Heinrich Seidel
Leberecht Hühnchen als Großvater
Heinrich Seidel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

6. In der neuen Wohnung.

Als am Nachmittage des folgenden Tages zu der bestimmten Zeit unser Wagen in die Frobenstrasse einbog, sahen wir Hühnchen und Frau Lore am offenen Seitenfenster des Erkervorbaues unserer Wohnung stehen, und alsbald erhob sich dort ein heftiges Winken mit weissen Taschentüchern. »Heil! Heil! Heil!« rief Hühnchen mit so gewaltiger Kraft, dass die Leute auf der Strasse stehen blieben, und ein vorüber gebender Schutzmann aus dem Auge des Gesetzes einen finstern Blick auf ihn warf. Aus der bekränzten Thür kamen sie uns entgegen, und eine Begrüssung fand statt, als kämen wir nicht nach vierzehntägiger Abwesenheit von einem nahegelegenen Nachbarorte, sondern nach langjähriger Reise aus dem Innern von Afrika, wo es uns gelungen war, unter fürchterlichen Gefahren den letzten weissen Fleck auf der Karte zu beseitigen. Frau Lore schluchzte, als sie ihren Liebling, von dem sie sich bisher in ihrem Leben noch keinen Tag getrennt hatte, wieder in den Armen hielt, und Hühnchen suchte wie gewöhnlich seine Rührung durch allerlei ausschweifende Redensarten zu verdecken.

»Kinder,« rief er, »eure Wohnung ist ein Paradies. Alles glänzt von Sauberkeit und Ordnung, Neuigkeit und Frische. Es ist ordentlich schade, darin zu wohnen. Und die letzten Blumen und das letzte entbehrliche Grün hat sie heute meinem Garten gekostet. Er sieht jetzt aus wie die Pfauen des Advokaten Wulf, als ihnen der berühmte Affe die sämmtlichen Schwanzfedern ausgerupft hatte. Aber es schadet nichts. Und wie meine Frau und Lotte hier in den letzten Tagen gearbeitet, gescheuert, geklopft, geputzt, gewischt und gewüthet haben, das entzieht sich jeder Vorstellung. »Das Unbeschreibliche hier ist's gethan« und »das ewig Weibliche« hat sich hier ausgetobt nach jeder Richtung. Apropos Lotte. Ihr habt ja Lotte noch garnicht begrüsst.«

Jetzt erst wurden wir auf etwas frisch gewaschenes Weibliches aufmerksam, das im Hintergrunde stand und über das ganze rosige stumpfnasige Gesicht hinweg aus Leibeskräften lächelte. Es war Lotte, unser Dienstmädchen, das uns meine Mutter aus Mecklenburg besorgt hatte. Sie war eine rundliche und saubere Person und hatte in ihrem gutmüthigen Gesichte nur einen Fehler, der mich störte, so lange sie unsere Wohnung durch ihre Gegenwart verschönte. Sie trug nämlich einen ganz kleinen zierlichen Leberfleck auf der Nasenspitze, doch dieser sass nicht in der Mitte, sondern etwas seitwärts. Das hatte etwas durchaus Peinigendes für mich, denn da ich in meinem Fache als Ingenieur gewöhnt war, überall auf Symmetrie und Gesetzmässigkeit zu sehen, so konnte ich nie von diesem Leberfleck abkommen, wenn ich mit ihr sprach und musste ihn stets mit den Augen in die Mitte rücken, welches aussichtslose Unternehmen auf die Dauer etwas Nervenangreifendes hatte. Sonst gefiel sie uns wohl, zumal der Drache noch in ihr schlief und die Genien des Wohlwollens und dienstwilliger Freundlichkeit ihre stattlichen Lippen umschwebten.

Dann besahen wir die Wohnung. Wir waren ihre ersten Miether in diesem neuerbauten Hause und dies kam dazu, den Eindruck des Funkelnagelneuen noch zu erhöhen. Die Fussböden glänzten, die Decken schimmerten in unberührtem Weiss, die Gardinen glichen dem frischgefallenen Schnee, die Oefen leuchteten, und die Möbel blitzten. Im berliner Zimmer war mit nie gebrauchtem weissen Leinenzeuge der Tisch gedeckt und darauf befand sich Geschirr, das noch Niemand je benutzt hatte, Messer, mit welchen noch niemals geschnitten worden war und Gabeln, die Keiner je zum Munde geführt hatte. Die Schlafzimmer machten den gleichen Eindruck und in der Küche nun gar hatte Lotte ihr Uebrigstes gethan. Die Messingkessel glänzten wie die Sonne, der Mörser blitzte wie der Helm des Mambrinus und die Bunzlauer Töpfe, Papa und Mama, und sieben Kinder, trugen alle an derselben Stelle auf ihrem satten Braun ein sanftes Glanzlicht zur Schau. Es herrschte dort geradezu ein unnatürlicher Schimmer und Glanz. In der Speisekammer kam Ueberraschendes zum Vorschein, denn Frau Lore hatte sie ein wenig für uns eingerichtet. Hühnchen versenkte sich bewundernd in ihren Anblick und nannte sie ein Füllhorn der Ueppigkeit. Dort war die Eierbrettpyramide angefüllt mit schimmernden Eiern, denen man es ansah, dass Lotte sie alle einzeln mit der Bürste schneeweiss gescheuert hatte, dort waren alle Porzellantonnen gefüllt und trugen ihre stattlichen Aufschriften nicht mehr umsonst, dort stand Eingemachtes in Büchsen und Gläsern und wer weiss was sonst noch für gute und nützliche Dinge. Zudem hatte Onkel Nebendahl seine Frau veranlasst, in die Schätze ihrer Rauch- und ihrer Vorrathskammer zu greifen und am Tage vorher war ein mächtiger Korb aus Mecklenburg für uns angelangt mit einem Inhalt, als gelte es, eine Schwadron ausgehungerter pommerscher Kürassiere zu versorgen. Aus ihm war ein Megatherium von Buttertopf hervorgekommen und ein Lederkäse, dessen riesenhafter Anblick uns fast mit Entsetzen erfüllte. Dazu hingen dort in einem Florbeutel ein ganzer Schinken, sowie zwei Mettwürste, so gross wie die Schlachtkeulen der Eingeborenen von Nukahiwa, nebst einer halben Speckseite, die wir mit ehrfurchtsvollem Schauer betrachteten, denn es dünkte uns, sie stamme von einem Schweine-Goliath. Wir dachten fast mit Zittern daran, dass wir uns durch dieses Schlaraffenland durchessen sollten. Doch das sind Schrecknisse, die sich ertragen lassen.

Wir streckten sodann zum ersten Male in unserem Leben die Beine unter den eigenen Tisch und bewirtheten unsere ersten Gäste, wobei grosse Fröhlichkeit herrschte. Doch diese wurde ein wenig gedämpft durch eine Mittheilung von Hühnchen, die eigentlich hätte geeignet sein sollen, das Gegentheil zu bewirken. Aber wir hingen alle so sehr an dem kleinen Häuschen in Steglitz, mit dem so viele frohe und freundliche Erinnerungen verknüpft waren, dass der Gedanke, wir sollten uns von ihm trennen, uns wehmüthig stimmte.

»Der Mann mit den drei Unterkinnen und dem Austern-Begräbnissplatz,« sagte Hühnchen, »hat die Axt an meine Wurzeln gelegt und so mächtige Hiebe darauf geführt, dass ich meinen Wipfel wanken fühle. Er hat sein Gebot für Haus und Garten noch erhöht und ich bin nun einmal nicht reich genug, um auf Gold wandeln zu dürfen. Bis morgen habe ich Bedenkzeit und ich bin gesonnen, das Gebot anzunehmen, obwohl es mir ausserordentlich schwer wird. Ich sage, der Mammon stiftet doch nichts als Unheil in der Welt. Wenn man bedenkt, unser kleines freundliches Häuschen mit seinem niedlichen Garten soll diesem Götzen zu Liebe vom Erdboden verschwinden, um von so einem modernen Mammuthsungethüm von Miethskaserne übergeschluckt zu werden wie ein unschuldiges Kaninchen von einer Boakonstriktor, da möchte man weinen. Sieh mal, Freund und Schwiegersohn, um das Haus thut es mir so leid, als ob es ein Mensch wäre. Und wenn man bedenkt, dass unser braver Gravensteiner Apfelbaum im vorigen Jahre nahezu einen ganzen Scheffel und der Napoleonsbutterbirnbaum über einen Scheffel getragen hat in freudiger Vergeltung liebevoller Pflege, erscheint es nicht da wie himmelschreiender Undank, wenn man sie in die Hand der Mörder verkauft und sie der todtbringenden Axt ausliefert. Denke nur, im Spätsommer soll der Bau schon beginnen und wenn dann im nächsten Frühjahr unser Fliegenschnäpper-Pärchen zurückkehrt, um dort nach gewohnter Weise sein Nest in das Weinspalier zu bauen, dann wird es dort weiter nichts finden, als Gräuel der Verwüstung, Sand und Mauersteine, und durch die kleinen Vogelseelen wird ein Schwert gehen.«

»Aber Papa, warum thust Du es denn,« sagte Frieda fast ein wenig weinerlich, »warum verkaufst Du denn unser liebes Haus?«

Hühnchen versuchte wie einen erhobenen Ernst in seine Züge zu legen, was ihm nur mässig gelang, und antwortete: »Erstens, weil ich, wie gesagt, nicht reich genug bin, um auf Gold wandeln zu dürfen, zweitens, weil ich ein schwacher Mensch bin und auf die Dauer den Verlockungen des Mammons nicht zu widerstehen vermag, drittens, weil ich Kinder habe, um deretwillen ich dies vortheilhafte Gebot nicht ausschlagen darf und viertens, weil sie mich sonst einbauen werden. Seht, liebe Kinder, dies ist das Ausschlaggebende. Nehme ich das Gebot nicht an, dann wird um mich herumgebaut. Ein Jahr lang werde ich leben in einer Atmosphäre von Kalkstaub und Maurerflüchen und dann werden um mich herum nach Süden, Osten und Westen himmelhohe Wände entstanden sein und nur nach Norden, nach der Strasse zu, wird es offen sein, Ich werde dann wohnen auf dem Grunde eines feuchten Loches, das weder Licht noch Luft, noch Sonne hat und wenn meine Bäume und Pflanzen es noch nicht während des Baues gethan haben, so werden sie es jetzt thun, sie werden Feierabend machen und ausgehen. Und ich werde dasitzen wie der berühmte Lohgerber, als ihm die Felle weggeschwommen waren und werde keinen Mammon haben, aber auch keine Gravensteiner, und keine Napoleonsbutterbirnen, und das Hohngelächter des Mannes mit den drei Unterkinnen und dem Erbbegräbniss für Austern und Fasanen wird schallen vom Aufgang bis zum Niedergang. – Ja Kinder,« fügte er dann ganz bedrückt hinzu, »es ist mir manchmal, als sei ich garnicht der Alte mehr. Die Sorgen des beginnenden Wohlstandes lasten auf mir und meine stille Sympathie für Johann den munteren Seifensieder wächst täglich.«

Am Abend verliessen uns meine guten Schwiegereltern, um vergnügt wieder nach Steglitz zu fahren und am nächsten Tage ward ich wie ein Rad, das man zur Reparatur gegeben hat, wieder in die Maschine der täglichen Arbeit eingefügt und der gewohnte tägliche Kreislauf begann aufs Neue. Aber als ich jetzt zum erstenmale heimging, kam ich in mein eigenes Nest und das war wunderbar behaglich. Frieda wehte zart mit einem kleinen weissen Tüchlein, als sie mich um die Ecke kommen sah und gestand mir nachher, sie hätte schon seit einer Stunde am Erkerfenster gestanden und auf mich gewartet. Zu Mittag gab es Koteletten. Ich habe mir sagen lassen, dass es in jedem jungen Ehestande der zivilisirten Welt zum ersten Mittagessen Koteletten giebt. Sie waren ein wenig angebrannt und an der Suppe war das Salz vergessen, trotzdem fand ich Alles herrlich. Nach Tisch, als Lotte das Geschirr abnahm, bemerkte ich ein starkes Mittheilungsbedürfniss an ihr und die Neigung einem Landsmanne gegenüber sich auszusprechen. Ich entfesselte desshalb den Strom ihrer Rede, der nun eine Weile unaufhaltsam floss, während meine Augen mit seltsamem Bann immer wieder zu dem kleinen Leberflecken auf ihrer Nase gezogen wurden: »Ich kann das hier noch garnich an werden,« sagte sie, »das is hier all so anders. Un denn, dass sie hier alle hochdeutsch sprechen, die Strassenjungs un die Arbeitsleut' un die Leut' in'n Keller, das is mich zu schnurrig. Ich fang' noch immer auf platt mit sie an und denn verstehn sie mir nich un lachen sich. Un die Leut' mit ihr Hoch versteh' ich auch nich immer. Denn hier haben sie immer für Alles ganz andre dwatsche Nams. Zu grüne Erbsen sagen sie Schoten un zu gelbe Wurzeln Mohrrüben, un Senf heisst hier Mostrich un Zwiebeln die nennen sie Bollen. Un denn mit das Geld. Das is ja nu sonst grad wie bei uns, aber fünf Fennig das is hier 'n Sechser un fünfunzwanzig Fennig da sagen sie zwee Jute zu un zu fufzig Fennig vier Jute. Da soll nu einer aus klug werden. Un so kommt immerzu was Neus, ich glaub ich werd' das hier garnich an.« Und sie schüttelte melancholisch den Kopf.

Es erschien mir angemessen, diesen niedergedrückten Geist wieder ein wenig aufzurichten und so sagte ich denn: »Aber Lotte, das kommt Ihnen nur zuerst so vor. So'n kluges Mädchen wie Sie, die lernt das in acht Tagen.«

Lotte war so geschmeichelt, dass sie fast die Teller hätte fallen lassen, aber einstweilen rutschten nur die Messer und Gabeln zu Boden und als sie sich danach gebückt hatte und sich wieder erhob, da war sie hochroth im Gesicht, strahlte wie ein blankgeputzter Kupferkessel und lächelte sehr.

»Na, ich will mal seh'n,« sagte sie. »Wenn ich mir Müh' geb'.«

 

 


 << zurück weiter >>