Doris Freiin von Spättgen
Irrlicht
Doris Freiin von Spättgen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kanonikus Thorwald und Fräulein Gismonda hatten sich zum gewohnten Nachmittagsschläfchen zurückgezogen. Das war heute genau wie früher, wenn Job Christoph als junger Student zum Sonntagsessen in die Kurie am Dom eingeladen gewesen war, und man die Kinder, wie es lange hieß, sich selbst überlassen hatte.

Im Winter waren sie dann meist auf die Eisbahn gepilgert, und im Sommer gab es in der Aristolochialaube, ganz hinten im Garten, ein lauschiges Plätzchen, zum Vorlesen und Plaudern geeignet. Dort auch, an einem warmen Vorfrühlingstage, war das verhängnisvolle Wort gefallen, dort hatte Job Christoph die schlanke Gestalt in seine Arme geschlossen und einen Kuß auf den Mädchenmund gepreßt.– –

Nach dem bedeutungsschweren Gespräch mit dem alten Geistlichen hatte Dr. von der Thann noch mehrere Minuten im Hausflur gezögert. Es war warm geworden, und eine schläfrige Ruhe gähnte ringsum. Die Fliegen summten in der Maisonne am Fenster, und wie das eintönige Rasseln einer rostigen Säge hörte man Hektors, des großen Bernhardiners, lautes Schnarchen von seinem Stammplatze unter der Treppe her.

Job Christoph ballte heimlich die Hand zur Faust. Etwas so Bitteres, Wehes, ja ein unmännliches Zagen preßten ihm die Brust zusammen.

Ob er nicht doch lieber Ire alles gestand und es ihr überließ, über beider Zukunft zu entscheiden? Besser, als...! Ja, was – als...?

Die Vorsätze waren nun einmal gefaßt, gute, ehrliche Vorsätze, drum nur kein langes Zögern.

Durchs Fenster hatte er wahrgenommen, wie Ire nach dem Garten hinuntereilte. Raschen Schrittes sprang er daher die Treppe hinab und folgte ihr nach.

Dort stand sie nun, einen vollen Zweig des rosa Mandelbäumchens zu sich emporgehoben, daß die zarten Blüten ihre Wange streiften.

Es war ein anmutiges Bild. Warmer, goldiger Sonnenglanz lag über der braunen Flechtenkrone, nur um den hübschen Mund zitterte ein Schmerzenszug.

»Ire! Darf ich – dir – Ihnen – ein wenig Gesellschaft leisten?«

Wie mit Purpur überhaucht, fuhr sie empor.

Da kam er näher und näher.

»Wir haben uns ja noch gar nicht allein gesprochen, Ire – und da freue ich mich, daß jetzt endlich Gelegenheit dazu ist,« rief er etwas hastig und außer Atem, wie vom raschen Lauf.

»Es ist heute so wunderschön im Freien. Oben war es erdrückend heiß,« entgegnete sie ausweichend und wandte sich wieder ab, dem Blütenzweige zu.

Nun stand er dicht neben ihr und maß die jügendschlanke Gestalt mit prüfendem Blick.

»Wissen – Sie – Ire, es kommt mir vor, als lägen viele Monate zwischen unserer letzten Begegnung hier. Ihnen sind die Tage im stillen, friedlichen Einerlei verstrichen; aber ein Mann erlebt viel in kurzer Zeit, man muß ringen und kämpfen, und die wechselnden Eindrücke sind oft gar nicht schön und beglückend. Ich habe aber trotzdem oft an Sie gedacht.«

»Wirklich?«

Es klang ungläubig, während sie zum erstenmal die Lider hob.

»Doch, Ire! Und meine Karten haben Sie gewiß erhalten?«

»Ja, – aus Strelnow. Danke. Ich sammele ja Schlösser.«

Wieder fühlte er einen Stich ins Herz, und wie ein böser Dämon schwebte das goldflimmernde Haupt mit den bernsteinfarbenen Augen über derjenigen, der einst all seine Jünglingsträume gegolten, die so viel tausendmal besser, reiner war als jene, die seiner Liebe nicht würdig gewesen.

»Ach, nur deswegen hatte die Karte für Sie einen Wert, Ire?«

Ungestüm faßte er die herabhängende Hand.

»Ire – du bist so verschlossen, so herb, was ist dir denn?«

»Ich?«

»Hast du denn kein Vertrauen mehr zu mir? Komme ich dir denn heute anders, fremder vor? Denkst du denn gar nicht mehr daran, was ich dir vor meiner Abreise gesagt habe?«

Gleich mühsam bekämpftem Aufschluchzen entquoll es der jungen Brust: »Warum fragst – du – fragen Sie mich danach? Als Sie vor Tisch aus dem Wagen stiegen und mich begrüßten, da wußte ich genau – es ist alles aus! Der Onkel will es nicht, es darf nicht sein oder...« sie zitterte.

»Kind! Armes kleines Mädel, und wenn es nun doch sein darf?«

Er hatte den Arm um ihre Schulter gelegt und zog sie sanft zu sich heran.

Da hob sie die Augen. Ja, Kinderaugen waren das.

Der ernste, verbitterte, trotzige Mann empfand plötzlich eine seltsame Ruhe in sein umdüstertes Gemüt einkehren. Hier fand er den Frieden, nach dem die Unrast seiner Seele verlangte.

* * *


 << zurück weiter >>