August Sperl
Richiza
August Sperl

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Elftes Kapitel

In der Stromniederung hinter Kitzingen lag ein Dorf des Bischofs, und am späten Nachmittage rückten die Castellschen staub- und schweißbedeckt in seine Gassen. Nur wenige der Armleute waren zurückgeblieben; die meisten hatten sich mit ihrem Vieh vor den Heranziehenden in die Wälder geflüchtet.

Da beschlossen die Castellschen, in den verlassenen Gehöften zu nächtigen. –

Der Abend dämmerte heran, die Wachen waren aufgestellt, und in der Wohnstube des größten Hofes saßen die Grafen mit etlichen Hauptleuten.

Sie schwiegen und machten sorgliche Gesichter.

Endlich sprach Graf Kunz: »Das kann ich nimmermehr verstehen.«

»Ich auch nicht!« stieß Graf Heinz hervor. Und die andern murmelten dazu.

»Man sollte die Hennebergschen stückweise –« rief Graf Johann und verschluckte das letzte Wort. 116 »Ich dächte, sie hätten Zeit gehabt, uns Botschaft zu senden!«

»Und was ist, wenn wir die Botschaft heute nimmer bekommen?« fragte Graf Karl.

»Dann rücken wir den Bischöflichen allein entgegen!« sagte Graf Johann und schlug auf den Tisch.

»Davor bewahre uns Gott!« rief Graf Kunz.

»Und es geht doch alles besser, als ich gedacht habe,« meinte einer von den Hauptleuten; »der Tannhauser hat sich gefügt.«

»Und warum hätte er sich nicht fügen sollen?« fragte Graf Kunz leichthin mit lachendem Munde.

Die andern schwiegen.

Da ging die Tür auf, und des Tannhausers riesige Gestalt trat gebückt auf die Schwelle.

»Noch kein Bote gekommen?« rief ihm Graf Kunz entgegen.

»Nein, Herr,« sagte der Tannhauser und schloß die Tür.

»Was denkst du darüber?« fragte Kunz.

»Was ich darüber denke?« Der Tannhauser begann leise zu pfeifen, dann meinte er mit sorglosem Lächeln: »Er wird schon noch kommen, Herr.«

»Sonst alles in Ordnung?« fragte Graf Kunz.

»Alles besorgt nach Euerm Befehl. Die Pferde stehen gesattelt. Kein Mann darf den Harnasch ablegen die ganze Nacht.«

»Nichts Geringes bei dieser Hitze,« murmelte 117 einer von den Grafen. »Kein Lüftlein geht über die Erde, die Kleider kleben am Leibe –«

»So laß sie kleben!« rief Graf Kunz, stand auf und reckte sich.


Es war finster geworden, aber kein Lichtschein fiel aus den offenen Fenstern auf die Gassen.

In einer dunkeln Kammer flüsterte der Tannhauser. Eine wispernde Weiberstimme antwortete ihm. Nach einiger Zeit ging der Riese über den Flur hinaus vors Haus auf die steinerne Greden und verschwand in der Finsternis.

Aus der Stube kam einer und trat in die offene Haustür. Dann ging die Stubentür zum zweitenmal.

»Was willst du denn von mir, Johann?«

»Bst – schrei nur nicht so – 's geht niemand was an, Kunz!« raunte der Mann in der Haustür.

Zwei hohe Gestalten traten auf die Gasse.

»Johann!« raunte der eine und tastete nach der Hand des andern.

»Kunz!« raunte der andre und drückte die dargebotene Hand.

So schritten sie nebeneinander im Scheine der blinkenden Sterne durch den Staub der Gasse und sprachen lange kein Wort.

Endlich sagte der eine: »Das wird morgen ein heißer Tag.«

»Heißer Tag,« bestätigte der andre.

118 Wieder sprachen sie lange kein Wort. Dann raunte der eine: »Ich wollte, sie ginge jetzt zwischen uns, Bruder!«

»Sie hätte ihre Freude dran, die Frau Mutter,« sagte der andre.

»Warum haben wir das nicht schon früher getan?«

»Weiß ich's?«

»Es wäre doch arg gewesen, Johann, wenn wir –«

»– wenn wir als Feinde geritten wären, Kunz!«

»Johann, wir sind wahrhaftige Esel gewesen.«

»Wenn du's als Bruder meinst, mir soll's recht sein, Kunz,« lachte Johann.

»Bruder, ein Jahr lang haben wir nimmer miteinander gesprochen!« sagte Graf Kunz.

»Und haben geringe Ursache gehabt, Bruder. Wahrlich, es ist Teufelswerk, wenn Brüder zwieträchtig werden,« seufzte Graf Johann.

»Ich wollte, sie ginge jetzt zwischen uns,« wiederholte Kunz.

»Sie wird sich freuen, wenn sie's erfährt,« meinte Johann.

Hand in Hand gingen sie zurück zum Haus. Da flog ein Vogel auf den Dachfirst; der klagte, als die beiden die Greden hinanstiegen.

»Hörst du das Käuzlein?« raunte Graf Johann und drückte die Hand des Bruders. Der gab den Druck zurück.

119 Des andern Tages aber, als sich die Sonne zum Niedergang neigte, lagen die beiden Herz an Herz, quer übereinander auf dem zerstampften Rasen, und keiner vermochte zu sagen: »Ich wollte, daß sie uns sähe, die Mutter!«


Der abnehmende Mond kam über die Waldhügel empor und malte die kleinen Fenstervierecke auf die Hinterwand der Wohnstube. Wortlos saßen und lagen die Grafen auf den Holzbänken in der drückenden Hitze.

Da schob sich ein kleines dürres Weib über die Schwelle, schleppte einen großen Steinkrug zum Tisch und stellte etliche Becher auf die Platte. »Vergebt, Ihr Herren, was wollt ihr trocken sitzen die ganze Nacht?«

Graf Kunz stand schwerfällig auf und kam heran, hob den Krug und steckte die Nase hinein. Dann ging er mit raschen Schritten ans Fenster und schüttete den Wein hinaus.

Mit leisem Jammern schlug das Weib die Hände zusammen: »Ihr Heiligen – der gute Wein!«

»Unsern Knechten haben wir's verboten, und selber sollten wir's tun?« fragte Graf Kunz. »Geh, hol uns Wasser in deinem Krug!«

»Vergebt, Herr,« begann das Weib aufs neue. »Wollt ihr die ganze Nacht auf den harten Bänken liegen? Laßt euch doch die schweren Harnasche vom Leibe ziehen. Ich hab' Strohsäcke gelegt in 120 den Kammern nach eurer Anzahl und hab' frische Leilacher darüber gebreitet –«

»Hinaus!« rief Graf Kunz und hob die Faust.

»Ihr Heiligen, die Herren werden doch wohl ein arm, alt, blöd Weibsbild verschonen? Was ist's denn Böses, wenn ich sage, ruhet euch aus?«

Noch in späten Jahren erzählte Graf Rupert von dem kleinen Weibe, das damals im unsicheren Mondlichte vor ihm und den Brüdern gestanden war und die Erschöpften auf die weißen Tücher in Ruhe und Schlaf zu locken versucht hatte.

»Pfuch!« sagte Graf Johann. »Unsern Knechten haben wir's verboten, und wir selber sollten's tun?«

Da ging das Weib leise aus der Tür. Nach einiger Zeit hörten die Herren den Ziehbrunnen rasseln. Dann kam die Alte zurück und stellte wortlos den gefüllten Krug auf den mondbeschienenen Tisch.


Der Mond stieg höher und höher. In den Schilfwiesen am Strome riefen die Nachtvögel. Das Käuzlein war vors Dorf geflogen und lachte nun von Zeit zu Zeit aus der Ferne herüber.

Jung-Friedel kam quer über den Hof gegangen. Auf der Greden vor der Haustür stand der Tannhauser.

»Ihr könnt auch nicht schlafen auf der harten Bank in der heißen Stube?« rief er dem Jungherrn entgegen.

121 »Es ist mir übel geworden von dem Wasser,« antwortete Graf Friedel.

»Ei, so laßt Euch raten – ich will Euch einen Becher Weins verschaffen, daß ihr wieder frisch werdet.«

Jung-Friedel schüttelte den Kopf. »Unsern Knechten haben wir's verboten, und selber sollten wir's tun?« sagte er, wie vordem der Bruder gesagt hatte.

Der Tannhauser schob seinen Arm in den Arm des Jungherrn und zog ihn zur Küche. Dort drückte er ihn auf einen Schemel und ging hinaus.

Nach einer Weile kam des Tannhausers Knecht Sintram und bot dem Knaben einen kleinen Becher.

Der Tannhauser trat in die Tür und raunte: »Euch zum Heil, Herr Friedrich!«

»Weiß doch nicht, ob ich darf?« sagte Jung-Friedel und roch am duftenden Weine.

»Seid Ihr nicht krank, tut Euch nicht Wein not?« raunte der Tannhauser und kam näher.

»Es ist mir übel zumute, und ich will morgen bei Kräften sein,« sagte Jung-Friedel treuherzig.

»Nun also, trinkt!«

»Es ist starker Wein,« sagte der Jungherr.

»Heilsamer Kräuterwein – trinkt!« raunte der Tannhauser.

Da setzte der Knabe den Becher an die Lippen und nahm einen Schluck.

»Austrinken!« befahl der Tannhauser.

122 Gehorsam leerte Jung-Friedel den Becher bis auf den Grund.

Sintram tappte mit dem geleerten Becher aus der Küche. Der Tannhauser aber nahm wieder den Arm des Jünglings und ging mit ihm in die Stube.

Wortlos saßen und lagen die Grafen und Hauptleute auf den Bänken. Auch Jung-Friedel setzte sich. Der Tannhauser aber ging an den mondlicht-beschienenen Tisch, murmelte: »Mit Verlaub,« und goß Wasser aus dem Krug in einen der Becher. »Pfuch!« sagte er und setzte den unberührten Becher ab. »Pfuch!« sagte er zum zweitenmal und ging aus der Stube.

»Der Teufel soll den Grafen Kunz stückweise holen!« raunte er draußen dem Knechte Sintram ins Ohr. »Sie haben wahrhaftig Wasser im Krug.«

»Die Alte hat's ihnen holen müssen,« murmelte der Knecht.

»Und wär' doch alles so gut gegangen!« sagte der Tannhauser.

Dann schritten die beiden aus der Haustür. Der Knecht ging über den Hof und verschwand in der Scheune, der Tannhauser trat auf die mondhelle Gasse.

Gemächlich ging er hinaus vors Dorf, an der Wache vorüber, hinunter über die Wiesen zum Strom. Dann verschwand seine hohe Gestalt zwischen den Weiden und Erlen.

Nach einiger Zeit kam er wieder heraus und 123 ging pfeifend an der Wache vorüber, zurück ins Dorf. Und wieder nach einiger Zeit löste sich ein kleiner Kahn vom Ufer und glitt ungesehen im Schatten der tiefhängenden Büsche zu Tal. Es waren zwei Männer in dem Fahrzeuge; einer lag ausgestreckt auf dem Boden, der andre stand aufrecht und bewegte das Schifflein mit einer Stange.

Gemächlich schritt der Tannhauser die Dorfgasse entlang, zurück zum Gehöfte. Als er die Greden emporstieg, trat der Knecht Sintram aus dem Schatten und zupfte seinen Herrn am Ärmel: »Er ist da!«

»Wo?« raunte der Riese.

»Bei den Unsern,« kam die Antwort zurück.

Dann verschwanden die beiden im Schatten des Hofes.


Mit Gepolter fiel drinnen in der Stube einer von der Ofenbank und lag regungslos auf dem Boden.

Andre standen auf und hoben ihn empor, setzten ihn auf die Bank und lachten, als er sogleich wieder hinabglitt. »Friedel!« rief Graf Heinz, hob ihn abermals empor und faßte ihn. Ein Stöhnen kam aus dem halboffenen Munde des Knaben. »Friedel!« rief Graf Lutz und schüttelte den Schlafenden. »Eia, das Kind ist müde geworden, laßt es doch ruhen!« sagte Graf Kunz. Da faßten die Brüder Jung-Friedel unter den Armen und führten ihn 124 zum Tische, legten ihn auf die Bank, steckten eine volle Ledertasche unter seinen Kopf und rückten den Tisch nahe an die Bank. »Er soll ausschlafen!« sagte Graf Kunz und streckte sich mit Gähnen auf den Fußboden.

Höher und höher stieg der Mond. Längst schon waren die kleinen Fenstervierecke von der Hinterwand auf den Fußboden herabgeglitten.


Hinter dem Dorfe erhob sich ein niedriger Hügel. Drei alte Linden bedeckten mit ihrem Schatten einen Keller, der in den Hügel gegraben war.

Der Tannhauser öffnete die schwere Tür und ging in den kühlen Raum. Eine Kienfackel stak in eisernem Ringe und brannte qualmend. Der Riese lehnte sich an die Mauer und wartete.

Schritte kamen den hartgetretenen Fußweg über die ausgetrocknete Wiese herunter. Vor dem Eingang zum Keller ließ sich einer also vernehmen: »Zu den Grafen will ich!«

»Es hat alles seine Richtigkeit,« antwortete die fette Stimme Sintrams, des Knechtes.

»Ei, wohnen die Grafen Castell –?« sagte der andre.

Da kam der Tannhauser in die Tür und raunte: »Guter Freund, du bist der Hennebergsche?«

»Ja, Herr!«

»So, dann komm da herein! Die Grafen –«

»Da hinein?« fragte der Bote mißtrauisch.

125 »I was, es darf dich nicht wundern – du sollst deine Nachricht in aller Heimlichkeit bestellen – das Dorf ist voll von Reitern. Da haben mir die Grafen befohlen –«

Der Hennebergsche trat nach dem Castellschen in den qualmenden Keller. Unter die Kienfackel stellte sich der Tannhauser, vor ihn trat der Bote. Hart hinter dem Boten hielt der Knecht, und im Lichte der Fackel blinkte über seinem roten Schnauzbarte wie ein abgegriffener Beinknopf seine dicke weiße Nase.

»Kennt Ihr die Worte?« fragte der Hennebergsche ängstlich.

Der Tannhauser sah dem frischen Jungen einen Augenblick ins Gesicht. Dann hob er den Kopf und sah über ihn und den Knecht hinüber zur feuchten glitzernden Wand. »Hennengackern und Pfauenschrei,« sagte er halblaut.

Der Bote atmete tief auf und wischte über seine Stirne. »Ihr kennt die Worte. So hat's keine Gefahr. Höret: Die Hennebergschen lassen den Castellschen Gruß entbieten und Heil hier wie dort. Die Castellschen sollen die Schlacht nicht annehmen, sie sollten warten bis übermorgen. Morgen abend werden die Hennebergschen hier sein.«

»Ist das alles?« fragte der Tannhauser.

»Ja, Herr. Doch vergebt, ich bin sechs Meilen getrabt, bin hungrig und durstig.«

»Armer Junge,« murmelte der Tannhauser.

126 »Ich will sorgen, daß dich Hunger und Durst nimmer plagen.« Nun hob er die Hand und trat ein wenig zur Seite.

Der Knecht Sintram zog den Dolch und holte aus. Der Bote stieß die Arme in die Höhe und brach lautlos zusammen.

Der Tannhauser wandte sich ab.

»Ihn wird nicht mehr hungern und nicht mehr dürsten,« sagte Sintram und zog den Dolch aus dem Rücken des Ermordeten. Ein Röcheln kam als Antwort zurück. Sintram wischte die blutige Waffe am staubigen Wämslein des Jungen ab und schleifte die Leiche zurück in die Tiefe des Kellers. Dann stieß er die Kienfackel auf den Boden und zertrat die glimmenden Reste, ging hinaus, legte das Hängschloß an die Tür und tappte im Mondlichte hinter dem Riesen zum Dorf empor.

Der Morgen graute.

Graf Kunz war auf die Gasse gegangen und schritt nun rastlos vor dem Gehöfte hin und her. Da kam der Tannhauser in die Tür, rieb seine Augen und gähnte und ging auch hinaus auf die Gasse.

»Könnt Ihr's begreifen?« rief ihm der Graf entgegen. »Der Teufel hol die Hennebergschen!«

Der Tannhauser zuckte die Schultern. Dann gingen die beiden vor dem Gehöfte auf und ab.

Da und dort wurde ein Tor geöffnet. Reiter führten ihre gerüsteten Pferde zur Tränke an den kleinen Dorfweiher.

127 Rastlos gingen die beiden, der Graf und der Tannhauser, auf und ab.

Der dunstige Himmel über den Waldhügeln färbte sich zartrot. Der Tag brach an. Die Sonne kam über den Hügeln empor.


Von der Außenwache sprengte ein Reiter ins Dorf und schrie mit gellender Stimme: »Der Feind, der Feind!«

Hornrufe ertönten, Trommeln rasselten. Im Nu wimmelte die Dorfgasse von Reitern und Sarjanten.

Der Mann von der Wache stand in der niederen Stube und berichtete dem Grafen Kunz: »Der Feind zieht von Mitternacht heran, über die Hügel, und draußen bei uns hält ein Bischöflicher, hat einen Fichtenkranz auf dem bloßen Schädel und trägt ein weiß Tuch in der Hand.«

»Sie wollen die Stunde besprechen,« sagte schon der Tannhauser in der Tür, schob den bischöflichen Boten vor sich in die Stube und löste die Binde von seinen Augen.

Der Fremde beugte das Knie, richtete sich empor und sprach: »Ihr Grafen und gnädigen Herren, der Dompropst, das Kapitel und alle Hauptleute entbieten euch Gruß zuvor und Gnade von Gott. Dieweil ihr den Frieden gebrochen habt und wider alles Recht –«

»Holla!« rief Graf Kunz.

128 »– wider alles Recht eingefallen seid in bischöflich Gebiet, begehren meine Herren, euch entgegenzutreten mit gewappneter Hand, und lassen fragen, ob ihr bereit seid zum ehrlichen Kampf um die neunte Stunde?«

Wortlos standen die Grafen und Hauptleute im Halbkreise vor dem Boten, und suchend fuhren die Blicke des Grafen Kunz hinüber zum Tannhauser. Der stand zuhinterst an der Tür, heftete seine Blicke an den Stubenboden und tat, als ginge ihn das alles nichts an.

»Der Ort ist günstig, ihr Herren,« begann der Bischöfliche aufs neue, »weithin dehnen sich die Felder am Strome –«

Graf Kunz versuchte mit seinen Blicken den Tannhauser herbeizuziehen. Der aber stand unbeweglich und starrte zu Boden.

»Tannhauser, was meint Ihr?« rief endlich der Graf über die Köpfe der andern.

Da verzog sich das Gesicht des Riesen zu einem Lächeln. Er blickte auf und sprach: »Ich denke, wir lassen den Boten abtreten und halten Rat.«

Der Bote beugte das Knie und ging aus der Tür.

»Es ist unser Verderben, wenn wir annehmen, Tannhauser!«

Der Rote stand hoch aufgerichtet und lachte lautlos. »Mag sein, Herr!«

»Die Hennebergschen abwarten!« rief Graf Johann aus dem Hintergrunde.

129 »Wäre das Klügste,« bestätigte der Rote. »Das Klügste,« sagte er zum zweitenmal und lachte vor sich hin.

»Nun also!« rief Graf Kunz.

»Aber –« der Tannhauser trat einen Schritt vor, stützte sich breit auf das Kreuz seines Schwertes und sagte mit starker Betonung langsam Wort für Wort – »wie ist mir doch, sehe ich nicht den alten Herrn« – er neigte ehrfurchtsvoll das Haupt – »den alten Herrn, und höre ich nicht seine Abschiedsrede – seid immerfort eingedenk, daß die Schande ärger ist als der Tod?«

Ein Murmeln erhob sich ringsumher, und Graf Kunz sagte nach einer Weile: »So seht Ihr's an?«

»Dann drauf und dran!« rief Graf Lutz und schlug an die Wehre.

»Drauf und dran!« riefen sie ringsumher.

»Ruhe!« befahl Graf Kunz und stampfte. »Müssen wir nicht alles genau bedenken, Tannhauser?« Drohend hob er die Stimme. »Wird keiner hier sein, der mich für einen Schlappen und Zauderer hielte! Aber mir graut vor dem Ende.«

»Mag sein, Eure Gnaden,« sagte der Tannhauser mit unbewegtem Gesicht.

»Nun also!« rief Graf Kunz und stampfte.

»Drauf und dran!« sagte Graf Lutz. »Ich denke, da gibt's nicht mehr viel zu besinnen, ihr Brüder!«

»Recht so!« hetzte der Tannhauser. »Und, ihr 130 gnädigen Herren, wer gibt euch Bürgschaft, daß uns die Bischöflichen den Frieden halten?«

»Müssen sie doch nach Ritterbrauch,« sagte Graf Heinz.

»Müssen?« Der Tannhauser lachte. »Wer befiehlt ihnen, daß sie müssen? Sie können trotz allem in der nächsten Stunde auf uns hereinrumpeln. Und dann ernten wir zum Verderben die Schmach.«

»Drauf und dran!« riefen sie nun ringsumher.

Graf Kunz aber sagte laut: «So sei's auf euer aller Gefahr!«

Der Bischöfliche kam wieder in die Stube, und man bestimmte die zehnte Stunde zum Beginn des Kampfes.


Die Brüder, der Tannhauser und etliche Hauptleute waren in der Stube zurückgeblieben.

Graf Kunz stand vor dem schlafenden Friedel und schüttelte ihn. »Auf, auf, Bruder!«

Der Knabe öffnete die Augen nicht, murmelte Unverständliches vor sich hin und schlief weiter.

Da hob ihn Graf Kunz wie ein Kind zusamt seinem Harnasch auf und stellte ihn vor die Bank. Der Jungherr schwankte und stürzte vorwärts in die geöffneten Arme seines Bruders.

»So tiefen Schlaf hab' ich noch nie gesehen,« staunte der Tannhauser und kam heran.

»Es ist unmöglich, daß er so fest schläft,« sagte 131 Graf Johann zornig, nahm den Krug vom Tisch und ging hinaus.

Unsanft legte Graf Kunz den Bruder auf die Bank und wandte sich ab.

»Steht auf, Herr!« mahnte der Tannhauser. »Die Ehr' ist auf dem Spiel.«

Der Knabe schlief.

Da kam Graf Johann mit dem gefüllten Krug in die Stube. Sie schoben das Haupt des Schlafenden über den Rand der Bank, und Johann goß das kalte Wasser über sein Gesicht.

Der Knabe schlug die Augen auf, lallte und schloß die Augen wieder. Da hoben sie ihn zum zweitenmal von der Bank und stellten ihn auf den Boden, und zum zweitenmal stürzte er in die geöffneten Arme des Nächsten.

»Es ist nicht möglich, daß er so fest schläft,« sagte Graf Kunz.

Der Riese zuckte die Schultern und wandte sich ab. »Vor einer Schlacht kann man viel erleben,« sagte er geheimnisvoll.

»Ihr denkt, er verstellt sich?« brüllte Graf Lutz.

Der Riese zuckte die Schultern.

»Friedel, hörst du? Friedel, es geht um die Ehre!« rief Graf Lutz, kniete an der Bank nieder und streichelte die Wangen des Schlafenden. Der aber rührte sich nicht.

»Da herinnen kann er nicht liegen bleiben!« rief Graf Rupert zornig.

132 An der Tür wandte sich der Tannhauser: »Laßt ihn doch in den Keller tragen. Mutter Trude wird ihn behüten. Da kann er die Schlacht verschlafen.« Und damit ging er hinaus.

»O, die Schmach!« rief Graf Rupert. –

Die Sonne stand hoch am Himmel, als die Castellschen hinausritten ins heiße Blachfeld, ihren Feinden entgegen.

Vor dem Dorfe stieß Graf Lutz seinen Bruder Heinz in die Seite, wies mit der ausgestreckten Linken über den Strom hinüber auf die blauduftigen Waldberge der Heimat und auf einen weißblinkenden Punkt. »Siehst du's?« raunte er.

Graf Heinz nickte und sah unverwandt hinüber auf das leuchtende Stammhaus seines Geschlechts. »Über ein kleines, so wird der Staub aus den dürren Feldern emporsteigen,« sagte er. »Sie können den Staub sehen in Castell, wenn sie scharfe Augen haben.«

»Ich wollte, sie könnten mich sehen!« rief Graf Lutz ganz laut und reckte sich.

»Bruder, du gefällst mir – du reitest als ein Held in die Schlacht,« raunte Graf Heinz.

Da ging ein glückliches Lächeln über das braune kleine Gesicht des andern, und nach einer Weile sagte er: »Bruder, vergib mir, ich habe oft übel von dir gedacht und übel gesprochen über dich.«

»Pah!« rief Graf Heinz. »Hab' auch oft übel gehandelt.«

133 So ritten sie im Staube hinunter auf die Felder.

Weit drüben kamen in einer Staubwolke die Feinde herab von den Hügeln.

»Aber der Friedel – Bruder, der Friedel –!« stöhnte nach einer Weile Graf Lutz.

»Der Friedel!« murrte Graf Heinz und machte ein grimmiges Gesicht.

»Ich hätt's ihm doch nicht zugetraut, Heinz.«

»Je nun – er ist wohl noch zu jung, da hat ihn die Angst gepackt, Lutz.«

»Und ich glaub's nicht, ich glaub's nicht!« rief Lutz.

»Ihr Herren, ich glaub's auch nicht,« sagte einer hinter den beiden in ehrerbietigem Ton.

»Und was soll's dann sein, Eckart?« fragte Graf Heinz über die Schulter zurück.

»Man hat's noch nie gehört von einem Castell,« sagte der Knecht.

»Und was wird's dann sein, Eckart?« wiederholte Graf Heinz.

»Zauberei, ihr Herren!« sagte der Knecht mit Bestimmtheit.

In sich gekehrt, mit geneigtem Haupte ritt Graf Heinz fürbaß und summte leise vor sich hin:

»Mir ist, als wär' es zum letzten Male,
Mir ist, als neigte der Weg sich zu Tale,
Als wollte auf all mein Fühlen und Denken
Die Nacht sich leise herniedersenken. 134

Doch wenn ich vergehe in Nacht und Grauen,
Dann laß mich, Herr, dein Antlitz schauen –
Und gib mir, wenn ich hienieden erbleiche,
Die schlechteste Wohnung in deinem Reiche.«

 


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