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Alma diente jetzt bei Vrena Sterenbrink, die nun Frau Harms geworden war und sich mit dem kleineren Wohnhause neben der Räucherei nur schwer abfinden konnte. Aber Vrena gab sich Mühe, ihre Ansprüche zurückzuschrauben. Noch schien ihr der sichere Hafen, den sie bei Rode Harms fand und die feste Grundlage eines geordneten Lebens, um die sie diesen Mann geheiratet hatte, wichtiger als ein zielloses Hinleben, über dessen Soll und Haben man keine Kontrolle hat. Alma konnte sich über ihren Dienst in Vrenas Hause nicht beklagen, aber es gab doch den ganzen Tag immer irgendetwas zu tun, so daß sie ihren Vorsatz, sich zwischendurch um des Vaters kleinen Haushalt zu kümmern, nicht durchführen konnte.

Per Stieven vermißte Alma sehr und es kam ihm schwer an, daß er jetzt allein in dem Hause leben mußte, in dem bis vor kurzem noch Almas Singen und Stim Kaats Derbheit erklangen. Er beklagte sich zu Andrees darüber.

»Du müßtest jemand ins Haus nehmen. Das glaub ich schon, daß es so zu einsam ist. Allein hat mans im Grab noch lange genug«, redete ihm Andrees zu. Er sprach mit Hilke und Stim Kaat darüber. Diesmal hatte Stim Kaat einen Einfall.

»Das wäre doch was für Hede Lorm! Ob sie da drüben ihre Miete zahlt oder bei Stieven, sollte doch wohl gleich sein. Da hat er gleich wen, der sich um ihn kümmert. Hede Lorm wird ihm schon das Bett machen, und die kleine Mute ist eben so ein munteres Ding wie Alma. Die bringt ihm schon Leben ins Haus.«

So wurde auf Stim Kaats Hochzeit auch Per Stievens Haushalt bestellt und alle mußten auf eine gute Zukunft anstoßen.

Der einzige von den ärmeren Fischern, der sich an diesem Tage nicht einstellte, war Jöken Mürk.

Er hatte die Absicht gehabt, sich auf der Hochzeit sehen zu lassen. Wine hatte ihm am Abend vorher auch den schwarzen Rock parat legen müssen. Sie schlief nach wie vor im Hause des Großvaters, denn mit Rücksicht auf seine Unbehilflichkeit hatte Rode Harms bei Karla durchgesetzt, daß Wine nur tagsüber in dem Hause auf der Rowen Düne wirtschaftete. Das Mädchen war froh, daß Jöken Mürk, wenn auch schweren Herzens, sich entschlossen hatte, einmal wieder in das Haus der Mole Deep zu gehen. Aus seinen Reden hatte Wine doch herausgehört, daß ihm die Gesellschaft des alten Andrees oft fehlte. Frems war nicht der richtige Ersatz für ihn, denn ein alter Seebär und ein alter Kutscher passen nicht recht zu einander. Was auf Rädern rollt, ist noch lange kein Schiff, und wer über einen Pferdeschwanz kucken kann, sieht noch keinen Breitengrad. Das war Mürks Ansicht. Er machte auch zu Frems daraus kein Hehl und er ließ ihn nicht darüber in Zweifel, daß er, der alte Kaplan, nur notgedrungen in der Kutscherstube vor Anker ginge, weil ihm das Leben alle Segel zerschlagen hätte.

Da Jöken Mürk zu Stim Kaats Hochzeit nicht mit leeren Händen kommen wollte, überlegte er mit Wine, was man schenken könnte. Schließlich kramte er sein altes Fernrohr hervor, das er einmal für Jan bestimmt hatte. Nun sollte es Stim Kaat haben. Es war ein Fernrohr aus Messing, das man dreifach ineinanderschieben konnte, und das in voller Länge auseinander gezogen gut dreiviertel eines Spazierstocks ausmachte. In einer schwarzen Hülse wurde es verwahrt, die nicht aus gewöhnlicher Pappe war, sondern einen Überzug aus Schirting hatte. Die Ränder waren noch extra durch einen grauen Leinwandstreifen gesichert. Das war ein stattliches Geschenk, mit dem man schon gut auftreten konnte.

Aber auf dem Wege zum Hochzeitshaus bog er ab und ging zu den Sterenbrinks, um dem alten Frems dieses Fernrohr zu zeigen und es ihm zu erklären, solange es noch in seinem Besitz wäre. Er traf Frems in der Küche und Wine stellte schnell einen Teller Suppe für den Alten zurecht. Aber Jöken Mürk hatte darauf nicht sonderlich Obacht. Er nahm das Fernrohr aus der Hülse und lobte vor Frems alle Vorzüge.

»Wenn mich mein Gedächtnis nicht im Stich läßt«, sagte er, »habe ich es mal aus Christiania mitgebracht, was ja die Hauptstadt von Schweden ist. Das wär fast seine fünfzig Jahre her. Hat einer schon solch tüchtiges Fernrohr gesehen? Sieh einmal durch, Frems! Was siehst du da?«

Aber Frems sah nichts. Er stellte sich ungeschickt an. Dazu wollte Jöken Mürk das Fernrohr nicht aus der Hand lassen und hielt es mit zittrigen Händen vor Frems' Gesicht.

»Bleibst eben 'ne Landratte«, knurrte Jöken Mürk ärgerlich, »da soll dir mal Stim Kaat erzählen, was er alles damit sieht, bei seinen flinken Augen!«

Jöken Mürk schob das Fernrohr wieder ineinander und verpackte es sorgsam in der Hülse.

»Das sollte nun mal Jan haben«, sagte er dabei. Er setzte sich vor die Suppe und begann zu löffeln.

»Was meinst du, Frems?« fragte er unvermittelt, »ob das wohl alles mit dem Tod zu Ende ist?«

»Das glaube ich wohl nicht, Jöken Mürk«, antwortete Frems nachdenklich, »ich denke, wo der Mensch so kunstvoll erschaffen ist, sein Herz hat und seinen Verstand, und alles funktioniert so von sich selbst, da meine ich wohl doch, daß was nachbleibt.«

»Frems, du weißt ja, man spricht nicht davon, aber da hat man uns doch beigebracht, daß man die Toten einmal wiedersieht. Was sagst du dazu?«

Der Alte brachte seine Frage mit einer zögernden Verlegenheit vor. Er sah auf den leeren Teller, der vor ihm stand und streifte Frems mit keinem Blick.

Nach dieser Frage war es einen Augenblick ganz still, dann antwortete Frems langsam:

»Das ist wohl so.«

Jöken Mürk steckte das Fernrohr in die Tasche.

»Ich will es doch lieber behalten«, sagte er, »Wine soll es mir mit ins Grab geben.«

Er ging ohne Gruß fort.

Als Wine später am Abend auf ein Weilchen in das Hochzeitshaus ging, war ihr Großvater nicht da. Er hatte sich auch vorher nicht sehen lassen. Er lag schon zu Bett, und das Fernrohr in der schwarzen Hülse hatte er wieder zu unterst in die Truhe gelegt.

Von diesem Tage an wurde er zuversichtlicher, und man merkte es ihm an, daß er nun gern bei Frems in der Küche saß, aber sie sprachen nie wieder davon, wie es nach dem Tode sein könnte.

Man sah die beiden jetzt auch öfter kleine Spaziergänge machen. Sie gingen am See entlang, wo im Schilf sich die Rohrspatzen jagten und hinter den Weiden die breiten Blütenteller des Holunders sich weiß färbten. Sie saßen auch gern auf einer Bank, hinter sich wie ein braunes Wigwam das aufgeschichtete Rohr, das man zum Ausbessern der schadhaften Dächer gebrauchte, öfter gesellte sich der alte schwerhörige Kars zu ihnen, der, wo es für ihn mit rauher Meerfahrt nun vorbei war, Tag für Tag in schmalem Kahn mit Angelruten auf den Dranshoper See hinausruderte. Wenn er zurückkam, brachte er Schilf mit, das er am Rande für Fenners Pferd geschnitten hatte.

»Rohr fressen Pferde gern, wie Häcksel«, behauptete er, »es ist Kraftfutter und Fenners Gaul hats nötig.«

Manchmal hatte er auch Enteneier gefunden. Jöken Mürk ließ es sich dann nicht nehmen, sie noch einmal zu prüfen. Er hielt sie ins Wasser. Wenn sie oben schwammen, waren sie schon angebrütet, aber wenn sie drohten unterzugehen, waren sie frisch, und man konnte sie mit gutem Appetit essen.

Von der Bank aus hatten die Alten auch einen weiten Blick über das Land. Die warmen Monate kamen nun, und man konnte beobachten, wie die grünen Halme langsam gelbe Ähren bekamen.

Dieser Sommer wurde reich und fruchtbar für die Bauern von Bögerlant. Seit Menschengedenken hatten sie immer gute Ernten gehabt. Man sagte, auf sieben fetten Wagen wären die Bauern von Bögerlant in das Land gekommen. Auf dem ersten aber hätten sie das gute Erntewetter gefahren.

Mannshoch stand das Getreide. Der volle Weizen beugte sich schon und die grünen Glocken des Hafers schwangen voll im Wind. Alles war zu seiner Zeit, es regnete, wenn es sein mußte, und die Sonne schien, wenn es guttat.

Karl Hingsten ging vergnügt durch seine Felder, und auch Jürgen Pudmar war zufrieden, besonders mit dem Ackerstück, das er von den Sterenbrinks gepachtet hatte.

Aber um Christof Hingsten war es schlimm bestellt. Alle Arbeit, die er an die Gutsfelder gewendet hatte, erwies sich als vergeblich. Der Hauptteil dieser Felder lag auf der anderen Seite des Sees, und die guten Regenwolken schienen sich in diesem Jahre verschworen zu haben, nicht über den See zu segeln. So herrschte eine große Trockenheit und während die Hacheln des Roggens bei Bögerlant einem fast in die Augen stachen, reichten sie auf dem Gutsacker kaum bis zur Hand. Auch das Gras auf den Wiesen war saftlos, und Christof erschrak, daß der Wiesenschwingel schon blühte, und daß es nun Zeit zum Grasschnitt wäre.

Da hatte man nun geschuftet und gerackert, hatte die Knechte angehalten, damit sie mit allem zur rechten Zeit fertig wären, hatte sich ausgemalt, wie man stolz dabei stehen würde, wenn die Scheuern sich füllten, und wie die Sterenbrinks staunen sollten, wenn man ihnen einen Batzen Geld auf den Tisch zählte. Jetzt sah alles kümmerlich aus. Man kam sich vor wie ein Nichtser, der keinen Verstand für das gehabt hatte, was man gutgläubig ihm anvertraute.

Christof Hingsten mochte die Felder nicht mehr sehen. Das alles sah einen arm und durstig an, und man konnte nicht helfen, wußte auch nichts Besseres, als früh morgens schon voll Sorge den Himmel abzusuchen, ob er sich nicht erbarmen möchte.

Aber der Himmel schien kein Einsehen zu haben. Wenn ein Gewitter sich aufstockte, zog es nicht über den See. Man sah nur, wie hinter grauem Vorhang der Regen wohltätig über Bögerlant herniederging. Man ballte die Faust, weil keine Gerechtigkeit mehr zu sein schien, und es wallte auf in einem, daß man zurückgesetzt und ohne Gedeih verworfen werden sollte, obgleich man nicht sonderlich schlechter war als die anderen und trotz allen raschen Blutes sich guttätig gezeigt hatte.

Christof Hingsten würde die Dürre als ein gerechtes Geschick hingenommen haben, wenn es auch die anderen getroffen hätte. Warum soll Gott diese Welt nicht strafen, wo sie so voller Schlechtigkeit ist. Aber eine solche Strafe müßte allgemein sein. Dann wäre sie wohl allmachtsvoll und man würde sie ohne Widerrede erdulden. Hier aber schien die Hölle am Werk zu sein, der es gefiel, einen Einzigen zu vernichten, und anderen, die nichts Besseres verdient hätten, tausendfältig Frucht zu geben.

Mit solchen Gedanken ging Christof Hingsten jetzt täglich um. Er wurde ungebärdig und schrie die Knechte um jede Kleinigkeit an. Er war unwirsch zu jedem, der mit ihm sprach, so als trüge der andere Schuld daran, daß der Regen in Bögerlant bliebe.

Je weiter es zur Ernte ging, umsomehr verdüsterte sich sein Herz. Es war jetzt eine böse Lust in ihm, das zu schmähen, was noch gut war.

Als Jürgen Pudmar ihn eines Tages aufsuchte, um ihm Trost zuzusprechen, denn er hatte von dem Kummer und der Not des alten Hingsten schon gehört, jagte ihn Christof davon mit barschem Wort.

»Willst wohl deine Freude haben, wie hier alles verkommt! Da kannst du zu Haus dick auftragen: seht mal an, was ich für einer bin, der Pudmar, da ist der Weizen schwer wie'n Hühnerei. Brauchst nicht zu kommen, wenn du bloß spionieren willst.«

An diesem Abend begann es etwas zu regnen. Hingsten stand barhäuptig vor der Tür und ließ sich die Tropfen langsam über die Wange laufen. So schien es, als weinte er. Er hatte auch die Hände gefaltet und man hätte sehen können, daß er leise die Lippen bewegte. Aber es fiel nur ein geringer Schauer und nach hundert Tropfen war die Wolke davon.

Da ballte Christof Hingsten die Hände.

»Die aus Bögerlant haben den Regen gefressen«, brüllte er und schmiß die Tür zu.

Am nächsten Tage ließ er sich nicht sehen.

 

Um diese Zeit ging Kiek Möns gerne mit Hede Lorms Tochter, der kleinen Mute, durchs Feld. Wenn der Wind wie Schafe durch die Halme lief, klirrte und raschelte es in den Ähren.

»Gleich kommt der große Kornbock gesprungen«, erzählte Kiek Möns, »er hat eine Flöte aus Gras. Wenn er darauf bläst, flattert sein Bocksbart, daß die Windmühlen schneller laufen. Du mußt nämlich wissen, daß jetzt vielerlei im Korn umgeht. Manchmal wälzen sich die Sturmeber darin. Dann liegt das Getreide um und man kann es nur mit der Sichel schneiden. Auch gibt es, so sagt man, ein Kornmännchen, das nachts die Halme zählt und tagsüber aufpaßt, daß keiner abhanden kommt. Es ist ein gutes Wesen und man soll ihm danken, wenn man das Brot schneidet. Aber vor der Roggenmuhme muß man sich in Acht nehmen. Sie hat keinen Verstand für Gut und Böse, das kommt, weil sie einen Garten von Unkraut hat. Sie hat eine alte Feindschaft zu der Feuerfrau, die in der Mittagsglut über den Feldern schwebt und ihr den Mohn und die bunten Kornraden verbrennen will.«

Mute hörte aufmerksam zu.

»Was wird nun mit all denen, wenn die Felder leer sind?« fragte sie.

»Dann wohnen sie in dem letzten Halm«, sagte Kiek Möns, »darum muß man ihn stehen lassen. Man soll die letzten Garben nicht schneiden, schon damit das Pferd des wilden Jägers was zu fressen hat. Wenn er über die Stoppeläcker hinfährt und nichts findet, wird er wütend und reißt uns die Dächer ab.«

Eines Tages, auf einem solcher Feldgänge, war Mute vorausgelaufen, um einen Schmetterling zu haschen. Es war ein großer brauner Falter mit dunklen Punkten, der sich bald hier, bald dort auf eine Blume setzte und dann langsam und in schweren Bogen über dem Korn hinschaukelte.

Mute huschte vorsichtig auf dem schmalen Feldrain ihm nach. Plötzlich kam sie erschrocken zu Kiek Möns zurückgelaufen.

»Der Hafermann!« schrie sie schon von weitem. Sie versteckte den Kopf in Kiek Möns Schürze und war nicht zu bewegen, einen Schritt weiter zu gehen.

»Ich will ihn gleich vertreiben«, sagte Kiek Möns, »setz dich hierher und warte einen Augenblick.«

Als sie den Feldrain entlangsah, kam aus dem Roggenweg ein Mann. Er ging langsam und mit tappendem Schritt und hielt den Kopf gesenkt. Es war Christof Hingsten. Er ging an ihr vorbei ohne aufzublicken. Er erwiderte auch ihren Gruß nicht. Sie sah ihn dann an der Gerste entlanggehen, die schon so weit in der Reife war, daß man ihr Korn bald über den Fingernagel würde brechen können.

Je weiter Christof Hingsten ging, umso voller standen die Felder. Es war ein wogendes Korndickicht, das ihn umfing.

Es ist ein gesegneter Sommer, Bauer, sang es im Korn. Die Grillen zirpten es und die Halmfliegen trugen es von Ähre zu Ähre. Die Ralle schnarrte es von den Wiesen her und eine Lerche sang es hoch in der Luft.

Es ist ein gesegneter Sommer, Bauer, summten die Bienen im Honigklee, und wo die Quitsche am Wegrand schon rote Fruchtbündel hatte, saßen Stare und pfiffen es laut in den Tag.

Es ist ein gesegneter Sommer, Bauer, sprach es im Korn. Das Sichtbare sprach es und das Unsichtbare, die satte Frucht und die wehende Luft, das bunten Gepflanz am Weg, die prallen Kartoffeln und der weite Blättersee der Rübenfelder.

Es ist ein gesegneter Sommer, Bauer, sang es rundum.

Durch fremden Reichtum schritt Christof Hingsten. Dieser Sommer hatte ihn verstoßen. Er war hinausgewiesen worden aus der Kornkammer der üppigen Reife. Die Felder, die ihm am Herzen lagen, standen leer und trostlos da. Er war ausgeschlossen worden vom Gabentisch des Herrn.

Ehrgeizig war er zeitlebens gewesen und ein stolzer Bauer. Wenn es zum Erntefest ging, trug er zwei Uhrketten auf der Weste. Das konnte er sich leisten. Er stand, die Arme verschränkt, zwischen den Tanzenden, zwischen den Knechten und Mägden, um sich die kleineren Bauern, und er stampfte mit dem Fuß: Bier her und Schnaps. Er goß das volle Glas auf den Boden, wenn es ihm gefiel. Das dicke Bier quoll mitten in der Tenne.

So war es gewesen, als er den Hof in Bögerlant hatte. Nun fährt ein anderer die volle Ernte ein. Christof bleibt plötzlich stehen: das ist sein Feld gewesen, dies hier. Solchen Weizen hat man gehabt und solche Gerste! Das hat man weggegeben vor der Zeit. Man hat den Jungen herangelassen, weil man glaubte, daß man so viel vom Leben schon hinter sich hätte, um Frieden zu machen, aber kein Mensch kennt sein eigenes Blut und niemand kann sich selber betrügen. Eines Tages will man sich einreden, daß es nun genug wäre und daß es wohl still in einem sein könnte, aber tagsdrauf schon stellt es sich heraus, daß die Hände doch jünger sind, als man glaubte, und das Herz noch flinker, als man gedacht hatte. Man ist ans Herrschen gewöhnt und hat sich selbst beiseite gestellt. Aber für einen, der weiß, daß die Arbeit auf Eigenem des Himmels höchsten Segen bedeutet, gibt es nur einen Frieden in der Arbeit, aber nicht danach. Dahinter ist nur der dumpfe Schlaf.

Er hatte sich wohl in den Jahren bei Pudmar um alles gekümmert, aber er war doch immer der zweite gewesen, und wenn Pudmar auch auf seinen Rat hörte, so hatte doch letzten Endes nur sein Wort gegolten. Darum glaubte man wieder der Alte zu werden, als man das Gut in Verwaltung nahm. Man herrschte wieder und regierte, und es war niemand da, der einem dareinreden konnte.

Es hatte keinen gegeben, der mehr Mumm in den Knochen hatte, als Christof Hingsten in diesem Frühjahr. So zuversichtlich war er gewesen. Nun war das alles hin. Sie werden mit grinsenden Mäulern dabei stehen, wenn Christof Hingsten seine Ernte einfährt. ›Na, Alter, hast wohl mit Sand gedüngt, mußt die Laterne anzünden, um den Hafer zu finden. Schaffens denn deine Pferde allein, solche Prachternte? Leih dir noch Fenners Pferd aus. Das ist schon halb blind und sieht nicht was es zieht.‹

Christof Hingsten schwingt drohend den Stock. »Schweigt!« brüllt er in die Luft hinein. Aber es klingt ihm wie höhnisches Lachen entgegen.

Da sind tausend Stimmen im Wind, die zischeln und hecheln, quäken und fauchen: Dürrhans! Dürrhans!

Dies Wort, das ungesprochen im Wind lacht, durchschneidet wie eine Sense den Halm die letzte Vernunft.

Christof Hingsten peitscht auf den Weizen los. Sein Stock ist der Flegel, nun drischt er das Korn. Die Ähren brechen. Er tritt mit den Füßen die Halme nieder. Er bricht wie ein Tier in das Korn ein, wie ein Ungetüm stößt er sich vor, blindlings fällt sein Schlag nach rechts und nach links. Über den Kopf wirbelt sein Stock. Das ist nur Zorn und Wut und Haß. Das steigt ihm zu Hirn, springt grell in die Augen, liegt jach auf dem Mund. Er hebt den Stock, er reckt ihn zum Himmel, er droht in den Himmel. Er beugt sich zurück. Er schleudert den Stock. Er schleudert den Stock in den Himmel hinein. Der Stock stürmt empor, stürzt höher und höher. Er sieht ihn nicht fallen. Der Stock stürmt noch immer. Wohin will er landen?

Entsetzen packt ihn. Die Angst schnürt die Kehle. Der Himmel zerschlagen, die Seligkeit tot. Er fällt auf die Knie, er rutscht durch das Korn. Der Himmel zerschlagen, die Seligkeit tot.

Er läuft nach Hause. Er schließt sich ein. Die Knechte rufen. Er hört es nicht. Er liegt in der Stube. Die Fenster verschlossen, die Tür verschlossen. Er liegt auf den Knien.

Spät erst erhebt er sich wieder. Der Mond ist schon da.

Christof Hingsten geht. – Er ging aus dem Haus. Über den Hof lautlos huschte die Fledermaus und im Stalle klopften die Pferde.

Das war sein Abschied. Der jetzt nach Börshoop kam, war ein alter Mann, ängstlich, gebückt und nur wie ein Schatten.

Er klopfte bei Pudmar. Er kam wie ein Bettler.

Von diesem Tage an war Christof Hingsten verwandelt. Er war still und in sich gekehrt und er tat, was man ihm auftrug. Zu Martha war er respektvoll, und sie wunderte sich oft darüber. Von Mariechen hielt er sich ganz zurück, als fürchtete er, daß seine Berührung ihr schaden könnte. Auch das Kind war scheu zu ihm und brachte ihm keine kleinen Geschenke mehr. Pudmar versuchte vergebens herauszubekommen, was mit Christof Hingsten sein könnte. Vor allem begriff er nicht, daß der Alte nicht wieder auf das Gut wollte. Alle Vorstellungen halfen da nichts. Christof Hingsten blieb hartnäckig bei seinem Entschluß. Man konnte ihm auch nicht beibringen, daß er seinen Vertrag den Sterenbrinks gegenüber einhalten müßte. Manchmal schien es so, als hätte er für alle diese Dinge keinen klaren Verstand mehr. So besprach sich Pudmar mit Rode Harms, und da er das Gut nicht fahren lassen wollte, kümmerte er sich auch um dieses Anwesen, um die späten Sommerarbeiten und das Hereinbringen der Ernte. Er gewöhnte sich jetzt an, durch die Felder zu reiten, und während er früher noch hin und wieder sich an dem Fischfang auf dem See beteiligt hatte, so überließ er dieses Geschäft jetzt ganz Simon Gülke, der bald der Einzige war, zu dem der alte Christof Hingsten noch ein Wort redete.

Martha beobachtete das und bat Gülke, sich Christofs anzunehmen, den anscheinend das Alter jäh überfallen hatte und der ihr in seiner Niedergeschlagenheit oft leid tat.

»Er hat sich zuviel übernommen«, sagte sie zu Gülke, »nun hat es ihn plötzlich aus dem Sattel geworfen.«

Simon Gülke war in seiner zutulichen Art von Herzen dazu bereit. So brachte er den Alten abends oft mit nach Haus, und Frau Gülke nahm den Gast stets mit großer Freundlichkeit auf. Der kleine Helmut gab seine lustigen Einfälle dazu und so saßen sie friedlich ein Stündchen oder zwei, bis es Zeit für Christof wurde, nach Hause zu gehen.

Schließlich gewöhnte er sich so an das kleine Haus auf der letzten Düne, daß er auch tagsüber gern dort verweilte. Er traf dann auf seinem Wege dorthin oft Mute, die von Gülkes Milch für Kiek Möns holte. Manchmal saßen sie dann auch zusammen vor der Kuh, die erst noch gemolken werden mußte, und Mute plauderte lebhaft zu dem Alten. Schließlich war es so, daß er schon darauf wartete, daß Mute ihm entgegen käme, oder daß sie zusammen zu der Kuh gehen könnten. Er hörte aufmerksam auf das, was Mute ihm erzählte. Es waren die Geschichten, die sie von Kiek Möns hörte und die sie nun, Eigenes dazu fabulierend, ihm auftischte. Er hatte dergleichen Geschichten bisher selten gehört. Sie waren putzig in ihrem Geschehen, und man hätte kaum glauben sollen, daß sie wahr sein könnten. Aber Mute verbürgte sich dafür, denn sie behauptete, daß Kiek Möns lieber in die Erde versinken würde als Unwahres zu berichten.

»Ich habe selbst den Hafermann gesehen«, sagte sie eines Tages zu Hingsten, »von dem du sagst, daß es ihn nicht gäbe. Er war so alt wie du und ging gebückt. Er hatte einen großen Stock. Ich bin fortgelaufen, denn er soll damit schlagen, wenn es nicht nach seinem Willen geht. Aber Kiek Möns hat ihn doch verjagt.«

Einige Tage später erzählte sie ihm dann die Geschichte von dem Mann, der den lieben Gott totschießen wollte.

»Da ist einmal ein Bauer gewesen«, sagte sie, »der war reich und protzig. Und alles gelang ihm so, wie er es haben wollte. Er hat zwanzig Scheunen gehabt und das ist noch zu wenig gewesen für all das Korn. So gut ist es ihm gegangen. Das hätte wohl nun so für ihn bleiben können bis an den Jüngsten Tag. Aber einmal ist es doch anders gekommen. Da öffnete sich der Himmel, sagte Kiek Möns, und ein ganzer See polterte herunter. Tropfen so groß, als hätte man Fässer ausgegossen und Hagel und Blitzschlag. Das alles ging über dem Bauern sein Feld. Da ist dann die Ernte verdorben. Der Weizen lag um und der Hafer moderte. Darüber ist der Bauer zornig geworden. Bloß weil ihm einmal eine Ernte verdarb, ist er so wütig gewesen, daß er geflucht und geschrien hat, und als noch ein Blitz kam und noch einer, hat er gesagt: ›Ich hab auch Feuer und Blitz und nun will ich dich totschießen.‹ Er hat ein Gewehr geholt und ist aufs Feld gelaufen. Und als wieder ein Blitz den Himmel auftat, hat er hineingeschossen in Gottes Herrlichkeit.«

Das war die Geschichte.

Den alten Christof überfiel ein Zittern, als er Mute so erzählen hörte. Er flüsterte scheu:

»Du mußt nicht glauben, daß der Bauer den lieben Gott erschlagen wollte. Er hat sich nur gegen die Wolken empört, und das sind doch, wie man sagt, Gebilde aus Luft und Wasser.«

»Die Wolken sind der Himmel«, beharrte Mute, »und wer die kaputtmachen will, stößt dem Lieben Gott das Haus ein.«

»Was ist nun mit dem Bauer geworden?« fragte Christof leise.

»Das hat Kiek Möns nicht gesagt«, antwortete Mute, »ich will sie fragen.«

»Vergiß es nicht«, bat Christof.

Tags darauf sagte Mute zu ihm:

»Der böse Bauer hat das Gewehr fortgeworfen und Kiek Möns sagt, daß es der Teufel gefunden hat und es ihm einmal vorzeigen würde.«

»Wenn der Bauer nun den Stock behalten hätte, dann könnte ihn doch wohl der Teufel nicht in Anrechnung bringen.«

»Du mußt selbst einmal mit Kiek Möns sprechen«, antwortete Mute, »die weiß alles.«

Aber dazu hatte Christof Hingsten keinen Mut, doch setzte es sich bei ihm fest, daß er sein Wohl und Wehe noch einmal in der Hand haben würde, wenn er den Stock wiederfände.

Christof Hingsten ging jetzt weit durch die Felder und suchte. Das Getreide stand schon in Hocken und er kroch zwischen den goldbraunen Feimen umher in der Hoffnung, daß der fortgeschleuderte Stock hier irgendwo zur Ruhe gekommen wäre. Obgleich sein Beginnen keinen Erfolg hatte, so ließ er doch nicht davon ab, sondern wanderte allein, von heimlicher Hoffnung und Angst getrieben, über die Äcker. Er stelzte wie ein großer grauer Vogel hinter den Pflügen her und suchte die umgebrochenen Schollen ab.

Da man inzwischen in Börshoop die eigentümliche Wandlung erkannt hatte, die mit ihm vorgegangen war, so nahm man dieses Tun für eine Grille und man sagte von ihm, daß er die gute Ernte suchen wollte.

In all dieser Zeit arbeitete Jürgen Pudmar auf dem Eigenen, vor allem aber in dem Gutsbezirk der Sterenbrinks. Er gönnte sich so wenig Ruhe, daß Martha besorgt um ihn wurde und ihn mahnte, auf seine Gesundheit zu achten und über das Fremde auch an sich selbst zu denken. Aber Pudmar hörte nicht auf solche Worte. Er behauptete, daß eine Frau, die aus dem Kleinen käme, sich nicht in Größeres hineindenken könnte. Er wäre es seinen Vorfahren schuldig, alle Möglichkeiten, die sich böten, auszunützen, um den Namen zu größerer Geltung zu bringen.

Außer allen diesen Arbeiten, die ihm wohl hätten genügen können, kümmerte er sich um die Angelegenheiten der Gemeinde, wurde oft von den Fischern um Rat angegangen, und von ihnen gebeten, diese oder jene Interessen des Dorfes bei der Verwaltung in Dranshop zu vertreten. Schließlich gewöhnte man es sich an, ihm alles zu überlassen, und für das Ansehen, das er nun in Börshoop genoß, hatte er kurze Nächte und geringen Schlaf.

Während in der Zeit um Hilkes Hochzeit sich sein Verhältnis zu Martha gebessert hatte, verschlechterte es sich jetzt von Tag zu Tag. Er hatte kaum noch einen Blick für Mariechen und zu Martha war er unwirsch, besonders dann, wenn sie gewagt hatte, ihm gutgemeinte Vorhaltungen über sein rastloses Leben zu machen. Sie ging dann oft zu Hilke und klagte dort ihr Leid. Die beiden Schwestern standen sich jetzt gut. Da Pudmar die Fischerei auf dem See als Nebensache betrachtete, konnte sie über die Fische, die gefangen wurden, verfügen, und da Pudmar selbst einmal seine Einwilligung gegeben hatte, sorgte sie dafür, daß nicht zu wenig in das Haus der Mole Deep gebracht würde. Besonders achtete sie darauf, daß Andrees jetzt wieder die fettesten Aale holen konnte und bald hatten die Bauern in der Umgegend das alte Vertrauen zu der Ware, die ihnen durch Andrees verkauft wurde.

Es wurden auch viele Fische im See gefangen, die sich nicht zum Räuchern eigneten. Auch von diesen bekam Mole Deep manchen Korb voll, und Andrees oder Simon Gülke, der oft die Wege übernahm, mußten über Land fahren, früh am Morgen schon, damit sie als erste auf die Bauernhöfe kamen. So hatte die kleine Räucherei einen geringen Aufschwung genommen, und Stim Kaat und Hilke hätten wohl mit allem zufrieden sein können, wenn nicht hin und wieder die Sorge um Mole Deep gewesen wäre, die noch immer unter banger Unruhe litt und nicht zur Ruhe kommen konnte, weil die Leiche ihres Sohnes noch immer ruhelos durch das Meer trieb.

Eines Tages kam der Danziger zu Stim Kaat und hatte mit ihm eine längere Unterredung.

Durch seine günstigen Geschäfte, die er für Rode Harms in den Fischerdörfern abschloß und durch kleine Nebeneinnahmen, die er sich durch seine Fixigkeit gemacht hatte, war es ihm möglich gewesen, etwas Geld auf die hohe Kante zu legen. Diese Summe stellte er Stim Kaat für ein neues Netz zur Verfügung unter der Bedingung, daß er dadurch angemessen am Gewinn beteiligt würde.

Stim Kaat ging ohne Zögern darauf ein. Er hatte in Hannes Lietz einen tüchtigen Gefährten, und sie konnten schon mit mehreren Netzen fertig werden. Man versprach sich aber, die Angelegenheit mit dem Danziger nicht weiterzutragen, damit Rode Harms nichts davon erführe. Kog gab ihnen noch einige gute Ratschläge und brachte bei Stim Kaat alle die Ideen an, die er bei Rode Harms nicht loswerden konnte.

Auf seinen Vorschlag wurde ein großes Schild geschrieben, »Erste Börshooper Räucherei«, das nun auf dem Wege zu Mole Deeps Haus prangte. Auch an das Fahrrad, mit dem Andrees über Land fuhr, brachte man ein solches Schild an, und Andrees war stolz darauf, wenn er jetzt in seinem bedächtigen Trott von Bauernhof zu Bauernhof fuhr.

Auf einem dieser Wege traf er auf Christof Hingsten. Während der alte Bauer früher nie ein Wort mit Andrees gesprochen hatte, hielt er ihn jetzt an, und sie erzählten ein Weilchen.

Zuletzt sagte Hingsten:

»Du kommst auf allen Höfen herum. Was erzählt man sich denn da?«

Andrees gab Bescheid so gut er konnte. Christof Hingsten ließ sich kein Wort entgehen. Er sagte:

»Man weiß gar nicht mehr, wie es da aussieht. Früher ist man da zu Hause gewesen und kannte jeden Stein.«

»Da könntet ihr doch mal wieder mit vorbeigehen«, meinte Andrees, »so weit ist es doch nicht.«

»Man möchte gut aufgenommen werden«, sagte Christof Hingsten und ging weiter. Andrees sah ihn noch an einer Wegbiegung stehen und nach Bögerlant herübersehen.

Auf der Rückfahrt traf er Christof Hingsten noch einmal an einer Wiese. Er saß auf einer Bank, vor der ein großer Stein stand, darauf die Sensen gehämmert wurden. Neben der Bank war ein Pfahl angebracht, an dem an langer Schnur ein halber Mauerstein hing, der um den Griff des Sensenbaumes geschlungen wurde, damit die Sensen beim Hämmern festlägen. Auch von dieser Bank aus hatte man einen Blick nach Bögerlant.

Andrees nahm sich vor, mit Karl Hingsten einmal über den Alten zu sprechen, aber als er vorsichtig ein paar Worte anbringen wollte, fuhr ihm Karl gleich über den Mund. Da Andrees fürchtete, sich das Geschäft zu verderben, versuchte er niemals wieder, zu dem Sohn von dem Vater zu reden.

Als der Sommer zu Ende ging, kam der gute Fischmonat und Andrees war viel unterwegs, denn Stirn Kaat und Hannes Lietz brachten vom Meer die Netze voll heim. Auch Rode Harms' Kutter kamen beladen zurück.

So war in Börshoop alles voll Tätigkeit und man lobte das Meer und den Dranshoper See.

Es wurde Herbst, und die Kühe liefen am Nebel entlang.

Eines Tages kamen die Fischer verstört zu Rode Harms. Wo der Mühlbach in den See geht, trieben tot die Aale.

Die Fischer waren erschrocken und brachten ihre Nachricht verwirrt und mit manchem Widerspruch an.

Rode Harms wollte sich an Ort und Stelle von diesem Unglück überzeugen, und sie fuhren noch einmal über den Dranshoper See. Es war so, wie die Fischer gesagt hatten. Aus dem Mühlbach floß eine Lache in den See.

Es waren die Abwässer einer Papierfabrik, die vor kurzem bei Dranshop in Betrieb genommen war.

Rode Harms versprach den Fischern, sich sofort um diese Angelegenheit zu kümmern und ließ sein Boot an Pudmars Hof anlegen, um mit Jürgen die Maßnahmen zu besprechen, die unternommen werden mußten. Aber Pudmar war auf dem Gut und Rode Harms traf Martha allein.

Seitdem er sie zum letzten Male gesehen hatte, das war, als er mit Vrena Sterenbrink zu Pudmar gekommen war, um seinen Rat zu hören, erschien sie ihm verhärmter und schmaler im Gesicht.

Auch Rode Harms war in den letzten Monaten ein anderer geworden.

Mit vielen Hoffnungen hatte er sein Werk in Börshoop begonnen. Es war unter seiner Umsicht und Geschicklichkeit schneller aufgeblüht, als man hätte hoffen dürfen. Man sah in ihm nicht nur den Mann, der für Börshoop etwas bedeutete, sondern er wurde auch in Dranshop geschätzt, und Konsul Behnke unterließ es nie, Rode Harms' Energie und Fleiß zu loben. Er machte auch kein Hehl daraus, daß er sich mit ihm geschäftlich liiert hatte, und so erfreute sich Rode Harms eines guten Rufes, und es gab keinen unter den alten Kaufleuten, der nicht gerne mit ihm in Geschäftsverbindung getreten wäre.

Dazu hatte in den Dranshoper Kreisen seine Heirat mit Vrena Sterenbrink Aufsehen erregt, und da man den alten Herrn Sterenbrink und Vrenas Mutter in freundlichem Gedächtnis hatte, so übertrug man diese gute Zuneigung jetzt auch auf die Tochter, von der man glaubte, daß sie durch diese Heirat und durch die Trennung von ihren Schwestern bereit wäre, ihr bisher untätiges Leben zu überwinden und sich der Tatkraft der Sterenbrinks wieder zu erinnern.

So nahm man nach dieser Heirat Rode Harms und seine junge Frau überall mit offenen Armen auf, und es wäre ein Leichtes gewesen, in Kurzweil und Geselligkeit seine Tage hinzubringen.

Das würde Vrena gefallen haben, doch Rode Harms' Sehnsucht ging dahin, einen warmen häuslichen Herd zu haben und eine Familie, in der man sich nach den Stunden der Arbeit und der Vielfalt geschäftlicher Unternehmungen in heiterer Zufriedenheit wärmen konnte. Aber Vrena wünschte keine Kinder zu haben und Rode Harms sah plötzlich ein Gebäude errichtet, von dem man nicht wußte, was einmal damit werden sollte und in wessen Hände es geraten könnte, wenn es Gott gefiele, ihn aus diesem Leben abzuberufen.

Nach jenem Abend mit Frems war ihm der Gedanke immer vertrauter geworden, daß es wohl gut wäre, über allen Plänen und Entwürfen nicht das eigene Herz zu vergessen.

Die Welt würde kalt sein, wenn sie nur aus großen Gedanken gebaut wäre. Die Erhabenheit der Sonne bringt den freundlichen Garten zur Blüte und die stille einsame Größe des Mondes läßt auch die Nachtigall schluchzen.

So bleibt von der Größe eines Mannes nur ein kaltes stolzes Gedenken, wenn er über den Siegeslauf einer Idee die Wärme seines Herzens vergißt und es nicht versteht, in den hohen Bau eine warme Stube einzufügen, darin eine liebevolle Wärme ist und ein glückliches Wohlgefallen.

Diese Gedanken, vielleicht einfacher und nüchterner waren Rode Harms oft während seiner Arbeit gekommen. Da ihm sein Leben nicht erlaubte, sein Herz suchen zu lassen, so glaubte er, die Stimme seines Herzens zu hören, als eine Frau zum ersten Male öfter in seinen Kreis trat.

Was Frems ihm von den Sterenbrinks erzählte, ging ihm oft nach. Er sah zwischen der herrischen Karla und der nun demütigen Syrrha die dritte Schwester das Steuer tatkräftig in die Hand nehmen. Er beobachtete, wie Vrena sich dagegen wehrte, das Boot haltlos weitertreiben zu lassen.

Aus allen Gesprächen, die er nach jenem Tage, als sie ihn um Rat anging, mit ihr hatte, merkte er, daß sie bereit war, ihr Leben auf festen Grund zu stellen. Dazu erzählte Frems ihm oft von ihr. Rode Harms bemerkte die kleine Absichtlichkeit, aber er sah daraus die treue Sorge des alten Kutschers zu dieser Tochter seines verstorbenen Herrn.

So waren Rode Harms' Gedanken bald nur von Vrena angefüllt, nicht mit einer heißen stürmischen Liebe, sondern mit einer innigen Zärtlichkeit, die ihn schließlich bewog, die mit den Wirrnissen und tückischen Zufällen des Lebens Kämpfende in sein Boot zu ziehen.

Er hatte gehofft, einen Menschen an seiner Seite zu haben, aber er hatte einsehen müssen, daß es nur eine Gestalt war, die vorüberwandelnd bei ihm Rast gemacht hatte und ihm nun schon wieder entglitt.

Als er jetzt an diesem Tage vor Martha stand und sah, wie auch sie schwer an ihrer Ehe trug, empfand er das Mitgefühl, das er seit dem ersten Tage zu ihr gehabt hatte, stiller und inniger.

Sie hatte ihn eingeladen Platz zu nehmen, denn sie glaubte, daß Pudmar bald zurückkommen müßte.

Martha saß vor dem Wirtschaftsbuch und trug darin die Zettel ein, die sie tagsüber von den Mägden erhielt. Sie vermerkte, was an Eiern verkauft worden war und an Milch, deren größter Teil frühmorgens in Kannen vor das Haus gesetzt und von dort mit dem Wagen der Bögerlanter Molkerei abgeholt wurde. Auch was an Kernobst nach Dranshop ging, wurde von Martha gewissenhaft eingetragen. Auf dem Hof und in dem Garten gab es einige guttragende Apfelbäume, deren Ertrag in günstigen Jahren den eigenen Bedarf weit überstieg. In diesem Jahre hatte Martha einige Körbe voll an Hilke geschickt. Es war seit ihrer Ehe das erstemal, daß sie Obst von dem Pudmarschen Hofe in das Haus der Mole Deep hatte bringen lassen.

Martha ließ sich in ihrer Schreibarbeit durch Rode Harms' Anwesenheit nicht stören. Er sah ihr zu, wie sie Zettel um Zettel notierte, durchstrich oder hin und wieder das Mädchen hereinrief, wenn ihr irgend eine Angabe nicht zu stimmen schien. Dabei stellte es sich heraus, daß Martha jedesmal recht hatte, und Rode Harms wurde mit steigender Anteilnahme auf ihre Umsicht und Geschäftigkeit aufmerksam. Er begann in Gedanken sich vorzustellen, wie glücklich eigentlich Pudmar mit einer solchen Frau sein könnte, die ganz in ihrem Wirkungskreis aufging, und die sich wohl nichts weiter wünschte, als ihre Arbeit mit einiger Anerkennung und gutem Wort belohnt zu wissen.

Rode Harms wog in Gedanken diese Frau gegen Vrena, und er mußte sich gestehen, daß eine Frau von Marthas Schlag besser zu einem Manne seiner Art gepaßt hätte. Sie würde ihm Gefährtin sein, und er hätte jemand an seiner Seite, mit dem er alle seine Gedanken austauschen und in Hin- und Widerrede hätte klären können.

Es kam ihn auf einmal der Wunsch an, von seiner Arbeit zu Martha zu sprechen, und während sie eifrig weiter notierte, legte er sich schon in Gedanken zurecht, was er ihr nach Abschluß ihrer Arbeit von seinen zukünftigen Plänen zur Erwägung geben wollte.

Martha hatte es verstanden, das Zimmer, in dem sie saßen, mit einem freundlichen Geschmack wohnlich einzurichten.

Die eine Wand wurde durch einen breiten Kachelofen geteilt, sodaß zwei Ofenecken entstanden, von denen die eine durch einen großen dunkel gestrichenen Schrank, die andere durch eine altmodische Truhe ausgefüllt wurde. Die weiße Decke darüber war aus selbstgesponnenem Leinen mit sorgfältig gehäkelter Kante. Auf dem Rück über der Truhe stand eine alte Familienbibel, daneben die Gesangbücher, von denen das, welches Pudmar immer nahm, einen Goldblechbeschlag hatte.

Das bequeme geschwungene Nußbaumsofa, an der Wand dem Ofen gegenüber, war mit rotem, in viele kleine Püffe gespanntem Plüsch überzogen, auch lag eine rote Plüschdecke auf dem ovalen Tisch, dessen Platte auf gedrehtem Bein ruhte, das wiederum von drei geschweiften Füßen getragen wurde.

Auf diesem Tisch stand in einer bauchigen Vase ein Blumenstrauß. Gelbe Georginen waren es und bläuliche Astern.

Die eine Ecke des Zimmers war grün von Zimmerlinden, Topfpflanzen, Schief blättern und Rankgewächsen auf rundem Blumentisch aus Borkenholz.

Auf dem Nähtisch vor dem Fenster nach dem Hof hin lag eine noch nicht fertige Handarbeit. Zwischen den Fenstern nach der Straße hin tickte über einer Bank eine alte Uhr, die mit behaglichem Schnurren die Zeit maß.

Unter dieser Uhr saß jetzt Martha. Sie schrieb an einem viereckigen Tisch, der einen Wachstuchüberzug hatte. An diesem Tisch spielte sonst Mariechen.

In dieser Stunde erinnerte an das Kind, das wohl schon zu Bett gebracht worden war, nur noch eine Puppe mit einem schön lackierten Holzkopf und strohigem Wuschelhaar, die in einem sorgsam gefältelten rosa Spitzenkleid ohne Strümpfe und Schuhe an der Truhe lehnte.

Während Martha emsig schrieb, hatte Rode Harms sich jedes Möbelstück eingeprägt. Er entsann sich, nur einmal bisher in seinem Leben eine Stube mit der gleichen Aufmerksamkeit betrachtet zu haben. Das war schon lange her. Er war damals wohl schon acht Jahre auf See gefahren und hatte immer in Kajüten oder in Seemannshäusern gelebt. Zu jener Zeit nun fuhr er auf einem kleinen holländischen Küstendampfer und hatte sich mit dem zweiten Matrosen, einem frischen Burschen, angefreundet. Auf diesem Dampfer bekam er eines Tages eine sonderbare Sehnsucht. Während er auf dem Deck herumhantierte, überfiel ihn plötzlich der Wunsch, einmal wieder in einer richtigen Stube zu sein. Dieses Verlangen wurde so stark in ihm, daß er über die Arbeit hinweg davon träumte, bis er von dem anderen Matrosen einen freundlichen Stups in den Rücken bekam. Er machte kein Hehl aus dem, was ihn eben bewegt hatte, und sein holländischer Freund nahm ihn, als sie in Amsterdam anlegten und Urlaub bekamen, zu seiner Mutter nach Alkmaar mit.

So fuhr Rode Harms damals durch das Zaanland. Grün wie das Land im Sommer sind dort die Häuser. An der Zaan entlang stehen sie, oft unwahrscheinlich klein, mit ihren runden Giebeln, die, an den Seiten weit eingebogen, sanften Buchten gleichen, deren Meer die klare Luft ist. Zuweilen gibt es ein wirres Durcheinander dieser vielen kleinen Fischerhäuser, so als wollte jedes auf eigene Faust zum Wasser drängen, denn sie alle fühlen sich verwandt mit den Booten, die an ihnen vorübertreiben: das gleiche Holz hat ihre Körper gefügt.

In einem dieser kleinen Häuser wohnte die Mutter jenes Freundes. Sie gingen durch eine schmale Tür, klommen eine steile Treppe empor und befanden sich auf einmal in einer Stube. Sie war hell und freundlich, hatte breite Fenster und eine niedrige Decke. Es gab blühende Blumenstöcke darin und eine behagliche Bank vor der zuverlässigen Kachel.

An jenem Tage hatte sich Rode Harms nach Jahren wieder einmal als Besuch gefühlt. Für einen Menschen, der ein Leben voll Arbeit hat, gibt es nichts Annehmlicheres, als in einem freundlichen Hause zu Gast zu sein, aus jeder Handreichung des Wirtes ein gutes Vertrauen zu fühlen, sorglich bedient und etwas verwöhnt zu werden. So hatte er die Beine lang ausgestreckt unter dem Tisch, auf dem weißes Brot und gelbe Butter standen und kleine runde Kuchen.

Daran dachte jetzt Rode Harms und er sah zu Martha hinüber. Die Wärme dieses Zimmers, in dem sie jetzt saßen und das sie für ihre häuslichen Stunden nach eigener Anordnung eingerichtet hatte, die milde Landschaft der Zaan, die er sich eben in Gedanken wieder vorstellte, die helle holländische Stube aus vergangener Zeit, das alles ließ ihn plötzlich heiter werden und aus dieser Heiterkeit wuchs für ihn auf einmal Martha. Sie seufzte in diesem Augenblick leise über ihrer Schreibarbeit. Als er sie besorgt fragte, nannte sie ihm den niedrigen Preis, den sie für die verkauften Ferkel eben gebucht hatte. Das hat nun Sorge gemacht und Aufregung und stetes Hinterhersein. Man war in den Tagen, als sie zur Welt kamen und in den Tagen danach, wo sie winzig und in ungeschickter Lebhaftigkeit in dem Koben umherliefen, immer in Angst, daß die Alte, ein täppisches Tier, ihnen etwas tun könnte. Man hatte Schutzstangen an den Wänden der Bucht anbringen müssen und ein Schlupfloch für dies kleine Getier freigelassen, das sauber und rosig herumkroch. All diese Mühe und Sorgfalt stand nun in einer geringen Summe in dem Wirtschaftsbuch ausgedrückt.

Rode Harms wußte, daß der Preis, den man für Schweine erzielte, weit mehr als der Getreidepreis Maßstab des bäuerlichen Wohlergehens ist. So verstand er Martha, die aus dem bescheidenen Erlös, den sie eben vermerkt hatte, auf allgemeine tägliche Sorgen kam. Sie tat es nicht, um für sich zu klagen. Sie gab zu, daß sie auskömmlich zu leben hatten, und daß es gar nicht notwendig wäre, daß Pudmar sich so mit dem Sterenbrinkschen Gut übernähme, aber sie sprach von den kleinen Fischerfamilien in Börshoop, aus denen sie hervorgegangen war, und für die nun wieder ein Winter vor der Tür stand, für den man keine gefüllte Scheune, sondern nur ein paar Notgroschen in der Tasche hatte, die, wenn das Wetter auf lange Zeit ungünstig werden würde wie im Vorjahre, bald aufgezehrt wären.

Sie dachte dabei vor allem an Hilke, von der sie wußte, daß sie zum Spätwinter ein Kind erwartete.

Sie sprachen davon, daß es wohl in Börshoop anders aussehen würde, wenn es nicht so karg mit dem Land bestellt wäre. Es hätte wohl auch noch Boden für manchen gegeben, aber das waren saure Wiesen nach dem See zu und die Sandnehrung zum Tief hin. Das war unfruchtbar, und auch das Brachland vor der Nehrung eignete sich nur zu dürftiger Weide. Der Kuhhirt, der jedes Jahr zum Frühling auftauchte, den Sommer über bis zum Herbst blieb und dann den Winter lang auf Wanderschaft ging, um hier und da in den Bauernhäusern ein kleines Schusterhandwerk zu betreiben, hatte oft seinen Kummer über dieses Weideland.

So schlug aus diesem Gespräch, das Martha und Rode Harms über die Nöte ihres Heimatdorfes mit einander hatten, eine Welle von Vertrautheit, die sie weitertrug in den Bereich ihrer eigenen Sorgnisse. Sie begannen von sich selber zu sprechen, und Martha fühlte aus den Worten des Rode Harms, daß er mit Vrena nicht so glücklich sein könnte wie er es wohl erhofft hatte.

Pudmar kam erst spät am Abend. Er war abgejagt und machte seinem Ärger über den Knecht, der irgend etwas versehen hatte, Luft. Die Nachricht, die Rode Harms brachte, war nicht dazu angetan, ihn zu beruhigen.

»Alles hat sich gegen einen verschworen«, rief er, »erst verdirbt mir der Knecht die Arbeit, daß ich wieder aus eigener Tasche zuzahlen kann, dann erzählt mir Fenner, daß er den alten Hingsten in Bögerlant getroffen hat. Möchte mal wissen, was er da will. Seitdem ers im Kopf hat, ist ihm alles zuzutrauen. Er bekommt es fertig und kriecht wieder bei Karl unter. Hier schläft er ja nur noch. Seit Wochen hab ich ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen. Den Ärger hat man nun schon, und jetzt krepieren einem die Aale noch im See. Ich habs mir gleich denken können, daß es ein Malheur gibt, wenn die Papierfabrik nicht eine eigene Kläranlage baut. Aber den Aktionären sind wir ja Dreck. Was soll man da nun tun? – Ich denke, wir müssen sofort energisch vorgehen. Man muß eine Eingabe von Börshoop machen, daß der Schaden gleich abgestellt wird. Hören sie nicht darauf, bleibt bloß das Gericht.«

Sie setzten zusammen das Schriftstück auf, und da alles gründlich überlegt werden mußte, so war es eine Arbeit, die bis in die Nacht dauerte.

Rode Harms legte es am nächsten Tage einigen älteren Fischern zur Begutachtung vor, und da sie nichts dagegen einzuwenden hatten, ging der Schriftsatz noch am gleichen Tage ab.

Dieses Aalsterben war ein großer Verlust für die Börshooper Fischer, die Gerechtigkeit am See hatten. Besonders auch für die kleineren, die nur das halbe Recht besaßen oder gepachtet hatten und nun den Zins aufbringen mußten.

Dazu kam, daß der November rauh und stürmisch hereinbrach und den Fang vor der Zeit beendete. Die Fischer sahen besorgt in die nächste Zukunft und wo es keine Sparpfennige gab, gingen die Frauen auf die Höfe von Bögerlant und sprachen um Arbeit vor. Es gab hier und dort noch einiges zu tun. Manchmal brachten sie auch nur ein paar Stuhlsitze mit, die frisch geflochten werden mußten.

Am leidlichsten ging es noch bei Stirn Kaat, der mit Hannes Lietz wagemutiger hinausfuhr als die anderen. So konnte Simon Gülke immer einen Korb voll Fische zum Verkauf mitnehmen. Er hatte, um über die schlechte Zeit hinwegzukommen, einen kleinen Handel mit Pfeffer, Senf und Gewürzen angefangen, die er aus einem Pappkarton, der hinten am Fahrrad befestigt war, bei den Bauern verkaufte. Gülke war ein Mensch, der sich nie kleinkriegen ließ und in allen Lebenslagen seine gute Laune behielt. Er hatte dieses Geschenk des Himmels auf seinen Sohn Helmut vererbt, bei dem es sich in eine so unbändige Lebenslust ausgewachsen hatte, daß die Nachbarn oft schimpften und mit Knüppeln hinter ihm her saßen.

Hannes Lietz entfaltete in der letzten Zeit einen besonderen Eifer. Er überraschte Stim Kaat oft durch manchen Einfall über eine Verbesserung ihrer kleinen Räucherei. Es mußte irgendetwas dahinter stecken. Eines Tages verplapperte er sich. Hilke lachte: »Also Wine ist dran schuld.«

»Das habe ich nicht gesagt«, antwortete Hannes, aber als Stim Kaat ihn mit einem derben Witz aufzog, leugnete er es nicht ab. Doch erzählte er nicht, daß Wine lachend und puterrot vor dem ersten Kuß davongelaufen war.

Wenn Wine jetzt in das Haus der Mole Deep kam, nötigte Hilke sie immer auf das Sofa und Hannes Lietz mußte sich neben sie setzen.

Manchmal setzte ihnen Hilke dann die blauen Kornblumentassen vor, die Pudmar zur Hochzeit geschenkt hatte. Sonst standen diese Tassen im Spind und man trank aus Emaillebechern, deren größten Stirn Kaat mit in die Ehe gebracht hatte.

Hilke sah gern, wenn Wine kam. Sie hörte dann manche Neuigkeit aus dem Haus auf der Rowen Düne, in welchem sie selber jahrelang tätig gewesen war.

Erfreuliches war es selten. Frems war oft bekümmert, daß die Ehe zwischen Vrena und Rode Harms nicht so nach Gefallen ging. Man merkte es Vrena an, die öfter unzufrieden in das Haus der Schwestern kam und mit Karla allein nach Dranshop fuhr. Syrrha wurde immer ausgeschaltet. Sie war still und insichgekehrt und schien auch keinen Sinn für Geselligkeiten mehr zu haben. Aber sie war ein paarmal an trüben Herbsttagen, wenn die Wolken wie ein großes Fischernetz über dem See hingen, mit dem alten schwerhörigen Kars hinausgerudert. Es war an Tagen gewesen, an denen Karla in Dranshop war.

Hilke wunderte sich darüber, als Wine es erzählte.

»Früher hat keins von den Fräulein den Fuß nach Börshoop gesetzt, aber Fräulein Vrena hat ja auch Rode Harms geheiratet.«

Sie hatte in dieser Heirat einen Abstieg der Sterenbrinks gesehen und konnte Frems nie Verständnis entgegenbringen, der diese Ehe billigte.

So war Mole Deeps Haus noch immer mit den Sterenbrinks verknüpft, nur daß Wine jetzt den schmalen Dünenweg ging, der zwischen den beiden Häusern lag, und daß nicht Stim Kaat, sondern Hannes Lietz an dem Birkengestrüpp wartete, das Herz voll von derber Zärtlichkeit.

 


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