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Exners Denken lag im Blut; er tat, was er mußte. Langsam, mechanisch, widerstrebend, wie eine Zange erfaßte sein Geist einen Vorsatz und ließ ihn nie wieder los. Wenn so sein Wollen Instinkt geworden war, dann sah er nur vorwärts, und nicht eher gab es ein Ausschnaufen für ihn, ehe nicht die Erfüllung hinter ihm lag. Nach kurzer Ruhe war er am andern Morgen auf den Beinen. Seine Schwester ging eben mit dem Melkgerät und der Laterne über den Hof, als er der kleinen Ausgangstür zuschritt, den Kopf wie immer seitwärts und nach vorn hängend, ernst und verschlossen, ohne zu grüßen. Er schritt die Dorfstraße hinab und bestellte den alten Freiwald, einen guten, weisen Greis, mit dem er schon früher manches besprochen hatte, auf sein Anwesen am Freibusch, damit endlich mit dem lange geplanten Bau des Brunnens begonnen werde.
Um sieben Uhr, eben da die Sonne einen roten Qualm, das Licht ihrer unmittelbaren Nähe, durch die schwarzen Baumkronen vor sich heraustrieb, langten die beiden auf der Arbeitsstelle an.
Nach langer Beratung, die mit allerhand geheimnisvollen, sehr umständlichen Messungen seitens des alten Freiwald verbunden war, hieben zwei Rodehauen in den Rasen an der linken Ecke des Wohnhauses, nicht allzu weit von der Eingangstür. Nach dem dritten Schlage aber schüttelte der Alte den Kopf und wandte sich an den Klumpen: »Aber das is ja ein Born, wie 'n ein Bauer nich größer braucht.«
Der Klumpen sah ihn eine Weile mißmutig an und antwortete dann mit schlecht verhehltem Ärger: »Ich denk halt, zu viel Wasser is besser als zu weng.« »Aber sieh och...« »Hack, Freiwald, hack du och!«
So schüttelte er den unnützen Frager von sich ab und schlug dann mit Wucht seine Spitzhaue in den Boden.
»Ein rauhes Geschmeiß is er schon«, dachte der Brunnenbauer bei sich und setzte auch die Arbeit wieder fort.
Noch mehreremal versuchte er ein Gespräch mit dem Lahmen einzuleiten, um bei dieser Gelegenheit eine gemächliche Pause zu erlangen, aber sein Arbeitgeber war taub vor Fleiß. Nur hin und wieder richtete er sich auf und sah verstohlen auf sein Haus.
Das ähnelte seinem Vaterhause. Nichts unterschied es in der Bauart von den andern Wirtschaftsgebäuden des Dorfes: Wohnung und Stallung unter einem Dache, der eine Teil aus vierkantig behauenen Balken, der andere aus Steinen. Eine schmale Flur, von der eine steile Stiege nach dem Boden, »der Bühne«, führte, schied beide Teile innen voneinander.
Rechts von der Flur führte eine Tür in die Wohnstube; ein kleines Türchen links war der Eingang zur Stallung, über der der Heuboden, neben der ein kleiner Holzschuppen noch Platz unter dem gemeinsamen Dach gefunden hatte.
Es war ein sauberes Häuschen mit seinen weiß getünchten Ballen und den braun gestrichenen Wechseln dazwischen. Aber es lag der gleiche Geist der Unwirtlichkeit und Freudlosigkeit darum. Anstatt seine Fenster nach der Straße zu kehren, um in behaglicher Neugier das spärliche Leben zu betrachten, das auf dem Wege zwischen Steindorf und Erlengrund sich entwickelte, starrten die kleinen Öffnungen in mürrischer Öde in den nahen Wald, der sich in Steinwurfsweite vor der nach Osten gekehrten Front des Hauses hinzog. Dazu erhob sich nach der Straße zu ein meterhoher Wall aus Rodesteinen, eine Mauer, wie die Steindorfer sagen, der jeden neugierigen Blick von oben abhielt und nur dem Dach eine Umschau gestattete.
Aber so gefiel es dem Klumpen eben. Und jedesmal überkam ihn tiefe Heimsicherheit, wenn er, auf dem schmalen Zufahrtswege herabschreitend, durch die Lücke der Mauer in sein Reich trat. Schmunzelnd sah er dann die schmale, lange Feldflur auf und nieder.
Hier nahm sein einsames Brüten Gestalt an, und in seinen Augen glomm es, um seine Lippen zuckte es. Die Besitzung war schuldenfrei, und tausend Taler hatte er noch ausstehen. War es da denn nicht möglich, daß die Grenzen hinausrückten und seine Kühe über die Mauer stiegen, um jenseits zu grasen, weil das Land hier auch sein geworden war?! Dann wuchs vor seinen sehenden Augen an Stelle des engen Hauses ein behäbiger Bauernhof mit Mauern umschlossen wie eine Stadt, einem Taubensöller neben dem riesigen Düngerhaufen und einem zweiflügeligen Tor als Einfahrt. Dann wird sich kein Mensch mehr trauen, ihm den häßlichen Spitznamen zu geben oder Späße über ihn zu machen.
Doch zu niemand sprach er von seiner Sucht. Seine Geschwister, seine Mutter, selbst der Schuster waren Fremdlinge in der Welt seiner Seele. Er aber säugte sie mit all seinen stummen Stunden, daß sie endlich zu einem klaren, peitschenden Plan geworden war.
Indessen war es zehn Uhr geworden. Sie standen schon bis an die Hüften in der Erde. Der Klumpen hieb die Haue in die Steine und richtete sich auf. Freiwald stellte die Tätigkeit auch sofort ein und sah ihn verwundert an.
»Wird's Wasser haben?« fragte der Lahme. Der Alte fuhr mit dem Rücken seiner Hand über den Mund und schickte sich mit einem überlegenen Lächeln zu einer umständlichen Darlegung an:
»Born is nicht Born«, begann er dann, »'s sein'r zweeerlee: Grundborne und Quetschborne. Der Grundborn is der richtige, der hat Seelenwasser, direkt aus der Erde ruf. Der Quetschborn is ja auch gut. Denn ei der Erde drunten, da is nischte tot, da is lebendig ei der Nacht, und Wasser gehn hin und her, 's fließt, macht Tümpel, allerhand. Bei eem Quetschborne geht's Wasser bloß durch; regnet's viel, hat's viel; is 's dirre, bleibt der Born leer.«
»Nach und mei Born?« fragte der Klumpen ungeduldig dazwischen.
»Das is eben«, setzte Freiwald unbeirrt seine langwierige Erklärung fort, »das is eben. Es is ein Quetschborn, der de 's Wasser vom Rollberge kriegt; aber wenn mr den gelben Steen, of dem mir jetzte sein, durchschlagen, kommt der weiße und zuletzt der blaue, auf dem steht das Seelenwasser. Siehste, Kl... Karle, Seelenwasser. Das is aso, deine Seele is das Inwendigste. Deswegen und weil das Grundwasser aus dem Allertiefsten kommt, dort wo, ma mecht fast sprechen ...«
Das dauerte dem Lahmen doch zu lange. Er stieß des Alten schöne Weisheit gleichsam mit dem Fuße fort, indem er fragte: »Also, wird's Wasser haben oder nich?«
»Freilich, freilich; aber tief wird's halt sein«, gab der Greis zurück und lächelte mitleidsvoll über den Klumpen. –
In rauhem, rücksichtslosem Fleiße trieb der Lahme so den Alten durch die Tage. Der ward immer verdrossener, da dieser viehische Eifer seiner Tätigkeit die ganze Seele nahm und nichts als leere Handgriffe übrigließ, die ihn ermüdeten und quälten. Mit Wut hieb er darum drauf zu, um so schnell als möglich in eine Tiefe zu kommen, wo das Tageslicht aufhörte und er nur allein arbeiten konnte. Und als er nun wieder in der dumpfen Nacht mit dem roten Lichtlein in der Laterne allein war, erwachten alle rätselhaften Betrachtungen und Geschichten, mit denen er seine gemächliche Geschäftigkeit zu begleiten gewohnt war. Er füllte den Korb mit dem losgeschlagenen Gestein, und auf ein Zeichen ward die Last von dem Lahmen an einem Seil, das über eine Welle lief, heraufgedreht. Nun trat auch wieder ein freundlicheres Verhältnis zwischen den beiden ein, wenn der Klumpen auch oft grob in das Loch hinunterschimpfte, da das Signal zum Emporwinden nach seiner Meinung oft zu lange ausblieb. Freiwald gab sich dann den Anschein, als höre er das in seiner Tiefe nicht, und der Klumpen gewöhnte sich, die langen Pausen mit seinen verheimlichten Träumen auszufüllen. Oft stand er still und lauschte auf das Pochen der Haue, das von Tag zu Tag schwächer zu hören war. Hin und wieder tönte auch das Husten des Alten herauf. Aber das Wasser blieb aus, obwohl schon zwei Feuerleitern hatten aneinandergebunden werden müssen.
Eines Tages übermannte den Klumpen der Zorn. Denn er hatte sich die Ausgaben zusammengerechnet und schrie hinunter:
»Bist'n bale of'm Plenter?« – »Wudelsack!« setzte er leiser hinzu. »He!« gurgelte er noch wütender, weil er keine Antwort erhielt, und wiederholte seine Frage unter Aufwendung einer solchen Lungenkraft, daß seine Stimme überschnappte.
»Ach was, Plenter!« murmelte es höhnisch herauf. Exmer hielt einen faustgroßen Stein in der Hand und warf ihn ärgerlich hinab, als er das hörte.
»Karle, laß die Tummheet! 's ging grade am Arm runter. Wenn de das noch amal machst, komme ich ruf und laß dr den Krempel liegen«, schrie Freiwald erbost.
»Hol dich der Teufel«, knurrte der Klumpen, hockte sich auf die Winde und begann abermals mühselig seine Ausgaben für den Born zusammenzuzählen. Es wurde nicht weniger, ob er die kleinen Posten voran und die großen ans Ende stellte oder es umgekehrt machte, und mißmutig blickte er umher. Der Frost hatte begonnen, eine schneelose, grimmige Kälte, in der das heraufgewundene, feuchte Gestein sogleich zusammenfror. Wenn och der Schnee noch bliebe, dachte der Lahme. Aber über dem Rollenberge standen schon seit gestern grauweiße schwere Wolken. Die Luft durfte sich nur erwärmen, dann ging das Schneetreiben los, und die Arbeit mußte bis zum Frühjahr ruhen.
Endlich, nach zwei Tagen, schrie es hohl aus dem Brunnen: »Wasser, Wasser!«
Die Leitern klapperten, und schweres Stampfen kam höher. Der Klumpen warf in glücklichem Schrecken weg, was er in der Hand hielt, stürzte an den Born und rief hinunter: »Bring Wasser mit! Wasser! Wasser!«
Nach einer Weile tauchte Freiwald auf und reichte ihm eine Flasche mit schmutzigem Wasser hin, bei deren Anblick der Lahme zurückprallte. Der Alte lachte: »Nu, nu, nimm se och schon! Zuerst is 's Wasser halt nie anders. Das setzt sich schon, wenn's ruhig wieder zu sich gekommen is. Nimm's und verlaß dich of mich, 's schmeckt reen!«
Der Lahme kostete. Das Wasser war dumpfig und lehmig. Aber über sein fahles Gesicht ging ein Schimmer, denn er schluckte den Trank seiner Zukunft.
»Wird's aushalten?« fragte er nachher, sich wieder verdüsternd.
»Auch nu, ma denkt doch«, antwortete der Greis zögernd und richtete nach kurzem Überlegen sein Auge ernst auf den Frager. »Ich für mich kann sagen: ja. Aber was nützt das. Ich hab'm rausgeholfen, und es kam, denn mei Hand is reen und mei Gemüte gut. Ob's aber dableibt, steht bei Gott und dir. Viel Glücke!«
In treuherziger Ergriffenheit streckte er dem Klumpen die Hand hin. Während sie fortgingen, begann sich die Luft mit seinen, weißen Stäubchen zu füllen, die wie winzige Nadeln stachen, wenn der heftige Wind sie gegen die Haut trieb. »Über Nacht wird's weiß werden«, sprach der Alte.
»Mir schmeißt's nischt mehr um«, erwiderte der Klumpen in verhaltener Freude. Danach trennten sie sich stumm voneinander.