August Sperl
Richiza
August Sperl

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Siebentes Kapitel

Die weißen Alabastersäulchen im Laubengange vor den Stuben und Kammern des Herrenbaues erglühten im roten Lichte. Denn schon staken die brennenden Fackeln in den Ringen und schickten qualmenden Rauch aus dem engen Schloßhofe zum wolkenlosen Abendhimmel empor. Reiter und Knechte drängten sich auf dem buckligen Pflaster.

Wild durcheinander klangen die Stimmen der Männer im Gemache des blinden Grafen. Zwischenhinein ward alles ganz stille, und es schien, als sollte sich nur die milde Rede der Gräfin behaupten. Dann aber wurde ihre Stimme wieder vom Streite der andern verschlungen.

Mit zögernden Schritten kam Richiza bis zur Türe. Hastig ging sie vorüber, trat in einen entfernten Bogen, schlang die Arme um das Säulchen, lehnte die heiße Wange an den kühlen Stein und starrte hinab in den Hof.


Im schwachbeleuchteten Gemache standen die staubbedeckten Söhne des Hauses mit den Lehnsleuten, und dicht vor den Stuhl des alten Herrn waren die beiden getreten in der Hitze ihres Streites, Graf Kunz und der Rote.

Mit ruhiger Stimme sprach der Greis, und schweigend standen die Gewappneten.

79 Endlich sagte der Tannhauser: »Und das – ist – Euer letztes Wort, gnädiger Herr?«

»Ich schätze, es ist kein Irrtum möglich,« antwortete der Blinde mit Ruhe.

»Es ist schwer, sich zu beugen unter die Jugend, wenn man schon vor dreißig Jahren geritten ist im Morgenland und im Abendland,« brachte der Rote mühsam heraus.

»Mein Sohn wird dich in allen zweifelhaften Fällen um Rat fragen und wird dir die Ehre geben, die dir gebührt,« antwortete der Herr und wandte das Haupt fragend zum Grafen Kunz.

Der verneigte sich tief, verbarg ein frohlockendes Lächeln und sagte: »Gewißlich, Herr Vater.«

»Dann muß es sein,« sprach der Tannhauser mit verzerrtem Gesicht.

»Es muß sein!« wiederholte der Greis in gnädigem Tone. – – – – – – – – –

Noch immer stand Richiza neben ihrem Säulchen. Da ging eine Tür, und klirrende Schritte eines Gewappneten kamen den Gang herunter. Die Jungfrau wandte sich und sah die Riesengestalt des Tannhausers. Er kam gesenkten Hauptes mit wuchtigen Schritten heran, hielt die geballten Fäuste steif vor sich, klirrte achtlos vorüber, ging zur Freitreppe und stampfte hinab in den Hof.

Richiza öffnete die Kammer der Patin, setzte sich in das Fenster und sah hinaus auf den schweigenden Grübertwald.

80 Nach einer Weile kamen viele Schritte den Gang herunter, die Türe ward geöffnet, und dunkle Gestalten traten auf den Teppich.

»Der Herr Vater hat nicht recht,« sagte einer; »der Tannhauser ist ein Vierteljahrhundert älter als der Kunz; er hat gefochten im Abendland und im Morgenland. Es ist bitter für den Tannhauser, und ich – ich gehorchte ihm auch lieber als meinem Bruder.«

»Heilige Jungfrau!« sagte die Gräfin. »Es läßt sich ja freilich streiten, ob der Herr Vater – ja – ob es klug ist vom Herrn Vater. Doch er ist der Vater. Und du, Johann, kannst nicht einmal heute den Groll vergessen. Hab's wohl gesehen, du gehst an deinem Bruder Kunz vorbei, als wenn er ein Fremder wäre.«

»Ist er mir auch,« antwortete die trotzige Stimme des Grafen Johann.

»O die beiden, Frau Mutter,« mischte sich nun eine hohe Stimme ein, »die beiden, Frau Mutter – o, wenn die wüßten, was Demut ist!«

»Horch – der Predigermönch!« sagte mit Lachen Graf Karl.

»O du –!« erhob sich abermals die helle Stimme. »Du –! Dir könnt's freilich nicht schaden, wenn du einmal auf eine Predigt hören wolltest.«

»Lutz!« mahnte die sanfte Stimme der Gräfin.

»Es ist ein Ekel, Frau Mutter,« behauptete Graf Lutz in den höchsten Tönen; »da wollen sie 81 übermorgen ausfahren, jetzt aber reden und leben sie – ja, leben sie, Karl – wie die Heiden.«

»Was kümmert's dich, wie ich lebe, du Splitterrichter?« brauste Graf Karl auf.

»Wir gefallen alle uns selber wohl,
drum ist die Welt der Toren voll,«

sagte nun einer in der Ecke, der bislang geschwiegen hatte.

»Dein Freidankspruch geht auf mich, Dietz,« sagte Graf Lutz. »Aber höre, ich weiß auch einen:

Ich mißfalle manchem Mann,
der mir auch nicht gefallen kann.«

Damit beugte er das Knie vor der Mutter, wandte sich abermals gegen die Ecke und sagte halblaut:

»Wirf deine Perlen vor die Schwein'
und guck, wie lang sie blinkend sein!«

Nun ging er aus der Türe.

»Ist also der demütig, Frau Mutter?« sagte Graf Heinz, während die andern lachten.

»Heilige Jungfrau!« klagte die Gräfin. »Ist es nicht schrecklich? Da wollen sie zusammen reiten in Not und Tod –« Sie schluchzte laut auf.

»Frau Mutter!« rief Karl und griff nach ihrer Hand.

»– in Not und Tod und sind uneins,« vollendete sie.

»Der und jener mit dem und jenem,« sagte Graf Johann gleichmütig, »wie's halt zuzeiten vorkommt unter Brüdern.«

82 »Und die Feinde –?« rief die Gräfin klagend.

»Die Feinde?« rief Johann. »Wir wollen's ihnen zeigen!«

»Stein und Bein gegen unsre Feinde!« grollte Dietz.

»Recht so, das dächt' ich auch!« sagte Karl.

»Laßt Euch trösten, Frau Mutter,« sprach Heinz. »Haben wir nicht alles liegen und stehen lassen und sind gekommen auf den Ruf des Vaters? Der eine aus seinem Dienst, der andre von einem andern Ort? Sind wir nicht alle gekommen von Morgen und Abend und Mitternacht? Und fragen wir viel – warum? Höret, Frau Mutter: die Zweiglein schlagen zusammen im Winde und wachsen dennoch vom gleichen Stamme der Sonne entgegen. Und die Wellen im Bach hüpfen auch übereinander, drängen sich und murmeln widereinander – und treiben doch alle das nämliche Rad.«

»Mir ist heiß im Sturmgewand – sehr heiß,« sagte nach einer Weile Graf Karl. »Hat die Frau Mutter noch etwas zu befehlen?«

Er beugte das Knie und ging aus der Stube. Die andern folgten ihm nach.

»Johann –!« rief die Gräfin bittend, als der Letzte auf die Schwelle trat. Da kam Graf Johann gehorsam zurück und schloß die Türe.

»Johann –!« Die Mutter trat ganz nahe vor den großen Mann und hielt ihm die gefalteten Hände unter die Augen: »Ich flehe dich an, mach 83 Frieden mit deinem Bruder Kunz – ehe ihr ausfahret!«

Der Graf wich zurück, hob die Hand vor den Mund, hustete ein wenig und meinte dann bedächtig: »Ei – sagt's doch dem Bruder!«

»Ich hab's ihm gesagt und werd' es ihm wieder sagen und wieder,« kam die hastige Antwort zurück.

»Und wie hat er Euch beschieden?« fragte Graf Johann und faßte die Klinke.

Die Gräfin seufzte. »Wortwörtlich wie du.«

»Da seht Ihr, Frau Mutter, daß wir einig sind in unsern Gedanken!« lachte der Sohn, beugte das Knie und ging hinaus.

Mit gekreuzten Armen und gesenktem Haupte stand die Gräfin sinnend in der Dunkelheit. Nun stand Richiza auf und kam leise aus ihrem Fenster in die Stube herab.

»Du hier?« fragte die Patin mit klangloser Stimme und wandte sich nicht.

Richiza schlang die Arme um ihren Nacken und legte das Haupt an ihre Wange.

»Die tollen Jungen!« murmelte die Gräfin. »Aber du hättest's nicht hören sollen.«

Es pochte an der Türe. Schweigend brachte die alte Kunne eine brennende Ampel und ging schweigend wieder hinaus.

»Chizza,« sagte die Gräfin, »es ist doch gut, daß du hier bist. Nimm deine Rota und geh zum Herrn Paten hinüber.«

84 Wortlos nahm das Kind die Rota von der Wand und verließ das Gemach.


Es war stille geworden im Schloßhofe. Leise öffnete die Jungfrau die Türe zum Gemach des alten Herrn und trat ein. In der Ecke glühte die rote Ampel und warf schwaches Licht auf das kleine Heiligenbild. Im tiefen Dämmerlichte saß der blinde Graf zusammengesunken in seinem Armstuhl.

»Ihr seid allein, Herr Pate?« sagte Richiza, schob einen Schemel neben den Armstuhl und ließ sich nieder.

Der Blinde hob tastend die Hand, fuhr liebkosend über ihren Scheitel und schwieg. Nach einer Weile fragte er: »Hast du die Rota bei dir?«

Sie strich zur Antwort über die klingenden Saiten.

»Sing mir ein Lied!« befahl der Graf. »Ein frohes Lied!«

Richiza stand auf und ging in ein Fenster. Leise Akkorde erklangen unter ihren spielenden Händen. Dann begann sie mit gedämpfter Stimme zu singen. Der Blinde senkte das Haupt auf die Brust und lauschte den Tönen – – –

Sie hatte geendet.

Nach einer Weile seufzte sie tief auf, kam langsam zurück und begann mit zögernder Stimme: »Herr Pate –«

»Was willst du, Kind?«

85 »Herr Pate, wenn nun Eure Söhne ausfahren – Herr Pate, die Sänger wissen von Heiltümern, die man den Helden mit auf die Reise gibt – Herr Pate?«

»Heiltümer?« Der Blinde tat, als besänne er sich. »Es gibt unterschiedliche Heiltümer – neue, die man beim Pfaffen kauft, und alte, uralte.« Er schwieg. Aber nach einiger Zeit fragte er liebreich: »Willst du solch ein Heiltum sehen, mein Kind?«

Eifrig bejahte Richiza und preßte die Hand aufs Herz.

Der alte Herr suchte lange in seinem weiten Gewand. Endlich kam seine Linke mit einem winzigen Bündel zurück.

»Es gibt uralte Heiltümer, ich weiß, Herr Pate,« flüsterte Richiza und verfolgte im Dämmerlichte die Bewegungen des Greises.

»Mach Licht!« befahl dieser.

Da ging Richiza in die Ecke, löste die Kette, ließ die ewige Ampel herab, entzündete an ihrem Flämmchen eine Kerze und steckte sie auf den Leuchter. Das Kettlein klirrte und die Ampel schwebte wieder empor. –

Auf dem Tische neben dem Armstuhl des Blinden stand die brennende Kerze. Auf dem Schemel kauerte die Jungfrau und sah unverwandt auf die runzeligen Hände, die von dem seidenen Bündelein die Schnur lösten.

»Was habt Ihr da, Herr Pate?« fragte sie schüchtern.

86 »Ein kostbares Heiltum, Kind,« antwortete der Greis und entfaltete das Bündel. »Es ist seit vielen hundert Jahren im Haus Castell.«

Regungslos lauschte das Mägdlein.

Der Blinde hielt nun einen kleinen grauen Stein zwischen Daumen und Zeigfinger. »Er ist mehr wert als ein Dorf,« murmelte er. »Ei, was – ein Dorf!« setzte er mit leisem Lachen hinzu. Er legte den Stein in die hohle Rechte und rieb ihn mit der Linken. »Siehst du das heilige Zeichen, Richiza?«

Die Jungfrau war von ihrem Schemel herabgeglitten und kniete vor den Alten, hielt den Atem an und starrte mit offenem Munde auf den Stein. »Es ist ein Hämmerlein darein gegraben,« flüsterte sie nach einer Weile.

»Der heilige Hammer,« sagte der Greis mit Nachdruck. »Es ist ein uraltes Heiltum, und wer es trägt, der ist gefeit gegen Hieb und Stich und Schlag.«

»Und wer von Euern Söhnen wird ihn tragen, den Stein?« flüsterte Richiza und blickte scheu in die erloschenen Augen.

»Einer,« antwortete der Greis und schlug die Seide um das Kleinod. »Leg's in die Truhe, in die große Truhe zur Rechten am Fenster, mein Kind!«

Richiza stand auf und tat schweigend nach seinem Befehl.

»In das Kästchen, das obenauf liegt,« rief ihr der Alte nach.

87 »In das Kästchen, das obenauf liegt,« wiederholte Richiza mit klangloser Stimme.

»Kannst du den Deckel nicht heben?« rief der Alte ungeduldig.

»Der Deckel ist schwer,« flüsterte Richiza.

»So bring mir's wieder, das Heiltum!« befahl der Graf und erhob sich.

»Die Truhe ist offen,« rief die Jungfrau, und ihre Stimme bebte.

»Bring mir's!« befahl der Blinde zum zweitenmal und stampfte.

Klirrend fiel der Deckel auf die Truhe, lautlos kam Richiza über den Teppich gegangen.

»Gib her!« rief der Alte und streckte ihr die Hand entgegen.


Ihre Finger zitterten, ihr Antlitz war angstvoll verzerrt, als sie das Bündel in seine Hand legte. Aber der Blinde schob es sogleich in das Gewand und setzte sich in seinen Stuhl.

Die Küchenglocke erklang. Da erhob sich der Graf. Richiza blies das Licht aus und griff nach der Hand des Paten, öffnete die Türe und geleitete ihn zum Gemache der Gräfin. Dort stand ein Knabe mit brennender Wachskerze und wartete. Vom Küchenbau herüber drang das murmelnde Gebet der Reisigen und des Gesindes. Die Gräfin trat auf die Schwelle ihres Gemaches und legte schweigend die Hand in den Arm des Blinden. Der Knabe 88 hob die Kerze und schritt voraus; hinter dem Paare kam Richiza mit gesenktem Haupte, wie es die Sitte gebot.

Sie betraten den Herrensaal, wo die Söhne und die Lehnsleute warteten; sie gingen durch die Reihen und dankten mit Kopfnicken für die Kniebeuge; sie stiegen die Stufen empor zu dem erhöhten Tische der Herrschaft. Der Burgkaplan sprach mit gedämpfter Stimme das Gebet, und rauschend ließen sich alle zur Mahlzeit nieder.

Weit offen standen die Holzladen der Fenster, und dennoch war es dumpf und schwül im geräumigen Saale. Auf den Steinplatten des Fußbodens lag frischgeschnittenes Gras, Blumen dufteten auf den Tafeln, viele Kerzen brannten auf den hängenden Reifen und an den Wänden, und dennoch war es freudlos und düster im Saale. Der Wein war alt und stark, und die Speisen waren gut. Aber schweigend saßen die Herrenleute an ihrem Tische, und schweigend saßen die Mannen an ihren Tafeln. Nur dann und wann flüsterte einer mit seinem Nachbar.

»Ich bin bei manch einem frohern Leichenschmause gesessen,« raunte Kunz von Seckendorf dem Seinsheim zu, der mit ihm von derselben Platte gabelte.

»Ausfahrt müßte ein Fest sein!« gab dieser kauend zurück. 89

 


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