Doris Freiin von Spättgen
Irrlicht
Doris Freiin von Spättgen

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Der große, weißhaarige Mann mit der etwas vornüber geneigten Haltung und das schlanke, junge Mädchen, dessen Gesicht durch einen hellen Strohhut beschattet wurde, waren bereits mehrere Minuten schweigend, doch rasch nebeneinander hergeschritten. Es war eine Eigentümlichkeit von jenem, während des Gehens auf der Straße nur ungern Unterhaltung zu führen, allein unbemerkt war sein Blick gelegentlich zur Seite geglitten.

Als man nun dem Häusergewirr der Vorstadt, dem Rasseln und Klingeln der Elektrischen wie dem flutenden Strom ihnen entgegeneilender Menschen – es war Mittagszeit – glücklich entronnen war und in eine ruhigere Gegend einbog, mäßigte er seinen Gang und äußerte halb erklärenden Tones:

»Sieh mal, Ire (er selbst hatte dem Bruderkinde, als die kleine Waise mit fünf Jahren in sein Haus gekommen, diese Kürzung des ihm zulang erscheinenden Namens Irene gegeben, der dem Mädchen seitdem verblieben war), sieh' mal, Ire, wenn ich so hastende Leute, ihren meist angstvoll gespannten Gesichtsausdruck beobachte, dann möchte ich ihnen wirtlich den alten, wahren Araberspruch zurufen: Wozu solche Eile, man kommt noch immer früh genug zum Tode.«

»Gewiß, Onkel, aber es kann doch passieren, daß man mal etwas Wichtiges zu versäumen fürchtet, daß man in seinem Vorhaben gestört oder abgehalten wurde, daher eilen und hasten muß,« entgegnete die Angeredete, indem sie zum erstenmal den Kopf hob und mit fragenden, gläubigen Kinderaugen zu dem alten Verwandten emporsah.

Diese Augen, in denen sich jetzt ein Sonnenfunke verfangen zu haben schien, leuchteten im klarsten Blau.

»Muß! Ja, Ire, dieses kurze Wort bedeutet das, was in unserem Leben gar strenge Zucht ausübt; ein Schwacher wird dadurch geschoben, der Starke sieht darin das Nutzbringende, ein seine Tatkraft anspornendes Mittel. Ich habe nur stets gefunden, daß Überstürzungen, ähnlich einer Nervenanspannung, sich oft bitter rächen.«

Über des Mädchens Züge war ein Helles Rot geflogen, und diesmal erfolgte keine Entgegnung.

Ja, Irene Thorwald wußte oder ahnte wenigstens, warum Onkel Kanonikus, der welterfahrene alte Priester, jene anscheinend harmlosen Worte zu ihr gesprochen hatte, weshalb auch seit kurzem so oft eine Falte von Mißmut über der klugen Stirn lag, aber sie bereute es trotzdem nicht, ihre junge Brust durch ein offenes Geständnis erleichtert zu haben.

An einem warmen Vorfrühlingsnachmittag, in des alten Onkels Garten war es gewesen, die Veilchen an den Rabattenrändern dufteten mit Hyazinthen und Tazetten um die Wette, und der sonnige Apriltag wob bereits einen schwachgrünen Schleier um Bäume und Sträucher.

Gedrückten Hauptes, genau wie heute, nur die altmodische lange Pfeife im Wunde, schritt der Fünfundsiebzigjährige auf den sauberen, mit frischem Kies bestreuten Wegen hin.

Da hatte das Nichtchen sich ein Herz gefaßt:

»Onkel Gotthard – ich – ich glaube, daß ich deine große Güte und Nachsicht, mit der du mich verwöhnst – kaum verdiene!«

So hatte Ire damals begonnen.

»Na–nu!«

Der Angeredete nahm das lange Rohr von den Lippen und schüttelte, wie er es meist tat, wenn eine Sache ihm unverständlich dünkte, abweisend den grauen Kopf.

»Doch, Onkel Gotthard, – ich bin nämlich nicht ganz – aufrichtig gegen dich gewesen, seit einiger Zeit – seit Job Christoph von der Thann fort ist.«

Jetzt schwieg der alte Herr, steckte indes die Pfeife noch nicht in den Mund, während Ire überstürzend fortfuhr: Du sagtest mir heute beim Frühstück, daß er – er binnen kurzem kommen will. Ich muß dir daher unbedingt etwas verraten, was ich mich bisher zu bekennen scheute.«

Der Anflug eines feinen Lächelns huschte um den ein wenig sarkastisch geschnittenen Männermund.

»Und das Bekennen fällt meiner kleinen Ire schwer? Na, da könnte ich dir am Ende helfen. Du hast den Jungen gern, sehr gern, und wenn der Job später mal in der Lage sein dürfte, sich nach einer Frau umzusehen, dann würde er sich hier entschieden keinen Korb holen! Gelt ja, solche Gedanken haben sich in dem kleinen Mädchenhirn bereits geregt?«

Es erfolgte keine Antwort, und der alte Herr fuhr freundlich fort: »Wenn junge Menschen, wie ihr es seid, öfter zusammen sind, so scheint es wohl erklärlich, daß sich etwas anspinnt – Gefühle geweckt werden, die – –! Na, das sind mehr oder weniger harmlose Spielereien, auf Sentimentalität und sogenannte Sympathien begründet; so was verflüchtet sich oft im Ernste und Kampfe ums Dasein, insbesondere bei Männern. Ein bißchen Gefallen ist noch lange nicht das, worauf wahre Liebe, Treue und Vertrauen aufgebaut sein müssen. Gerade weil ich ein alter, welterfahrener Priester bin, so maße ich mir ein wenig Menschenkenntnis zu. Du hast deswegen kein Unrecht begangen und bist über solch kleine Mädchenschwärmerei niemand Rechenschaft schuldig, Kind.«

Kanonikus Thorwald hatte dabei der Nichte Hand ergriffen und sah beschwichtigend zu ihr herab. Die auffallende Blässe ihres Gesichtchens machte ihn jedoch nun stutzen.

»Ach, Onkel Gotthard – lieber, einziger Onkel – sei nicht böse – aber wir sind ja eigentlich – schon verlobt!«

»Verlobt? Seit wann denn? Hat er etwa brieflich von jenem Schlosse in der Polackei aus um dich angehalten?«

Überraschung und Unwillen färbten die volle Männerstimme merkbar dunkler.

»Nein, nein, Onkel! Am letzten Tage vor seinem Scheiden war es – wo wir beide sehr bewegt waren – da sagte er mir, daß er mich so – so lieb hätte – daß ich sein Ideal sei und – und er keine andere heiraten wolle – als mich!«

»Und du?«

»Dann – dann haben wir uns – geküßt!«

»Das sind ja nette Geschichten – hm –! Und nun betrachtest du dich wohl als seine Braut?«

»Ja, Onkel Gotthard – und ich bin unendlich glücklich, denn ich liebe Job Christoph ja auch – seit langem schon,« gab sie strahlenden Blickes zurück.

Kanonikus Thorwald war nach diesen überraschenden Enthüllungen eine ziemliche Weile gesenkten Hauptes, ohne seine geliebten Frühlingsblumen zu betrachten, durch den Garten gewandelt. Endlich blieb er stehen und sagte sehr ernst: »Ire, ich habe dir bisher nie von deinem seligen Vater, meinem Bruder, gesprochen. Weshalb sollte ich einer sonnigen Frohnatur, wie du eine bist, das Gemüt beschweren mit düsteren Bildern aus vergangenen Tagen? Jetzt scheinst du mir aber reif genug, und ich halte es auch für notwendig, dich über manches aufzuklären. Du hast natürlich keine Ahnung, daß dein Vater im Zweikampf erschossen worden ist?«

»Nein! Um Gottes willen, Onkel, wie entsetzlich! Man erzählte mir nur, er sei ganz plötzlich gestorben. Die arme, liebe Mutter!«

Ires Augen füllten sich mit Tränen.

»Ja, sie war arm, allerdings, arm an allem, was ein Frauenherz glücklich zu machen vermag. Und doch hat dein Vater sie einst aus Neigung erwählt und ihr am Altar die Treue gelobt. In ihrem schlichten, geradbiederen Sinne vermochte sie den feurigen, phantastisch angelegten Mann auf die Dauer nicht zu befriedigen und zu fesseln. Er hatte, obgleich kaum 38 Jahre, als angesehener Rechtsanwalt, wohl auch durch den Einfluß seiner bestechenden Person, schon eine gewisse Berühmtheit in Berlin erlangt, hielt glänzende Verteidigungsreden und strebte danach, sein Haus zum Sammelpunkt hochgestellter, vornehmer Leute zu gestalten. Luxus schien Lebensbedürfnis für ihn, und das Geld hatte in seinen Augen keinen Wert. Trotz seines hohen Einkommens schmolz auch das ansehnliche Vermögen deiner Mutter bald dahin. Berlin, dieses Sündenbabel, wie ich es nenne, trug wohl viel an allem Unglück schuld. Er vernachlässigte nach deiner Geburt seine junge Frau gänzlich und trat in nähere Beziehungen zu einer Dame der Aristokratie, einer verheirateten Frau, welche seinetwegen ihre Ehe zu lösen beabsichtigte. Aber dein Vater war ja Katholik und besaß, gottlob, noch soviel religiöses Empfinden und auch Rückgrat, um den öffentlichen Skandal zu vermeiden. Ich selbst bin, weil die ganze häßliche Sache mich anwiderte, den näheren Umständen stets ferngeblieben, bis eines Tages die schmerzliche Kunde zu mir drang, der Gatte jener leichtfertigen, verirrten Frau habe meinen Bruder im Pistolenduell tödlich vermundet. Wenige Stunden später starb er. Da reiste ich sofort nach Berlin. Ich fand deine Mutter schwer krank und gebrochen, die Vermögensverhältnisse zerrüttet. Kaum zwei Monate nach jener Tragödie folgte die Kreuzträgerin dem Unseligen ins Grab. Was ich aus diesem Wirrsal zu retten vermochte, war nicht viel, allein was bedeuten irdische Schätze gegen das Edelgut, das Gott mich durch meine Hände diesem Jammer entreißen ließ. Es war ein Frühlingssonntag wie heute, ein Tag nach der Beisetzung deiner Mutter, und ich hatte zu ganz früher Stunde in der Hedwigskirche zelebriert, all meine Sorgen und Ängste dem Allmächtigen anheimgestellt. Voll Zuversicht fuhr ich wieder hinaus nach der Villa deiner verstorbenen Eltern.

Der darin herrschende Prunk, den ich jetzt erst so recht ins Auge faßte, ekelte mich an. Von den Wänden der prächtigen, eleganten, nun grabesstillen Räume klang es mir wie Hohnlachen wieder. Da stand plötzlich ein Kind im weißen Kleidchen vor mir und schaute mich mit einem Paar wunderbarer Augen an. Herzensangst, Scheu und dennoch Hingebung und Zutrauen, alles lag in diesem Blick. Ich werde ihn nie vergessen. Und dieses Kind warst du, Ire!«

Darauf hatte der Greis geschwiegen und seine Schritte langsam dem Hause zugelenkt. Gleich einer Weihe lag es über dieser Stunde, und das tiefbewegte Mädchen wagte mit keiner Silbe die Stille zu unterbrechen.

Erst an der Gartentür wandte Kanonikus Thorwald sich noch einmal um und sagte freundlich, doch sichtbar bewegt:

»Wir werden das Weitere über – Job später besprechen, Kind – vor allen Dingen mit ihm selbst.«

Ire bückte sich und küßte die runzelige, welke Hand. – – –

Seitdem waren mehrere Wochen verflossen, allein der alte Herr schien jenen heiklen Punkt absichtlich vermieden zu haben.

Äußerlich verriet Ire mit keiner Miene die Unruhe und Sorge ihres Gemüts. Sie zeigte sich heiter und erfüllte, wie immer, gewissenhaft ihre Pflichten. Nur des Abends, wenn die Glocken der ehrwürdigen Kathedrale läuteten und die Dämmerung des Frühlings heraufzog, da klopfte das junge Herz in ahnungsschwerem Bangen.

Billigte Onkel Gotthard wohl einen Bund zwischen Job Christoph und ihr, oder war er aus unbekannten Gründen dagegen? Und gerade er hatte doch so oft versichert, daß er seinen einstigen Schüler, den besten, wie er oft betonte, achtete und schätzte und ihm eine Zukunft prophezeite.

Ja, Ire glaubte sicher, daß der Onkel auch jetzt noch den jungen Doktor, da dieser selbständig geworden war, im Auge behielt und behilflich sein würde, ihn in seiner Laufbahn zu fördern. Aber das Geld, das böse Geld. Job Christoph besaß von Hause nichts. Ire hatte ja noch seine liebe, reizende Mutter gekannt, die als Offizierswitwe hier in bescheidenen Verhältnissen gelebt hatte und gestorben war.

Und wie hoch mochte sich wohl ihr eigenes kleines Kapital belaufen? Onkel Gotthard sparte fürchterlich, legte, wie er einmal scherzend geäußert, jeden Pfennig Zins auf Zins.

»Damit du mal nicht ganz von deinem Manne abzuhängen brauchst!«

Ach reich sein, wie schön sie sich das nun dachte. Tante Gismonda, Onkel Gotthards einzige Schwester, der sogenannte Klopfgeist, wie alle Bekannten die Siebzigjährige nannten, weil es ihre Art war, Wünschen und Befehlen durch energisches Klopfen auf den Tisch besonderen Nachdruck zu verleihen, ja, Tante Gismonda sollte recht vermögend sein. Vor Jahren hatte sie einem in Schulden geratenen Vetter ein halbes Los der preußischen Klassenlotterie abkaufen müssen und einmalhunderttausend Mark darauf gewonnen. Aber davon sprach sie nicht gern, um nicht immer von allen Seiten angezapft und in Anspruch genommen zu werden.

»Ich vermach' mein Geld doch mal wohltätigen Zwecken!« meinte sie stets mit nachdrücklichem Klopfen.

Tante G. – Onkel Gotthard kürzte auch ihren Namen gern ab – mochte Job Christoph nicht sonderlich leiden, weil er sie zuweilen etwas aufzog und ihr ihrer unlogischen Sprechweise wegen meistens widersprach. Ire litt auch unter den vielen Nörgeleien der alten Dame, doch sie ertrug alle Schrullen geduldig, genau wie Onkel Gotthard, der in seiner vornehmen Denkungsart über dergleichen menschliche Schwachen hinwegsah. Nur in einer Sache hielt er die Schwester streng am Zügel: sie durfte ihm keine Klatschgeschichten aus ihren unzähligen Kaffeekränzchen raportieren und mußte, was sein Haus anlangte, so schwer es ihr auch wurde, stets reinen Mund halten. So war auch nie ein Wort über Ires Eltern und jene traurigen Berliner Begebenheiten über ihre Lippen gekommen.–

All jene Erwägungen glitten nun durch des jungen Mädchens Sinn, nachdem der alte Geistliche sich soeben so ablehnend über unnötige Hast und Überstürzung geäußert hatte.

Was mochte er wohl damit bezwecken? Ire fürchtete eine Frage zu tun und schritt, ohne den noch immer forschenden Blicken des Onkels zu begegnen, stillschweigend weiter.

»Morgen kommt nun also der Junge zu uns!« begann er aber endlich wieder.

Man war nicht mehr weit von seiner Kurie entfernt.

»Ich hatte heute früh Nachricht aus Berlin. Seine Aussichten sind überraschend gut, dank meines alten Freundes Namberg gütiger Verwendung. Sein Buch hatte Erfolg. Man ist eben aufmerksam auf seine Begabung geworden, und er wird mir Ehre machen, das freut mich! Aber wenn er da ist, werde ich mal mit ihm reden. Daß mir dein Glück am Herzen liegt, brauche ich wohl nicht erst zu versichern, Kind! So – da wären wir ja wieder daheim angelangt. Tante G. guckt sicher schon nach uns aus, ob wir auch pünktlich zum Essen sind.«

Damit überschritt Kanonikus Thorwald die Schwelle seines behaglichen Hauses.

»Morgen kommt er!« Das war das einzige, was Ire zu denken vermochte. – – –

Obgleich sein Urlaub nur einige Tage währte, hatte Job Christoph nach seiner Ankunft ln Berlin das gewohnte möblierte Zimmer in der Königgräßer Straße wieder bezogen. Kaum daß die von Professor Ramberg gemachten Eröffnungen das richtige Glücks- und Dankesempfinden in ihm auszulösen vermochten, so zentnerschwer lag die bevorstehende Reise nach Breslau und die Aussprache mit Irene auf seiner Seele. Die Erinnerungen an Strelnow wollten sich kaum bannen lassen, eine Unrast war über ihn gekommen, die ihn flügellahm Zu machen drohte.

Noch hatte er keine Nachricht von Raineria erhalten, und ihr zu schreiben, alles das zu schreiben, was seine Brust bewegte, das wagte er nicht.

Professor Ramberg, der berühmte, von ihm so hochgeschätzte Gelehrte hatte ihn mit einer so warmen Herzlichkeit empfangen, daß er fast davon beschämt war.

Sollte dieses Interesse für ihn etwa in Kanonikus Thorwalds Befürwortung zu suchen sein? Oder konnte sein eigenes Werk über die neuesten Forschungen der deutschen Orientgesellschaft in Ägypten und antike Kunst im allgemeinen, welches er Professor Ramberg nach seiner Vollendung zur Begutachtung vorgelegt, ihm zu diesem Wohlwollen verholfen haben? Noch wagte er kaum daran zu glauben. Glück und Erfolg hatten ihm ja bisher nie gelächelt; er war bescheiden, ja pessimistisch geworden. Und doch klangen ihm noch immer Professor Rambergs Worte durch den Sinn: »In seiner ganzen Ausführung und in technischer Beziehung ein Buch ersten Ranges!«

Ja, nun besaß er allerdings Zukunftsaussichten, wie er sie sich längst erträumt, und wie gern wäre er noch zur Stunde nach Breslau geeilt, um seinem alten Freunde und Lehrer diese Kunde mündlich zu überbringen, Irene zu sagen, daß – – –

Nein. Hier hatte die Vorsehung eine Schranke aufgerichtet. O, es war so ganz anders gekommen, als er es sich vor seiner Reise nach Strelnow erhofft und gewünscht!

Von seinem Mittagsmahle zurückkehrend, fand er einen Brief auf dem Schreibtisch liegen.

Rainerias steile Schriftzüge! Sein Kerz pochte. – So hatte sie also doch bald geschrieben.

Mit bebenden Fingern riß er den Umschlag auseinander und las:

»Lieber Freund!«

Wie seltsam die Anrede klang! Hatte sie ihn je so genannt? Nie seine Pulse fliegen! Doch weiter:

»Lieber Freund!

Das bist Du mir, seit unsere Seelen und Kerzen sich in schönster Harmonie gefunden, gewesen, und das wirst Du mir stets bleiben! Daran müssen wir beide festhalten, wie immer auch die Schicksalshand in unser Leben eingreift.

Du, Job Christoph, hast mich lieben gelehrt, wahr und uneigennützig, und dafür danke ich Dir!«

Erstarrten Blickes gleiten des Mannes Augen über die nächsten Zeilen hinweg.

»Als Du mir vor einigen Tagen Lebewohl sagtest, da wußte ich bereits, daß es ein Abschied für immer sein würde. Ich verriet Dir nichts, weil ich die süße Stunde noch auskosten wollte. Ich darf nie Deine Frau werden, Job Christoph! Papa hatte mir eine furchtbare Szene gemacht, hatte geflucht und getobt, und so mußte ich mich fügen. Weil jeder Zwang mir eine Folter ist, so leide ich entsetzlich. Seit gestern bin ich mit Vinzenz Kerlingen verlobt! Ob er mich liebt, weiß ich nicht, nur befriedigt scheint er zu sein, mich seine Braut nennen zu dürfen.

Er ist ein Mensch der genutzsüchtigen, laxen, großen Welt, ohne irgendwelche höhere Interessen! Da er die schönsten Schlösser, Kunstsammlungen, die schönsten Pferde, den besten Rennstall besitzt, so will er auch eine schöne Frau haben!

Und so wird mein ferneres Dasein gerade das entbehren, wonach ich, unbewußt, stets gestrebt habe, was Du mich gelehrt hast: den Aufschwung zur geistigen Höhe!

Und so danke ich Dir noch einmal für alles, Job Christoph! Ich weiß, Du wirst mich immer liebbehalten und jene süßen Stunden nie vergessen. Werde glücklich, wie Du es verdienst.

Raineria.«

* * *


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