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Am nächsten Tage ist Jöken Mürk kleinlaut. Er rührt sich nicht aus der Stube. Er schlägt vor Wine die Augen nieder und antwortet nicht, wenn sie versucht, ihm ein gutes Wort zu sagen.

So geht das ein paar Tage. Dann, eines Nachmittags, ist Jöken Mürk unterwegs nach Bögerlant. Da liegt einer auf dem Kirchhof, der viele Pferde im Stall hatte, einer, ders mit den Pfarrherren aufgenommen hat und mit den Sterenbrinks. Ein großer Herr, Admiral wohl gar, Admiral von Dranshop, aber auch ein Mürk wie man selber. Man wird vor ihn hintreten. Man will sich alles einmal von der Seele reden. ›Hier steht der Kaptän Mürk, ein Hundsfott, ein Nichtsnutz, ein Großmaul. Er wollte den Feind zerstören, aber er hat besoffen auf der Straße gelegen. Was sagst du zu ihm, Admiral?‹

›Der Kaptän Mürk ist ein Hundsfott gewesen und ein Großmaul, aber wir Menschen sind alle eines erbärmlichen Geschlechts. Es soll noch einmal mit ihm versucht werden.« – ›Zu Befehl, Admiral.‹

Kaptän Mürk steht an der Kirchhofspforte, aber er wagt sich nicht hinein. Er hat Angst vor dem Admiral, vor dem Ahnen, der auf einem Schimmel durch das Land geritten ist.

Man ist jämmerlicher, als man dachte, sagt Jöken Mürk, man ist ein verprügelter Hund.

Er geht nicht durch die Kirchhofspforte, er kehrt niedergeschlagen um.

»Wie ists mit 'nem Gläschen?« ruft einer lachend, »ihr wart ja neulich tüchtig in Fahrt!«

Es ist der Danziger, der jetzt neben Jöken Mürk geht.

Er braucht dem Alten nicht lange zuzureden.

»Man hat keine Ehre«, sagt der, »ein Kaptän ohne Ehre ist ein Strohwisch. Der Strohwisch soll brennen.«

»Wir wollen ihn schon löschen«, lacht Kog, »prost, Alter!«

Sie trinken. Sie trinken bis zum Abend, dann schwankt Jöken Mürk nach Haus.

Von diesem Tage an sitzt er oft bei Drüsel. Er steckt sich heimlich ein paar Groschen ein von Wines Geld. Er nimmt auch heimlich von den Fischen, die Hannes Lietz im Hause unterstellt und verkauft sie billig beim Bauer.

Die Groschenstücke klappern in der Tasche.

»Wir wollen Schnaps dafür trinken«, sagt Jöken Mürk, »der Strohwisch muß gelöscht werden. So oder so, man hat keine Ehre.«

Er wird auch von diesem oder jenem bei Drüsel traktiert. Man hat seinen Spaß mit ihm, wenn der Schnaps anfangt, ihm zu Kopf zu steigen.

»Wer ist man?« schreit er, »Kaptän Mürk! Platz da, Feuer! Die Lumpen sollen brennen!« – oder er winselt: »Du bist ein Nichtsnutz, Kaptän, ein erbärmlicher Wicht. Kein bißchen Ehre im Leibe. Ich schäm mich, dein Admiral zu sein.«

Wenn Jöken Mürk jetzt durch Börshoop torkelt, lacht man über ihn, und die Kinder spotten. Er hat sich Löcher in die Ärmel gerissen und die Mütze sitzt ihm schief auf dem Kopf.

Wine ist unglücklich darüber. Sie hat gemerkt, daß er von ihrem Geld nimmt und von den Fischen verkauft, die Hannes Lietz gehören. Sie schämt sich über ihren Großvater. Sie hat vergebens versucht auf ihn einzureden. »Geh zum Admiral«, hat er gesagt, »frag ihn, wer man ist. Ein Lump, nichts weiter. Daran kann keiner was ändern.«

Wine war verstört zu Hilke gelaufen.

»Er redet schon irr«, klagte sie, »was soll das bloß werden? Ich kanns doch Hannes nicht antun, daß er in so eine Familie hineinheiratet. Man lacht über uns. Und wer weiß, was er noch anrichtet!«

»Du mußt mehr im Haus sein und ihn nicht aus den Augen lassen«, sagte Hilke, »manchmal ist das nur eine Zeit, er war doch bisher ganz vernünftig.«

Wine gab ihren Dienst bei Syrrha auf und ging nur noch ein paar Stunden tagsüber zu ihr. Sie sah zu, daß sie Arbeit ins Haus bekam. Sie holte sich Wäsche zum Flicken von den Bauersfrauen. Es war nun knapper mit dem Geld bestellt. Trotz aller Aufsicht wußte der Alte ihr doch oft ein Schnippchen zu schlagen. Wenn sie aus dem Hause war, machte er sich auf den Weg zu Drüsel.

Als Wine einsah, daß nichts half, sprach sie mit Hannes Lietz. Sie hatten die Absicht bald zu heiraten, aber nun weigerte sich Wine. Sie weinte und war selbst untröstlich darüber, aber sie blieb doch dabei, daß sie es Hannes Lietz nicht zumuten könnte, ein Mädchen zu heiraten, dessen Großvater ein Trunkenbold wäre.

»Wenn du auch sagst, daß uns das nichts angeht, später wirfst du es mir doch mal vor, und es bringt Unfrieden. Laß uns wenigstens warten, bis wir sehen, was mit dem Alten wird.«

Hannes Lietz bestand auf der Hochzeit. Er hatte sich in Gedanken schon zu sehr hineingelebt, um nun das alles, was er sich ausgemalt hatte, in ungewisse Ferne gerückt zu sehen. Er beschwerte sich bei Hilke. Aber Hilke gab Wine recht.

»Ich weiß es von Martha her, wie das ist, wenn man das Haus, aus dem die Frau kommt, nicht für voll nehmen kann. Du meinst es bestimmt gut, das glaub ich, doch gibts immer mal ein Zerwürfnis und dann ist ein Wort schnell gesagt.«

»Wenns so ist«, sagte Hannes Lietz ärgerlich, »dann kann ich mir das Leben leichter machen. Da fahr ich lieber für Rode Harms gegen Lohn. Ich hab mich gefreut, was Eigenes zu haben, aber wenn Wine nicht will, ich brauchs nicht.«

»Red nicht so dummes Zeug«, sagte Hilke, »du machst es doch nicht wahr. Wozu erst solche Worte.«

Hannes Lietz wurde eigensinnig:

»Ihr werdets sehen, ich geh noch heute zu ihm.«

Er hatte die Worte zuerst nur im Ärger hingeredet, aber jetzt dachte er, daß die Drohung, das Eigene aufzugeben, Wine vielleicht bestimmen würde. Er ging zu Rode Harms, um die Angelegenheit zu besprechen.

Rode Harms war erstaunt:

»Ich denke, ihr wollt heiraten, darum wolltest du doch immer auf eigenen Füßen stehen.«

Hannes Lietz machte Ausflüchte.

»Du kannst offen mit mir sprechen«, sagte Rode Harms, »euch in Börshoop ist schwer beizukommen. Ich bin doch selber hier geboren, da könnt ihr doch Vertrauen haben.«

Hannes Lietz druckste noch ein Weilchen herum, dann meinte er:

»Vielleicht ist es gut, wenn man mal darüber spricht. Sie haben ja auch Ihre Erfahrung, da könnten Sie vielleicht einen Rat für unsereins haben.«

Er erzählte nun Rode Harms, aus welchem Grunde Wine sich weigerte, zu heiraten.

»Das wußte ich gar nicht, was du mir da erzählst«, sagte Rode Harms betroffen, »ich kenne doch den alten Mürk genau. Man hat doch nie so etwas über ihn gehört. Wer weiß, was da bei ihm nicht stimmt. Ich will einmal mit ihm reden.«

»Wenn Sie das tun wollten«, sagte Hannes Lietz, »wärs ein Verdienst. Dann lassen wir das andere bis dahin noch unbesprochen.«

»Überlegs dir genau«, antwortete Rode Harms, »daß es dir nachher auch nicht leid wird. Ich glaube auch, daß wir alles wieder zurecht kriegen.«

Einige Tage darauf war Jöken Mürk gerade dabei, Fische in einen Korb zu packen, als Rode Harms hereinkam.

»Ich muß doch mal sehen, wie es euch geht«, sagte er, »wir haben uns so lange nicht gesprochen. Jeder hat seine Arbeit und da bleibt das. Du hättest auch mal zu mir kommen können. Ich wohne doch nicht aus der Welt.«

Jöken Mürk hatte den Korb mit den Fischen hastig hingestellt. Er stand sprachlos da und starrte Rode Harms an.

›Hörst dus, Kaptän, da ist jemand gekommen, der dich besuchen will. Ein reputierlicher Mensch ist es, der nach dir fragt, ein Mann, der was gilt und der seine Ehre hat. Er kommt geradenwegs und ohne zu mucken in das Haus. Kann man da so ein Lüderjan sein, wie man gedacht hat? Wenns so wär, würde der nicht seine Füße hier abtreten.‹

Jöken Mürk holt einen Stuhl herbei und wischt mit dem Rockärmel über den Sitz.

»Du bists also wirklich, Rode Harms! Das hätte mir einer noch vorhin sagen sollen. Nicht mal das linke Auge hat mir gejuckt. Du bist also da und willst mal nach dem alten Mürk sehen. Ja, das geht so, wies geht. Wenns besser wär, könnt mans auch noch ertragen. Ich hätt schon mal bei dir mit vorgesprochen, aber man will nicht stören. Man hat lieber zehn lästige Fliegen an der Wand, als eine auf der Nase.«

Rode Harms hatte sich nicht gesetzt.

»Du wirst mir doch nicht die Ruhe mitnehmen wollen«, fuhr Jöken fort, »nimm Platz. Wir können ein bißchen schwatzen. Dazu bist du doch wohl gekommen.«

»Ich hatte am See zu tun«, sagte Rode Harms, »und wollte nur einen Augenblick mit hereinsehen. Sie warten auch auf mich in der Räucherei, aber wenn du mich ein Stück bringen willst, könnten wir noch etwas erzählen.«

Jöken Mürks stand verlegen da.

»Ich bin alt und klütrig geworden. Es würde dir wenig Ehre machen am hellichten Tag mit mir. Du meinst es gut, Rode Harms, aber man lacht jetzt über Kaptän Mürk, das weißt du wohl nicht. Man ist an den Strand geworfen und nun kommen die Krähen. Ich will dich abends mal besuchen.«

Rode Harms ließ nicht locker. Der alte Mürk tat ihm herzlich leid. Auf die Andeutungen von Hannes Lietz hin hatte er sich nach dem Kaptän erkundigt. Drüsel wußte genug. »Es ist ein Jammer mit dem Alten«, hatte er gesagt, »ich habs manchmal schon den anderen unter die Nase gerieben, wenn sie so ihren Spaß mit ihm hatten, aber man kann sich die Kundschaft nicht verscherzen.«

Rode Harms sah den alten Mürk an. Drüsel hatte recht. Der Alte war in der letzten Zeit recht klapprig geworden. Auch schien er nicht mehr so viel auf sich zu geben. Rode Harms drückte ihm die Mütze in die Hand.

»Du wirst auf deine alten Tage noch ein Spaßvogel«, sagte er gutmütig, »kein Mensch lacht in Börshoop über dich.«

Rode Harms ging voran und Jöken Mürk schlich wie ein scheuer Hund hinter ihm her.

Auf der Straße blieb Rode Harms stehen.

»Jetzt wirst du mir mal erzählen, wie weit das mit Wines Hochzeit ist.«

Sie gingen neben einander. Der alte Kaptän gab sich Mühe grade zu gehen und blies zuweilen ein paar Staubkörner von seinem Rock. Er kam langsam ins Schwatzen. Er lobte Wine und hielt Hannes Lietz für den tüchtigsten Fischer, den es unter Gottes Sonne gäbe.

»Man sollte es ihnen mit der Heirat nicht schwer machen«, sagte Rode Harms.

»I, das macht keiner«, antwortete Jöken Mürk, »er bekäms mit mir zu tun.«

Rode Harms sah ihn lächelnd an. Dann sagte er ernst:

»Wir müssen einmal offen mit einander reden. Ich habe gehört, daß Wine die Hochzeit hinausschieben will.«

»Das soll sie sich nicht einfallen lassen«, trumpfte Jöken Mürk auf.

»Ich weiß es aber«, fuhr Rode Harms fort, »du hast in der letzten Zeit oft bei Drüsel gesessen. Kaptän Mürk soll jetzt gern sein Fäßchen Rum laden. Das macht Wine Kopfschmerzen.«

»Nun hat mans dir doch erzählt«, sagte Jöken Mürk kleinlaut, »ich habs schon gedacht. Man hat keine Ehre mehr, Rode Harms. Da geht nun der Saufsack Mürk. Fahr zur Hölle, hat der Admiral gesagt. Er weiß Bescheid. Was soll man tun? Da sind einem die Planken unter den Beinen weggezogen. Nun gehts ans Versaufen.«

»Ich muß mich schämen, daß du mich mal auf den Knien gehabt hast«, antwortete Rode Harms. »Ich hab gedacht, Kaptän Mürk wärs gewesen, bei dem ich als Junge gesessen hab. Aber nun seh ich, daß es gar kein Kaptän war, sondern bloß ein Süßwassermatrose, der beim Sturm den Kopf verliert.«

Jöken Mürk stand einen Augenblick vertattert.

»So spricht man also jetzt mit dem Kaptän! Du redst akkurat wie der Admiral. Du kennst ihn nicht. Man weiß nicht, wie er geheißen hat, aber er war auch ein Mürk. Das ist gewiß.«

»Was hast du dir da für Flausen mit deinem Admiral in den Kopf gesetzt«, sagte Rode Harms ärgerlich. »Hör lieber auf das, was Wine sagt.«

»Du läßt nichts gelten«, antwortete Jöken Mürk niedergedrückt. Er schüttelte nachdenklich den Kopf und bewegte die Hände in lautlosem Selbstgespräch.

Sie gingen schweigend bis zur Räucherei.

»Willst du mit hereinkommen?« fragte Rode Harms.

»Wir sind schon da?« fuhr Jöken Mürk hoch, »ich besuch dich ein andermal. Das war ein harter Brocken mit dem süßen Wasser. Du meinst, der Kaptän taugt nichts. Da muß man also das Schiff wieder flottkriegen.«

Er raffte sich zusammen, legte die Hand an die Mütze und ging mit steifen eckigen Schritten zurück nach dem Dorf.

Steppe kam ihm entgegen und wollte ihn mit zu Drüsel schleppen. Aber Jöken Mürk ging wortlos an ihm vorbei.

»Was ist dir in den Kopf gefahren«, rief Steppe hinter ihm her.

Zu Hause erzählte ihm seine Frau, daß sie Jöken Mürk mit Rode Harms gesehen hätte.

»Das also hat sich dem Alten gleich in die Krone gesetzt«, lachte Steppe.

Es war in den kalten rauhen Tagen, die lange Abende hatten, an denen man sich gern zusammensetzte. Es gab auch manche Neuigkeit, die in Börshoop besprochen und überlegt werden mußte. Die Heirat zwischen Per Stieven und Hede Lorm sollte nun wahr werden. Man wunderte sich darüber und hatte Bedenken. Frau Holwe glaubte es sogar gut zu meinen, wenn sie Per Stieven im letzten Augenblick noch warnte.

»Man soll kein flattriges Huhn zum alten Hahn setzen, du brauchst was Bedachtsames, wenn du schon auf solchen Einfall kommst. Sie bringt dir nichts ins Haus und trägt dir bloß die Ruhe weg. Du weißt auch, daß sie keine gute Nachrede hat. Mich gehts ja nichts an, aber wo wir schon so lange mit einander auf gutem Fuß stehen, darf man sich wohl mal ein Wort erlauben. Eine Dummheit ist leicht gemacht, aber man braucht lange, um sie auszulöffeln.«

»Ich hab euch nicht drum gefragt. Du kannst dein Geschwätz wo anders hintragen«, ließ Per Stieven sie stehen.

Frau Holwe war wütend darüber und brachte nun allerhand dummes Zeug auch über Alma auf.

»Das ist alles ein Kaliber«, redete sie herum, »das Mädchen hat sich jetzt auch schon wie eine Prinzessin. Sie nimmt sich alles von der Sterenbrink an. Eines Tags wird sie für den Vater zu fein sein, aber er hat ja keine Augen im Kopf.«

Gewöhnlich gab man nicht viel auf Frau Holwes Worte, aber die Stunden sind lang und eintönig in Börshoop, wenn der Winter weiß vor den Fenstern steht, und man ist nicht verstimmt, wenn eine Unterhaltung ins Haus gebracht wird. Man nimmt nicht weiter ernst, doch läßt man sich gern darüber aus.

Es war nicht nur Per Stieven, der zu denken gab. Auch von Rode Harms hörte man manches, worüber man den Kopf schütteln mußte. Jöken Mürk kam jetzt täglich zu ihm in die Räucherei und tat so, als wäre er da zu Hause. Manchmal saßen sie auch bei Drüsel zusammen, und es kam Rode Harms nicht darauf an, auch diesen oder jenen Fischer an den Tisch zu holen. Im vorigen Jahre war noch oft aus Dranshop Besuch zu ihm gekommen, besonders wenn Schnee lag und man im Schlitten über das Land fahren konnte. Solche geselligen Tage waren von Vrena ausgegangen. Sie hatte versucht, das bunte Leben aus dem Haus auf der Rowen Düne in das ernste Haus von Rode Harms zu tragen. In diesem Winter war sie meistens in Dranshop bei Karla. Es verstimmte sie, daß Rode Harms sich ihrer Meinung nach zuviel mit den Fischern abgab.

»Du gehst nach Börshoop zurück, anstatt nach Dranshop zu wachsen«, hatte sie ihm vorgeworfen. »Du weißt ganz genau, wieviel Konsul Behnke und die anderen von dir halten, aber dir scheint es ja lieber zu sein, daß man im Dorfe anfängt, dich zu duzen. Ich habe keinen sonderlichen Ehrgeiz, aber um neben einem Börshooper Fischer zu versauern, bin ich mir doch zu schade.«

Alma hatte zu Hause erzählt, daß Vrena wieder nach Dranshop gefahren wäre. »Sonst hat sie immer nur einen Koffer mitgenommen, aber diesmal reichten kaum drei. Es sieht gar nicht so aus, als ob sie wiederkäme.«

An einem Abend, als Hilke und Wine bei Hede Lorm waren, sprach man darüber. Sie bedauerten Rode Harms Wine und Hannes Lietz hielten jetzt große Stücke auf ihn, weil er sich mit vieler Herzlichkeit des Großvaters annahm.

»Er ist nicht wieder betrunken nach Haus gekommen«, sagte Wine, »auch die andern lassen ihn jetzt in Ruh. Er scheint wieder klar im Kopf zu werden. Wenns keinen Rückschlag gibt, wollen wir nun doch heiraten.«

»Das wäre schon gut, wenns mit dem Alten in Ordnung bliebe und ihr endlich heiraten könntet«, sagte Hilke. »Es war schon ein Elend mit Hannes Lietz. Den ganzen Tag nörgelte er deinetwegen bei uns herum. Stim Kaat hat sich oft über ihn geärgert. Er wollte doch tatsächlich bei Rode Harms in Stellung gehen, aus purem Eigensinn. Wir sollten ihm seinen Anteil am Boot abkaufen. Ihr könnt euch denken, wie Stim Kaat da gewettert hat. Woher sollten wir denn jetzt Geld kriegen? Seit Pudmar tot ist, hat sich Martha mit jedem Pfennig. Sie denkt bloß an das Kind, das unterwegs ist. Jedes zweite Wort bei ihr ist: Pudmar wills so. Weiß der Himmel, was ihr in den Sinn gekommen ist. Früher hat sie bei Pudmar hintenan stehen müssen, und jetzt tut sie, als war in ihrer Ehe alles ein Ei und ein Kuchen gewesen.«

Nach Pudmars Tode war Martha kaum noch zu Hilke gekommen. Vordem hatte sie öfter mal nach Öllerke gesehen, der jetzt schon auf dem Boden herumrutschte und alles in Gefahr brachte, was er in die Hände bekam. Sie hatte sich auch oft um Mole Deep gekümmert, die ihr Leben zwischen Lehnstuhl und Bett hindämmerte.

Jetzt gab es bei Martha nur noch Gedanken für das Kind, das sie im Schoß trug.

Es war Pudmars Vermächtnis, die Wurzel, die ihn über seinen vorzeitigen Tod hinaus wieder mit dem Leben verkettete. Martha sah in den Worten, die Pudmar vor seinem Weggang ihr hingeflüstert hatte, mehr als ein letztes Erkennen. Dieses »Da bist du« schien ihr noch einmal die Jahre ihres gemeinsamen Lebens zusammenzufassen. Sie glaubte nun zu wissen, daß sie für Pudmar mehr als je gedacht bedeutet hatte und daß man wohl einer zuversichtlichen Liebe hätte leben können, wenn es ihnen von Natur aus vergönnt gewesen wäre, ihre Herzen vor einander rechtzeitig aufzutun. Die Schwere ihres Gefühls und die Herbheit ihres Herzens hatten wie ein Bollwerk gegen ein freundliches Leben gestanden. Nun hatten die letzten Worte des Sterbenden diese Wälle geebnet und diese Mauer eingerissen. Es war ein weites übersehbares Land, dieses Leben, das nun für Martha aus Pudmars Sterben wuchs. Sie wußte nicht, was Kiek Möns gehört hatte. Sie wußte nicht, daß er mit diesem »Da bist du« die andere meinte, die ihm im Tode vorausgegangen war, die reiche Marie Hingsten, die alle Vorzüge eines alten angesehenen Bauerngeschlechts dem Kinde würde vererbt haben, das sie nicht mehr zur Welt bringen durfte. Den ersten Gruß, den der Sterbende der Toten gab, hatte die Lebende für sich genommen. Es war ein gütiger Irrtum, der Marthas Leben beeinflußte. Er gab ihr Halt und Würde und ihrem Leben einen größeren Inhalt. Sie zweifelte nicht daran, daß das Kind, das aus ihr zur Welt kommen sollte, ein Sohn sein würde, für den sie alle Ehre und alle Wohlhabenheit bereitstellen wollte, die Pudmar zeitlebens erstrebt hatte.

Über den Ungeborenen vergaß sie das schon Geborene. Sie hatte kaum noch Augen für Mariechen, die diese Lieblosigkeit empfand und sich scheu zu den Mädchen hielt. Sie war blasser und schmächtiger geworden, und Kiek Möns, zu der sie ab und zu hinüber lief, begann für das Leben des Kindes zu fürchten.

Manchmal gingen sie zusammen nach dem Kirchhof, weil Mariechen gern Blumen auf das Grab ihres Vaters brachte. Sie vermißte ihn nicht sonderlich. Er hatte ja nur selten für sie ein Wort gehabt. Es war mehr eine angenehme Pflicht, die das Kind wichtig nahm und der es mit einem altklugen Ernst nachkam.

Einmal beobachtete es, daß die Alte hastig etwas in die Erde des Hügels steckte. Es war eine stählerne Messerklinge. Kiek Möns fuhr Mariechen unwirsch an, als sie danach fragte. Dann aber tat ihr das verstörte Kind leid, das schon wenig Licht im Leben hatte. Sie nahm es dicht an ihre Seite und belehrte es, daß es gut wäre, ein spitzes Eisen oder einen scharfen Stahl zu Häupten des Toten zu stecken, auf daß der Tod nicht weiter wüchse.

»Man hat früher mehr auf die Toten achtgegeben«, sagte sie erklärend, »es geht vieles von ihnen aus. Was wir leben, ist nur eine kurze Spanne, aber was wir sterben, ist eine Ewigkeit, und nur das Ewige ist ohne Vergängnis. Trotzdem lassen wir das Leben nicht gern aus den Augen und jeder sieht zu, daß ers nicht zu schnell abwandelt.«

Mariechen begriff nicht, was Kiek Möns da gesagt hatte, aber sie ahnte, daß es ernste und andächtige Worte waren und daß es mit dem Tod etwas Besonderes wäre.

Einige Tage später kam Martha unverhofft dazu, als Mariechen mit ihrer Puppe spielte. Das Kind hatte die Puppe auf der Truhe gebettet und mit einem weißen Tuch zugedeckt. Es kauerte davor, die Hände gefaltet und tat, als ob es weinte.

Martha blieb einen Augenblick stehen. Das Kind bewegte sich nicht.

»Was machst du da?« fragte schließlich die Mutter.

»Die Puppe ist gestorben«, sagte das Kind, »und ich muß auf sie achtgeben, damit sie nichts anrichtet.«

Martha sagte betroffen:

»Wer hat dir das gesagt? Das Tote ist friedlich.«

Mariechen schüttelte eifrig den Kopf:

»Wenn was Unrechts ist, kann es poltern. Es kommt viel von ihnen.«

Martha erschrak über diese Worte. Sie selbst hatte als Kind nicht in solchen Gedanken geredet. Sie entsann sich auch nicht, daß Mariechen schon Ähnliches einmal gesagt hatte. Sie dachte wohl, daß die Kleine es von Kiek Möns wüßte, aber in diesem Augenblick hörte sie aus diesen Worten mehr heraus. Sie hatte auch zum ersten Male wieder Augen für Mariechen und sah, wie schmal das Kind geworden war. Sie nahm sich vor, mehr auf die Kleine aufzupassen, und sagte freundlich:

»Du wirst nun bald einen Bruder haben, dann brauchst du keine Puppe mehr.«

Mariechen richtete sich auf und folgte wie ein kleiner liebevoller Schatten der Mutter durchs Haus.

In diesen Wintertagen kam Rode Harms ein paar Mal zu Martha. Die Streitsache mit der Papierfabrik schien sich noch lange hinauszögern zu wollen. Der Termin war ergebnislos verlaufen, und das Gericht hatte beschlossen, die Fischer einzeln wegen des ihnen zugefügten Schadens zu vernehmen. Dabei war es verschiedentlich zu Widersprüchen gekommen. Einige der Fischer, die bisher noch nie mit den Gerichten zu tun gehabt hatten, benahmen sich auf die Fragen der gegnerischen Rechtsanwälte unbeholfen. So waren Sachverständige berufen worden, bis zu deren Spruch die Angelegenheit vertagt werden sollte. Vor allen Dingen pochten die Gegner darauf, daß von der Papierfabrik hunderte von Existenzen abhängig wären, wogegen es sich in Börshoop nur um etwa zwanzig Fischerfamilien handelte. So konnte keiner mit Gewißheit voraussagen, wie die Geschichte ausgehen würde. Das alles mußte eingehend beraten werden, und da Martha Verstand genug zu eigenem Urteil und Entschluß hatte, besprach Rode Harms sich gern mit ihr.

»Es ist gut, daß du wenigstens da bist«, sagte er eines Abends, »mit den Fischern ist kaum darüber zu reden. Entweder sind sie hitzköpfig und fordern Unmögliches, oder sie fühlen sich den klugen Herren in Dranshop gegenüber befangen. Sobald sie vom Boot herunterkommen, benehmen sie sich ungeschickt. Ein paar helle Köpfe gibt es schon, aber die sind wie dein Schwager Strandfischer und haben mit der Sache weniger zu tun.«

»Du hältst dich jetzt mehr zu Börshoop als früher, das ist ein großer Vorteil für sie«, sagte Martha. »Ich weiß, daß sie dir früher Vieles geneidet haben, aber jetzt hat sich das geändert. Du weißt, daß Pudmar immer ihr Vertrauen hatte und die Geschäfte der Gemeinde erledigte. Neulich hat mich Gülke gefragt, ob sie dir das wohl antragen könnten.«

»Du kannst ihnen sagen, daß ich es gerne tun würde«, antwortete Rode Harms, »ich freue mich, wenn sie zu mir kommen. Aber von mir aus möchte ich keinen Schritt tun, denn es könnte heißen, daß ich mich aufspielen will. Man ist jetzt in Börshoop etwas offener zu mir und ich fürchte, daß ich die Tür wieder zumache, wenn sie glauben, daß ich mich zu sehr in ihre Stube dränge.«

»Wenn einer was Gutes bringt, läßt man ihn gern hereinkommen«, sagte Martha.

»Ich wollte ihnen Gutes bringen, das ist von Anfang an mein Vorsatz gewesen. Ich glaubte, ihnen durch die Räucherei auf die Beine helfen zu können. Du weißt ja, daß ich sie nie übervorteilt habe, aber sie wollten nichts von mir wissen, und dein Schwager Stim Kaat stellt sich noch heute gegen mich. Ich hätte seinen kleinen Betrieb nicht gestört, wir hätten Hand in Hand arbeiten können.«

»Stim Kaat hat immer seinen Kopf für sich«, antwortete Martha, »er konnte sich auch nie mit Pudmar gut stellen. Ich weiß nicht, woran das liegt. Mein Bruder Peter war auch so. Sie bilden sich ein, daß jeder, der ein bißchen Geld hat, nichts weiter will als ihnen die Freiheit wegkaufen. Lieber verhungern, als für Fremde tagelöhnern, hat Peter mal gesagt.«

»Ich kanns schon verstehen und schätz es«, sagte Rode Harms, »aber es darf nicht in Eigensinn ausarten. Jeder will hier seine eigene Suppe kochen und darüber vergessen sie das Ganze.«

»Sie fangen und verkaufen«, warf Martha ein, »was können sie anderes tun?«

Rode Harms schüttelte den Kopf:

»Nach den letzten stürmischen Tagen zum Beispiel, als die Netze tagelang im Wasser standen, weil die Fischer nicht rausfahren konnten, waren die Netze so voll, daß sie die Fische in der Umgegend gar nicht los wurden, selbst für den billigsten Preis nicht. Das hat besonders Stim Kaat getroffen, denn er weigert sich da immer noch, mir seine Fische zu verkaufen. So ist es oft. Entweder ist es ein guter Fang, dann haben alle viel im Netz und der Dranshoper Markt und die Bögerlanter Bauern werden mit Fischen überschwemmt, oder es ist ein schlechter Fang und alle haben nichts. Ein großes gemeinsames Unternehmen kann einen Ausgleich zwischen Absatz und Nachfrage schaffen und hat die Möglichkeit, den Überschuß an Fischen ins Reich zu schicken. Der Fischer, der auf sich selbst angewiesen ist, kommt doch mit seinem Fahrrad nicht über die nächste Umgegend, ganz abgesehen davon, daß er die Fische nicht lagern kann, weil er gar keine Vorrichtungen dazu, nicht einmal Eis hat.«

Martha mußte Rode Harms recht geben, aber sie fügte hinzu:

»Bei solchen Genossenschaften kommt auch nicht viel raus. Die in Elshoeft ist bald kaputt gegangen.«

Rode Harms widersprach:

»Es ist eine alte Geschichte, viele Köche verderben den Brei, und wenn jeder in die Führung hineinreden kann, sitzt die Karre bald fest. Die Fischer sollten sich eben einen Mann suchen, zu dem sie Vertrauen haben, und der auf eigene Verantwortung für alle das Beste will. Als ich nach Börshoop zurückkam, habe ich geglaubt, daß ich dieses Vertrauen erringen könnte, aber auch heute noch sehen sie in mir nur den Unternehmer und den Fabrikherrn, und nicht den heimgekehrten Fischerssohn. Eines Tages werden sie sich vielleicht zu dem, was mir vorschwebt, bekehren, wenn sie einsehen, daß der eine nicht ohne den anderen bestehen kann, und daß man über alle persönlichen Quertreibereien hinweg sich vertrauensvoll einordnen muß zum Besten des Allgemeinen. Für uns, die wir uns durch die Welt und durch tausend Fragen haben schlagen müssen, ist diese Erkenntnis das Ziel. Für die Jungen ist es der Beginn, auf dem sie weiterbauen.«

»Warum hast du solche Ideen für dich behalten?« fragte Martha.

»Darüber kann man zu andern nur dann reden, wenn sie es guten Herzens aufnehmen wollen, aber ich kenne sie alle. Hinter meinen Worten würden sie nur eine eigennützige Arglist vermutet haben. Jeder weiß, daß ich den Fischern, die für mich fahren, gut zahle, und daß sie für mich nichts anderes tun als das, was sie immer getan haben. Ich verlange von ihnen keine Arbeit, von der sie das Gefühl haben könnten, daß sie ihnen nicht zustände. Trotzdem hat man ihnen in Börshoop einen Spottnamen gegeben. Ich selbst brauche doch für mich herzlich wenig. Du weißt ja, daß ich bescheiden lebe.«

»Und Vrena?« fragte Martha scharf.

Rode Harms schwieg ein Weilchen. Er hielt den Kopf gesenkt, dann richtete er die Augen langsam auf Martha.

»Ich will dir auch darauf Antwort geben. Ich bin willigen Herzens nach Börshoop zurückgekommen, um eine zukunftsfreudige Arbeit. Ich habe nicht viel Gegenliebe gefunden. Zwei alte Leute wollten mir ihr Herz auftun, Kiek Möns und Jöken Mürk, aber sie hätten mich in die Vergangenheit zurückgeführt. Das wollte ich auch nicht. Auf der alten Heimat das neue Leben, das schwebte mir vor. Dazu hätte ich alle gebraucht. Aber sie haben Börshoop zugemacht vor mir und mich nach Dranshop gedrängt. Glaub mir, ich würde lieber mit den Börshooper Fischern gekramt haben, als mit Konsul Behnke gehandelt. So ist das nun auch mit Vrena gekommen. Ich war ein einsamer Mensch und Vrena kam in ihrer Not damals zu mir. Ich habe geglaubt, ich würde sie zu mir ziehen können. Ich hab mich geirrt. Ich hätte eine Frau wie dich finden sollen.«

Martha sah von ihrer Arbeit nicht auf.

»Da sitze ich nun und rede dir mit meinen Dingen den Kopf voll. Du hast selbst deine Plackerei. Ich wundere mich, wie du mit allem fertig wirst. Du mußt sehen, daß du zum Frühjahr einen tüchtigen Menschen aufs Gut bekommst. Ich werde mich danach umhören.«

»Wenn du Zeit hast, können wir noch darüber reden«, sagte Martha, »ich muß nach Mariechen sehen, es ist Zeit für sie zu Bett zu gehen. Ich hab meine Sorge mit ihr Sie war sich zu sehr allein überlassen. Es war wohl meine Schuld. Sie ist zu ernst für ihr Alter. Seit Pudmars Tod spielt sie nur noch Sterben.«

»Du solltest sie mit Mute spielen lassen, das ist ein lustiges Kind«, riet Rode Harms.

»Man hört über ihre Mutter nicht viel Gutes«, wehrte Martha ab.

»Man soll einem Menschen nicht immer das Frühere vorhalten«, sagte Rode Harms, »vielleicht hat Hede Lorm damals leichtfertig gelebt. Das mag sein, ich weiß es nicht. Aber sie ist immer eine tüchtige Arbeiterin gewesen und sie hat sich und Mute ehrlich durchgebracht. Nun will sie Per Stieven heiraten. Sie tuts nicht wegen der Versorgung, sie wird weiter in der Räucherei arbeiten.«

»Per Stieven ist ein gleichmütiger Mensch, da mags vielleicht gehen«, antwortete Martha schon im Hinausgehen.

Man hörte sie im Flur nach Mariechen rufen.

Rode Harms ging mit behaglichem Schritt auf und ab. Auf dem Nähtisch lag ein Kaffeewärmer, an dem Martha arbeitete. Er wurde aus goldbrauner und rosa Wolle gehäkelt in dreieckigen Bahnen, die mit schwarzer Wolle verknüpft waren. Rode Harms betrachtete ihn nachdenklich. Aus solchen kleinen bescheidenen Dingen blüht das wohlige Leben. Es ist wie der milde Mond nach einem hohen gläsernen Tag, wie ein gutes nachbarliches Wort, das einem über den Lärm der Straße hinweg zugerufen wird.

Rode Harms nahm die Arbeit in die Hand und fühlte die warme Wolle zwischen den Fingern. Als Martha jetzt wieder hereinkam, sagte er:

»Du hast eine geschickte Hand für solche Arbeiten. Da wird der Kaffee gut schmecken.«

Martha deckte den Tisch.

»Du wirst doch ein Brot mitessen. Man ißt gern einmal wieder in Gesellschaft. Wann läßt sich hier schon jemand sehen? Hilke kann bloß schwer von Öllerke fort. Er stellt immer irgend eine Dummheit an, wenn man nicht aufpaßt, und weiter kommt ja niemand.«

Neben dem Tisch stand ein Korb voll Wäsche, mit der sie vorhin beschäftigt gewesen war. Sie wollte ihn beiseite stellen, doch Rode Harms nahm ihr den Korb aus den Händen.

»Es ist nicht gut in deinem Zustand, du solltest jetzt nichts mehr heben«, sagte er besorgt.

Martha errötete etwas.

»Es soll ja Pudmars Erbe sein. Du hast einmal gesagt, was man sich von Herzen wünscht, das wird. Für dies Kind will ich auch das Gut halten. Es ist nicht leicht für mich. Ich komme aus ganz anderen Verhältnissen, ich muß mich in alles erst hineinfinden. Nun ists ein Glück, daß man sich vorläufig noch nach Pudmars Anordnungen vom Vorjahr richten kann. Er hat auch tüchtige Arbeitskräfte eingestellt, die zu mir halten. So wird wohl alles seinen Gang gehen. Wenn Not am Mann ist, hatte Karl Hingsten schon gesagt, daß ich mich jederzeit an ihn wenden könnte.«

»Du kannst dich auch auf mich verlassen«, sagte Rode Harms, »ich kann schon Zeit dafür erübrigen.«

»Ich wills gern tun«, antwortete Martha, »aber deine Zeit wird auch knapp werden, wenn sie mit allen Angelegenheiten zu dir kommen. Ich weiß es von Pudmar her.«

»Ich hoffe noch mehr zu Wege zu bringen«, erwiderte Rode Harms. »Ich hab dir doch von meinem Plan wegen des Neulands auf der Nehrung erzählt. Die Sache ist auch weiter gediehen. Der Dranshoper Professor, der den Seeschlamm auf seine Bestandteile hin untersuchte, hat mir recht gegeben. Da würde sich bald der beste Boden bilden. Nun hab ich neulich schon mit Konsul Behnke gesprochen, der hat ja eine gute Stimme im Senat. Ich hoffe, daß er uns den Dranshoper Bagger verschaffen kann. Dann könnte man zum späten Frühjahr mit den Arbeiten beginnen, aber es ist noch nichts entschieden.«

»Sollen es dann die Seefischer als Abfindung für den Schaden bekommen, den sie durch die Dranshoper Industrie haben?« fragte Martha.

»Das könnte man vielleicht sagen«, meinte Rode Harms, »aber ich wäre nicht mit einverstanden. Auch die Strandfischer sollen daran beteiligt sein. Ich stelle mir sogar vor, daß man den Ärmeren mehr gibt als den andern. So könnte man mal einen Ausgleich schaffen.«

»Ob da wohl alle mit einverstanden sind?« warf Martha zweifelnd ein.

»Wenn einmal die Möglichkeit besteht, die Welt, und sei es auch nur die winzige Börshooper Ecke, zu bessern, dann soll man sich durch nichts beirren lassen, und wenn es ans Hauen und Stechen geht. Man soll keine Vorrechte aus einem gütigeren Schicksal herleiten. Die Fruchtbarmachung der Nehrung ist meine Idee, und ich wende alles an, um sie zu verwirklichen. Es soll mir auch nicht darauf ankommen, für den Anfang eigenes Geld zu geben. Dann werden sie einsehen, daß ich keine Reichtümer erwerben will. Aber dafür verlange ich, daß es nach Recht und Gerechtigkeit geht, so wie ich es darunter verstehe. Sobald die Stadt Dranshop einwilligt, werde ich alles schriftlich niederlegen.«

»Du tust gerade, als wolltest du ein Testament machen«, lächelte Martha.

»Keiner weiß, wann er aus der Welt zu gehen hat«, antwortete Rode Harms. »Du hast es an Pudmar gesehen, aber wir wollen uns heute abend darüber keine Gedanken machen. Ich will dir lieber sagen, daß ich seit langem nicht so gemütlich gesessen habe wie jetzt, und ich wünschte nur, daß ich es noch öfter so hätte.«

»Du weißt ja den Weg hierher«, sagte Martha freundlich.

Rode Harms nahm den alten Mantel vom Haken.

»Der hat schon manches Jahr auf sich«, sagte er, »Vrena kann ihn nicht leiden. Es ist der Mantel meines Vaters. Nobel sieht er nicht mehr aus, aber er hält warm. Man ist so richtig in ihn hineingewachsen.«

Es waren nicht mehr viel Tage bis Weihnachten. Vrena war noch in Dranshop und hatte Rode Harms schriftlich eingeladen, hinzukommen. ›Wir werden wieder bei Konsul Behnke sein,‹schrieb sie,›und ich glaube, wir werden da angenehme Stunden haben.‹

Rode Harms hatte nicht viel Lust, aber er bestellte doch den Wagen. Im letzten Augenblick wurde ein Paket von Martha abgegeben. Es war der Kaffeewärmer, den sie selber gehäkelt hatte. Rode Harms schickte den Wagen wieder fort und blieb Weihnachten allein in Börshoop.

Einige Wochen darauf kam Konsul Behnke zu ihm. Er brachte die betrübliche Nachricht, daß der Bagger im kommenden Jahre für Börshoop noch nicht zu haben wäre, da man ihn für dringende Hafenarbeiten gebrauchte.

»Lassen Sie deswegen nicht den Kopf hängen«, sagte er, »man hat mir in Dranshop versprochen, daß man Ihre Angelegenheit im Auge behalten wird. Sie wissen, aufgeschoben ist nicht aufgehoben.«

»Wenn man helfen will, soll man es schnell tun«, antwortete Rode Harms, »aber in diesem Fall werden wir wohl zurückstehen müssen. Man kann nicht mit dem Kopf durch die Wand, aber Sie dürfen überzeugt sein, daß ich nicht locker lassen werde.«

Sie sprachen dann noch über geschäftliche Dinge und kamen schließlich auf persönliche Fragen. Rode Harms hatte sich nach Vrena erkundigt. »Börshoop ist ihr zu klein geworden«, sagte er etwas müde.

»Das stimmt nicht ganz«, antwortete Konsul Behnke, »aber Sie haben Vrena in ein Leben verpflanzen wollen, für das es in ihr noch nicht still genug ist. Nehmen Sie es mir nicht übel, Harms, Sie sind auf dem besten Wege, der Einsiedler von Börshoop zu werden. Ich will vor Ihnen nicht hinterm Berg zurückhalten oder Ihnen mit Winkelzügen kommen. Ich kann Ihnen ganz ruhig sagen, daß Vrena bei uns gewesen ist und sich ausgesprochen hat. Ich muß gestehen, daß sie nicht ganz im Unrecht ist. Sie hat in Ihnen, um es ganz nüchtern auszudrücken, den Selfmademan gesehen, der erfolgreich nach Dranshop verstößt. Sie wissen genau, wie meine Freunde und ich über Sie denken. Ich glaube daher schon, daß Sie in den Dranshoper Handelskreisen die größte Rolle spielen können. Dazu gehört natürlich ein gewisses gesellschaftliches Leben. Sie aber sind drauf und dran, sich in Börshoop zu verkapseln und Vrena hat mir erzählt, daß Sie geradezu Freundschaft zu den Fischern suchen. So werden Sie immer zwischen Baum und Borke sitzen.«

»Ich komme aus einem armseligen Fischerdorf«, erwiderte Rode Harms. »Ich bin als junger Mensch in die Welt gegangen und habe schwer arbeiten müssen. Geselligkeit zu pflegen habe ich nicht gelernt. Ich würde es auch nicht übers Herz bekommen, den armen Fischern hier, die hart zu kämpfen haben, ein großartiges Leben vor Augen zu führen. Man soll mir nicht sagen, daß ich Feste feiere, während andere hungern. Ich war nach Börshoop zurückgekommen, um hier etwas zu schaffen. Sie selber haben mir damals gesagt, daß jeder verpflichtet ist, auf seine Weise der Heimat zu dienen. Glauben Sie mir, ich würde alles daran geben, um meinen Plan mit der Fruchtbarmachung des Ödlandes am Tief verwirklicht zu sehen.«

»Wenn Sie so vollkommen in Ihrer Arbeit aufgehen, seien Sie mir nicht böse, lieber Herr Harms, warum haben Sie da eine Frau wie Vrena geheiratet?«

»Weil ich glaubte, in Vrena einen tatkräftigen Menschen an meiner Seite zu haben. Sie war damals die einzige von den Schwestern, die nicht den Kopf verlor. Ich hatte gehofft, daß sie für meine Arbeiten und meine Ideen Verständnis haben würde. Es handelt sich dabei gar nicht um das Geschäft. Sie wissen ja, daß ich mehr für Börshoop will, aber ich habe nie etwas mit Vrena besprechen können. Und dann habe ich auch damit gerechnet, daß wir Kinder haben würden. Wozu schließlich schafft man alles, wenn es einmal in fremde Hände kommt. Aber Vrena will keine Kinder.«

»Das habe ich nicht gewußt«, sagte Konsul Behnke, »vielleicht ist es gut, wenn meine Frau einmal mit Vrena spricht. Sie ist doch sozusagen die mütterliche Freundin der Schwestern. Ich würde Ihnen von Herzen gern helfen, aber ich fürchte, daß ein Dritter schwer eine Brücke bauen kann. Solche Notstege sind immer bald schon zum Einsturz verurteilt. Sie müssen von allein zu einander finden.«

»Hat Vrena Ihnen gesagt, wann sie zurückkommen wird?« fragte Rode Harms.

»Nein«, antwortete Konsul Behnke, »ich habe den Eindruck, daß sie sich für längere Zeit in Dranshop einrichtet.«

»Wenn es Vrenas Wille ist, ich kann sie nicht halten«, sagte Rode Harms leise.

Konsul Behnke fuhr ab. Von der Wegbiegung grüßte er noch einmal freundschaftlich zurück.

Rode Harms ging wieder in das Haus. Es erschien ihm heute leerer als sonst. Durch das Gespräch mit dem Konsul war ihm Vrena in Gedanken wieder nahe gerückt. Als er jetzt durch die Zimmer schritt, die nach ihren Angaben eingerichtet waren und sich in allerlei Buntheiten und bizarren Spielereien verloren, konnte er sich ihrem eigenartigen Reiz nicht entziehen. Es hatte Stunden gegeben, wo er diese Vielfalt nichtiger Dinge gehaßt hatte, aber jetzt schienen sie alle sich zu einem Blumenstrauß zu formen, aus dem Vrenas Name duftete. Er empfand für einige Augenblicke einen tölpelhaften Stolz, diese Frau an seiner Seite gehabt zu haben, aber in der nächsten Minute schon packte ihn der Zorn, daß sie seinen Weg gekreuzt hatte, scheinbar nur, um ihn in Verwirrung zu bringen. Er dachte an Marthas ruhige Art und stellte sich ein Leben mit ihr vor, aber über das Gleichmaß eines solchen arbeitsfreudigen Lebens flirrte auf einmal ein fremder geheimer Zauber, der aus den Erinnerungen an Vrena aufstieg und wie ein Sankt Elmsfeuer über das von ihr Zurückgelassene hinschimmerte.

Rode Harms nahm einen Briefbogen und setzte sich an ihren Tisch. Er wollte an Vrena schreiben.

In diesem Augenblick hörte er aus der Küche ein leises Weinen. Er ging hinaus und fand Alma, die sich das Gerede, das durch Frau Holwe in Umlauf gekommen war, zu Herzen genommen hatte. Es war ihr auch nicht verborgen geblieben, welche Späße man über ihren Vater und Hede Lorm in der Räucherei machte. In einigen Tagen sollte die Hochzeit sein, auf die sie sich schon seit langem freute, aber nun sah alles grau und häßlich aus und Alma wußte nicht, wie sie mit ihrem Kummer fertigwerden würde.

Rode Harms konnte sie nur schwer beruhigen. Erst als er ihr versprach, selber auf die Hochzeit zu kommen, damit die anderen sähen, daß er Per Stieven und Hede Lorm schätzte, hörte Alma auf zu weinen.

»Warum reden die Menschen immer so?« sagte sie kleinlaut, »es geht allen schlecht, aber sie gönnen sich nicht mal das bißchen.«

»Wir wollen sehen, daß wir ein besseres Börshoop kriegen«, lächelte Rode Harms.

Alma sah ihn vertrauensvoll an. Er ging nachdenklich in sein Arbeitszimmer. Der Brief an Vrena blieb ungeschrieben.

Rode Harms hatte Wort gehalten. Er kam zu Per Stievens Hochzeit, aber er blieb nicht lange, denn er hatte das Gefühl, daß er die kleine Geselligkeit störte.

Jöken Mürk, der sich jetzt bei jeder Gelegenheit ihm anschloß, ging mit ihm.

Als die beiden fort waren, sagte der Danziger zu Stirn Kaat:

»Merkst du, wie er sich mit euch gut stellen will? Er steht nämlich ganz allein. Die Frau ist weg, und mit den Dranshopern scheint er über den Span zu sein. Nun will er bei euch anklopfen. Es hätte schon was aus ihm werden können, aber er ist zu simpel.«

»Anfangs hab ich immer gedacht, er würde uns tot machen«, sagte Stim Kaat, »aber er scheint doch ein anständiger Kerl zu sein. Er hat uns unsere Kundschaft nicht weggeschnappt.«

»Er will sich in Börshoop keinen Feind machen«, antwortete der Danziger, »von ihm aus könnt ihr euch ruhig noch vergrößern. Er wird euch nie einen Stein in den Weg legen.«

»Woher nehmen? Daran gedacht hab ich schon lange. Man müßte einen Kutter haben wie er welche hat. Da könnte man so richtig auf die Beine kommen.«

Der Danziger goß zwei Gläser voll und stieß mit Stim Kaat an.

»Es ist kein Ding unmöglich«, zwinkerte er, »manchmal ist sogar das Geld schneller als die Post.«

»Man hat sogar schon gehört, daß der Storch eher angekommen ist als der Pastor«, lachte Stim Kaat und zeigte mit dem Daumen auf Wine.

»Was schwatzt ihr da?« fragte Wine etwas verlegen.

»Der Danziger hats klappern gehört, – das Geld nämlich«, setzte er schnell hinzu, als er sah, daß sich Wine ärgerte.

»Du denkst, ich mach Spaß«, fuhr Kog fort, »was würdest du sagen, wenn ich zu dir käme und dir ein paar Hunderter auf den Tisch zählte?«

»Daß dir bloß keiner wo anders was hinzählt«, rief Stim Kaat und trank ihm zu.

»Was gesagt ist, ist gesagt«, erwiderte Kog. »Mein Geld ist auch kein Blei.«

»Du hast wohl 'ne reiche Frau gesehen«, sagte Stim Kaat neugierig.

Der Danziger nahm ihn in eine Ecke und tuschelte mit ihm.

»Sag selbst, wozu alles in seine Tasche. Ist es so schlimm, wenn man mal ein paar Mark beiseite legt? Was meinst du denn, wieviel du für solchen Kutter brauchst?«

»Keine Rede von«, wehrte Stirn Kaat ab, »du weißt, ich bin kein Dudeldanz und es kommt mir nicht drauf an, mal so nebenbei was zu erwischen. Aber Geld, nein, davon laß ich die Hände weg. Das bringt keinen Segen.«

»Geld ist Geld«, sagte Kog, »wenns einem in den Schoß fällt, soll mans festhalten, Öllerke wird auch nicht böse sein, wenn er mal ein bißchen mehr erbt.«

»Den Jungen laß aus dem Spiel«, fuhr Stim Kaat auf.

»Schrei nicht so«, redete ihm der Danziger zu, »was gesprochen ist, bleibt unter uns. Wenn du das Geld nicht willst, ist es deine Sache, aber wir wollens nicht an die große Glocke schlagen. Da kommt ein guter Zufall, und du läßt ihn nicht rein. Ihr seid hier schon hinterm Mond in Börshoop.«

Stim Kaat ließ den Danziger stehen und setzte sich zu Hilke, die Öllerke auf dem Schoß hatte und seine Hände festhalten mußte, weil er nach jedem Glas angelte. Stim Kaat konnte wie ein Hahn krähen. Damit erregte er immer Öllerkes Entzücken, der dann mit den nackten Beinen strampelte und die kleinen Zehen spreizte, so daß der Vater immer verwundert war, wie das Kind sie so behende auf und ab und nach allen Seiten zu bewegen verstand.

Er setzte Öllerke auf den Tisch und alle mußten sich über die springlebendigen Zehen wundern. Mute versuchte sie festzuhalten. Sie hatte ihren Spaß, wenn sich Öllerke energisch dagegen wehrte. Einmal patschte er dabei Mute mitten ins Gesicht, so daß sie verdutzt zurückfuhr. Darüber lachten alle.

»Der ist wie der Vater«, sagte der Danziger, »man darf nicht mit ihm anbinden.«

Mute hatte sich von ihrer Verblüffung erholt und begann ihr Spiel mit Öllerkes Zehen von neuem.

»Er tanzt richtig mit ihnen«, freute sie sich.

»Wenn man älter wird, verlernt sich das«, sagte Per Stieven, »dann haben die Zehen ausgetanzt. Da drücken sie einen bloß.«

»Du hast einen lustigen Bräutigam!« rief Kog zu Hede Lorm hin.

Sie wandte sich unwirsch ab.

»Hier scheint man jedes Wort auf die Goldwaage zu legen«, sagte der Danziger unmutig, »ich wußte gar nicht, daß man in Börshoop so empfindlich ist.«

Er sah Stim Kaat herausfordernd an, aber der beachtete ihn nicht, sondern blickte voller Stolz auf Öllerke, dessen Lachen über den Tisch sprudelte.

»Ihr macht ihn mir zu munter«, sagte Hilke, »nachher schläft er die ganze Nacht nicht. Er hat genug gefeiert.«

Sie nahm ihn auf den Arm: »Wir wollen nun zu Bett gehen, Öllerke«, redete sie ihm zu, denn er begann aus Leibeskräften zu schreien.

»Der weiß, wo was los ist«, lachte Hannes Lietz. Er goß aus einem großen braunen Steinkrug Bier in die Gläser.

»Laßt noch für Andrees was übrig«, bat Hilke, »er kann noch ein Weilchen rüberkommen. Ich bin ja nun zu Haus.«

Wenn Mole Deep sich auch immer still und ruhig verhielt und man nachts nie irgendwelche Mühe mit ihr hatte, so wagten sie doch nicht, sie allein zu lassen. Nach den Worten des Arztes konnte es bald mit ihr zu Ende sein, aber es war auch möglich, daß sie noch ein Jahr hinbrachte. Sie war ein zäher Mensch, und wenn sich ihr Gemüt auch den Tod wünschte, so schien doch der Körper noch nicht damit einverstanden zu sein.

Andrees kam etwas verstört auf die Feier: »Man kann schon an Gespenster glauben. Eben ist doch wer ganz dicht an mir vorbei gegangen. Es ist pechrabenschwarz draußen und ich konnts nicht genau sehen, aber es war eine Frau. Sie war im Nu wieder weg, bloß solch Duft war noch, wie man ihn hier nicht hat. Ich bild mir schon ein, es war Vrena Sterenbrink gewesen.«

»Die wird nachts in Börshoop spazieren gehen!« rief der Danziger.

»Sie ist doch in Dranshop«, sagte Alma.

»Sie lebt so richtig in den Tag hinein«, sprach Hede Lorm nachdenklich. Sie saß neben Per Stieven, der den langen Gehrock noch immer bis oben zugeknöpft hatte. Die Schleife aus weißem Schleierstoff, mit der der Myrtenstrauß an ihrem schwarzen Kleid befestigt war, hatte sich gelöst, und Mute, schon ein wenig müde, versuchte die Schleife von neuem zu binden. Aber sie lockerte sich vollends und der Strauß fiel Hede Lorm in den Schoß. Sie nahm ihn hastig und sah schnell nach Per Stieven, aber der sprach mit Andrees.

Bloß der Danziger hatte es bemerkt, blinzelte Hede Lorm an und kratzte sich hinterm Ohr.

Draußen wurde umständlich die Tür aufgemacht. Da kein Gast mehr erwartet wurde, horchte man unruhig auf. Stim Kaat wollte hinaus sehen, doch Jöken Mürk tappte schon in das Zimmer.

»Bin ich ein Säufer?« rief er aufgebracht, »ist Kaptän Mürk ein Saufsack? Lacht wer? Antwort! Ist man ein Lump? Ein Luder, mit dem man nicht am Tisch sitzen kann?«

Er trat an den Tisch und sah herausfordernd von einem zum andern. Stim Kaat schob ihm einen Stuhl hin.

»Setz dich erst mal«, sagte er gutmütig, »was ist denn passiert?«

Andrees kam besorgt herbei. Jöken Mürk zitterte und atmete hastig. Die Frauen warteten ängstlich, daß er sich beruhigen möchte. Sie verwiesen den Danziger, der andauernd neugierig auf Jöken Mürk einsprach.

»Sie war da«, berichtete der Alte endlich, »als wir hinkamen, war sie da. – Trinken wir noch eins bei Drüsel, hatte Rode Harms gesagt. – Machen wir, Junge, sagte Kaptän Mürk. – Zwei steife Grog, Drüsel, haben wir gesagt, zwei Seelenwärmer, das tut uns not. – Sitz nicht so timplig da, Junge, hab ich gesagt, trink! – Man steht allein, Kaptän! Das Haus ist leer, und Börshoop ist leer. Du bist noch der Einzige, Kaptän. – Kopf hoch, Junge, hab ich gesagt. Die Frau kommt schon wieder. So einer wie Rode Harms wächst nicht alle Tage. Und mit Börshoop brauchst dir keine Gedanken zu machen. Wer von dir da nichts wissen will, ist ein schiefer Kerl. – Noch zwei steife Grog, Drüsel, haben wir gesagt. – Bleiben wir heut zusammen, Kaptän. Ich hab noch 'ne gute Flasche zu Haus, und ein Stück Fleisch wird auch da sein. – Gehn wir, Junge, hab ich gesagt. – Als wir hinkamen, war sie da. – Hab ichs nicht gesagt, Junge, da ist sie schon! Wills meinen. So einer wie Rode Harms wächst nicht alle Tage. – Wen hast du denn da? schreit sie. – Ich bring einen Gast mit, hat er freundlich gesagt. Er hat auch gesagt, es freut mich, daß du da bist. Du kommst unerwartet. – Das Haus war leer, hat sie geschrien, ich erfuhrs erst vom Wächter. Du bist also bei Herrn Stieven auf der Hochzeit gewesen! Da hattest du gute Gesellschaft. Ich kann ja auch in das leere Haus kommen! – Beruhige dich, hat er geantwortet, es ist Besuch da. – Ein schöner Besuch, hat sie geschrien, der Herr Kaptän, hat er sich wieder einen angetrunken? Nach Dranshop kommst du nicht, aber hier soll ich mich wohl mit einem Trinker an den Tisch setzen. – Das hat sie gesagt. – Ist Kaptän Mürk so ein Subjekt, frag ich?«

»Hat ihrs denn Rode Harms nicht gegeben?« fragte Stim Kaat aufgebracht.

»Kein Wort«, antwortete Jöken Mürk, »er war ganz verbiestert. Hat mir nur ins Ohr geflüstert: sei ihr nicht böse, sie ist so aufgeregt.«

»Weiter nichts?« rief Stim Kaat.

»Er wirds ihr schon noch ankreiden«, sagte Jöken Mürk, »da kenn ich ihn. Er tritt für seine Freunde ein. Aber was sollte er tun? Sie schrie und weinte durcheinander. Da bin ich gegangen.«

»Wer 'nen Pfau heiratet, muß auch sein Krakeln hören«, lachte Kog, »da war ja allerhand los. Sie hat dich also vor die Tür gesetzt!«

Jöken Mürk wurde puterrot.

»Du willst mich beleidigen, Danziger, Kaptän Mürk wirft man nicht hinaus.«

Auch Stim Kaat hatte sich über Kog geärgert.

»Dir hängt das Gewäsch von früher noch an, was gibts da zu lachen?« rief er.

»Kaptän Mürk geht von allein, das soll man sich merken. Kaptän geht, wann er will!«

Wine setzte sich neben ihn und streichelte ihm die Hand, während Alma und Hede Lorm ihn bewirteten.

 


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