Heinrich Seidel
Leberecht Hühnchen als Großvater
Heinrich Seidel

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3. Hochzeit.

Die kirchliche Feier war vorüber und wir befanden uns wieder in den festlich geschmückten Räumen der Hühnchen'schen Wohnung. Dreimal hatten wir Spiessruthen laufen müssen auf dem Wege zur Kirche. Einmal vor dem Hause, wo ein Haufe von Kindern, Dienstmädchen, alten Weibern und solchen Müssiggängern sich angesammelt hatte, die überall stehen bleiben, wo es was zu sehen giebt, sei es ein umgefallenes Droschkenpferd, die Durchfahrt eines Kahnes unter einer Brücke, oder sonst irgend etwas. Das andere Mal blühte uns dieses Glück vor der Küche und dort schlugen einige Bemerkungen an mein Ohr, die ich nicht unterdrücken will, obwohl Manches nicht schmeichelhaft für mich war.

»Ach so eenfach,« sagte ein aufgedonnertes Dienstmädchen. »Bloss Kaschmir!«

Dann wieder eine andere Stimme: »Vor zwee Jahr' is sie erst injesegent. Mit meine Hulda zusammen.«

»Ach so jung!« flötete bedauernd eine ältliche Jungfrau.

»Und nimmt so'n Ollen!« krächzte eine scheussliche Megäre. Als wenn man nicht mit neununddreissig Jahren heutzutage noch geradezu ein Jüngling wäre.

In der Kirche selbst sassen nun ausser den wenigen Leuten, die ein Interesse an der Familie Hühnchen nahmen, erst die wahren Kennerinnen, gewisse Stammgäste, die solchen Schauspielen eine nie erlöschende Theilnahme beweisen und keines versäumen. Aber die Heiligkeit des Ortes dämpfte ihre Stimme zu leisem Flüstern, so dass ihre gewiss tief einschneidenden Kritiken uns nicht vernehmlich wurden.

Die Trauung verlief ohne jeden Zwischenfall. An keinem Pfeiler des Hintergrundes stand ein bleicher junger Mann mit der tiefen Falte des Grams zwischen den Augenbrauen, keine verschleierte Dame brach auf dem Chore bei'm Ringewechsel ohnmächtig zusammen, kein gebräunter junger Mann, soeben aus fernen Welttheilen mit Schätzen reich beladen zurückgekehrt, trat zufällig in die Kirche und sah erbleichend und mit zusammengebissenen Zähnen wie der Traum seiner Jugend einem anderen die Hand reichte, kein geheimer Kriminalschutzmann legte mir nach vollendeter Trauung die Hand auf die Schulter und sprach: »Mein Herr, ich verhafte Sie im Namen des Gesetzes,« nein Alles ging ganz ungemein wenig romanhaft und so nüchtern zu, wie man es sich nur wünschen kann.

Die Hühnchen'sche Wohnung war festlich geschmückt mit Blumen, Guirlanden und Grün, und Hühnchen's grösster Stolz war, dass Alles aus seinem kleinen Garten stammte. »Zwar,« sagte er, »kann man nicht leugnen, dass dieser Garten zur Zeit ein etwas abgerupftes Aussehen hat, allein die unverwüstliche Schöpferkraft der Natur wird das Alles schon wieder ersetzen.«

An der ebenfalls mit Blumen schön ausgezierten Tafel versammelte sich nun die Hochzeitsgesellschaft in ihrem höchsten Staat. Da war mir zur Seite Frieda in schimmerndem Weiss, mit dem langen, wallenden Schleier und dem zarten Myrthenkranz im Haar, demüthig und schön, da war meine Mutter in perlgrauer Seide sehr stattlich anzuschauen, da war Herr Nebendahl, dessen weisses Westenvorgebirge heute noch erhabener schimmerte als gestern und dessen Frack von den ungewohnten Strapazen in allen Näthen krachte, da war der Major in äusserstem militärischem Glanze und seine Frau in Purpur und köstlicher Leinwand, wenn man ihr dunkelrothes, mit Spitzen besetztes Kleid also bezeichnen darf, da zeigten sich die Trauführer neben ihren in schimmerndes Weiss gekleideten Damen, Freund Bornemann, heute fast noch mehr Vorhemd als gestern, Herr Erwin Klövekorn, der zur Feier des Tages so blasirt aussah, als hätte er alle Freuden dieser Welt bereits in der Windel ausgekostet, und Hans Hühnchen, der von Liebesgöttern umspielt neben seiner Brautjungfer, dem »Feuer«, sitzend, seinen Platz mit keinem König getauscht hätte. Den Beschluss machten Doktor Havelmüller und Fräulein Dorette Langenberg, die mir einst von Hühnchen zugedachte Zukünftige. Ein Zug weltschmerzlicher Entsagung, der ihr sehr gut stand, hinderte sie nicht, gegen ihren Nachbar alle Wasser der Unterhaltung spielen zu lassen.

Wir hatten noch nicht lange bei Tisch gesessen, als Hühnchen sich erhob und eine kleine Rede hielt: »Meine lieben Freunde,« sagte er, »man pflegt im Leben von Glückspilzen und Pechvögeln zu reden, das ist mir immer falsch erschienen, ich für mein Theil bin immer geneigt gewesen: Pechpilz und Glücksvogel zu sagen. Einen solchen Glücksvogel seht Ihr in mir. Denn mir ist Alles geglückt, was ich mir vorgenommen habe, ja über meine Wünsche hinaus ist mir liebliche Erfüllung zu Theil geworden. Meine Eltern waren zwar sehr arm, aber liebevoll und gut gegen mich, kann man wohl in der Kindheit ein besseres Glück finden? Sie liessen mir eine gute Bildung zu Theil werden, ich konnte das Gymnasium besuchen, doch weiter reichten ihre Mittel nicht. Als ich mich später dann dem Maschinenbau zuwendete, da war es mein höchster Wunsch, auf einer technischen Hochschule mich weiter für meinen Beruf auszubilden, und auch dies ward mir nach Jahren fleissiger Arbeit endlich zu Theil. Dort auf dem Polytechnikum zu Hannover fand ich einen Schatz, der seltener ist als mancher weiss und denkt. Dort ward mir ein Freund zu Theil, ein Freund für's Leben, ein solcher, bei dem, wie der Dichter sagt:

»Verständniss zu Verständniss sich gesellt,
Und was in Einem tönt, im Andern klingt
Und wiederhallt.«

Und was noch mehr ist, nicht lange darauf gewann ich noch einen grösseren Schatz, ein liebes getreues Weib, das ich nicht anstehe eine Perle ihres Geschlechtes zu nennen.« Frau Lore ward roth wie eine Purpurrose, und Hühnchen fuhr fort: »Diese meine liebe Frau schenkte mir zwei blühende gesunde Kinder, die ich weiter nicht loben will, denn das würde mir als Vater nicht wohl anstehen. Aber ich darf wohl sagen, dass sie mein Glück, mein Stolz und meine Hoffnung sind. Auch in den geringeren Dingen hat mich das Glück begünstigt, meine lieben Freunde. Nur eins will ich anführen. Schon ein Traum meiner Jugend war es, einmal ein eigenes Häuschen zu besitzen und in der eigenen Gartenlaube mein Abendpfeifchen zu rauchen. Ihr Freunde, die Ihr versammelt seid in diesen festlich geschmückten Räumen, Ihr wisst es, wie bald auch dieser Wunsch meines Herzens in Erfüllung ging und wie lange schon ich mit Dankbarkeit dies kleine Stück unserer grossen Mutter Erde mein eigen nenne und mit welcher Freude ich in meinem Gärtchen die Gaben entgegennehme, die mir die Natur aus ihrem unerschöpflichen Schoosse Jahr für Jahr auf's Neue spendet.

Aber die Ursache, weshalb Ihr heute hier versammelt seid, lieben Freunde, stimmt mein Herz zu besonderer Dankbarkeit und gerührter Freude. Denn die Berechtigung, mich einen Glücksvogel zu nennen, darf ich auch wohl daraus ableiten, dass mir ein Glück zu Theil ward, das nicht alltäglich ist in diesem Leben. Ich durfte die Hand meiner einzigen geliebten Tochter legen in die Hand jenes vorhin genannten Freundes, den ich kenne seit früher Jugend, den ich liebe, schätze und verehre, ich durfte es thun mit Zuversicht und freudigem Vertrauen. Das ist bis jetzt der Gipfel meines Glückes, und keinen besseren Wunsch glaube ich desshalb heute aussprechen zu können für meine lieben Kinder, als den: »Seid glücklich wie wir es bis jetzt gewesen sind. Seid glücklich, glücklich, glücklich!« Hühnchen schwieg eine Weile, da ihm die Stimme versagte, dann fügte er rasch und leise hinzu: »Und darauf wollen wir unsere Gläser leeren!«

Es war eine merkwürdige gedämpfte Stimmung, in die hinein nun die Gläser klangen und in manchen Augen schimmerten Thränen, deren sich diesmal keiner zu schämen schien.

Doch diese Stimmung machte bald wieder allgemeiner Heiterkeit Platz, zumal als nach einiger Zeit der Major an sein Glas schlug und eine Rede begann, die voll von den merkwürdigsten Pointen war. »Meine sehr verehrten Herrschaften,« begann er. »als ich an dem vergangenen Fastnachtsdienstage von meinem Bureau nach Hause kam, da fiel mir der Laden des bekannten Bäckermeisters Bredow in die Augen und da ich nicht wusste, ob meine Frau für diesen Abend bereits die obligaten Pfannkuchen besorgt hätte, so trat ich hinein und erstand mir eine Tüte voll von diesem in Berlin so ausserordentlich beliebten Gebäck, ohne das man sich einen Sylvester- oder Fastnachts-Abend nicht wohl vorzustellen vermag. Als ich aber nach Hause kam, da hatte meine Frau bereits von dem berühmten Konditor Westphal ebenfalls eine Anzahl dieser festlichen Backwerke mitgebracht. Da wir nun dadurch in der Lage waren, Vergleiche anzustellen, so mussten wir konstatiren, dass die Pfannkuchen des Bäckermeisters Bredow nicht allein grösser, sondern auch bedeutend besser und wohlschmeckender waren als die des berühmten Konditors Westphal. Ja! – Hieran anknüpfend möchte ich mir die Bemerkung erlauben, dass ich vermöge meiner gesellschaftlichen Stellung« – hier richtete sich die Frau Majorin noch gerader empor als sonst und ein Abglanz ihrer ebenfalls vornehmen Vergangenheit verklärte ihr Antlitz wie der Abendsonnenschein eine Burgruine – »dass ich vermöge meiner gesellschaftlichen Stellung die Gelegenheit hatte, in adligen und hochangesehenen Kreisen zu verkehren. Ja! Aber ich muss konstatiren, dass es mir dort gegangen ist wie mit den Pfannkuchen, dass ich mich in allen diesen Kreisen nicht so wohl gefühlt habe als in dem, welchen der einfache bürgerliche Ingenieur, Herr Leberecht Hühnchen, um sich versammelt hat. Ja! – Apropos Ingenieur! Nicht von allen Vertretern dieser Berufsklasse kann man sagen, dass sie einer gleichen Geistes- und Herzensbildung sich erfreuen. Ich habe dabei einen jungen Menschen im Auge, der auf dem Bureau, wo ich die Plankammer verwalte, wegen Mangel an Platz auf kurze Zeit zu mir hineingesetzt wurde in mein Zimmer, um dort zu arbeiten. Der junge Mensch hatte in Zürich studirt und war voll von umstürzlerischen Ideen, so dass, als wir binnen Kurzem in ein politisches Gespräch geriethen, wir natürlich bald konstatirten, dass sich unsere Ansichten diametral gegenüberständen. Ich sage di–a–me–tral! Nun, das hätte nichts zu bedeuten gehabt, denn wenn ich die Meinung eines ehrlichen Gegners auch nicht theile, so kann ich sie doch achten, allein der junge Mensch liess sich zu einer Bemerkung hinreissen, die mich förmlich in Erstarrung versetzte, so dass ich vorzog zu schweigen, weil die mir zu Theil gewordene Erziehung es nicht zuliess, die Antwort zu geben, welche allein am Platze war. Dieser »Ingenieur« behauptete nämlich, dass es unter den Offizieren, besonders unter der älteren Generation, doch manche gebe, denen es an allgemeiner Bildung mangele. Ich war, wie gesagt, starr! Aber als ich desselbigen Abends auf dem Sopha lag und las wie gewöhnlich, da fiel mir zufällig ein Roman in die Hände, der mir die richtige Antwort in den Mund legte, und am anderen Tage redete ich den jungen Menschen folgender Maassen an: »Hören Sie mal, Herr Hannemann,« sagte ich mit einem gewissen Nachdruck, »es beliebte Ihnen gestern, einige inkrojable Bemerkungen fallen zu lassen über Offiziere und allgemeine Bildung. Darauf kann ich Ihnen nur erwidern, dass ich gestern Abend zufällig einen Roman gelesen habe, in dem ein Ingenieur vorkam, der sich über alle Begriffe ungebildet und roh benahm. Ich sage Ihnen, er benahm sich sozusagen fast gemein. Sie sehen also, dass auch in Ihrem Stande die allgemeine Bildung nicht so durchweg verbreitet ist, wie Sie anzunehmen scheinen. Ja!« – Da war der junge Mensch, wie man so zu sagen pflegt, »baff« und erwiderte kein Wort. – Aber meine verehrten Herrschaften, Sie werden fragen, warum ich diese Geschichte erzähle in einer Gesellschaft, in der, wie ich wohl weiss, sich drei Ingenieure befinden und einer, der es werden will. Ich erzähle sie, weil dieser junge, vorhin erwähnte Mensch eine der Ausnahmen bildet, die die Regel bestätigen, denn alle anderen Ingenieure, die ich sonst kennen lernte, erwiesen sich als liebenswürdige und fein gebildete Leute. Insbesondere unser hochverehrter Brautvater und Gastgeber, Herr Leberecht Hühnchen, der in so mancherlei Gebieten des Wissens zu Hause ist, gehört gewiss zu den seltenen Menschen, die keine Feinde haben und von allen geliebt werden, die sie kennen. Und was mich betrifft, so habe ich in den freundlichen Giebelzimmern dieses Hauses fröhliche und friedliche Jahre verlebt und mich am Verkehr mit dieser liebenswürdigen Familie erfreut, denn was Herr Leberecht Hühnchen in seiner vorigen Rede über seine Frau Gemahlin und seine Kinder zu äussern beliebte, das kann ich nur voll und ganz unterschreiben. Und was ferner mich betrifft, so bin ich diesem Hause ganz besonderen Dank schuldig, denn hier lernte ich meine jetzige hochverehrte Gattin kennen« – wieder fiel ein Strahl der Abendsonne auf die Burgruine – »ja ohne das Haus Hühnchen wären meine sinkenden Tage wohl niemals von der Sonne ehelichen Glückes vergoldet worden.« Hier machte der Major eine Pause der Rührung, weil ihm diese letzte Redewendung wohl ganz besonders gelungen erschien, und fuhr dann fort: »Und so, getrieben von den Gefühlen der Dankbarkeit und der Verehrung, fordere ich Sie auf, hochgeschätzte Anwesende, mit mir auf das Wohl des Hauses Hühnchen ein Glas zu leeren. Es lebe hoch, dreimal hoch!

Dieser Aufforderung kamen natürlich Alle mit ganz besonderer Freude nach. Sodann nahm in dieser redelustigen Gesellschaft die endlose Reihe der Trinksprüche ihren Lauf, denn an diesem Nachmittage wurde Alles leben gelassen, was nur leben zu lassen war, sogar der Rabe Hoppdiquax zu Nebendahl's grosser Entrüstung. Auch dieser brave Onkel hielt seine Rede und zwar eine solche, dass ihr wegen ihrer merkwürdigen Kürze und Schlagkraft allgemein der Preis zuerkannt wurde. Er klopfte mächtig an sein Glas und erhob sich dann feierlich. Sein weisses Vorgebirge strahlte über den Tisch hin, sein rothes Antlitz glänzte. Er hob langsam sein Glas in Augenhöhe, dass der bejahrte Hochzeitsfrack in allen Fugen krachte und beschrieb damit unter verbindlichem Lächeln einen Bogen über den ganzen Tisch hin, wobei er mit jeder Dame gleichsam mit den Augen anstiess. Dann, indem er sein Glas schnell senkte und hob, wie man mit einer Flagge salutirt, donnerte er die einzigen zwei Wörter hervor:

»Die Damen!!!«

Gewaltiger Beifall und endloses Gläserklingen folgten dieser Rede. Hühnchen nannte sie »lapidar« und Bornemann »monumental«. Ja selbst auf Herrn Erwin Klövekorn's Antlitz zeigte sich ein schwaches Lächeln, etwa wie wenn der Geist eines Nachtschmetterlings um eine welke Blume schwebt.

Onkel Nebendahl hatte diesen jungen Mann, der ihm gegenüber sass und seine Tischnachbarin mit lauter unverständlichen Dingen unterhielt, schon öfter prüfend in's Auge gefasst. Nun redete er ihn endlich an: »Sagen Sie mal, Herr Klövekorn, was haben Sie eigentlich für ein Geschäft?«

Der junge Mann sah die Nase entlang und zog die Mundwinkel ein wenig nach unten, denn der Ausdruck »Geschäft« sagte ihm nicht zu. Dann antwortete er: »Ich habe mich dem Studium der Kunstwissenschaft ergeben.«

»Du meine Zeit,« sagte Nebendahl, »was heutzutag' auch alles studirt wird. Früher da studirten die Leute Pastohr, oder Advokat, oder Schulmeister, oder Dokter un damit war's aus. Nu aber wird alles Mögliche studirt, schliesslich wohl noch gar Nachtwächter. Der eine studirt Maschinenbauer, so als wie Hans Hühnchen zum Beispiel, der andere Zahnbrecher, der dritte sogar Landmann. Na, was bei so'n ökonomisches Studium rauskommt, das seh ich bei meinem Nachbar Schmeckpeper. Das führt immer erhabene Redensarten in 'n Munde von Agrikulturchemie un Superphosphat un Stickstoff un sowas, wenn das aber seine Leute anstellen soll, denn laufen sie ihm durcheinander wie die Ameisen, wenn einer mit 'n Stock in ihren Haufen purrt. Un wenn das nachher seinen Weizen einfährt, so is es ein Jammer. Also Kunstwissenschaft studiren Sie, Herr Klövekorn? Da kann ich mir garnichts bei denken.«

»O Herr Nebendahl,« sagte der junge Mann, »das ist in neuerer Zeit eine Wissenschaft von so grosser Ausdehnung geworden, dass Einer sie nicht mehr beherrschen kann und eine Menge von Spezialisten entstanden ist. Da giebt es welche, die sich nur mit Raphael abgeben und mit dem, was diesen angeht. Ein anderer ist wieder der grosse Dürerkenner, ein dritter beschäftigt sich nur mit Rembrandt, ein vierter hat sich wieder auf einen bisher ganz unbeachteten Maler geworfen und macht ihn noch dreihundert Jahre nach seinem Tode berühmt, was er bei Lebzeiten garnicht einmal gewesen ist. Ja denken Sie sich, vor einigen Jahren ist einer auf die Idee gekommen, hauptsächlich die Ohren und die Hände zu beachten auf den Bildern der alten Meister. Darüber hat er ein dickes Buch geschrieben voll von den wichtigsten Entdeckungen.«

»Also die alten Museumsbilder studiren Sie un was sie für Ohren un Snuten un Poten haben?« sagte Herr Nebendahl unter donnerndem Lachen, »das muss ja hundemässig langweilig sein. Ich geh ja ganz gern mal in's Museum, jedesmal wenn ich nach Berlin komm', aber länger wie 'ne Stund' halt' ich's bei den alten Bildern nicht aus. Schon von wegen dem süsslichen Geruch nich. 'N paar Bilder sind da, die mag ich woll leiden. Da is so'n alter Herr mit 'ner Pelzmütz', der hat 'ne Nelke in der Hand, den seh ich mir immer so lang' an, bis ich graulich vor ihm werd', denn er wird immer lebendiger, je länger man ihn ansieht und zuletzt denkt man, nu fängt er an zu reden. Dann is da so 'ne alte Hex' mit 'ne Eul' auf der Schulter, über die muss ich jedesmal bannig lachen un denn sind da auch so 'n paar hübsche Dirns abgemalt, zwarst 'n bischen kurz im Zeug, aber nüdlich zu sehen. Aber das muss ich sagen, es bleibt doch immer dasselbe, un auf die Dauer muss es doch höllisch langweilig werden. Un da erinner' ich mich besonders an einen nackten Menschen, auf den sie mit Pfeilen schiessen, dass er schon ganz gespickt ist – ich weiss nich wie sie ihn nennen.« . . .

Hier fiel Bornemann plötzlich ein: »Wer stets gespickt und nie gebraten wird, heisst Sebastian, wer dagegen stets gebraten und nie gespickt wird, nennt sich Laurentius.«

»Schön also,« fuhr Nebendahl fort, »dieser Sebastian steht nun Jahr für Jahr in derselbigten Positur, immer wenn ich ihn wiedersah, un thut so als wenn es ein liebliches Vergnügen wär', mit Pfeilen nach sich schiessen zu lassen, un hat immer noch denselbigten Klax Oelfarbe auf der Nas', über den ich mich schon vor zwanzig Jahren geärgert hab', denn da hat der Maler sich nach meiner Ansicht einfach vermalt. Es bleibt wie gesagt immer dasselbe. Da kommen Sie doch mal zu mir raus auf's Land. Ich bin nu doch schon Landmann seit fünfunddreissig Jahr, aber das kann ich Ihnen sagen: Ich hab noch keinen Schlag Weizen gesehen, der ebenso ausgesehen hätt' wie der andere. Un wenn Sie denken 'n Schaf is 'n Schaf, da sind Sie sehr im Irrthum. Da fragen Sie doch mal meinen Schäfer, der kennt alle seine achthundert Schafe persönlich an ihrer Fisionognomie.«

Herr Erwin Klövekorn hatte, während Nebendahl seine schnurrigen Anschauungen über Kunst vorbrachte, nur etwas in seinen zukünftigen Bart gemurmelt, das beinahe klang wie »Idiotische Banause«, nun aber zog er vor sich in erhabenes Schweigen zu hüllen und mit kränklichem Lächeln seinen Kneifer zu putzen. Herr Nebendahl aber war in's Feuer gekommen und fuhr fort:

»Na, und überhaupt. Wie man das Leben in solcher grossen Stadt wie Berlin auf die Dauer aushalten kann, das begreif ich nich. Hier draussen geht's ja noch, un Lebrecht hat hier ja sogar seinen sogenannten Garten, worüber ich mich gestern halb dodt gelacht hab'. Aber is es nich'n Jammer, dass solch'n Finzel Land 'n Garten vorstellen soll. Ich hab heut' schon zu Lebrechten gesagt, an seiner Stell' würd' ich mir nu auch noch 'ne kleine Landwirthschaft anlegen. 'N Stamm Hühner un 'ne Flucht Tauben könnt' er sich ganz gut halten, un an der Stell', wo das alte graugeliche unfruchtbare Rabenvieh in seinem Kasten sitzt, da würd' ich mir 'n kleinen nüdlichen Sweinskoben hinbauen. Da könnt er sich alle Jahr sein Swein in fett machen un daran sein liebliches un nahrhaftes Vergnügen haben. Aber er will ja nich. Ich glaub' es is ihm nich poesievoll genug. – Na, also, wie gesagt, hier draussen geht es ja am Ende noch, aber nu in Berlin selbst. Wenn ich da mitten in der Stadt wohnen sollt' in so'n grossen Häuserkasten, da bleibt mir die Luft weg, wenn ich da bloss an denk'. Un denn, was haben die Menschen auf der Strass' immer zu rennen un zu kribbeln wie die Ameisen. Immer als wenn n' Theater, oder 'ne Kirch' oder 'ne Volksversammlung aus is, oder als ob's einerwo brennt. Un denn das ewige Gefahr! Wissen Sie wie mir das vorkommt, wenn ich da 'ne Zeit lang mitten in bin. Als wenn das All' eigentlich ganz überflüssig wär' un die Leute bloss all' 'n Rapps hätten. Na, amüsieren kann man sich ja am End': in's Theater gehn, in's Konzert oder in'n Tingel-Tangel oder in 'ne gute Restauratschon. Aber schliesslich is es doch auch wieder immer Alles dasselbe. Acht oder höchstens vierzehn Tag' halt' ich's woll aus, aber denn krieg' ich ein barbarisches Heimweh. Un denn kommt es mir vor, als wenn mein Konzert bei mir zu Haus' dausendmal schöner is, als Alles, was sie da in Berlin zusammenfiedeln, tuten und streichen. Nämlich wenn ich mit meinem Nachbar Diederichs an so'n schönen Juniabend vor der Hausthür sitz' unter meinem grossen alten Lindenbaum bei 'ner Zigarr' un 'ner guten Buddel Rothspohn. In meinen Garten singen denn die Nachtigallen un in's Feld schlagen die Wachteln, welche ganz nah un welche ganz weit ab. Un aus der Wies' ruft mannigmal der Snartendart un ganz weit vom Neumühler See her quarren die Frösch'. Sehen Sie, das is mein Konzert.«

Herr Klövekorn hatte unterdess seinen Kneifer fertig geputzt, setzte ihn wieder auf und sagte mit einem Tone nachlässiger Ueberlegenheit: »Ich denke mir doch die Beschäftigung mit der Landwirthschaft sehr monoton und geistig ausserordentlich wenig anregend.«

Herr Nebendahl zog die Stirn kraus und ward noch röther wie gewöhnlich: »Was sagen Sie da, junger Mann«, rief er, »na, hören Sie mal, da muss ich Ihnen zuerst eine kleine Geschicht' erzählen. Ich kam mal mit dem Weinhändler Friebe in ein Gespräch über sein Geschäft, und da nahm er sein Glas un witterte so mit der Nas' darüber hin un sagte: »Wissen Sie,« sagte er, »bei'm Weinhändler ist die Nase die Hauptsache. Mir können Sie die Augen verbinden und halten Sie mir dann eine Rose vor, so sage ich, es ist eine Rose, und halten Sie mir ein Veilchen vor, so sage ich, es ist ein Veilchen, und halten Sie mir eine Nelke vor, so sage ich, es ist eine Nelke, und halten Sie mir alten Käse vor, so sage ich, es ist alter Käse. Glauben Sie ja nicht, dass das Jeder kann mit verbundenen Augen. Nun, wenn ich einen neuen Lehrling bekomme, so prüfe ich ihn zuerst. Finde ich dann, dass der junge Mensch keine Nase hat, so schreibe ich an seine Eltern : »Lassen Sie den jungen Mann studieren, zum Weinhändler ist er zu dumm!« Sehen Sie, ganz so is es mit der Landwirthschaft, nur dass da noch'n bischen mehr zugehört. Studieren hilft da nich, un Nase auch nich, aber ein Schenie muss man sein. Un warum es leider Gotts weniger gute Landmänner giebt, als wir brauchen könnten in dieser Welt, das will ich Ihnen sagen. Das kommt davon, weil die Schenies überhaupt selten sind!«

Hühnchen, welcher fürchtete, diese Unterhaltung möchte in einen unerquicklichen Streit auslaufen, wollte schon wieder vermittelnd eingreifen, allein er wurde dessen enthoben, denn meine kleine Frau, welche sich vor Kurzem von meiner Seite geschlichen hatte, kehrte nun in einem zarten grauen Reisekleide zurück. Die Abenddämmerung war hereingebrochen, und vor der Hausthür knallte der Kutscher des bestellten Wagens mit seiner Peitsche. Ueber den Abschied will ich schnell hinweggehen. Er war gerührt und feierlich, obwohl das Ziel unserer Reise nicht in der weiten Welt, sondern in der engen Nachbarschaft lag. Als wir dann endlich im Wagen sassen, waren Hühnchens letzte Worte, während er uns beide an den Händen hielt: »Seid glücklich, glücklich, glücklich!« Frau Lore stand daneben, hatte das andere Paar unserer Hände erfasst und die Thränen liefen ihr unablässig die Wangen herab.

 

 


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