Marquise de Sévigné
Ausgewählte Briefe
Marquise de Sévigné

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An Mme. de Grignan

Livry, 9. Oktober 1676

Der Abbé Bayard schreibt mir, daß ich sehr wohl daran getan habe, diesen Herbst nicht nach Vichy zu gehen, 137 weil der anhaltende Regen das Wasser schlecht gemacht habe. Sein Brief hat mir große Freude verursacht. Ich brauche für meine Hände eine Art Käse von Hirschmark und ungarischem Königswasser, man sagt, er täte Wunder. Was mir wirklich gut tut, ist das wunderbare Wetter. Es sind so schöne klare Herbsttage, daß ich entzückt von ihnen bin. Von zehn Uhr früh bis fünf Uhr abends bin ich im Freien; ich verliere keinen Augenblick, und um fünf Uhr ziehe ich mich gehorsam zurück. Aber es geschieht nicht ohne Demütigung, und ich erkenne mit großem Kummer, daß ich eine elende Sterbliche bin. Aus dummer Ängstlichkeit verzichte ich auf meinen Verkehr mit dem schönen Abendtau, der doch mein ältester Freund ist, und den ich vielleicht mit Unrecht für meine Krankheit verantwortlich mache. Ich setze mich in die Kirche und schließe die Augen, bis man mir meldet, daß in meinem Zimmer die Kerzen brennen. Denn ich muß in der Dämmerstunde vollständige Dunkelheit haben, wie im Wald oder in der Kirche, oder ich muß mit zwei oder drei Leuten plaudern. Du siehst, ich betrage mich, wie Du es wünschst.

 

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Von Charles de Sévigné an Mme. de Grignan

Livry, 28. Oktober 1676

Meine Mutter ist mir zuliebe hier, ich bin ein armer Verbrecher, der täglich fürchtet, in die Bastille gesperrt oder kassiert zu werdenCharles de Sévigné hatte sich als tapfrer Soldat erwiesen. Aber er langweilte sich, und da er in Flandern, wo er stand, in diesem Jahr kein kriegerisches Ereignis mehr voraussah, forderte er unter dem Vorwand eines Rheumatismus einen Urlaub und verließ in seinem Leichtsinn die Armee, noch ehe dieser bewilligt war. Es kostete Mühe, die schlimmen Folgen abzuwenden.. Ich hoffe indessen, daß alles durch die baldige Rückkehr der Truppen ein gutes Ende finden wird. Ich tue alles, um meine Mutter darüber zu trösten, daß das Wetter so schlecht ist, und daß sie Paris verlassen hat; aber sie will mich nicht anhören. Sie spricht immer von der 138 Sorgfalt, die ich für sie während ihrer Krankheit hatte, und wie ich aus ihren Reden schließen muß, bedauert sie, daß mein Rheumatismus nicht im ganzen Körper ist, und ich nicht ständiges Fieber habe, weil sie mir gern ihre Zärtlichkeit und den ganzen Umfang ihrer Dankbarkeit beweisen möchte. Sie wäre ganz zufrieden, wenn sie mich nur zur Beichte bereit gesehen hätte. Aber unglücklicherweise ist es diesmal noch nichts; sie muß sich zufrieden geben, mich hinken zu sehen, wie seinerzeit M. de La Rochefoucauld hinkte, der jetzt wie eine Baske dahergeht. Wir hoffen, Dich bald zu sehen, täusche uns nicht, und sei nicht ungezogen; man sagt, Du seist es in dieser Hinsicht oft. Lebe wohl, mein schönes Schwesterlein, ich küsse Dich tausendmal aufs herzlichste.

 

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An Mme. de Grignan

Livry, 4. November 1676

Wir lesen noch immer mit Entzücken den heiligen Augustin, es ist etwas so Edles und Großes in seinen Gedanken, daß alles Übel, das für schwache Geister aus seiner Lehre entstehen kann, viel weniger bedeutet, als das Gute, das andre daraus ziehen. Du findest wohl, daß ich die Einsichtsvolle spiele, aber wenn Du siehst, wie man sich damit befreundet, wirst Du nicht über meine Fassungsgabe staunen.

 

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An Mme. de Grignan

Paris, 6. November 1676

Ich bin hier angekommen, habe bei der guten BagnolsSchwester der Mme. de Coulanges. gespeist, und Mme. de Coulanges in dem schönen, von der Sonne beleuchteten Zimmer gefunden, wo ich Dich so oft, fast so glänzend wie die Sonne, gesehen habe. Die arme Genesende hat mich sehr liebenswürdig aufgenommen, sie will Dir ein paar Worte schreiben. Es sind vielleicht Nachrichten aus der andern Welt, die Dir Freude machen. Sie 139 hat mir von den Durchsichtigen erzählt; hast Du schon von ihnen reden hören? Es sind ganze Kleider vom schönsten Goldbrokat und blau, und darüber schwarze, durchsichtige Kleider, entweder aus schöner, englischer Spitze, oder aus sammetartiger Chenille auf einem Gewebe, so wie die Winterspitzen, die Du gesehen hast. Das bildet zusammen ein Transparent, das ein schwarzes Kleid ist, oder aus Silber, oder farbig, wie man will. Das ist jetzt die Mode. Damit hielt man am St. Hubertustag einen Ball, der eine halbe Stunde währte, niemand wollte tanzen. Der König trieb Mme. d'Heudicourt mit Gewalt dazu; sie gehorchte; doch

Da Kämpfer fehlten, endete der KampfZitat aus Corneilles Cid IV, 3..

Die schönen gestickten Röcke, die für Villers-Cotterets bestimmt waren, dienen abends zu den Spaziergängen und sind auch am St. Hubertustag benützt worden. Prinz Condé sagte den Damen in Chantilly, daß ihre Durchsichtigen noch tausendmal schöner wären, wenn sie dieselben nur auf ihrer schönen Haut trügen; ich bezweifle, daß sie besser aussähen.

M. de LangléeDer Sohn einer Kammerfrau der Königin-Mutter; er machte sein Glück bei Hof, galt als zuverlässig und man rühmte seinen Geschmack. hat Mme. de Montespan ein Kleid geschenkt, Gold auf Gold, mit Gold gestickt, mit Gold eingefaßt und darüber ein gekräuseltes Gold, mit einem Gold durchwirkt, das wieder mit einem gewissen andern Gold gemischt war; es ist der göttlichste Stoff, den man sich denken kann. Die Feen haben im geheimen dieses Werk vollbracht, ein lebendes Wesen konnte das nicht. Man wollte es ebenso geheimnisvoll überreichen, als es gefertigt worden war. Der Schneider der Mme. de Montespan brachte ihr ein Kleid, das sie bestellt hatte; der Leib war nach einem lächerlichen Maß gemacht. Man schrie und zankte; wie Du Dir vorstellen kannst, sagte der Schneider zitternd: »Madame, da die Zeit drängt, sehen Sie, ob Ihnen nicht vielleicht das andre Kleid, welches ich hier habe, besser zusagt.« – Man enthüllt das Kleid: »O! wie schön! Welch schöner Stoff! Kommt er vom 140 Himmel? Es gibt keinen ähnlichen auf Erden.« Man probiert es, es ist zum Malen. Der König kommt, der Schneider sagt: »Madame, es ist für Sie gemacht.« Man versteht, daß es eine Galanterie ist, aber wer kann sie erwiesen haben? »Es ist Langlée«, sagt der König – »Es ist sicherlich Langlée«, sagt Mme. de Montespan, »nur er kann eine solche Pracht ausgesonnen haben.« »Es ist Langlée, es ist Langlée.« Jedermann wiederholt: »Es ist Langlée.« Das Echo stimmt ein und sagt: »Es ist Langlée.« Und ich, meine Tochter, sage Dir, um mit der Mode zu gehen: »Es ist Langlée.«

 

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An Mme. de Grignan

Paris, 18. November 1676

Dangeau wollte ebenso wie Langlée Geschenke machen. Er hat die Menagerie in Clagny gegründet und hat für mehr als zweitausend Taler Tiere angeschafft, die zärtlichsten Turteltauben, die fettesten Schweine, die rundesten Kühe, die wolligsten Schafe, die gänsigsten Gänse. Gestern ließ er die ganze Truppe Revue passieren, wie die des Jakob, die in Eurem Kabinett in Grignan stehtDer Abbé de Coulanges hatte der Gräfin Grignan ein Bild geschenkt, das den Erzvater Jakob mit seiner Herde darstellte..

 

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An Mme. de GrignanMme. de Grignan war vom 22. Dezember 1676 bis Juni 1677 bei ihrer Mutter in Paris.

Livry, 23. Juli 1677

Der BaronCharles de Sévigné. ist hier und läßt mich gar nicht zu Atem kommen, denn er führt mich mit Sturmschritt in die Lektüre; trotzdem wird vorher der Konversation einige Zeit gewidmet. Don Quichotte, Lucian und die kleinen BriefePascals »Lettres provinciales« gegen die Jesuiten. beschäftigen uns. Ich wünsche von Herzen, Du hättest 141 gesehen, in welcher Art er die Lektüre der letzteren betreibt. Sie bekommen einen ganz eigentümlichen Zug, wenn sie durch seine Hände gegangen sind. Sowohl im Ernst als im Spott ist er göttlich zu hören. Die Briefe sind mir immer neu, und ich glaube, die Art der Unterhaltung würde Dir ebenso zusagen, wie die »Unvergänglichkeit der Materie«. Ich arbeite, während er liest, und wie Du weißt, hat man den Spaziergang hier so leicht, daß man zehnmal im Garten ist und zehnmal wiederkommt. Ich denke für einen Augenblick nach Paris zu reisen, und wir werden Corbinelli mit herausbringen. Aber ich verlasse die hübsche friedliche Einsamkeit und reise am 16. August nach Burgund und nach Vichy. Mache Dir nur keine Sorge wegen meines Badeaufenthaltes. Gott will nicht, daß ich mit Dir dort sei, und so muß ich mich seinem Gesetz unterwerfen. Ich suche mich in dem Gedanken zu trösten, daß Du schläfst, in Ruhe bist, nicht mehr von tausend Sorgen gequält wirst; daß Dein hübsches Gesicht wieder seinen angenehmen Ausdruck erhält, daß Deine Brust nicht mehr gleich der einer Hektischen ist. Das soll mir die Trennung versüßen. Wenn die Hoffnung sich zu all den Gedanken gesellen wollte, wäre sie hochwillkommen. Ich denke, M. de Grignan ist bei Dir, ich beglückwünsche ihn bestens zu allem, was ihm gelungen ist. Ich weiß, wie man ihn in der Provence empfängt, und wundere mich nicht, daß man ihn gern hat. Ich empfehle ihm Pauline und bitte ihn, sie gegen Deine Philosophie zu verteidigen. Beraubt Euch beide nicht der Freude, die das Kind gewährt. Man hat die Freuden nicht so zur Auswahl. Wenn man ein so unschuldiges, natürliches Geschöpf in Händen hat, meine ich, man sollte nicht so grausam gegen sich selbst sein, es fortzugeben.

Ich glaube, meine Tochter, daß ich in betreff des epischen Gedichts ganz Deiner Ansicht bin. Der »Flitter« des Tasso hat mich entzücktBoileau hatte sich in seiner »Poetik« gegen das »Flittergold« Tassos ausgesprochen.. Ich bin überzeugt, daß Dir Virgil gefallen wird. Corbinelli lehrte mich ihn bewundern. Du brauchtest jemand wie ihn, Dich auf der Reise zu begleiten. Ich will »Das Schisma der Griechen«Ein Geschichtswerk des Paters L. Maimbourg. 142 durchblättern, man lobt es, ich werde La Garde raten, es Dir mitzubringen. Ich weiß nichts Neues. Ich küsse Dich zärtlich.

Von Charles de Sévigné

O Du schwacher Geist! Dir gefällt Homer nicht. Die vollkommensten Werke scheinen Dir verächtlich, die natürlichen Schönheiten lassen Dich unempfindlich. Du brauchst Flitter oder kleine KörperAnspielung auf die Lehre Descartes' von den Atomen.. Wenn Du Frieden mit mir haben willst, lies Virgil nicht, ich würde Dir niemals die Beleidigungen verzeihen, die Du ihm etwa antun möchtest. Wenn Du Dir indessen das sechste und das neunte Buch, das die Geschichte des Nisus und Euryalus enthält, erklären lassen möchtest, ebenso das elfte und zwölfte, so bin ich überzeugt, es würde Dir Freude machen. Turnus würde Dir achtenswert und Deiner Freundschaft würdig erscheinen. Mit einem Wort, wie ich Dich kenne, würde ich sehr für M. de Grignan fürchten, wenn je ein solcher Mann an den Ufern der Provence landete. Da ich, wie Du weißt, ein guter Bruder bin, wünsche ich Dir von ganzem Herzen ein solches Abenteuer. Denn da einmal geschrieben steht, daß Du närrisch sein sollst, wäre es viel besser in dieser Art, als durch die Unvergänglichkeit der Materie es zu werden. Es ist traurig, sich nur mit Atomen und Betrachtungen zu beschäftigen, die so subtil sind, daß sie einem entschlüpfen.

 

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An Mme. de Grignan

Paris, 12. Oktober 1677

Wir sind im Auszug begriffen, meine Holde, und weil meine Leute die Sache besser verstehen als ich, lasse ich sie alle hier und flüchte mich aus der Unordnung und dem unmenschlichen Lärmen der Mme. Bernard, die mich schon um sechs Uhr morgens mit ihren Schreinern weckt. Ein derartiger Abschied erleichtert das Scheiden.

D'Hacqueville und ich sind im Streit. Er will, daß Du mit mir in der schönen Wohnung seiest; ich wollte Dich in der unteren Wohnung unterbringen, wo ganz dieselbe Anzahl von Zimmern ist, damit wir nicht gedrängt und zu nah 143 aufeinander wären. Folgendes sind seine Gründe: Er sagt, daß es oben viel heller und reiner ist als unten, er hat recht. Es ist ein großer gemeinschaftlicher Saal da, den ich möblieren werde, ferner ein Durchgang, und ein großes Zimmer, das Deine. Von diesem Zimmer gelangt man in das von Mme. de Lillebonne, – das ist das meine, – und aus dem großen Zimmer geht man in ein kleines, das Du nicht kennst; das soll Dein Nest sein. Dein Schmollwinkel, den ich Dir möbliere und wo Du schlafen kannst, wenn Du willst. Das große wird auch ein Bett haben, ich habe Sachen genug, um es einzurichten. Das kleine Zimmer ist sehr hübsch. Er meint, daß alle, die uns beide besuchen wollen, Dich nicht stören, wenn sie durch Dein großes Zimmer gehen. Die Leute, die ich Dir abnehmen will, kommen auf einer ganz anständigen, gesonderten Stiege zu mir direkt in mein kleines Zimmer. Das ist auch die Stiege für den Morgen, für meine Leute, meine Arbeiter und meine Gläubiger. Neben der Stiege sind zwei Zimmer für meine Kammerfrauen; für die Deinen sind auch Räume da, ferner oben für Montgobert und die Fräuleins von Grignan, wo jetzt zwei Prinzessinnen sind, es heißt das Prinzessenzimmer. M. de Grignan wohnt auf der andern Seite des Saals, mein Sohn unten, ohne daß der große Saal möbliert wird. Der Herzensgute kommt in einen hübschen Seitenflügel. So hatte der große d'Hacqueville alles ausgedacht. Willst Du lieber unten sein, so brauchst Du es nur zu sagen. Man muß dann größere und bessere Scheiben einsetzen lassen, und den großen Saal zu möblieren suchen. Deine Entscheidung muß maßgebend sein, denn das Haus ist so groß, daß es eine Kleinigkeit ist, auch noch meinen Sohn unterzubringen. Es sind vier Wagenremisen da, und man kann noch eine fünfte machen. Der Stall ist für achtzehn Pferde, ich glaube, wir werden sehr angenehm da wohnen. Adressiere von nun an Deine Briefe dahin: Hotel Carnavalet, Rue des Filles Bleues. Ihr braucht keine Möbel mitzubringen, viel eher Wäsche, wenn Du nicht willst, daß ich hier welche kaufe. Der Garten ist sehr schön, ich hielt ihn für eine Reitschule, weil M. und Mme. de Lillebonne so schmutzig sind, aber ich habe mich geirrt; schreibe über das alles. 144

 

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An den Grafen Bussy-Rabutin und an Mme. de Coligny, dessen Tochter.

Paris, 18. März 1678

Was sagen Sie zu der Einnahme von Gent? Es ist schon lange her, mein Vetter, daß man dort keinen König von Frankreich gesehen hat. Der unsre ist wirklich bewundernswürdig und verdiente andre Chronisten, als die zwei PoetenRacine und Boileau-Despréaux, die zu Historiographen des Königs ernannt worden waren und die Armee mit ins Feld begleiteten.. Er hat sie gar nicht nötig; man braucht keinen poetischen Aufputz, um ihn über die andern zu erheben. Es gehört nur ein guter klarer Stil dazu. Ich muß immer daran denken, und ich werde aufs neue mit dem Minister darüber reden, wie es die Pflicht einer guten Französin ist.

Die beiden Poeten begleiten den Hof, bald zu Fuß, bald zu Pferd, bis über die Ohren im Schmutz, und schlafen poetisch beim Schein der schönen Freundin Endymions. Sie brauchen übrigens sehr gute Augen, wenn sie alle Taten des Fürsten genau sehen wollen. Sie huldigen ihm durch ihr Erstaunen über die zahlreichen Legionen und die Anstrengungen, die nur zu reell sind. Sie sagten dem König neulich, sie wären nicht mehr so sehr über die außerordentliche Tapferkeit der Soldaten erstaunt, da diese recht hätten, sich den Tod zu wünschen, um ein so entsetzliches Leben zu enden. Man lacht darüber. Mein lieber Vetter, da habe ich Ihnen dummes Zeug genug geschrieben, ich weiß nicht, wie mich Racine und Despréaux unvermerkt so weit geführt haben. Es war meine Feder, die das alles ohne meine Zustimmung schrieb. 145

 

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An den Grafen Bussy-Rabutin

Paris, 12. Oktober 1678

Die Armee M. de Luxembourgs ist noch nicht entlassen; die Soldaten sprechen sogar von der Belagerung von Trier. Ich wäre in Verzweiflung, wenn ich immer wieder Sorge wegen des Kriegs ausstehen müßte. Ich wünsche von Herzen, mein Sohn und mein Vermögen hätten nicht mehr von »den glorreichen Leiden« zu dulden.

 

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An den Grafen Bussy-Rabutin

Paris, 27. Juni 1679

Auf den ganzen ersten Satz Ihres Briefes habe ich nichts zu erwidern, als daß ich am liebsten in Livry schreibe. Geist und Körper sind dort in Ruhe, und habe ich Briefe zu beantworten, so verschiebe ich es immer auf meinen nächsten Ausflug. Aber ich habe unrecht, denn dadurch gibt es Verspätungen; ich will mich bessern. Ich sage immer, wenn ich nur zweihundert Jahre alt werden könnte, würde ich die vortrefflichste Frau der Welt werden. Ich bessere mich gern und finde, daß es mir um so leichter fällt, je älter ich werde. Ich weiß, daß man dem Zauber der Jugend tausend Dinge verzeiht, die unverzeihlich sind, wenn er geschwunden ist. Man sieht genauer zu und verzeiht nichts mehr. Man hat die günstige Stimmung, alles von der guten Seite zu nehmen, verloren, und es ist nicht mehr erlaubt, unrecht zu haben. In diesem Gedanken drängt uns die Eigenliebe, das aufzusuchen, was uns gegen den traurigen Verfall schützen könnte, der wider unsern Willen täglich wächst.

Durch diese Betrachtungen bin ich zu dem Glauben gekommen, daß man sich in meinem Alter weniger vernachlässigen darf, als in der Blüte der Jugend. Aber das Leben ist zu kurz, und der Tod rafft uns dahin, mitten in unsern Sünden und guten Vorsätzen. 146

 


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