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Der Verlust des Pferdes war der Beginn einer Kette widriger Ereignisse für die Schwestern. Einige Tage nach dem Unfall war der Pächter, ein Herr Großmeiler, gekommen, hatte ihnen seine mißliche Lage auseinandergesetzt und von der Pachtsumme, die zu Neujahr fällig war, nur einen geringen Teil gebracht. Er versprach zwar, das Fehlende so schnell wie möglich heranzuschaffen, aber nach seinen Erklärungen mußte man annehmen, daß darüber eine geraume Zeit vergehen würde. Karla, die als die Älteste mit ihm verhandelt hatte und der nichts mehr zuwider gewesen wäre als einzugestehen, daß sie auf das Geld schon gewartet hätten, behandelte die Angelegenheit von oben hin. Erst als der Pächter gegangen war, wurde sie ungehalten. Sie fuhr Hilke um jede Kleinigkeit an, zankte mit Frems, und Syrrha und Vrena mußten ihre Launen ertragen.

»So muß man sich in alles fügen«, zürnte sie, »wer hätte gedacht, daß wir Sterenbrinks einmal von der Zufälligkeit eines Pachtzinses abhängig sind.«

Syrrha versuchte sie zu trösten und ihr klarzumachen, daß der Vorzug reich zu sein, wenn man alles gegen einander abwäge, sich letzten Endes doch nur als ein scheinbarer herausstellen würde. Ja, sie fände sogar, daß ein eigener Reiz in der Beschränkung läge und daß der Gewinn, den man bei bescheideneren Mitteln davontrüge, tiefer und freudiger wäre als ein Leben in Fülle. Das sei eine alte Erkenntnis.

»Komm mir nicht mit sogenannten alten Erkenntnissen«, sagte Karla, »man hat sie nur aufgestellt, damit der andere einfältig sich begnügt und sich wohl fühlt im Zwang einer Bescheidung. Das ist vollkommen richtig, aber ich will nicht zu den anderen zählen. Wenn du dich begnügen kannst mit Kate und Bienenkorb – bitte!«

Vrena mischte ihre Klagen hinein. Sie hatte eine große Angst vor dem Armwerden.

»Wir müssen den Pächter davonjagen«, meinte sie, »wir werden doch wohl einen besseren finden? Unter Umständen sollte man einen Verwalter einsetzen. Wollen wir nicht einmal mit Konsul Behnke darüber sprechen? Der könnte uns doch wohl mit Rat und Tat zur Seite stehen. Vielleicht warten wir auch noch. Es kann ja sein, daß Großmeiler Wort hält.«

So redeten sie hin und her und konnten sich zu nichts entschließen. Wie immer, wenn es für sie galt, eine Entscheidung zu treffen, erschöpften sie sich in Reden und überließen es schließlich dem Zufall.

Oft hören Töchter auf zu leben, wenn die Mütter gestorben sind. Sie beginnen dieses und jenes, aber die Wurzel, durch die sie fest in die Erde gefügt waren, ist abgerissen und erst später, wenn sie selbst Mütter werden, finden sie in den festen Boden zurück. Viele aber werden kein Kind haben, werden losgelöst bleiben und, von sich selbst hin- und hergeworfen, werden sie haltlos durch die Tage sinken. Ihr Leben ist wie die Flucht eines Blattes im Winde.

Frau Sterenbrink war von dem Ehrgeiz besessen gewesen, jede ihrer Töchter zu einer Persönlichkeit heranwachsen zu lassen. Sehr frühe schon begann sie damit. In dem geräumigen Gutshaus hatte jedes Kind sein eigenes Zimmer. Nur hin und wieder besuchten sie sich. Sie schenkte den Kindern die gleichen Spielsachen, in Farbe und Ausstattung so übereinstimmend, daß sich keines benachteiligt fühlen konnte. Im Garten waren drei kleine Pavillons aus Borke und buntem Glas. Wenn es Frühling wurde, fragte Karla – sie war damals zehn Jahre alt und hatte eine tiefe Stimme, daß man verwundert war über diesen Tonfall aus Kindermund – : »Können wir wieder in unsere Häuser ziehen?« Ganz selten nur sagte sie Mutter. Jede liebevolle Umschreibung war ihr fremd. Frau Sterenbrink lächelte darüber, denn sie glaubte, daß diese Unsentimentalität ihr im Leben noch einmal zustatten kommen würde. Vielleicht war sie sogar erstaunt darüber, daß das Kind um Erlaubnis bat und nicht von sich aus den Umzug einfach angeordnet hatte. Frau Sterenbrink würde dann wohl den Kopf geschüttelt haben: »Sieh einer an, wie selbständig Karla schon ist.« Sie hatten die Zusage der Mutter erhalten und jedes Kind war in sein eigenes Haus gezogen. Kam dann Frau Sterenbrink unverhofft, um nach ihren Töchtern zu sehen, dann sagte Karla oft vorwurfsvoll: »Du mußt dich aber vorher anmelden.« Frau Sterenbrink machte es Spaß, von nun an ein Mädchen zuvor in die Borkenhäuser zu schicken und anfragen zu lassen, wann sie Karla besuchen dürfte, Syrrha oder Vrena.

Von ihrem Vater wußten die Schwestern nur weniges. Er war gestorben, als Karla acht Jahre alt war. So lag also ihre Erziehung allein in den Händen der Mutter. Wenn über die Art dieser Erziehung von befreundeter Seite Bedenken geäußert wurden, dann pflegte Frau Sterenbrink zu sagen: »Es wird ihnen nur zum Guten sein. Sie werden heiraten und haben einmal selbst einem Gutswesen vorzustehen. Ich habe an mir erfahren, wie schwer es ist, wenn man plötzlich herrschen soll und selbst schwach und verzärtelt ist. Nachdem Tode meines Mannes habe ich ein paar schlimme Jahre gehabt, ehe ich mich in alles hineingefunden hatte. Meine Töchter sollen es leichter haben.«

Die Kinder waren unnachsichtig, wenn es nicht nach ihrem Willen ging. Sie beherrschten das Haus, und die Dienstboten taten ihnen jeden Gefallen, schon, um es nicht mit Frau Sterenbrink zu verderben. »Die gute Frau Sterenbrink«, sagten die Mägde, und alles ging wie am Schnürchen, denn sie liebten die blasse schmale Frau. Weihnachten standen sie in dem großen Saal, hatten die Hände gefaltet und sangen mit Frau Sterenbrink alle Christlieder, die sie kannten, während Karla, Syrrha und Vrena die goldenen Knöpfchen an den Kleidern der Puppen zählten.

Jahre später steckten die Leute die Köpfe zusammen, wenn die Töchter der Frau Sterenbrink vorbeifuhren. Schön waren sie in den hellen Sommerkleidern oder in dem schweren Pelzwerk. Sie wurden der Mittelpunkt jedes Festes, das sie in Dranshop oder auf den Gütern der Umgegend besuchten. So ging alles gut bis zu Frau Sterenbrinks Tod. Im letzten Jahre ihres Lebens hatte sie oft in banger Sorge über die Zukunft ihrer Töchter nachgedacht. Es machte ihr Kummer, daß man von den herrischen Töchtern sprach, zu denen keiner ein inniges Verhältnis gewann. Sie versuchte Einfluß auf sie zu gewinnen, erzählte aus ihrem eigenen Leben und enthüllte sich vor ihnen. Sie legte ihre Seele bloß und fühlte sich gedemütigt, als sie erkannte, daß die Töchter sich rücksichtslos gegen sie verriegelten.

Als Frau Sterenbrink gestorben war, liefen die Mägde davon, denn sie wußten nicht mehr, welchem Befehle sie zuerst nachkommen sollten.

Neue kamen und gingen. Manchmal waren die Schwestern ohne Hilfe im Gutshaus, weil sich niemand fand, der zu ihnen kommen wollte. Das war noch unbequemer für sie, und so ließen sie die neuen Mägde schalten und walten, kümmerten sich um nichts mehr und verbrachten die Tage abgeschlossen gegen einander, wie sie es schon als Kinder getan hatten.

So wäre alles zugrunde gegangen, wenn nicht Konsul Behnke, der noch mit ihrem Vater befreundet gewesen war, sich ihrer angenommen und ihnen einen Pächter für das Gut besorgt hätte. Er kannte Herrn Großmeiler nicht persönlich, aber durch einen Geschäftsfreund war er ihm als zuverlässig empfohlen worden. Die ersten Jahre ging auch alles gut, aber dann fing der Pächter an in seinem Eifer nachzulassen.

Die Schwestern waren in das Haus auf der Rowen Düne bei Börshoop gezogen, das, wenn auch nicht so geräumig wie das Gutshaus, doch Platz genug bot, um jeder ein Leben nach eigenem Gefallen zu erlauben.

Der alte Kutscher Frems war bei ihnen geblieben und sie hatten das Glück gehabt, ein tüchtiges Mädchen, wie Hilke Deep es war, zu finden. Hilke, durch ihre Mutter an ein ewiges Hin und Her, an Launen und Unzuträglichkeiten gewöhnt, fand sich leicht mit den Eigenschaften der Schwestern ab, umso mehr, als sie Hilke selbständig das Haus besorgen ließen. Sie hatten das nicht zu bereuen. Seit Mole Deeps Tochter bei ihnen war, schien alles wieder in fester Hand zu liegen.

Nun war durch die Zahlungsschwierigkeit des Pächters plötzlich alles durcheinander geworfen. Da die Schwestern in ihren Gesprächen unter einander vor Hilke nicht zurückhielten, so fand sie das bestätigt, was ihr durch den Danziger über Andrees schon zugetragen war. Der alte Frems saß weinerlich bei ihr in der Küche: »Alles geht zu Ende, erst das Pferd, nun das. Wer hätte es gedacht? Der alte Herr Sterenbrink würde sich im Grabe herumdrehen.«

Hilke kümmerte es wenig. Wenn sie etwas in Zorn brachte, war es Karlas Rücksichtslosigkeit, mit der sie ihren Unmut an anderen ausließ.

»Die längste Zeit bin ich ja hier gewesen«, sagte Hilke zu Frems, »wenn alles gut geht, heiraten wir zum Sommer. Stim Kaat drängt und Mutter scheint sich ja mit abgefunden zu haben.«

Eines Sonntags, noch im Januar, fuhr unverhofft Konsul Behnke vor. »Ich wäre früher gekommen, aber eine notwendige Reise hatte es mir leider unmöglich gemacht. Wie geht es Ihnen? Ich habe mit Bedauern von dem Sturz gehört. Das Pferd ist ja zu verschmerzen. Ich bin nur froh, daß Sie keinen Schaden genommen haben. Meine Frau war so aufgeregt, als sie es hörte.«

Karla hatte sich in ihrem Zimmer eingeschlossen. Sie wollte den Konsul nicht sehen, denn sie gab ihm Schuld an den Mißhelligkeiten, die sie mit dem von ihm empfohlenen Pächter hatten.

Syrrha und Vrena klagten ihm ihr Leid.

»Kommen Sie auf einige Zeit zu uns. Meine Frau würde sich freuen und wir haben Platz genug im Haus. In Dranshop finden Sie Zerstreuung. Im übrigen wird sich die Sache mit dem Pächter schon regeln.«

»Macht, was ihr wollt«, sagte Karla, als Syrrha zu ihr ins Zimmer kam und Konsul Behnkes Einladung überbrachte, »ich habe keine Lust.«

Syrrha und Vrena packten das Notwendigste zusammen und fuhren mit dem Reeder nach Dranshop.

»In einer Woche sind wir zurück«, riefen sie, aber sie blieben bis in den Februar.

Konsul Behnke wohnte in einem der alten Patrizierhäuser in der Nähe des Hafens, in einem jener Häuser, in deren hellen Räumen schon der Kaufherr früherer Jahrhunderte in klarer Ordnung über die engen Mauern seiner verhältnismäßig kleinen Vaterstadt hinaus dachte und selbstbewußt mit der weiten Welt in Verbindung trat.

Frau Behnke hatte die Schwestern mit großer Herzlichkeit aufgenommen. Am Abend noch hatte sie von ihrem Mann die augenblickliche Verwirrung im Hause Sterenbrink erfahren, und sie tat alles, um Syrrha und Vrena den Aufenthalt so behaglich wie möglich zu machen. Das angenehmste Zimmer war den Schwestern eingeräumt worden. Von hier aus hatte man einen vielfachen Blick über die niedrigen Giebel hinweg auf den alten Kran und die geordnete Flucht der Speicher, die ihr dunkles Fachwerk und die Schräge ihrer roten Dächer dicht am Wasser aufsteigen ließen.

Die Geräusche des Hafens drangen oft bis in das Zimmer, und Syrrha konnte mit Vorliebe an dem hohen Fenster sitzen und sich Reisen ausmalen und bewegte Seefahrt.

Vrena hatte für diese bunten Gedankenspiele wenig Aufmerksamkeit. Sie konnte ihren Kopf von einer unbestimmten Angst um die Zukunft nicht frei bekommen und sie gab sich häufig ohne Widerstand einer haltlosen Lamentation hin.

Syrrha bemühte sich, ihre Bangnisse zu zerstreuen. Schließlich aber gab sie es auf, denn sie sah die Zwecklosigkeit ein. Sie zog es vor, in den freien Stunden, die ihr das gesellschaftliche Leben im Hause Behnke ließ, für sich allein Spaziergänge durch die Stadt zu unternehmen, und nachdem sie eine anfängliche Scheu überwunden hatte, liebte sie es, die Gegend um den Hafen für sich zu erforschen. Bald fühlte sie sich in diesen alten Gassen so vertraut, daß sie eines Abends glaubte, sie zu späterer Stunde ohne Gefahr noch durchstreifen zu können.

Es war ein verhältnismäßig milder Februar geworden und die Hafeneinfahrt war seit ein paar Tagen schon frei von Eis. So hatten bereits einige Dampfer am Kai angelegt, und man war noch abends dabei, die Ladung zu löschen.

Aus den Hafenkneipen erklang Musik und Lachen. Die Seeleute gingen mit dem ihnen eigenen hinschaukelnden Schritt vorbei, standen vor den kleinen Tabakläden, in deren Fensterauslagen Tonpfeifen in allen Größen aufgereiht waren, betrachteten fachmännisch ein Schiffsmodell, das wie ein Zauberwerk von einer schmalhalsigen Glasflasche umfangen war, oder die getrockneten runden Fischkörper, über deren Rücken sich ein Stachelkamm zog, und die aus gespenstischen Augen glotzten und die toten Mäuler gierig aufgeschnappt hielten, so als wäre selbst noch das Gestorbensein ein Kampf.

In diesen Schaufenstern gab es unförmige Gestalten aus Bernstein geschnitzt, Meerschaumleiber oder solche aus fremdländischen Nüssen mit Augen aus Muscheln und Barten von Seetang. Auch runde Uhren, groß wie Bratenschüsseln aus gehämmertem Goldblech, und andere, kastenförmig mit bemaltem Zifferblatt und schweren rostigen Gewichten daran. Dann gab es noch tausenderlei Firlefanz, gestickte Geldbörsen und Perlenketten für die Seemannsbräute, Ferngläser und Dosen aus Perlmutt, Aschenbecher aus Austernschalen, Seesterne und silberne Seepferdchen.

Das alles betrachtete Syrrha mit Neugier, und diese Abendstunde verging ihr wie ein Blättern in einem Kinderbuch aus billigem Papier und mit hingeklecksten Drucken, wie man es für wenige Pfennige kaufen kann, und für das sie als Kind zu fein gewesen war.

Ab und zu schrillte eine Sirene auf, war das Getöse einer Ankerkette, der Pfiff eines Hafenbootes und das Kreischen des Krans. Darüber hallte zu den halben Stunden der volle Glockenschlag von Sankt Marien.

Am Kai standen zwei Herren im Gespräch. Der eine schien der Kleidung nach der Kapitän eines der Dampfer zu sein, der andere kam Syrrha bekannt vor. Als er sich umwandte, sah sie, daß es Herr Großmeiler, der Pächter, war. Er grüßte sie etwas betroffen, brach das Gespräch ab und kam auf sie zu. Auch Syrrha war verlegen, und sie wußte zuerst nicht, wie sie sich diesem Mann gegenüber benehmen mußte, durch den soviel Verdruß über sie und ihre Schwestern gekommen war.

Herr Großmeiler hatte sich schon wieder in der Gewalt, war erstaunt, sie hier zu treffen und als geschickter Unterhalter brachte er sie beide schnell über das erste unangenehme Gefühl hinweg. Er kannte die Hafenstraßen genau, und Syrrha mußte sich bald eingestehen, daß sie plötzlich doch erfreut war, nun unter männlichem Schutz das Treiben in der Hafengegend unbesorgter genießen zu können.

Es war schon ziemlich spät, als sie auf Herrn Großmeilers Vorschlag eine der Schifferkneipen besuchten. Der Pächter schien dort gut bekannt zu sein. Die Wirtin, eine korpulente Frau mit blendend weißer Schürze und gewaltigen Ohrringen, begrüßte ihn mit einem herzhaften Schlag auf die Schulter, zwinkerte Syrrha zu und brachte sie an einen Ecktisch, über dem kleine Lampions schwebten und an Schnüren ein präparierter Tintenfisch von der Decke herabhing.

Die Wirtin stellte zwei leuchtendrote Liköre vor sie hin.

Der Raum war bald bis auf den letzten Platz gefüllt. Man redete, lachte und sang durcheinander. Es war ein Tumult, der immer wie Wellen anschwoll, sich über die Tische wälzte, abflutete und wieder von neuem aufquoll.

Syrrha, ungewohnt eines solchen Treibens, war ganz benommen. Sie brachte es nicht fertig, diesen fremden Eindruck in Einzelheiten aufzunehmen. Sie sah nur ein großes wogendes Bild, eine Vielfalt von Körpern und Gebärden, die sich wie die Steine und Sternchen eines Kaleidoskops immer wieder zu neuen Bildern verwirrend ineinander schoben.

Einzig die füllige Gestalt der Wirtin, die bald mit Gläsern durch den Raum ging, bald die hingeworfenen Geldstücke achtlos in die tiefe Tasche ihrer Schürze steckte, erschien ihr wie ein über Qualm und Lärm ruhig hinwandelnder Mond.

An einem der mittleren Tische saß Hede Lorm mit dem Danziger. Rode Harms hatte einen Schuppen auf der Speicherinsel am Hafen gemietet, und die beiden waren hingeschickt, um zusammen mit Per Stieven den Lagerraum herzurichten.

Kog und Hede Lorm wollten sich noch ein Stündchen gütlich tun, ehe sie nach Börshoop zurückfuhren. Stieven hatte keine Lust gehabt und war bei Pferd und Wagen im Speicher geblieben.

In dem Wirrwarr hatte Syrrha die beiden nicht bemerkt. Aber der Danziger stieß plötzlich Hede Lorm an und machte sie auf das Fräulein Sterenbrink aufmerksam.

»Sieh einer an, das Fräulein amüsiert sich! Das ist doch Großmeiler da bei ihr, der noble Herr. Ich denke, sie sind mit ihm über den Span. Frems hat doch neulich sowas getuschelt, als er Fische holte. Da werd einer schlau draus.«

»Was geht das uns an, Kog? Sie will sich den Betrieb hier auch mal ansehen«, unterbrach ihn Hede.

»Hast recht! Wenn der Teufel tanzen will, geht er nach Dranshop. Mutter, noch zwei Ingwer und dann Kasse!«

Er hatte sich eine Zigarre angezündet und gab sich Mühe, nicht nach dem anderen Tisch zu sehen, aber zuweilen juckte es ihn doch, und er blinzelte neugierig hinüber.

»Wir wollen zahlen, Herr Großmeiler«, sagte Syrrha. Sie hatte nach der Uhr geblickt und festgestellt, daß es schon zehn Uhr durch war. Auch entstand an dem Schanktisch eine Rempelei zwischen zwei Matrosen, die ihr unbehaglich wurde.

»Hoffentlich denken Sie an den Abend mit Vergnügen zurück«, sagte der Pächter und lächelte. »Wenn Sie noch einmal Lust haben zu einem solchen Ausflug in die blaue Seemannswelt, stehe ich gern zur Verfügung. Ich wohne im Dranshoper Hof. Mein Aufenthalt hier ist aus besonderen Gründen notwendig geworden.«

Er geleitete sie vorsichtig durch das Lokal und richtete es so ein, daß sie mit den sich stoßenden und drängenden Menschen nicht in Berührung kam.

Vrena schlief schon, als die Schwester nach Hause kam und Syrrha verschwieg ihr das Zusammensein mit dem Pächter, weil sie neue Auseinandersetzungen fürchtete. Am Mittag erhielten sie einen Brief von Karla. Sie lasen, daß Großmeiler seinen Verpflichtungen noch immer nicht nachgekommen war, und sein Versprechen, bis Mitte Februar Geld heranzuschaffen, nicht gehalten hatte. Karla war sehr aufgeregt darüber, denn sie waren auf diese Pachtsumme angewiesen, und die kleinen Reserven, die man hatte, reichten nicht zu dem Leben, wie es die Schwestern noch immer gewöhnt waren. Karla machte ihnen auch Vorwürfe, daß sie länger als verabredet in Dranshop blieben, sich dort amüsierten, und alles Schwierige ihr allein überließen. Vrena weinte: »Wir müssen sofort zurückkehren. Es muß doch irgendetwas geschehen. Wir müssen uns das alles mit Karla zusammen überlegen, oder was meinst du, sollen wir Konsul Behnke um Rat fragen?«

Syrrha tat so, als fiele es ihr auf einmal ein, daß sie gestern im Vorübergehen Herrn Grozmeiler von weitem gesehen hätte: »Er wird in Dranshop sein, um das Geld zu beschaffen, nehme ich an. Laß uns noch ein oder zwei Tage warten. Es wird sich schon alles zum Guten wenden. Irgendwelche Maßnahmen mit Konsul Behnke zu besprechen, hätte doch wohl so lange noch Zeit.«

Vrena gab sich damit schneller zufrieden, als Syrrha angenommen hatte. Sie war wohl froh, daß die peinliche Angelegenheit wieder etwas herausgeschoben wurde.

Nach dem Essen schützte Syrrha eine Besorgung vor und ging in die Stadt. ›Ich werde einmal mit Herrn Großmeiler offen sprechen‹, hatte sie sich überlegt. ›Er hat gestern gar keinen üblen Eindruck auf mich gemacht. Er ist ein galanter Mann, und wenn er hört, daß wir durch ihn in eine große Verlegenheit gekommen sind, wird er bestimmt alles tun, um die Angelegenheit ins Reine zu bringen. Wahrscheinlich nimmt er an, daß wir so gestellt sind, um nicht auf sein Geld warten zu brauchen.‹ Diese Gedanken hatten sie ganz zuversichtlich gemacht, und sie sah alles schon wieder in bester Ordnung.

Im »Dranshoper Hof« fragte sie den Hotelportier nach Herrn Großmeiler.

»Der Herr ist mit dem schwedischen Dampfer heute früh abgefahren. Fritz mußte die Koffer an Bord schaffen.«

»Koffer?« fragte Syrrha erschrocken.

»Ja. – Fritz! Wieviel Koffer waren es?«

»Fünf!« kam eine Stimme aus dem Hintergrund.

»Fünf, meine Dame«, wiederholte der Portier. Syrrha sagte fassungslos: »Wohin fährt der Dampfer?«

»Fritz, wohin fahrt der Schwede?« rief der Portier.

»Mit Eisen nach Lissabon, Rückfracht Orangen«, klang es zurück.

»Nach Lissabon, meine Dame, mit Eisen hin und zurück mit Orangen.«

Syrrha lehnte sich an die Bank. »Aber dann ist es doch gar kein Passagierdampfer?«

»Der Herr wird den Kapitän kennen«, meinte der Portier. Er ordnete gleichmütig die Briefschaften weiter.

»Danke«, sagte Syrrha und ging langsam fort.

»Wir wollen doch heute schon fahren«, bat sie Vrena.

»Schade«, antwortete Vrena, »ich hatte gedacht, wir würden heute abend ins Theater gehen.«

»Ich glaube, es ist doch besser, wenn wir mit Karla alles bald besprechen würden. Laß uns lieber abfahren.«

»Hast du denn eine böse Ahnung?« erkundigte sich Vrena ängstlich, »du warst doch heute vormittag noch ganz zuversichtlich.«

Syrrha sagte leise: »Nein nein«, aber sie ging hinaus, damit Vrena nicht sah, daß sie weinte.

Frau Konsul Behnke war überrascht, als die Schwestern unerwartet um den Wagen baten.

»Gefällt es Ihnen nicht mehr hier?« fragte sie zuredend, »bleiben Sie doch noch. Was wird mein Mann zu Ihrer plötzlichen Abreise sagen, wenn er morgen zurückkommt, oder haben Sie eine schlechte Nachricht bekommen?«

»Karla fühlt sich nicht wohl«, sagte Vrena. Frau Behnke sah es den Schwestern an, daß etwas sie bedrückte, und drang nicht weiter in sie.

»Mein Mann wird es sich nicht nehmen lassen, bald in Börshoop nach Ihnen zu sehen«, sagte sie noch teilnahmsvoll beim Abschied.

Als sie in dem Haus auf der Rowen Düne ankamen, war alles in Aufregung. Frems kam mit verstörtem Gesicht an den Wagen, um die Koffer fortzuschaffen. Ein paar Gutsarbeiter drückten sich auf dem Hof herum und aus dem Hause hörte man Karlas erregte Stimme.

»Was ist geschehen?« fragte Vrena erschrocken. Frems sah Syrrha an und sagte: »Der Pächter ist fort. Er hat alles mitgenommen, auch die Wirtschaftsbücher sind verschwunden. Eben sind die Leute vom Gut gekommen. Der Oberschweizer ist gerade bei Fräulein Karla.«

Syrrha hatte Vrenas Arm gepackt. Sie zitterte heftig. Vrena machte sich los und lief weinend ins Haus. –

Der Danziger hatte den Mund nicht halten können. Als Frems am Vormittag mit einer Besorgung gekommen war, nahm ihn Kog beiseite:

»Mit dem Pächter scheint ja alles wieder in Ordnung zu sein, wo doch Fräulein Syrrha gestern mit ihm im ›Thunfisch‹ gesessen hat. Ich denke, ich traue meinen Augen nicht, sitzen die beiden da, als wäre nichts vorgefallen. Wo man doch weiß, wie er das Gut runterwirtschaftet. Aber den Fräuleins scheints wohl nichts zu machen. Wenn keine feste Hand da ist, gehn die Pferde durch.«

Frems war verdutzt und ließ sich alles berichten. Er erzählte es Hilke, während sie das Mittagessen bereitete. Er ging in der Küche auf und ab, hatte die Hände auf den Rücken gelegt und schüttelte den Kopf. Seit beinahe fünfzig Jahren war er bei den Sterenbrinks. Als Zehnjähriger hatte er die Kühe mit gehütet, dann war er Pferdejunge geworden, und da der alte Herr Sterenbrink ihn seiner offenen Art wegen gern hatte, wurden ihm schon früh die Kutschpferde anvertraut. Er hatte die Schwestern Sterenbrink zur Taufe in die Kirche von Bögerlant gefahren, Karla im Schlitten, denn sie war im November geboren und es war ein harter Winter gewesen, Syrrha in der offenen Kalesche, es war im Juni, die Kastanien vor dem Gutshause blühten, und Frau Sterenbrink hatte eine große Tafel im Garten decken lassen. Zu Vrenas Tauffahrt hatte er den geschlossenen Landauer nehmen müssen, der August damals war mit Regengüssen gekommen, und man hatte Sorge gehabt um das Hereinbringen der Ernte. Später hatte er den alten Herrn Sterenbrink zu der letzten Operation nach Dranshop gefahren. Es war eine traurige Fahrt geworden, denn man wußte, daß es wohl ein Abschied sein würde. Und wieder später mußte er Frau Sterenbrink oft in dem alten Jagdwagen über die Felder fahren, und da sie in der ersten Zeit vielfach ratlos vor ihren neuen Pflichten war, hatte sie sich mit mancher Frage an Frems gewandt, von dem sie wußte, daß ihm jede Gutsarbeit bekannt war und daß ihr Mann Vertrauen zu ihm gehabt hatte.

Nun stand der alte Kutscher verzagt vor Hilke: »Was soll werden? Ich traue dem Großmeiler nicht. Wenn er bloß die Fräuleins nicht beschwatzt. Er hat eine kluge Art zu reden. Wenn doch wenigstens eine Vertrauen zu einem hätte. Man ist doch fast seine vierzig Jahre älter und hat doch mancherlei Erfahrung mit Menschen. Es ist traurig für einen, wenn man so dabeistehen muß und sieht, wie alles kommt und kann nichts ändern. Hilke – « sagte er – »sag das Fräulein Karla auf geschickte Art. Auf dich hört sie vielleicht, weil sie froh sind, daß solche tüchtige Person wie du bei ihnen aushält. Ich bin ja schon alt und tauge für sie nichts mehr.«

Hilke war vorsichtig genug, nicht mit der Tür ins Haus zu fallen. Man wußte auch nicht, wieviel an dem Geschwätz sein konnte. So sagte sie nur zu Karla, als sie das Essen servierte: »Gestern hat Herr Großmeiler ja Fräulein Syrrha gesprochen.«

»Wieso, woher weißt du das?« fragte Karla.

»Man hat sie in Dranshop zusammen gesehen. Kog hat es erzählt.« Hilke wartete darauf, daß Karla weiter fragen würde, aber Karla begnügte sich mit dieser Nachricht. Vielleicht hat der Pächter nähere Aufklärung gegeben, vielleicht hat er das Geld schon in Dranshop besorgt, dachte sie, dann wäre ja mein Brief an Syrrha und Vrena ganz überflüssig gewesen. Dieser Gedanke bestärkte sich bei ihr, so daß sie am Nachmittag nach langer Zeit wieder zugänglicher wurde, nach dem Pferd sah und Frems einige Anweisungen für die Neugestaltung des Gartens für das kommende Frühjahr gab. Frems war verwundert, aber doch erfreut und beeilte sich, einige Vorschläge hinzuzutun. So standen sie beide im Garten im Gespräch, als der Oberschweizer aufgeregt ankam, hinter sich einige Gutsarbeiter, die heftig redeten und gestikulierten.

Die Kunde von der Flucht des Pächters traf sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sie rief Hilke und forschte sie nach ihrer Andeutung von vorhin aus. Frems mußte alles haarklein erzählen, was er von dem Danziger gehört hatte. Er versuchte anfangs, es zu mildern, verwickelte sich aber in Widersprüche und brachte schließlich Wort für Wort so vor, wie Kog es berichtet hatte. Karla ließ Hilke und Frems stehen, lief in ihr Zimmer. Der Oberschweizer stand unschlüssig herum.

»Was soll denn nun hier werden. Da läßt sie einen hier stehen und läuft weg. An wen soll man sich denn nun wenden? Das muß doch alles seinen Gang haben.«

Schließlich, des Wartens überdrüssig, war er in das Haus gegangen und hatte resolut an Karlas Tür geklopft.

»Was ist denn nun schon wieder?« schrie sie, aber er ging furchtlos hinein.

 


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