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Die Lipker, welche sich durch die Flucht gerettet hatten, überbrachten der Bialogroder Horde die Kunde von der entsetzlichen Niederlage, und sofort eilten Boten mit der Schreckensnachricht in das Ordu i Hamajim – in das kaiserliche Lager – wo selbst dadurch große Bestürzung hervorgerufen ward.
Herr Nowowiejski hatte es fürwahr nicht nötig, im Eilritte nach der Republik zurückzukehren, um seine Beute in Sicherheit zu bringen, da weder im ersten Augenblicke, noch in den nächsten Tagen an seine Verfolgung gedacht ward. Der Sultan war derart verblüfft, daß er anfänglich gar nicht wußte, was er beginnen sollte. Zuvörderst entsandte er die Horden aus Bialogrod und aus der Dobrucza auf Streifzüge aus, damit festgestellt werde, was für eine Kriegsmacht sich in der Umgebung befinde. Um das eigene Leben besorgt, gehorchten diese indessen nur ungern dem Befehle. Von Mund zu Mund ging das Gerücht von der entsetzlichen Niederlage, von dem Kampfe, dessen Einzelheiten in immer schrecklicheren Farben ausgemalt wurden. Die aus dem Innern von Asien oder von Afrika stammenden Krieger, die noch niemals gegen die Polen gekämpft hatten, und welche nun von der furchtbaren Reiterei der Ungläubigen hörten, wurden von einem gewaltigen Schrecken erfaßt bei dem Gedanken, daß sie es mit einem Feinde zu thun hatten, der nicht einmal ihr Erscheinen an seinen eigenen Grenzen abwartete, sondern selbst gegen sie in das Reich des Padischah zog. Der Großvezier sogar, wie auch die »künftige Sonne des Krieges«, der Kaimakam Kara Mustafa, wußten sich jenen Ueberfall nicht zu deuten. Wie es gekommen war, daß die Republik, über deren Schwäche alle Berichte übereinstimmten, plötzlich in der Weise vorgehen konnte, das vermochte sich kein Türke auszudenken, doch von nun an glich der Vormarsch nicht mehr einem Triumphzuge, von nun an beobachtete man allerlei Sicherheitsmaßregeln. Bei dem zusammengerufenen Kriegsrate empfing der Sultan den Großvezier und den Kaimakam mit drohender Miene.
»Ihr habt mich getäuscht,« hub er an, »nicht allzu schwach können die Polen sein, daß sie zum Angriff auf uns übergehen. Ihr behauptetet, Sobieski werde Kamieniec nicht verteidigen, und siehe da, sicherlich ist er es, der uns mit seinem ganzen Heere gegenübersteht.«
Der Großvezier sowohl wie der Kaimakam suchten zwar dem Sultan die Sache so darzustellen, als ob der Ueberfall von einer selbständigen Räuberbande unternommen worden wäre, doch glaubten sie angesichts der vorgefundenen Musketen und der zum Befestigen der Reiterkoller an den Sätteln dienenden Riemen selbst nicht daran. Außerdem ließ ja die erst vor kurzem stattgehabte, tollkühne und dennoch siegreiche Expedition Sobieskis nach der Ukraine die Annahme zu, daß es der fürchterliche Heerführer gewesen war, der auch jetzt den so unerwarteten Ueberfall gewagt hatte.
»Ihm steht kein Heer zur Verfügung,« sagte nach Beendigung des Kriegsrates der Großvezier zu dem Kaimakam, »doch besitzt er das Herz eines Löwen, das keine Furcht kennt. Fürwahr, selbst wenn er nur über etliche tausend Mann gebietet, waten wir im Blute nach Chocim.«
»Wie gern würde ich mich mit ihm messen!« rief der junge Kara Mustafa.
»Möge Gott dann jedes Unheil von Dir abwenden!« entgegnete der Großvezier.
Inzwischen gewannen die Horden aus Bialogrod und aus der Dobrucza die Ueberzeugung, daß sich weder eine größere, noch eine kleinere Kriegsschar in der Nähe befinde. Dagegen entdeckten sie die Hufspuren von einer gegen dreihundert Pferde zählenden Schwadron, die augenscheinlich so rasch wie möglich den Dniester zu erreichen suchte. Zu der Verfolgung dieser Schwadron konnten sich jedoch die Horden nicht entschließen, eingedenk des die Lipker betroffenen Schicksales und wegen der Befürchtung, in einen Hinterhalt zu geraten. So blieb denn der auf die Lipker unternommene Ueberfall unaufgeklärt, allmählich beruhigte man sich aber wieder in dem Ordu i Hamajim, und von neuem drang die Streitmacht des Padischahs wie eine unaufhaltsame Flut weiter und weiter vor.
Mittlerweile setzte Nowowiejski mit seiner lebendigen Beute ungefährdet den Rückzug nach Raszkow fort. Er beschleunigte zwar anfänglich die Rückkehr, doch sehr bald ward es dem erfahrenen Führer von Streifwachen klar, daß ihm keine Verfolgung drohe, und wenn er daher auch immer noch zu einer gewissen Eile antrieb, so befahl er doch, die Pferde nicht allzusehr anzustrengen. Das starke Steppenpferd, auf dessen Rücken Azya, mit Stricken gebunden, lag, trabte beständig zwischen Nowowiejski und Lusnia dahin. Eine tiefe Erschöpfung hatte den jungen Tataren überkommen, denn abgesehen von den Schmerzen, welche ihm die verletzten Rippen verursachten, quälten ihn nicht nur die ihm von Basia beigebrachten und infolge des Ringens mit Nowowiejski wieder aufgebrochenen Wunden, sondern auch das Herabhängen seines Hauptes während des Rittes. Der fürchterliche Wachtmeister wendete ihm daher fortwährend seine Fürsorge zu, damit Azya ja nicht vor der Ankunft in Raszkow sterbe und dadurch die Rachepläne vereitelt werden könnten. Der junge Tatar aber wollte nicht leben, wußte er doch ganz genau, was seiner harrte. Er beschloß daher, Hungers zu sterben und lehnte jede Nahrung ab, allein Lusnia brachte mittelst eines Messers seine zusammengebissenen Zähne auseinander und flößte ihm gewaltsam Branntwein und Moldauer Wein ein, in den er Zwieback gerieben hatte. Sobald gerastet wurde, vergaß Lusnia auch nie, das Gesicht des Gefangenen mit Wasser zu begießen, um das Eitern der auf Augen und Nase befindlichen Wunden zu verhüten, auf die sich unterwegs stets Fliegen und Bremsen setzten. Nowowiejski redete mit Azya kein Wort, nur einmal, da dieser als Preis für seine Freiheit die Auslieferung Zosias und Ewas in Aussicht stellte, schrie ihm der junge Leutnant zu:
»Du lügst, Du Hund! Beide sind an einen Händler nach Stambul verkauft worden, der sie dann auf dem dortigen Markte weiter verschacherte.«
Unverweilt ward jenem auch Eliaszewicz gegenüber gestellt, der in Gegenwart aller erklärte:
»So ist es, Effendi! Du hast die eine verkauft, ohne nur zu wissen an wen, und Adurowicz verkaufte die Schwester des Bogadyrs, Anmerk. d. Uebersetzerinnen: Held, Krieger. trotzdem er sie zu seinem Weibe gemacht hatte.«
Nach jenem Ausspruch hatte es Azya einen Augenblick geschienen, Nowowiejski werde ihn mit seinen Händen erwürgen, als dies jedoch unterblieb, beschloß er, den jungen Riesen so lange zu reizen, bis er ihn in seiner Wut töte. Auf solche Weise hoffte er, den ihm drohenden Folterqualen zu entgehen. Da der junge Offizier, um ihn scharf im Auge zu behalten, stets dicht an seiner Seite ritt, hub der Gefangene allmählich an, sich mit den von ihm begangenen Thaten zu brüsten. Er schilderte wie er den alten Nowowiejski unter Qualen abgeschlachtet, und wie er die Zosia Boski in seinem Zelte gehalten, sie mit der Peitsche blutig geschlagen und sie mit Füßen getreten habe. Große Schweißtropfen rannen über das bleiche, erstarrte Antlitz Nowowiejskis, als er dies Entsetzliche mit anhörte. Und doch, er wollte kein Wort davon verlieren, er hatte weder die Kraft, noch den Wunsch, von Azyas Seite zu weichen – im Gegenteile, gierig lauschte sein Ohr, seine Hände zitterten zwar, sein gewaltiger Körper wurde von Konvulsionen erschüttert, allein trotzdem gelang es ihm, sich zu beherrschen, und er tötete den verhaßten Feind nicht.
Was erreichte daher Azya mit seinem prahlerischen Gerede? Er quälte nicht nur Nowowiejski, er quälte auch sich selbst damit, denn sein unglückseliges Geschick kam ihm nunmehr so recht zum Bewußtsein. Er, der einstige Befehlshaber, der einstige Mursa, der Liebling des jungen Kaimakam, er, dem ein Teil seiner ehrgeizigen Pläne schon in Erfüllung gegangen war, er lag nun dahingestreckt auf dem Rücken eines Pferdes, wurde bei lebendigem Leibe von den Fliegen zerstochen und ging einem qualvollen Tode entgegen. Als eine Erleichterung begrüßte er es jetzt, wenn ihm vor Schmerz und Ermattung das Bewußtsein schwand. Immer häufiger befielen ihn Ohnmachten, immer mehr wuchs die Furcht Lusnias, er werde den Gefangenen nicht lebend an das Ziel bringen, trotzdem sie jetzt Tag und Nacht weiterritten und, den Pferden nur die nötigste Ruhe gönnend, immer näher und näher nach Raszkow kamen. Die zähe tatarische Seele hielt aber in dem gequälten Körper aus. Ein bleierner Schlaf senkte sich aber auch nun dann und wann auf den in Fieberhitze Glühenden herab, und oftmals glaubte er im Traume oder in seinen Fieberphantasien in Chreptiow zu sein, um von dort aus, nach den erforderlichen Vorbereitungen, mit Wolodyjowski in den großen Krieg zu ziehen. Dann war's ihm wieder, als ob er Basia nach Raszkow geleite, als ob er sie geraubt habe und sie nun bei ihm, in seinem Zelte, verweile. Zuweilen dünkte es ihn auch, er befinde sich inmitten einer blutigen Schlacht, inmitten eines erbarmungslosen Gemetzels, es dünkte ihn, er erteile als Hetman der polnischen Tataren unter dem Bunczuk nach allen Richtungen hin Befehle. Doch, wehe wenn das Erwachen kam, wenn ihm das Bewußtsein zurückkehrte! Sobald er nur die Augen aufschlug, gewahrte er Nowowiejski und Lusnia, gewahrte er die Helme der Dragoner, welche längst wieder die Pelzmützen der Roßknechte abgelegt hatten, und er sah sich in die Wirklichkeit zurückversetzt, in diese Wirklichkeit, die so entsetzlich war, daß sie wie ein Traumgebilde erscheinen mußte. Jede Bewegung des Pferdes verursachte ihm die größte Pein, seine Wunden brannten, und immer wieder verlor er das Bewußtsein, verfiel er in Fieberphantasien, um gleich darauf wieder die Besinnung zu erlangen, neue Qualen zu erdulden.
Es kamen Augenblicke, in denen es ihm als eine Unmöglichkeit erschien, daß er, ein solch elender Mensch, Azya, der Sohn von Tuchay-Bey sein solle, daß er, dessen ganze Natur auf eine hohe Bestimmung hinzuweisen schien, ein so jähes, furchtbares Ende nehmen solle.
Manchmal gewährte ihm auch der Gedanke Trost, er werde nach dem Tode, nach den überstandenen Martern in das Paradies eingehen, da er sich aber selbst zum Christentum bekannt, da er lange unter Christen gelebt hatte, ergriff ihn zuletzt bange Furcht vor Christus. Nein, bei Christus wird er kein Erbarmen finden, niemals aber hätte er in die Hände Nowowiejskis fallen können, wenn der Prophet der mächtigere Gott wäre.
Bald aber hatten sie nun ihr Ziel, hatten sie Raszkow erreicht – sie zogen durch eine felsenreiche, die Nähe des Dniestrs verkündende Gegend. Der Abend brach an. Azya lag in einem halb bewußtlosen Zustande auf dem Steppenpferde. In seinem wirren Sinn vermischten sich die Gebilde seiner Fieberphantasien mit der Wirklichkeit. Demnach schien es ihm, als seien sie am Ziele angelangt. Das Roß steht still, deutlich hört er neben sich »Raszkow, Raszkow« sagen, ihm ist's, als vernehme er, wie mit einer Axt Holz geschlagen werde.
Dann fühlt er mit einemmale, daß man ihm Wasser über den Kopf schüttet, daß man ihm Branntwein in den Mund flößt – und er erlangt wieder völlig das Bewußtsein. Ueber ihm glitzern am Himmelsgewölbe unzählige Sterne, neben ihm aber flackern mehrere Fackeln, und an sein Ohr tönt die Frage:
»Bei Bewußtsein?«
»Bei Bewußtsein! Schaut ganz vernünftig darein.«
In diesem Augenblick sieht er auch in das Gesicht Lusnias, der sich über ihn beugt.
»Traun, Brüderchen!« läßt sich nun der Wachtmeister in ruhigem Tone vernehmen, »Deine Zeit ist gekommen.«
Azya liegt auf dem Rücken, die Arme zu beiden Seiten des Kopfes emporgestreckt. Er atmet leichter, vermag er jetzt doch besser Luft zu schöpfen, als in der Zeit, in der er auf das Pferd gefesselt war. Er konnte die Arme indessen nicht frei bewegen, da sie oberhalb des Kopfes an einem Eichenknüttel, der ihm weit bis zum Rücken hinabreichte, festgebunden und mit von Teer durchtränktem Stroh umwickelt waren. Der Sohn von Tuchay-Bey erriet sofort den Grund hierfür, doch erkannte er auch noch an anderen Vorkehrungen, welch lange und schreckliche Folterqualen ihm bevorstanden. Man entkleidete ihn von den Hüften bis zu den Füßen, und so er nur ein wenig den Kopf erhob, konnte er zwischen seinen nackten Knien die sorgsam ausgearbeitete Spitze eines Pfahles erblicken, dessen dickes Ende an einem Baumstamme befestigt war. Um jeden Fuß Azyas schlang man ein langes Seil, das dann an einem Ortscheit befestigt ward, an das man wiederum ein Pferd spannte. Beim Scheine der Fackeln konnte Azya die Hinterbeine der Pferde sehen, sowie die beiden, etwas entfernt stehenden Männer, welche die Tiere am Zügel hielten.
Mit einem Blick übersah der Unglückliche all diese Vorbereitungen, und unwillkürlich schaute er zum Himmel empor, an dem unzählige Sterne glitzerten, an dem die glänzende Mondsichel stand.
»Man wird mich aufspießen!« dachte er bei sich.
So gewaltig biß er nun die Zähne zusammen, daß ein Krampf seine Kinnladen packte, der Schweiß rann über sein Antlitz, das aber trotzdem eisig kalt wurde, da alles Blut daraus gewichen war. Plötzlich überkam ihn die Empfindung, der Boden weiche unter seinem Rücken, er stürze in eine unergründliche Tiefe hinab. Für wenige Augenblicke verlor er den Begriff der Zeit und des Ortes, für wenige Augenblicke wußte er nicht mehr, was mit ihm vorging. Doch abermals brach ihm der Wachtmeister mit seinem Messer die Zähne auf und flößte ihm etwas Branntwein ein.
Azya schrie auf und versuchte die brennende Flüssigkeit auszuspeien, teilweise mußte er sie aber doch schlucken. Daraufhin bemächtigte sich seiner ein eigentümlicher Zustand. Er war nicht trunken, im Gegenteile, niemals war seine Urteilskraft klarer, sein Blick schärfer gewesen. Er sah alles, was vorging, er begriff alles, nur ward er von einer gewissen Rastlosigkeit, von einer gewissen Ungeduld erfaßt – es peinigte ihn, daß alles so lange dauerte, daß noch immer nichts begonnen habe.
Da mit einemmale wurden schwere Tritte hörbar, und Nowowiejski stand vor dem Tataren, den ein Zittern überkam. – Den Lusnia fürchtete er nicht, den verachtete er zu sehr, aber den Nowowiejski, den verachtete er nicht, traun, den konnte er nicht verachten, nein, beim Anblick des jungen Offiziers wurde Azya von abergläubiger Furcht, von Grauen ergriffen, und der Gedanke: »Ich bin in seiner Gewalt, ich fürchte ihn!« war für den Sohn von Tuchay-Bey ein solch entsetzlicher, daß sich ihm die Haare auf dem Haupte sträubten.
Nowowiejski aber sprach:
»Für all das, was Du verbrochen hast, sollst Du den Martertod erleiden.«
Der Lipker erteilte keine Antwort, er begann nur, tief Atem zu holen.
Nowowiejski trat zur Seite. Während eines Momentes herrschte tiefe Stille.
Endlich hub Lusnia mit heiserer Stimme an:
»Auch gegen die Herrin hast Du Deine Hand erhoben. Doch ist die Herrin nun wohlbehalten in der Behausung ihres Gatten – Du aber bist in unserer Gewalt! Deine Zeit ist gekommen!«
Nun begannen die entsetzlichsten Folterqualen für Azya, der jetzt, in seiner Todesstunde, zu der Erkenntnis kam, daß der von ihm verübte Verrat, daß all die von ihm begangenen Uebelthaten fruchtlos gewesen waren. Wenn Basia auf dem Wege umgekommen wäre, hätte er wenigstens den Trost gehabt, daß sie niemand mehr angehöre, nachdem er sie nicht zu der Seinen hatte machen können. Und dieses Trostes ward er in dem Augenblicke beraubt, in dem die Spitze des Pfahles in unheimlicher Nähe seinen Leib bedrohte. Alles war umsonst! All diese Treubrüche, all dies Blutvergießen, all diese verbrecherischen Handlungen, alles, alles war umsonst gewesen – nichts, nichts war erreicht worden. Lusnia ahnte nicht, wie sehr er die Todesstunde Azyas durch diese Worte verbitterte. Wahrlich, hätte er dies gewußt, dann hätte er sie dem Gefangenen während des ganzen Weges beständig vorgesagt.
Allein was wollten nunmehr die Seelenqualen bedeuten im Vergleiche zu den Körperqualen im Verlaufe der Exekution! Lusnia erfaßte, sich herabneigend, mit beiden Händen derart Azyas Hüften, daß er diese nach Belieben drehen und wenden konnte, dann rief er den die Pferde haltenden Leuten zu:
»Vorwärts! Doch langsam, gleichmäßig!«
Die Pferde setzten sich in Bewegung – die an Azyas Füße gespannten Seile wurden angezogen. Etliche Minuten lang ward der Körper des Unglückseligen aus der Erde weitergeschleppt, bis er endlich auf die scharfe Pfahlspitze stieß, bis diese sich in seinen Leib grub. Und nun geschah etwas Entsetzliches, etwas Schreckliches, etwas Widernatürliches, etwas, das jedem menschlichen Empfinden Hohn sprach! Die Knochen des Gemarterten wurden förmlich auseinandergetrieben, das Fleisch geradezu entzwei gerissen. Ein entsetzlicher, fast an grausige Wollust grenzender Schmerz durchwütete sein ganzes Sein. Immer tiefer, immer tiefer drang der Pfahl ein. Der Sohn von Tuchay-Bey preßte die Kinnladen zusammen, schließlich aber hielt er es nicht mehr länger aus – in schaudererregender Weise fletschte er die Zähne, während sich seiner Kehle ein schmerzliches: »Ah! Ah! Ah!« entrang, ein Aufschrei, dem Gekrächze eines Raben ähnlich.
»Langsam!« erklang der Befehl des Wachtmeisters.
Azya stieß immer entsetzlichere Schreie aus.
»Krächzest Du?« fragte der Wachtmeister, um gleich darauf den Leuten wieder zuzurufen:
»Langsam! Halt! – So, nun ist's genug!« fügte er dann, zu Azya gewendet, hinzu, der nur noch dumpf röchelte.
Rasch wurden die Pferde ausgespannt, der Pfahl in die Höhe gerichtet und mit dem dicken Ende in ein eigens dazu gegrabenes Loch versenkt, das dann mit Erde wieder zugeschüttet wurde. Der Sohn von Tuchay-Bey sah nun von oben herab dieser Arbeit zu. Er war bei vollem Bewußtsein, er begriff nur zu gut das Entsetzliche der ihm auferlegten Strafe, er wußte nur zu gut, daß die also Gemarterten häufig noch drei Tage gelebt hatten. Langsam sank Azyas Haupt auf die Brust, seine Lippen bewegten sich, als ob er etwas koste, und ein seltsam gurgelnder Ton entrang sich ihnen. Eine lähmende Schwäche überfiel ihn, ihm war es, als ob sich ein endloser, weißlicher Nebel vor ihm niedersenke, ein Nebel, der ihm Grauen verursachte, durch den er aber doch die Gesichter des Wachtmeisters und der Dragoner zu unterscheiden vermochte. Er wußte ganz genau, daß er durch die Schwere seines Körpers immer mehr in den Pfahl eingetrieben wurde, doch seine Beine fingen schon an, starr zu werden, er ward immer unempfindlicher gegen Schmerzen.
Zeitweise verhüllte ihm die Dunkelheit jenen endlosen, weißlichen Nebelschleier, dann aber strengte er offenbar das ihm gebliebene Auge über die Maßen an, um alles, alles bis an sein Ende mit ansehen zu können. In seltsamer Hartnäckigkeit glitten seine Blicke beständig von einer Fackel zur andern, denn ihn dünkte, eine jede dieser Flammen erstrahle in dem Farbenglanze des Regenbogens.
Allein seine Qualen hatten noch immer nicht ihr Ende erreicht. Einen Bohrer in der Hand, trat der Wachtmeister an den Pfahl heran und rief den zunächst stehenden Leuten zu:
»Hebt mich empor!«
Zwei kräftige Männer führten diesen Befehl aus. Azya sah nun in das Gesicht des Wachtmeisters und blinzelte fortwährend, wie wenn er den Menschen zu erkennen suche, der zu ihm herangeklettert war. Der Wachtmeister aber sprach also zu ihm:
»Die Herrin schlug Dir das eine Auge aus, ich aber that das Gelübde, Dir das andere auszubohren.«
Mit diesen Worten setzte er den Bohrer in die Mitte des Augapfels, drehte ihn etliche Male um und riß, nachdem sich das Augenlid und das seine, das Auge umgebende Häutchen in die Windungen des Bohrers verwickelt hatten, diesen wieder heraus.
Nun stürzten aus den beiden Augenhöhlen Azyas zwei Blutbäche und ergossen sich gleich Thränenfluten über dessen Antlitz.
Und dies Angesicht ward bleicher und bleicher. In tiefstem Schweigen löschten die Dragoner die Fackeln, wie wenn sie sich schämten, noch länger die Leuchten bei einer solch entsetzlichen That zu halten. So fiel denn nur noch der matte Silberschein auf den gemarterten Leib Azyas. Tiefer und tiefer sank dessen Haupt; nur seine beiden an den Eichenknüttel festgebundenen und mit von Teer durchtränktem Stroh umwickelten Arme ragten zum Himmel empor, gerade als ob dieser Sohn des Ostens die Rache des türkischen Halbmondes auf seine Mörder herabrufen wolle.
»Zu Pferd!« erscholl nun die befehlende Stimme Nowowiejskis.
Doch ehe sich der Wachtmeister aufs Pferd schwang, steckte er mit der letzten, noch ungelöschten Fackel die Arme des Tataren in Brand, worauf sich dann die ganze Abteilung gen Jampol zu in Bewegung setzte. Inmitten der Trümmer von Raszkow aber, in Nacht und Oede, blieb auf hochragendem Pfahle der Sohn von Tuchay-Bey allein zurück – und noch lange loderten die Flammen um ihn empor.