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Zweiter Teil

10

Aus dem Himmel ergoß sich der Sturm; jauchzend stürzte er nieder und schüttelte den Märzschnee von den Tannen. Die Bäume taumelten wie freudetrunken, schlugen mit ihren Ästen wie mit grünen Schwingen und sangen mit den Nadeln ein brausendes Lied.

Marie stand in der Wohnstube ihrer neuen Heimat und horchte in die frohe Unbändigkeit des Vorfrühlings hinaus. Der nahe Wald donnerte, über den weißen Sand des Fußbodens liefen Schatten und Licht. Sie sah dem stummen Spiel zu ihren Füßen eine Weile zu; dann lächelte sie, ging zum Fenster und schaute zum Himmel hinauf.

»Ach ja, jetze macht's Ernst«, sann sie, »ich dacht mr's wohl schon, 's brummte und beging's schon vorgestern im weiten Busch draußen. – Nach, 's is auch Zeit; ich hab' orndtlich Hummeln naus.«

Und doch konnte sie sich gemütlich fühlen in ihren vier Pfählen. Der große braune Kachelofen mummelte behagliche Wärme ins Zimmer. Die neue Uhr mit den roten Rosen des Zifferblattes tickte hell von der weißen Wand. Die Perlen unwiederbringlicher Augenblicke sielen klingend durch die traumhafte Stille.

Rund um den niedrigen, viereckigen Raum lief eine Wandbank aus weichem Holz, dessen Jahre man durch den gelben Anstrich sehen konnte. Ebensolche Schemel, deren steife Beine schief in das dicke Sitzbrett eingekeilt waren, standen um den großen Eßtisch, dessen weiß gescheuerte Platte eine ganze Ecke einnahm. Durch vier Fenster, je zwei in einer Wand, guckte der Tag neugierig herein, als gebe es in dem Raum etwas Besonderes zu sehen. Zwischen den beiden Fenstern der der Tür gegenüberliegenden Wand waren drei hölzerne, grobgeschnitzte Rehköpfchen angebracht. Von den Öhren und ihrem zackigen Gehörn hingen auf Zwirnfaden gereihte gelbe Zwergkürbisse. Rundumher steckte Tannenreisig. Bunte Pappbilder des Kaiserpaares und des Papstes vollendeten den Schmuck. Über dem Tische fehlte das Eckbrettchen nicht.

Eine blau und rot bemalte Muttergottes hielt ihr rotes Herz vor ihrer Brust und sah stier immer auf den Ofen. Zwei Engel knieten an ihrer Seite und erhoben in demütigem Gebet die roten Hände zu der Gebenedeiten, hinter deren Rücken aus gelbem Papier ein Heiligenschein gefaltet war. Eine winzige Ampel aus rotem Glas mit einem Schwimmlichtchen hing an einer Spakatschnur von dem Brettchen nieder. Die Balkendecke war schwarzbraun angestrichen. Düster, dräuend, wie ein Sarg, hing sie über diesem Räume, den emsige Frauenhand zur Wiege für ein frommes, still gewordenes Leben bereitet hatte. Der Stieglitz in der Mitte des Zimmers brachte es nur zu abgebrochenen, sehnsüchtigen Rufen und flatterte gegen die Drahtwände des Käfigs, dem Lichte zu, das draußen, immer verdunkelt, immer siegend, auf und nieder tanzte.

In der rechten Seitenwand, in der Nähe des massigen Ofens, war eine Tür von der Größe eines mäßigen Kleiderschrankes halb geöffnet, so daß Marie, die hintrat, sie zu schließen, mit einer leichten Beugung des Oberkörpers das winzige Eckchen mit den zwei hochgeschichteten Betten unter lukenartigen Fenstern überschauen konnte. Aber indem sie hineinsah, ward ihr Gesicht nicht von der süßen Zärtlichkeit verschönt, die sonst jede Frau überkommt, welche unbeachtet ihr Schlafzimmer mustert; mit einem hastigen Ruck schloß sie die Tür des dürftigen, lichtarmen Winkels. Der Klumpen hatte diese enge Kabine der Ruhe eingeräumt, als sei Schlaf ein lästiges Übel, das man unfreundlich behandeln muß, damit es sich nicht einniste.

Darauf ging sie in der Wohnstube umher und wischte mit der blauen Schürze über jedes Stück, mehr um es zu berühren als den Staub zu entfernen, behutsam, wichtig und stolz. Alles, was umherstand, hatte sie mit eignem Gelde gekauft, und oben in der Sommerstube, »der Bühne«, wie der Landbewohner der Grafschaft sagt, standen gar ein Tisch und Stühle mit geschweiften Beinen, ein Glasschrank und ein Kleiderspind mit gedrehten Aufsätzen.

Freilich steckten in der Ausstattung die ganzen achthundert Wart, die ihr als Erbteil von dem Zusammenbruch des väterlichen Wohlstandes geblieben waren. Aber mit Wohlbehagen hatte sie alles hergegeben, um ihrem Manne deutlich vor Augen zu führen, daß es ihr ein leichtes gewesen wäre, noch einen andern als ihn zu bekommen.

Mit Genugtuung dachte sie des hochgeladenen, bunt bebänderten Brautfuders mit dem Butterfaß auf der Spitze, das die Pferde des Freirichters behutsam den holprigen Weg hergeführt hatten.

An alles andere, was weiter zurücklag, durfte sie sich nicht erinnern, sonst geriet in Fluß, was sie fernhin in sich gebettet und dem sie geboten hatte, zu schlafen auf Nimmerwiedersehn.

Der Holzdeckel des Ofentopfes klappte.

Sie fuhr auf und fand, erstaunt, sich an dem Tische sitzend.

Eilig lief sie zum Brunnen, holte Wasser und füllte den Ofentopf bis oben hin.

Während sie es tat, erscholl dumpfes Brummen vom Stalle herüber.

»Haha, de Hirsche weeß besser, wenn's Mittag is«, sagte sie mit einem Blick auf die Uhr, die drei Viertel auf zwölf zeigte, »wart och, Unmuß, alter, ich komm schon.«

Behende nahm sie die Rüben vom offenen Herd und bereitete das Futter.

Dann verließ sie die Stube, um »im Stall zu machen«.

Um ein Uhr war sie damit fertig. Die Milch stand ausgegossen im Keller, die Raufen waren mit frischem Heu gefüllt, aus dem Stall tönte das taktmäßige leise Klirren der Ketten, das der Bauersfrau die Gewißheit gibt, daß die Rinder daliegen und wiederkäuen.

Marie setzte sich nieder und aß das Mittagbrot: Schalkartoffeln, Kaffee und Butterbrot. Das Aufwaschen und andere häusliche Verrichtungen füllten den Nachmittag aus.

Sie hatte eben das Licht angezündet, als ihr Mann in die Stube trat.

»Guten Amd, Marie!« Er warf Beil, Stricke und Säge in die Ecke. Dann entledigte er sich der Jacke und schlug sie aus, daß die Tropfen in der Stube umhersprühten.

»'s regnet wohl?« fragte Marie.

»Geh och naus, da wirste's sehn. Ich bin bale durch. Das weecht ordntlich ei!« antwortete er unter behaglichem Ächzen, hob sich auf die Zehen und hing die Arbeitsjacke an die Ofenstange. Dann setzte er sich an den Tisch und stützte den Kopf in die Hand.

»Was machen de Kühe, fressen se gut; git'n de Schecke de Milch besser?« fragte er und richtete das Gesicht nach Marie hin, die am Ofen beschäftigt war, stand schwerfällig auf, zündete sich eine Laterne an und ging in den Stall.

Nach langer Zeit kam er wieder und sagte strahlend: »Mögen se teuer sein; aber se siehn da, glatt wie de Schnecken, munter um de Hörner, wie Fische berührsam. Un de Schweinla, wie Wiesala flink sein se!« Es klang innig.

Helle Freude schimmerte noch in seiner Stimme, als er nach dem Essen sprach: »Das Buschgehn is wohl nich scheen, das kannst mir glauben.«

»Warum bleist de nich daheeme? Du hast's ja nich gar aso nötig«, erwiderte sein Weib.

»Aber 's bringt eem doch 'n Behmen Geld nebenbei, Un was wollte ich eigentlich hier, wie mich auf Bänken und Stuhlen rumstetschen! Zwölf Mark de Woche bringt's doch, wenn ma sich au schinden muß. – Zur Saatzeit hört's sowieso auf, da hat's of'm Felde zu tun, daß ee's nie weeß, wo ee'm der Kopp steht. Wie stand denn dr Hafer beim Freirichter fate?«

Marie dachte an die drohenden Worte ihres früheren Brotherrn, an seine Streitsucht, und im Bestreben, die Möglichkeit eines Mißverhältnisses zwischen ihm und ihrem Manne vorbauend zu bekämpfen, antwortete sie eifrig: »Gut wie ein Filz im Anfange und wie's scheenste Korn zur Ernte. Überhaupt, verdirb dir's mit dem nich. Das is ein Bauer, wie er im Buche steht.«

Da sprang der Lahme auf und holperte durch die Stube. Dann blieb er stehen und lachte höhnisch auf sie nieder: »'s halt ein Mann, wie eben jeder is.«

»Nu nee!«

»Kee Haar anders wie ich un alle, 's geht halt vorne rein und hinten raus, das is. War er mir denn een Sack vll lassen?« fragte er nach langem Schweigen.

»Du mußt halt a mal zufragen«, erwiderte Marie ein wenig gereizt. Nachdem sie eine halbe Stunde stumm nebeneinander gesessen hatten, nickte der Lahme mit dem Kopfe, und sie gingen schlafen.

Am andern Morgen, vor Tagesanbruch, stolperte er schon wieder über die Schwelle, den grobleinenen Brotsack an der Seite, das Arbeitsgerät über der Schulter, den Knotenstock in der Hand.

Der gleiche Kreislauf der Tage hatte begonnen; arbeiten, arbeiten, arbeiten. Davon denken; mit allen Kräften ihm dienen; darüber sprechen; aus der Stube in den Stall; von dem Brunnen ins Haus; auf dem Boden schaffen; fegen und klopfen; nie sitzen, nie rasten, noch Stäubchen jagen, um Kleinigkeiten sich sorgen; nie über die Mauer sehn: ein enger, eiliger, öder Tanz, daß die Träume verschwanden, die Seele versank, das Herz betäubt wurde, die Augen nur sahen, was sie sahen, die Ohren am Laute der Dinge stumpf wurden. Die Sonne ging auf: ihr schien sie nicht; der Tag erlosch und war vergessen.

Es war geschehen, wonach sie verlangt hatte.

Sie war eingeschlafen im Taumel der Mühe.

Und während sie ruhte, war die Erde aufgewacht, aufgewacht zu dem jahrtausend jungen Traume, dem Frühling. Mit lauem, leisem Regen hatte sie sich die schmutzigen Schneeschrunden aus dem Gesichte gewaschen; in heimlichen Mondnächten die letzten Schleier abgestreift; ihre Brüste mit verjüngendem Tau benetzt, bis eines Morgens ihre Schöne ganz erfüllt war. Da stieß sie Lerchenwirbel von dampfenden Ackerschollen zum Himmel; rüttelte aus jungem Baumgrün glückbestürzte Gesänge und führte ihre Töchterchen, die kleinen Wellen, zu Tal. Die trippelten über die Steine mit hochaufgeschürzten Schaumröckchen und sangen ihr ewiges Wanderlied dazu, so innig, so verhalten aus tiefer Brust, daß Schneeglöckchen aufwachten und Primeln und Märzenbecher den eilenden Wassern nachsahen mit süßen Gesichtern.

In der Sonne aber schwammen die ersten Schmetterlinge, daß die Luft noch stiller wurde von ihren bunten Flügeln.

Der Lahme und Marie standen eines Abends in mildem Winde vor dem Hause und ließen die Augen über ihre Felder schweifen, um sich über deren Bestellung zu bereden. Es war ein langer, schmaler Streifen, zweihundert Mannesschritte breit und tausend lang, etwa zwanzig Morgen groß, leicht geneigt wie alle Felder Steindorfs, die auf dem Abhänge liegen, der sich nach Südosten in die kleine Ebne senkt, an deren Anfang die zerstreuten Häuser Petzdorfs sich angesiedelt haben.

Die untere Lang- und die nördliche Schmalseite des gedehnten Vierecks waren von dem Walde des Freirichters begrenzt, die anderen Seiten wurden von einem Wall unregelmäßig übereinandergeworfener Rodesteine, einer Mauer, eingefaßt; durch eine Luke mündete der Zufuhrweg. An der Mauer der westlichen Langseite standen die Wirtschaftsgebäude so, daß der Ankömmling sie zur linken Hand hatte, und wenn er neugierig war, konnte er vor seinem Eintritt durch die Tür bequem zwischen Mauer und Hinterwand des Hauses an die kleinen Fenster der Schlafkammer schleichen, um verstohlen hineinzusehen.

Die Besitzung war früher Unland gewesen, das der verstorbene Freirichter in Geldverlegenheit dem Vater Einers unter einer Bedingung verkauft hatte, die, wie der jetzige Wende behauptete, es noch heutigestags möglich machen würde, den ganzen Handel umzustoßen. In Wahrheit aber hatte der alte Wende nur sich und seinen Nachkommen das Vorkaufsrecht gesichert.

»Jees Maria, wie sah das vor zwanzig Jahren aus«, begann der Klumpen, dessen Augen mit Behagen auf der grünen Wintersaat ruhten, »dort oben sieht ma noch a paar Steene of'm Wiesla am Busche. Also un noch schlimmer sah alles aus. Brocken, wie gesät un da un dorte een Wezel Steen, groß wie ein Backofen. Dazwischen Grasbüschel, kleen wie hingespeit. Nee, das war keene gute Arbt! Aber wir mußten dran, dr Vater hat keem was geschenkt. Ei den Steen' steckt Schweeß und viel Jahre Arbt, un heute – is die Mauer auch schon übrig. Nach, aber es hat sich gelohnt; 's sein gute Äckerchen, ein wenig leichte. Hält ma se gut eim Dünger, da bringen se's schon. Bloß das Niederstücke, wo ich Futter drauf säen will, das is doch ein wenig gar zu seichte, un ich weeß nich, ob ich nich besser tu, ich rode es bale noch a mal um!«

»Das wirste ja beim Ackern sehn«, meinte Marie.

Am andern Morgen begann die Bestellung des Ackers. Dünger wurde angefahren und gebreitet, dann zog der Pflug tiefe Furchen in dem Boden, der in der Sonne rauchte und überall den Duft von Fruchtbarkeit und Segen verbreitete.

Lerchen lagen auf klingender Schwinge hoch in der Luft, und hinter der blinkenden Pflugschar schritten gravitätische Krähen. Aus dem nahen Walde sang es, als sei jede seiner unzähligen Nadeln ein tönendes Schnäbelchen geworden. In allen Weiten erschollen Peitschengeknall, laute Lockrufe und frohes Singen.

»'s wimmelt überall, Gabeln blitzen un Pflüge finkeln; aso gar auf'm Eschberge haben se eingespannt«, sagte Marie, die ihrem Manne folgte und den Dünger in die frische Furche harkte.

»Nuch, es is auch de höchste Zeit, ei acht Tagen is Florian«, erwiderte der Angeredete unwirsch, weil er »das Gemare« bei der Arbeit nicht leiden konnte, wandte die Kühe, kippte den Pflug und schritt bedachtsam wieder zurück.

Bald war der letzte Eggenstreich getan, der Acker »wie a Möhrenbeete«, und die Einsaat des Hafers begann. Es war schöner, schwerer Hafer, und der Klumpen lobte bei sich das landwirtliche Geschick des Freirichters, dessen Vater nur ein Nagelschmied gewesen war. In stetigem Gang schritt er über das Feld, und die Körner flössen wie bleicher Sonnenschein aus seiner Hand. Er hatte keine Ahnung von der tiefen Schönheit seiner Arbeit, sondern dachte in immer neuen Wendungen an eine reiche Ernte und vieles Geld.

Die anderen Felder bestellte er mit Sommergetreide und Kartoffeln. Der Klee war schön bestockt aus dem Winter gekommen, die Rübenkörner quollen im Schaff. In aller Muße machte er sich daran, das Niederstücke umzupflügen... Aber obwohl er den Pflug seicht gestellt hatte, erhielt er alle Augenblicke einen derben Ruck; das Schar saß nach wenigen Schritten immer wieder in den Steinen. Die Kühe begannen wegen des fortwährenden Anhaltens unruhig zu werden und trafen einigemal Anstalten, durchzugehen: die Hirsche hob den Schwanz, krümmte ihn, legte die Ohren zurück und brüllte wiehernd.

Der Lahme spannte aus und zog mit ihnen in den Stall. Indessen grub Marie mit dem Spaten das kleine Gärtchen neben dem Hause um, teilte es sorgfältig in Beete und bepflanzte sie mit Reseda, Majoran, Stiefmütterchen, Levkojen und Goldlack.

Der Lahme setzte auf den schmalen Streifen zwischen Mauer und Hinterwand des Hauses eine Reihe Pflaumen- und Kirschbäume.

Zu beiden Seiten der Lücke, durch welche der Zufuhrweg mündete, grub er Turmpappeln.

»Nee ha, de Pappeln kunnst'r ersparn«, rügte Marie und hob dann den Kopf gegen den Dorfweg hin, auf dem ein Mann und ein Knabe etwas hinter sich herschleppten. Sie sah gespannt hin, obwohl sie gar kein Interesse an jenem Vorgänge hatte, weil sie durch diese auffallende Neugier die Wirkung des Tadels an ihrem Mann abzuschwächen hoffte.

Sie schien sich wirklich nicht verrechnet zu haben, denn der Klumpen legte die eiserne Schaufel aus den Händen und sah auch hinauf.

»Kannst'n sehn, wer's is?« fragte er nach scharfem Auslugen.

»Ich weeß nie, die fahrn was of'm Wägelchen. Jetze geht dr Mann hinten hin und stößt, irnd was Schweres...«, antwortete Marie.

»Vielleicht a Sarg, Franz Tone of'm Berge is doch gestorben.«

»Gestorben? Was das für ne Rede is von dir! Gehängt hat er sich, das sollste doch wissen. Der is zugrunde gegangen, nie gestorben. – Nee, das kann's nich sein.« Marie wandte von neuem ihre Augen hin. »Se fahr« ja nach Erlengrund zu, und der Mann, der stößt, geht krumm.«

»Das is auch alles egal«, schloß der Klumpen und bückte sich wieder nach seiner Schaufel, während Marie dem Hause zuschreiten wollte.

»Halt a mal!« rief er rauh, richtete sich auf und stieß die Schaufel in den lockeren Boden. »Wie war das, was de vorhin vo den Pappeln sagtest?«

»Ich meente, es war nich notwendig gewesen«, antwortete Marie mit einem begütigenden Lächeln.

»Ja! Ha, weil se dr Freirichter hat? Grade deswegen setz ich se eben!«

»Du weeßt ja, wie komisch er is, wenn er's och nich übel aufnahm.«

»Baum is Baum, wo se stehn, wachsen se, und übrigens hat mich der Freirichter nich ausgebrüt!«

»Aber, Karla, meinetwegen ...«

Allein die ruhigen Worte waren wie Öl auf die glimmende Erregung ihres Mannes, schon bei den ersten Tropfen schlug sie jäh auf. »Gar nischt Karla«, schrie er zornig. »Was der Nagelschmiedejunge kann, kann ich schon lange! Immer dr Freirichter und dr Freirichter! Bin ich denn ein Seeger, den der bloß ufziehn kann?«

Marie antwortete nichts, nahm ein Schaff, das am Hause lehnte, und verschwand um die Ecke. Der Klumpen redete noch einiges hinter ihr her und trat dann eifrig eine Regengrube um die jungen Stämmchen.

Indessen erklang das Geknarr eines leichten Wägelchens immer deutlicher. Der Lahme richtete sich auf. Da kam das Gefährt schon den Weg heruntergeholpert: ein Schuljunge führte unbeholfen seine Deichsel, Freiwald ging dahinter und hielt die Bretter, mit denen der Wagen beladen war.

»Na«, sagte der Alte nach dem Gruß, den das Geräusch des Wagens verschlungen hatte, gab dem zurückschauenden Knaben einen Wink, zu halten, und streckte dem Klumpen die Hand entgegen.

Dieser ergriff sie und fragte mit einem Blick auf die Ladung: »'s Bornhäusel?«

Freiwald nickte und erzählte umständlich, warum sich die Lieferung der Arbeit so lange verzögert habe, und indem er nach seiner gründlichen Manier diese Angelegenheit zu einer lehrreichen Probe der neuen Zeitrichtung vertiefte, forschte sein graues, verglänzendes Auge in dem Gesichte Einers. »Heute will eben niemand warten«, beendete er seine Betrachtung und setzte sich langsam nach dem Hause zu in Gang. »De Menschen machen alle denselben Fehler jetzunder: ein jedes denkt, er is wegen der Arbeit da, un de Arbt is doch wegen uns da.«

Der Klumpen sah zu dem Knaben zurück, um dem Gespräch, er wußte noch nicht wie, eine anders Wendung zu geben.

Der Brunnenbauer tröstete ihn: »Er kommt schon nach«, und fuhr dann fort: »Da wirste nu denken, das is egal, aber ...«

»Du hast doch alles gemacht, wie ich drs gesagt habe«, unterbrach ihn der Lahme.

Freiwald nickte: »De Füllung grün, de Deckleisten und 's Dächel rot.«

Der Lahme wühlte prüfend unter den Brettern umher.

»Sachte, sachte«, mahnte der Brunnenbauer, »de Farbe leidet sonste. – Ma sieht ja deine gar nich?« fragte er unvermutet und fixierte Exner scharf.

»Se wird ei dr Stube sein«, erwiderte der Klumpen gleichgültig.

Marie erschien eben am Fenster und dankte bleichen Gesichts dem freundlichen Gruße des Greises.

»Nee Maria, Exner, is die schön, die reene Muttergottes! Da halt och schon de Hände unter se.«

Der Lahme lachte mit einem Anflug von Geringschätzung.

»Ja, ja, ich hör'g schon. Du wirst dich erst müssen ans Licht gewöhnen.«

»De Schindeln sein doch of meim Dache!« antwortete der Klumpen gereizt auf den ruhigen Tadel.

»Da haste schon recht«, gab der Alte zurück, »aber unse Leben is eben nich mit Schindeln gedeckt oder mit Flachwerk oder Schiefer. Das eenzige Dach für das Haus is ein gutes, sehr gutes Herze. – Da geh och ehe und mach' deine Arbt wenn ich wer fertig sein, ruf' ich dich.«

Exner ging aus dem Bereich dieser unbestechlichen Augen, und mit ernstem Gesicht machte sich Freiwald an seine Arbeit. Gegen die Vesperzeit war er fertig. Das Brunnenhäuschen stand gleich einer geputzten Dirne am Eingange des Höfchens, dem es mit seinem lebhaften Grün und Rot einen freundlichen Anstrich gab.

Der Greis trat in die Stube und fand Marie mit den Vorbereitungen zum Vesperkaffee beschäftigt. Er tauchte seine Hand in das Weihkesselchen an der Tür und sprengte drei Prisen des heiligen Wassers auf den Boden mit dem Wunsche: »Viel Glück und Segen ei Haus und Stall.«

Dann benetzte er seine Hand abermals und bekreuzte Marie auf der Stirn: »Daß de Gutts denkst«, auf den Mund: »Das Rechte redst«, und auf die Brust. Da ward der Greis überwältigt und sah lange auf den blonden Scheitel der jungen Frau, ohne ein Wort sprechen zu können. Als Marie die Augen zu ihm erhob, redete er endlich milde auf sie nieder: »Ihr Weiber tragt euer Kreuze vorne; so trag's gerne, was de mußt.«

In demselben Augenblicke fiel ein Strahl der untergehenden Sonne durch das Fenster, und beide standen im Licht. »Siehch, Marie, wie Gott lacht«, sprach der Greis in jener tiefen Güte, die nur unter weißen Haaren blüht, setzte sich auf die Bank und schaute zum Fenster hinaus, weil er dem Weibe seine Ergriffenheit nicht zeigen wollte.

Sie schwiegen beide noch, als der Klumpen hereintrat und mißtrauisch von einem zum andern sah.

»Ja, ja, Karla, ein junges Weib soll der Mann keen Augenblick alleene lassen, denn da sein a so gar Weißköppige wie de Fliegen of a Honig.«

Mit dieser Schalkhaftigkeit beantwortete er den Blick des Lahmen, der nur sein Gesicht verzog, sich an den Tisch setzte, eine Tasse an sich zog und den Brunnenbauer zum Essen einlud: »Na, da lang och etze zu.«

Freiwald rückte sich zurecht, auch Marie kam heran, und der Alte plauderte vom Wetter. Es werde dieses Jahr einen ungewöhnlich trockenen Sommer geben, das Wasser stehe in den Brunnen schon jetzt tiefer als in anderen Jahren, allenthalben sehe man schon haarige große Raupen, und der Kuckuck sei eher als sonst eingetroffen, der Wind wehe beständig ans dem Polnischen, und das Vieh habe zeitig die Winterhaare verloren. Exner war anderer Meinung und versuchte sie durch allerhand beobachtete Anzeichen wahrscheinlich zu machen. Es werde eher ein nasses Jahr geben, weil der Winter milde gewesen sei. Die Abende und Morgen seien ungewöhnlich kalt, und dann fänden sich so viele Nachtschnecken auf dem Felde. Dabei sah er durch das Fenster. »Du hast ja de Bretter rot angestrichen!« brauste er plötzlich auf.

Freiwald lächelte und nickte: »Die zwee aufs Haus zu, freilich. Die sein im Widerscheine, und Rot verträgt den Schatten besser wie Grün. Das blättert ei dr Nässe zu schnell ab.«

Dann dankte er für die Bewirtung und stand auf. »Komm och und siehch dir's an, ob's nich sauber is«, sagte er dabei, und als er bemerkte, daß Marie Miene machte mitzugehen, fügte er hinzu: »De junge Frau kann hinne blein, denn wenn die mich tadelt, muß ich mich zu sehr schämen.«

Mit warmem Handschlag verabschiedete er sich von Marie, und der Klumpen holperte hinter ihm drein.

Draußen schritten sie um das Häuschen. Exner klopfte an die Bretter, zog an dem Dächlein, trat zurück und maß es mit den Augen. Alles war fehlerlos, keine Leiste gespalten, das Dächlein saß fest, das Ganze tadellos im Lot.

»Und nu geh a paar Schritte mit mir of'm Weg nuf«, sprach der Alte, der das Wägelchen mit dem Knaben vorausgeschickt hatte.

Hinter der Mauer, schon auf dem Grunde des Freirichters, blieb Freiwald stehen, sah sich genau um und richtete dann seine Augen in feierlichem Ernst auf den Lahmen:

»Nu hört uns niemand wie's Gras und der Himmel. Da kann ich reden, wie ich soll und will. De Bretter ofs Haus zu hab' ich zu Fleiße rot angestrichen. Rot is Wut und Bosheit, Schimpfen und Sakramentieren, und wenn's gar schlimm is, Hiebe und Blut. Und daß de an dir hältst und mit Milde hemmst, wenn dei Wägelchen eis Rasen kommt, deswegen hab' ich die zwee Bretter angestrichen wie Blut.«

»Was geht dich mei Leben an, Freiwald?« fragte der Lahme leise und trat drohend auf ihn zu.

»Siehch, wie ich recht habe«, sprach der Greis unerschrocken und lächelte. »Karle, schmeiß ich dich mit Steen', wenn ich's gut meen?«

»Red dr nich erst de Spucke weiß!« Mit diesen Worten, die ein mißtöniges Lachen begleitete, machte der Klumpen dem Gespräch ein Ende und wandte sich ohne Gruß dem Hause zu. Der Alte tat einen Schritt, ihm nachzugehen, ließ aber kopfschüttelnd davon ab und ging in Trauer von dannen.

In der Stube angekommen, ging der Lahme einigemal auf und ab, dann hielt er dicht vor seinem Weibe: »Was hat Freiwald zu dir gesagt, ehe ich reinkam?«

»Was der alte Freiwald immer redt, Liebes und Gutes«, antwortete Marie offen.

»Ein Fabelaffe is er!«

Exner verließ die Stube und schlug die Tür hinter sich zu.

Das junge Weib sann den ganzen Abend nach, warum ihr Mann so ärgerlich gewesen sei. Sie war zu stolz, ihn darum zu fragen, und die Nacht schloß beiden die Augen, ehe sie sich versöhnt hatten.


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