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Doch ehe der Lahme mit der Gewinnung alter Grenzsteine und dem Verschütten des Brunnens beginnen konnte, fingen die Steindorfer auf eigene Faust ein Ermittlungsverfahren gegen ihn an. Späher umlauerten Tag und Nacht sein Gehöft. Pischkewill um Pischkewill, wie man die Schmähbriefe hier nennt, klebte an seiner Tür, dem Brunnenhäuschen oder flatterte, von ungesehener Hand geworfen, vor seine Fenster. Die zur Schule gehenden Kinder standen schreiend auf der Mauer, wiesen erregt nach seinem Hause und liefen, wenn er sich sehen ließ, mit dem Rufe: »A kimmt, a kimmt!« eiligst davon. Und als er sich aufraffte, dem Gerücht die Stirn zu bieten, mit einem derben Stock bewaffnet durchs Dorf schritt, im Gasthaus saß, Passanten unter nichtigem Vorwand auf dem Wege zu einem Gespräch preßte, da mußte er die Wahrnehmung machen, daß er von den Meinungen und Absichten der Leute nichts erfahren konnte. Man stahl sich von ihm, um aus gesicherter Weite eine Drohung nach ihm hinzuschreien, auszuspeien oder ihm die Faust zu zeigen. Störrisch zog er sich in das Netz zurück, das ihre feige Emsigkeit um ihn gesponnen hatte, und lag auf der Lauer, wie er listigerweise doch noch zur Ausführung seines Planes kommen könnte. Allein es gelang ihm nichts, als in einer finstern Nacht einige Grenzsteine von der fernen Gemarkung Petzdorfs unter großen Schwierigkeiten herbeizuschaffen und im Schuppen unter den Reisigbündeln zu verbergen.
Dabei mußte er ängstlich sein Weib hüten, damit sie mit niemand zusammenkomme. Er besorgte alle Einkäufe selbst und war immer auf der Jagd nach den vermaledeiten Pischkewillen.
Marie klagte nie und verdächtigte ihn mit keinem Worte. Nur vor seinen plumpen Zärtlichkeiten, mit denen er sie nun häufig verfolgte, floh sie entsetzt. Sonst sah sie mit einer starren Milde auf ihn hin. Sie ging mit langen, festen Schritten umher, ihr Gesicht trug einen gespannten Ernst. Mit harten, überwindenden Bewegungen, wie ein Mensch in großer Kälte arbeitet, rührte sie sich bei ihrem Tagewerk. Schlug der Wind irgendwo eine Tür zu, oder klang ihres Mannes Schritt unvermutet von dem Hofe her, so fuhr sie zusammen, lief mit erbleichendem Gesicht ans Fenster und spähte lange den Weg hinauf, um dann stumm und versunken, gleich einer Verschollenen, weiterzuschaffen.
Nur die Ampel vor der Heiligen Mutter auf dem Eckbrett brannte ohne Unterbrechung, selbst am hellen Tage, und in gar mancher Nacht, wenn der Lahme, durch ein schreckhaftes Gesicht aus unruhigem Schlaf gerissen, nach ihrem Lager griff, fand er das Bett kalt und leer und hörte durch die Tür ihr monotones, leises Gebet.
Aber sie vermochte nicht den rollenden Stein der Vergeltung aufzuhalten.
Infolge einer anonymen Denunziation stellte sich eines Morgens der Wachtmeister Stief aus Walsdorf auf dem einsamen Höfchen am Freibusch ein, um den Klumpen über das Verschwinden der Grenzsteine und des Schusters zu verhören und das Haus samt seiner näheren Umgebung einer peinlichen Untersuchung zu unterwerfen.
Exner war ehrerbietig, freundlich, spielte den Gebückten, aus gekränkter Ehre Kummervollen, wurde brutal, tat tölpelhaft, sprach Lügen mit unbefangener, blöder Miene, redete Wahrheiten mit jener unsicheren Stimme und jenen ausweichenden Blicken, welche die Notlüge charakterisieren, überlistete den Wachtmeister vollständig, der, je aussichtsloser sich das Verhör gestaltete, immer mißvergnügter wurde und zuletzt nur noch auf dieser und jener Nebensächlichkeit herumritt, um den Lahmen gehörig zu stäupen.
Marie lief es heiß und kalt über den Rücken, als sie ihren Mann in solch glatter Verachtung der Wahrheit mit dem Hüter des Gesetzes umspringen sah. Mehreremal öffnete sie den Mund zum erlösenden Schrei; aber Exners Auge zwang sie, ihre Aussagen auf der Linie seines Zeugnisses zu machen.
Endlich traf der Wachtmeister Stief Anstalten, sich von seinem Sitze am Tisch zu erheben, klappte das Taschenbuch zu, und indem er das ausgedehnte Gummiband bedächtig und sorgsam darüberlegte, sagte er:
»Das is eine ausgemacht lausige Geschichte, verstehn Sie mich, Freundchen, und ich kann Ihn bloß so viel sagen, da wird Ihn schon noch ein Patzen Dreck uf die Krempe fallen.«
Der Lahme reckte sich absichtslos aus seiner gebückten Haltung zur vollen, vierschrötigen Höhe.
»Immer tun Sie sich!« brauste Stief auf und erhob sich, den Stuhl mit der Hand zurückschleudernd. »Ich Hab' schon andre gefressen, wie Sie sind, das merken Sie sich. Lassen Sie's och gut sein, der Staatsanwalt wird Ihn die Läuse schon aus'm Magen klauben.«
Er ließ seinen stöbernden Blick rund um die Stube laufen, strich, zur Erde sehend, seinen schwarzen Schnurrbart und kommandierte dann:
»Nu woll mr mal nachsehn!«
Dienstbeflissen sprang der Lahme hinzu und öffnete die Tür. Im Hinausschreiten herrschte Stief ihn an:
»Machen Sie keene Dänste! Wo haben Se die Steine hingeschafft?«
Exner versicherte zum hundertsten Male, daß er ihm darauf keine Antwort geben könne, weil er mit den Grenzsteinen nichts zu schaffen gehabt habe, und bat ihn, sich doch die Mühe zu nehmen, sein ganzes Haus und alles, was drum und dran hänge, zu untersuchen, damit endlich der ärgerliche Verdacht von ihm genommen werde.
Stief ließ sich nicht irremachen, und wenn er sich auch von der Haussuchung nichts versprach, so hatte er doch Gelegenheit, den Hartgesottenen nach allen Regeln der Kunst zu bearbeiten, weich zu machen, und hoffte dies oder das zu finden, das seiner festgefahrenen Kombination einen neuen Weg wies. Er stieg treppauf und treppab, schnurrte mit klapperndem Mundwerk überall umher, setzte ihm mit immer stärkeren Drohungen hart zu, klopfte ihm endlich in einem dunklen Winkel auf die Achsel und flüstere ihm herzlich ins Ohr, nun könne er es ihm sagen, sie seien unter vier Augen, er habe auch ein Gemüt und werde zu schweigen verstehen. Als sie im Schuppen an dem Stoß Reisig standen, kam dem Lahmen wirklich der Gedanke, ob es nicht besser sei, dem Wachtmeister zur Auffindung der gestohlenen Grenzsteine zu verhelfen, denn er hatte eine unbestimmte Hoffnung, dadurch den Gang der Untersuchung auf einen toten Weg zu leiten, Und begann tatsächlich, Bündel um Bündel herabzuwerfen.
»Was machen S'n da?« fragte barsch der Behelmte.
»Sie sollen sehn, ob de Steene dahinter sein«, antwortete Exner und warf Stief ein andres Bündel vor die Füße. »Sie – Sie – Astloch, haha! Stief sucht nach seiner Nase, verstehn Se mich?« rief der Wachtmeister verächtlich und kroch durchs Türchen ins Freie.
Exner folgte ihm, und da er wahrnahm, daß die Untersuchung zu Ende sei, sagte er:
»'s tut mr recht leed, Herr Wachmeester, daß Se weger solcher alberner Lügerei durch den tiefen Schnee herkommen mußten. Wenn's Ihn un 's hätt Ihn och nischt getan!«
»Verflucht, halten Se's Maul! Ein Königlich preußischer Schandarm macht sich überhaupt keen Schaden nich, verstehn Se mich!«
»Nee, nee, sein Se och nich böse, Herr Wachmeester. Ma is halt a tummer eefacher Mann und weeß nich, was herrsch is. Ma redt halt vo der Leber runter – adje, Herr Wachmeester, adje!«
Er hatte ihn bis zum Brunnenhäuschen begleitet, machte abermals eine ungeschickte Verbeugung und wollte ins Haus.
Plötzlich spuckte Stief aus und schrie:
»Pfui Teifel! was is das für ein Gestank in Ihrem Hofe. Wie in einer Leichenhalle!«
»Das is das Wasser, Herr Wachmeester, ja. Sehn Se, da hat ma siebzig Ellen gegraben, das scheene Geld hamfelweise ei de Erde geschmissen, un nu hat das Wasser een Geschmack, daß Mensch und Vieh krank drvo wird. A so geht's eem armen Manne. Wollen Se amal kosten? 's is nich zum Trinken!«
Stief sah ihm unverwandt ins Auge. Der Lahme fühlte, wie sich ein Häutchen über seine Augäpfel schob, und hob die Hand, um es fortzuwischen. »Komm' Se mal her zu mir!« befahl ihm Stief mit unheilschwangerer Stimme.
Nach einem kurzen Zögern gehorchte der Lahme; aber nun war es ihm, als hüpfe das Brunnenhauschen auf und nieder, und den Wachtmeister sah er wie erlöschen.
»Ja, ja«, sprach er dennoch und ging auf den grauen Punkt vor ihm los.
Gott sei Dank! Er hatte es getroffen. Drei Schritte vor der blankknöpfigen Brust war alles wie sonst, und mit gut geheuchelter Einfalt sah er Stief an.
»Wissen Se was?« fragte dieser drohend und zeigte auf den Brunnen: »Wissen Se was? – Ich wer ...«
Er unterbrach sich aber, griff rasch in die Tasche und schrie:
»Die Hände her!«
Der Lahme warf einen Blick auf den nahen Wald und sah, wie die Baume auf ihn zuzumarschieren begannen, die Erde donnerte unter ihnen, und Rauschen erfüllte die ganze Luft. Er erkannte, daß kein Entrinnen möglich sei, und streckte mit irrem Lächeln seine Arme aus.
Stief aber hatte sich plötzlich eines anderen besonnen, versenkte die Handschellen wieder in seine Hosentaschen, sah auf die Uhr, pfiff, blinzelte Exner an und mit den Worten:
»Ach was, da is gar «ich dran zu tippen«, machte er kehrt und ging davon.
Er hatte die Absicht gehabt, den Lahmen zu verhaften, weil es ihm unabweislich sicher schien, die Leiche des Schusters liege im Brunnen. Im nächsten Augenblick war aber durch den Gedanken an eine Blamage, wenn eine Katze, ein Hund oder gar nichts da unten im Loche gefunden würde, seine sensenscharfe Sicherheit verschwunden, und er machte sich mit dem Vorsatz auf, erst die Veranlassung des pestilenzartigen Gestankes zu erforschen und dann mit zwingender Berechtigung zu tun, wozu ihm seine Hand juckte. Zudem war es elf, sein Magen leer und seine Kehle von dem vielen Sprechen rindetrocken. Mit eiligen, langen Schritten steuerte er der Schenke zu. Sein Säbel schlug an die Schäfte der langen Stiefel. Allmählich verlor sich das klirrende Klatschen in der Weite.
Der Lahme wagte nicht, sich zu rühren. Der weggeschaufelte Schnee kauerte wie eine Schar lauernder weißer Katzen um ihn, die bei jedem Schlag des Säbels aufsprangen, wild durcheinanderquirlten und sich wieder hinhockten. Wie die Schritte mit dem Geklirr immer undeutlicher wurden, beruhigte sich der Schnee, und als es ganz still war, lagen die tausend Weißen Schaufelbrocken regungslos um ihn und glotzten zu ihm hinauf wie die Totengesichter bis an den Hals eingegrabener Menschen.
Exner hatte eine Zeitlang die Gewißheit, daß sie alle anfangen müßten zu schreien, wenn er nur den Versuch mache, sich zu rühren.
Endlich wagte er sich umzudrehen und gewahrte Marie am Fenster stehen, das verfallene Gesicht an die Scheibe gedrückt, so, als sei sie längst gestorben, von einem Unbekannten aufgehoben und gegen das Licht gelehnt worden. Er wußte, sie sei vor dem Schließeisen des Wachtmeisters so erschrocken, und um ihr zu zeigen, daß das Erheben und Hinstrecken seiner Hände vorhin keinen andern Grund als den einer schrullenhaften Gewohnheit von ihm gehabt habe, hob er die Hände abermals gegen den Brunnen und besah sie sich genau, als wisse er gar nicht, daß sein Weib ihm zusehe. Dann begann er mit der Rechten den Schwengel zu bewegen und streckte die Linke unter das Ausflußrohr, damit es den Anschein habe, er wasche sich die Hände. Es kam kein Wasser. Er pumpte mit zwei Händen. Die Röhre blieb trocken. Nun riß er den Schwengel in wilder Hast auf und nieder. Das Brunnenhäuschen schütterte, die Kolbenstange ächzte auf und ab. Das Wasser blieb aus. Darum stellte er sich nach ein paar heftigen Schwüngen mit dem Schwengel dicht an das Häuschen und wusch sich die Hände in der Luft, trat zur Seite, schlug sie sich trocken, ging in die Stube, faßte Marie um den Leib und setzte sie auf die Bank an den Tisch.
Marie sagte kein Wort, sondern sah in der Richtung ihres Gesichtes gradeaus.
Dem Klumpen war es gar nicht mehr zweifelhaft, daß auch sie wisse, alles sei aus.
Nachdem er eine Weile mit zwischen die Knie geklemmten Händen gesessen hatte, waren ihm drei Pläne gekommen. Er mußte Steine in den Brunnen werfen, um seine Untat zu verbergen, es war notwendig, selbst die Auffindung des Schusters zu betreiben, um den Verdacht der Täterschaft von sich abzuweisen; er mußte ohne Auf- und Umsehen alles stehen- und liegenlassen, um nur sich in Sicherheit zu bringen.
Er erhob sich und schritt unverzüglich zu deren Ausführung.
Im Schuppen warf er den Reisigstoß vollends auseinander, trug die vier gestohlenen Grenzsteine heraus und zerschlug sie mit dem eisernen Pürdel in kleine Stücke. Diese lud er in einen Kastenkarren und fuhr sie an den Brunnen. Dort ließ er sie stehen, hob eine Feuerleiter vom Dach, holte die andere hinter dem Hause herbei und band beide mit Stricken aneinander.
Darauf trat er ins Haus, zog sich um und ging ins Dorf, kalt und steinern, wie ein harter Mann in unaufschiebbarem Geschäft einherschreitet.
Er fand den alten Freiwald bei seiner Winterarbeit, der Fabrikation von Wirtschaftsgeräten. Als der Klumpen in die kleine Stube eintrat, erhob sich der Greis betreten, rückte die große Brille auf seine Stirn hinauf und bot ihm einen Stuhl an. Kurz, ohne Umschweife trug Exner ihm seine Bestellung auf: der alte Brunnenbauer solle morgen früh einmal zusehn, was es für eine Bewandtnis mit seinem Born habe. Seit Tagen sei das Wasser ausgeblieben. Er, Exner, könnte ja den Brunnenbauer aus Petzdorf holen, aber Freiwald habe nun mal den Born getrieben und werde darum die Sache gründlicher machen als irgendein anderer. Die Feuerleitern seien aneinandergebunden, alles liege parat, er selbst könne nicht zugegen sein, weil er Termin habe.
Freiwald machte diese und jene Einwendungen. Der Lahme beschrankte sich darauf, seinen Auftrag zu wiederholen, gab dem Alten freundlich die Hand und ging. Auf dem Dorfwege wußte er plötzlich nicht mehr, was beginnen; es ging immerfort etwas wie ein sumsender Wind durch seinen Leib, und der Laut seiner Schritte schien von den Bergen umher auf ihn herabzufallen. Er nahm die Mütze ab, damit das Pochen von den Höhen her aufhöre. Das Kollern in der Luft über ihm dauerte an. So entschloß er sich, auf den Eschberg zu steigen. Das macht jeder, wenn ihm so was passiert. An der Wegscheide, wo ein Steig links jach emporklomm, der andere am Rande hin sich nach dem Fuchsloche abzweigte, hatte er seinen Vorsatz schon wieder vergessen und schritt seinem Vaterhause zu. Auf halbem Wege, unter den Erlen eines Tümpels, stand plötzlich sein Bruder Joseph vor ihm. Er trug einen halben Sack Brotgetreide auf der Schulter und wollte zur Mühle.
Nach der Begrüßung fragte der Jüngere:
»Nu, Karla«, wohin willst'n du?«
Der Lahme war versucht, seines Bruders weiche, hohe Stimme spöttisch nachzuäffen, unterdrückte aber den Drang und antwortete:
»Zu dir. Du wirst wohl wissen, wie's mit meiner steht, und da ich morgen in de Stadt zum Termin muß...«
»Ja'ch, wie weit is'n, wie stets'n mit'm Freirichter?«
Ohne auf seine Unterbrechung zu achten, fuhr der Lahme fort:
»Da möcht ich Marie nich alleene lassen, denn ma weeß immer nich, was mit'r wird, 's is schon zu nahe.«
»Nu denk, 's wird nich gut gehn, jedoch aber ...«
»Jedoch aber«, fiel der Klumpen ein und stieß ein häßliches Lachen aus. »Was denn, ›jedoch aber‹! Ha ich amal ›jedoch aber‹ gesagt, wenn de Zinse nich zum Punkte kam?«
»Nu, Karla, siehch och, mir han selber een kranke Kuhe, un drnach muß ich eigentlich morgen nach Rolling. Endlich is doch aso weit.«
»Ich bin kee Leiermann, un was geht mich deine Rollinger Geschichte an!«
»Du brauchst doch nich schon wieder wilde zu wern.«
»Nach, was is dir lieber, du gibst mir zu Johanni de tausend Taler, oder de Kathe kommt morgen un bleibt bei dr Marie.«
»Aber, Karla, wir sein doch Brüder. Muß mr denn immer Prügel reden.«
»Brüder! Ich kenn' dich! Dir war's am liebsten, ich hinge morgen schon am Galgen.«
Nach diesem Aufbegehren begann der sumsende Wind den Leib des Lahmen wieder auszuhöhlen. Eine nicht zu bemeisternde Angst bemächtigte sich seiner.
Mit erlöschender Stimme bat er:
»Joseph, um Himmels, Maria Christi willen! Tu mr den eenzigen Gefallen und schick mr de Kathe morgen. Du weeßt nischt, gar nischt, und ich kann dir nichts sagen.«
Dann wurde es grau um ihn, er hörte und sah nichts mehr.
Als er wieder aufschaute, saß er mutterseelenallein auf einem Stein und hielt einen Ballen Schnee in der Hand, den er mit steifen Fingern knetete. Ein leiser Wind blies da und dort Schleierchen aus der Schneedecke, die wie stumme Vögel eine Strecke hinflogen und sich dann wieder niederließen. Es war ein eiliges Huschen rund um ihn.
»Kommt och, immer kommt«, murmelte er drohend auf das Spiel des Schnees hin, »immer kommt!«
Nachdem er das dreimal gesagt hatte, fiel es ihm ein, sich seinem Bruder gegenüber verraten zu haben. Nun blieb ihm weiter nichts mehr übrig, als sofort zu fliehen. Durch den Wald eilte er nach Hause, warf sich auf die Radwer, fuhr sie ins Feld und überschaufelte sie mit Schnee. Dann band er die Feuerleitern auseinander. Den letzten Knoten konnte er nicht lösen, ließ alles liegen, lief auf die obere Stube, steckte das Sparkassenbuch in die Rocktasche und ging dann noch einmal auf den Heuboden, um zu sehen, wie lange er mit dem Futter reichen werde. Das Mondlicht hing durch die Dachluke, und bei dem Winde war es, als werde ein weißes Tuch von draußen hereingeblasen. In dem ungewissen Schein bückte er sich und griff in dem Heu umher. Je langer er in den raschelnden Halmen wühlte, desto unfaßbarer wurde es ihm, alles zu verlassen: die Kühe, die Schweine, das Haus, den Acker, das Geld. Nur dieses ärmliche Buch rettete er von allem. Er, der ganz Steindorf unterjochen wollte, den Freirichter gängeln, er, der alle zusammenhauen konnte wie ein Taschenmesser, wenn er wollte! Wie ein Hund sollte er über die Straße laufen, gehetzt, verarmt.
In Wut raffte er mit beiden Händen das Heu auf und warf es gegen den Mondschein. »Hunde!« schrie er, »Brut!«, furchtbare Verwünschungen und schleuderte das Heu immer nach der Dachluke hin. Der Schweiß strömte über sein Gesicht, seine Stimme ward heiser, aber er hörte nicht auf.
Immer bückte er sich und warf Bürden hinter sich. »Mei Geld! mei Geld! mei Haus! mei Acker!« Er röchelte nur mehr.
Plötzlich fühlte er, wie der Fußboden sich hob, Knistern lief durch die Schindeln, Trommeln hämmerten in den Wänden unter ihm. Alles begann zu kreisen, brausend drehte es ihn, er erhielt einen Schlag gegen den Kopf. Alles um ihn stand in spritzendem Feuer. Dann brach er zusammen.
Gepolter und Kuhgebrüll trieben ihn zeitig früh aus der Betäubung, in der er die ganze Nacht gelegen hatte.
Er setzte sich auf, um einen klaren Gedanken zu fassen. Zuletzt hatte er es beisammen, was unabweislich war.
Er wollte nach Landeck, das Geld auf der Sparkasse erheben und dann über die böhmische Grenze entweichen.
Stumpf, trotzig, erhob er sich, bahnte sich einen Weg durch das Heu und stieg hinunter in die Stube.
Sie war eiskalt. Das graue Licht der ersten Frühe hing darin. Niemand war zu sehen, die Betten in der Schlafkammer unberührt.
Endlich entdeckte er sein Weib vor dem Tisch liegend, zusammengeringelt wie ein Tier.
Er rüttelte an ihr.
Sie stand auf, taumelte, ging am Tisch hin, ließ sich auf die Bank nieder und starrte auf den Boden.
Dann hob sie das Auge, ließ es über ihn gleiten und sagte tonlos:
»Es bleibt dr nischt anders übrig.«
Der Lahme nickte stumm.
Wie sie wieder emporsah, bemerkte sie, wie er bleicher wurde, erdfahl. Immerfort nickte er mit dem Kopfe und schlang, daß sie das Drucksen des Kehlkopfes hörte.
Scheu streckte er ihr endlich die Hand hin. Sie schüttelte das Haupt.
Er ließ den Arm sinken und ging, den Kopf auf die Seite geneigt, holpernd zur Tür hinaus, ohne sich umzuwenden. Im Hause stand er einen Augenblick still, hustete einigemal fauchend und verließ mit schweren Schritten das Gehöft.
Dann war nur noch das Picken der Uhr lebendig.
Marie wandte starr den Kopf und sah zum Fenster hinaus. Der Wald stand wie eine undeutliche Wand in den Nebeln der Frühe. Ein dunkler Ballen bewegte sich darauf zu. Das war ihr Mann. Nun tauchte er unter wie ein böser Spuk. – »Etze is er fort«, murmelte das junge Weib und sank schluchzend zusammen. Dritter Teil