt immer was.« Ich beruhigte sie so gut ich konnte. Nach einer Stunde etwa erschreckte sie das Stampfen der Pferde, die ihren Stall auf dem Hofe hatten, und ich musste wieder hinaus und sie durch das Schlüsselloch aufklären. Dann gab's eine Weile Ruhe, bis endlich gegen fünf Uhr ein neues Entsetzen sie erfasste.

»Hörst Du denn nicht,« flüsterte sie durch das schon mehrfach benutzte Sprachrohr, »wie es arbeitet im Keller? Dort brechen sie durch die Decke.« Und ich merkte, wie ihre Stimme vor Angst zitterte.

»Ach, theuerste Tante, so schlafe doch,« sagte ich fast ein wenig unmuthig, »das ist ja nur die Wasserpumpe.« Das Haus war nämlich noch nicht an die Leitung angeschlossen und wurde durch eine im Keller stehende Pumpe versorgt, die einen Behälter auf dem Boden füllte und früh Morgens in Betrieb gesetzt wurde. Das allergrösste Entsetzen aber erfasste sie, als kurz vor sechs Uhr Lotte vorne in der Wohnung die Rolljalousien der Fenster nach der Strasse zu aufzog. Dieses fürchterliche und unbekannte Geräusch brachte sie mit einem Satze aus dem Bette und an das Schlüsselloch.

»Hörst Du denn wieder nicht,« rief sie, »das sind Brecheisen!« Ich musste natürlich wieder hinausklettern, sie zu beruhigen und so ging es die ganze Nacht bettaus, bettein, Policke, Polacke, und meine gute Tante verfuhr wie Mackleth gegen mich, sie mordete den Schlaf.

Jedoch trotz alledem verlor sie ihre Furcht vor dem entsetzlichen Berlin in einiger Zeit, und als wir, nachdem unsere kleine Helene getauft war, einmal mit ihr in's Panoptikum gingen, war sie merkwürdiger Weise nicht davon abzuhalten, sich die Schreckenskammer anzusehen und schien zwischen all den scheusslichen Puppen mit den starren wächsernen Mördergesichtern ein wundervolles Grausen zu empfinden. Zwar fuhr sie alle Augenblicke entsetzt zusammen, wenn so ein ausgestopftes Scheusal hinter ihr stand und es ihr dann vorkam, als rege es sich, zwar sagte sie bei Betrachtung der Folterinstrumente und der Richtschwerter, auf denen sie noch Spuren von Verbrecherblut zu sehen glaubte: »Igittegittegitt, wie gräulich!«, zwar huddelte sie sich sehr vor dem Massenmörder Thomas, der trotz seiner schwarzen Seele so friedlich aussieht wie ein Brauereibesitzer, und dennoch war sie nicht eher wegzubringen, bis sie die letzte aller dieser Scheusslichkeiten in sich aufgenommen hatte. Wir sind stark geneigt zu glauben, dass der Besuch dieses Tempels der Gräulichkeit den Glanzpunkt ihrer Berliner Erinnerungen bildet.

Wenn Tante Lieschen in unserer Wohnung sich aufhielt, so ging ein bestimmter Prozentsatz des ganzen Tages damit verloren, dass sie ihre Brille suchte, ein Sport, an welchem sich das ganze Haus eifrig zu betheiligen pflegte mit Einschluss des kleinen Wolfgang, der mit grossem Eifer an den unmöglichsten Orten nach ihr forschte. Mir ist in meinem Leben kein optisches Instrument dieser Art bekannt geworden, das eine so geringe Anhänglichkeit an seine Herrschaft und eine solche Abneigung gegen einen ständigen Wohnsitz gezeigt hätte, als dieses. Nun hatte unser Kindermädchen Pauline zwei- oder dreimal das verloren gegangene Seheisen mit grosser Geschwindigkeit wieder aufgefunden und war desshalb bei Tante Lieschen in den Geruch einer guten Spürnase gekommen, so dass sie gleich bei Beginn der Suche zu rufen pflegte: »Pauline, Pauline, haben Sie meine Brille nicht gesehen? Ach, suchen Sie doch mal, Sie können ja so schön finden!« Und merkwürdiger Weise entdeckte mit wenigen Ausnahmen Pauline den Flüchtling an den unglaublichsten und verstecktesten Orten mit grosser Schnelligkeit.

Wir waren darüber einigermassen verwundert, denn auf Pauline passte sonst treffend der Ausspruch aus Hermann Marggraff's »Fritz Beutel,« der etwa so lautet: »Denn sie war damals noch sehr dumm, fast dümmer noch als sie aussah, obwohl sie ihrem Aussehen nach immer noch dümmer hätte sein können, als sie war.« Dieser Dummheit ward nur von ihrer Unordnung die Wage gehalten und wie Fritz Reuter mal von einem polnischen Wirthshause sagt: »Dor streden sick nu Hiring, ollen Kes' un Fuselbramwin, wer am düllsten stinken wull,« so waren auch jene beiden oben genannten Eigenschaften bei Paulinen in einem steten Wettstreit begriffen und noch jetzt, nachdem sie lange schon unser Haus verlassen hat, vermögen wir nicht zu entscheiden, ob sie unordentlicher als dumm oder dümmer als unordentlich war. Heruntergefallene Haarflechten, ausgerissene Rockfalten, Löcher in den Hacken, oder zwei verschieden farbige Strümpfe, irgend ein solches Kennzeichen, oder auch manchmal alle zugleich, waren immer an ihr bemerklich. Mir ist sie besonders erinnerlich geblieben durch das einzige Lied, das sie kannte und dem kleinen Wolfgang und der noch kleineren Helene unermüdlich vorsang. Aber auch davon weiss ich nur noch den ewig sich wiederholenden Refrain, welcher lautete:

»Grünkohl, Grünkohl
Ist die beste Pflanze!«

Darf man von diesem Bruchstück auf das Ganze schliessen, so kann man wohl annehmen, dass sein Dichter von den vielen Stufen, welche zum Gipfel des Parnasses führen, eine der untersten bewohnt hat. Ich für mein Theil habe Liebig'n in Verdacht.

Das war also Pauline, und um so mehr fiel es uns auf, dass sie bei dieser einen besonderen Gelegenheit eine so grosse Findigkeit und Geschicklichkeit bewies. Wir glaubten schon, es läge hier ein Fall vor, der öfter in der Natur vorkommt, wo ganz besonders bornirten Persönlichkeiten oft einzelne sehr hervorragende Fähigkeiten verliehen sind, zum Beispiel, die Geige zu streichen, oder Wortwitze zu machen, oder im Schachspiel sich auszuzeichnen. Ich kannte auch mal einen Mann, der weiter nichts verstand, als auf zehn Schritte durch ein Schlüsselloch zu spucken, aber das auch unfehlbar. So glaubten wir denn, die Natur habe sich bei Pauline erschöpft, indem sie ihr einzig und allein die Fähigkeit ertheilt hatte, verloren gegangene Brillen mit unfehlbarer Sicherheit wieder aufzufinden. Jedoch damit ging es uns wie jenem Junggesellen, der seinen seit Kurzem verheiratheten Freund antraf, wie er sich einen Knopf annähte. »O, was machst Du da?« rief er, »ich denke, Du bist verheirathet!« »Ja, glaubst Du,« rief der Ehemann, »dass meine Frau dazu Zeit hat?« »O weh,« sagte der andere ganz betrübt, »nun fällt das auch noch weg!«

Denn angeregt durch ihre ersten wirklichen Erfolge in dem Auffinden dieser Brille, hatte Pauline, wie später herauskam, um dieses Ruhmes noch öfter zu Theil zu werden, mit der bekannten Dummpfiffigkeit, welche öfter den Beschränkten eigen ist, das der Tante unentbehrliche Instrument an allen möglichen Orten versteckt, um es nachher mit scheinbar wunderbarer Spürkraft wieder aufzufinden. Tante Lieschen aber versank fast in Tiefsinn über ihre zunehmende Zerstreutheit und Vergesslichkeit, die sie veranlassten, ihre Brille auf dem Grunde von Papierkörben, in Ofenröhren, unter Tischdecken und an anderen wunderlichen Orten zu deponiren, ohne dass ihr nachher eine Erinnerung davon blieb.

An die Gräuel von Berlin, welche bei näherer Besichtigung in Nichts versanken, hatte sich die Tante, wie gesagt, bald gewöhnt, doch wurde sie zuletzt durch ein anderes Schreckniss vertrieben, das ihr in ihrem Heimathorte ebenso gut drohte als hier. Tante Lieschen war nämlich mit einer entsetzlichen Gewitterfurcht behaftet und als es eines Tags zu blitzen und zu donnern begann, zog sie sich in den finstersten Winkel der Wohnung zurück und hörte nicht auf zu lamentiren und zu klagen. Da ich nun nicht wünschte, dass Wolfgang dadurch mit derselben Gewitterfurcht angesteckt würde, die mir die eigene Kindheit verbittert hatte, so hielt ich ihn möglichst von ihr fern und liess ihn mit Pauline vorne sich aufhalten, während Frieda und ich der Tante Gesellschaft leisteten, denn allein gelassen unter solchen Umständen, wäre sie vor Angst gestorben. »Ach,« sagte Tante Lieschen, »in meiner jetzigen Wohnung in Schwerin, da geht es ja, aber als ich noch auf 'm Schloss wohnte, da waren die Gewitter viel stärker. – O du mein Schöpfer, das war ein Blitz, das hat eingeschlagen. Hör doch den Donner!« Es kam aber dennoch eine kleine Pause, und nur der Regen strömte stärker und rauschender herab. Ich suchte sie zu trösten damit, dass es in Berlin eigentlich nie einschlüge und dass sogar des Nachts wegen eines Gewitters Niemand aufstände, sondern ruhig weiter schliefe, wenn er es vor dem Lärm könnte. Doch das erregte nur ihren Zorn und sie fand es barbarisch und unchristlich. »Sieh mal, liebe Tante,« sagte ich, »hier sind so viele hohe Häuser und Giebel und Zacken und Eisenspitzen und Fahnenstangen und Telephonleitungen, da weiss das Gewitter vor lauter Auswahl garnicht, wo es hineinschlagen soll und lässt es lieber ganz.«

Das wollte ihr aber nicht einleuchten und sie fand meine Rede sehr frivol. Als dann die Blitze sich wieder mehrten und der Donner stärker rollte, rief sie mit einem Male: »O Du hast ja wohl Stiefel an!«

»Ja, warum nicht, liebe Tante?«

»Da sind doch Nägel drin!« rief sie, »und Eisen zieht doch den Blitz an. Das wissen ja sogar die drei Realschüler, welche bei dem Schuster in Pension sind, wo ich meine Wohnung gemiethet habe. Sie sind sonst Bambusen, wie alle Jungs in diesem Alter, aber wenn ein Gewitter ist, dann leisten sie mir Gesellschaft und ich geb' ihnen 'n bischen Kuchen und 'n klein' Glas Wein, denn solche Jungs können ja essen und trinken, wenn auch Pech und Schwefel vom Himmel fällt. Aber als sie in der Schule gehabt hatten, dass Eisen den Blitz anzieht, da haben sie sich immer draussen die Stiefel ausgezogen und sind auf Socken zu mir gekommen.«

Ich konnte ihr nun nicht wohl sagen, dass dies ein alberner Schülerstreich gewesen sei, und dass die Bengels sie sicher zum Besten gehabt hätten und musste wahrhaftig hinaus, um mir die Stiefel auszuziehen, damit mir der Blitz nicht in die Beine führe.

Das Gewitter nahm aber mehr und mehr an Stärke zu, und Pauline graute sich in dem Vorderzimmer, mit dem kleinen Wolfgang allein zu sein. Ich liess sie desshalb nach hinten gehen, nahm den Jungen auf den Arm, blieb dort, damit er das angstvolle Lamentiren der Tante nicht hören sollte, und zeigte ihm, am Erkerfenster stehend, die Blitze als ein schönes Schauspiel. Wenn dann so ein recht starkes Himmelsfeuer sein verzweigtes Flussnetz über den regengrauen Himmel schoss, so sah der kleine Wolfgang mich an und sagte: »Vater, der war doch schön!«

Das Gewitter nahm jedoch fortwährend an Stärke zu, die Blitze häuften sich und wurden rasch von einem kurzen Donner gefolgt, der klang, als wenn ein ungeheures Eisengerüst plötzlich zusammenstürze. Dann plötzlich ein blendend heller Schein, als ob die Luft in Feuer stände, und damit zugleich: »Rack!« ein furchtbarer Knall. Das war dem kleinen Wolfgang denn doch ein wenig zu viel. Er schlug beide Händchen vor die Augen und sagte mit etwas schüchternem Tone: »Vater, das war wohl sehr schön?« »Ja, mein Kind,« sagte ich, »das war sehr schön!« obgleich mir doch ein wenig blümerant zu Muthe war. Jedoch nun schien sich die Macht des Gewitters erschöpft zu haben, allmählich vergrollten die Donner in der Ferne, der Regen verrauschte und bald schien die Sonne durch die letzten funkelnden Tropfen, während die überschwemmte Strasse sich mit unternehmenden Jünglingen füllte, welche mit nackten Beinen in den trüben Wasserlachen jauchzend herumwateten.

Tante Lieschens Verfassung kann man sich denken. Bei dem entsetzlichen Schlage war sie emporgefahren und hatte sich einige Male um sich selbst gedreht. Da sie sich aber nicht entscheiden konnte, aus welcher der drei Thüren des Zimmers sie fliehen sollte, so war sie kraftlos wieder auf den Stuhl zurückgesunken, hatte die Hände vor's Gesicht geschlagen und stöhnte. Nach einer Weile liess sich das Bimmeln der Feuerwehr vernehmen. »Was ist das, was ist das?« rief Tante Lieschen.

»Das ist die Feuerwehr!« sagte Frieda ganz ruhig.

»Mein Gott,« rief Tante Lieschen nun, »findest Du nicht auch, dass es hier so sengerich riecht? Wie kannst Du nur so ruhig sein? Wo ist denn das Feuer?«

»Das weiss ich nicht,« sagte Frieda, »aber es scheint mir, als wenn die Wagen hier ganz in der Nähe halten!«

Das war nun Tante Lieschen ausser allem Spass, und da das Gewitter so plötzlich nachgelassen hatte, wagte sie sich in das Vorderzimmer, wo ich mit Wolfgang stand und den Arbeiten der Feuerwehr, die einige Häuser weiterhin vor einem Hause hielt, zuschaute.

»Da stehst Du so ruhig und guckst!« rief Tante Lieschen, »packt Ihr denn nicht eure Werthsachen zusammen.« Und sie fingerte mit zitternden Händen an ihren Ohrringen herum, zog ihre beiden Ringe ab, löste ihre Amethystbroche vom Halse und steckte in ihrer Verwirrung Alles säuberlich in die Tasche.

»Aber liebe Tante,« rief ich lachend, »es ist ja drei Häuser weit ab. Und hier kannst Du es, wer weiss wie oft, sehen, dass, wenn ein Dachstuhl brennt, die Leute drei Treppen hoch im Vertrauen auf ihre Feuerwehr ruhig aus dem Fenster sehen!«

»O wie entsetzlich!« sagte Tante Lieschen.

»Und ausserdem handelt es sich hier garnicht um Feuer,« fuhr ich fort. »Bei der Ueberschwemmung durch den Platzregen ist ein Keller voll Wasser gelaufen und die Feuerwehr pumpt es nun wieder heraus.«

Das wirkte sehr beruhigend auf die Tante und sie bemerkte nun mit einem Male, dass ihre Ringe fehlten. »Du mein Schöpfer,« rief sie, »wo sind meine Ringe? Und meine« . . . . Hier ward sie plötzlich dunkelroth, ging ganz kleinlaut vor den Spiegel und that sich ihre Schmucksachen wieder an.

Damit war die Sache aber noch nicht abgethan, denn den ganzen Nachmittag über fürchtete sie sich vor der Rückkehr des Gewitters.

»Diese Art Gewitter kenn' ich,« sagte sie, »die kommen immer wieder und, wenn's nicht eher ist, in der Nacht.«

Und obwohl sie damit nicht recht behielt, kamen wir wiederum diese ganze Nacht nicht zur Ruhe. Denn bald hielt sie das Rollen eines Wagens für fernen Donner, bald das Laternenlicht des Kutschers, der über den Hof ging, nach seinen Pferden zu sehen, für einen Blitz, bald schien es ihr sengerich zu riechen und so spielten wir wiederum bis zum Morgen Policke, Polacke, und die letzte Nacht, die sie in unserem Hause zubrachte, war ebenso unruhig als die erste.

Denn diese war wirklich ihre letzte Nacht in Berlin, und das entschied sich am nächsten Morgen, als die Zeitung kam. Dort fand sich folgende Notiz: »Ein Gewitter, das in den gestrigen Nachmittagsstunden, begleitet von einem gewaltigen Platzregen, über Berlin niederging, hat mannigfachen Schaden angerichtet und in den verschiedensten Stadtgegenden ward die Feuerwehr zu Hülfe gerufen, um das in die Kellerräume gedrungene Wasser zu entfernen. Auch schlug ein Blitz in das Haus Frobenstrasse Nr. 37 und zertrümmerte einen Schornsteinaufsatz, ohne zu zünden oder sonst weiteren Schaden anzurichten.«

»Du meine Zeit,« jammerte Tante Lieschen, »das ist ja das Haus nebenan. Und das kriegen wir erst heut' aus der Zeitung zu wissen. O, welch' eine entsetzliche Stadt! Nun frag' ich aber: Wann geht der nächste Zug nach Schwerin?«

Sie liess sich durchaus nicht mehr halten und am Nachmittage dampfte sie ab. Den Eindruck, den der vermeintliche Einbrecher auf sie hervorbrachte, hatte sie überwunden, aber dies ging über ihre Kräfte. An einem Orte, wo man erst am anderen Tage aus der Zeitung erfuhr, dass im Nebenhause der Blitz eingeschlagen hatte, da konnte sie nicht länger leben. Es hiess auch ferner bei ihr: »Einmal und nicht wieder!« Berlin hat sie nie wiedergesehn.

 

 


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