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Die Kunsthandlung Heiligmann auf der Place Vendôme ist über die Welt bekannt.
Der große Nord- und Südamerikaner erhöht im Augenblick der Abreise nach Europa seinen Kreditbrief, im Vorgefühl, er wird dieser Falle besten internationalen Geschmacks auch diesmal nicht entrinnen, und ein dort gekaufter flamischer Primitiver, eine gotische Tapisserie muß bei der Rückkehr Freunden seines Schönheitsempfindens Aufschwung beweisen.
Das Haus wurde seit einem Jahrzehnt von der siebenzigjährigen Witwe des Gründers geführt. Sie, von der man erzählte, sie habe nie andere Stickereien an Bettüchern gehabt, als die authentisch Laken gotischer Könige und ihrer Gemahlinnen zierten, starb plötzlich, als sie gegen Warnungen der Ärzte in einem Anfall unersättlicher Eßgier ein Pfund Kaviar mit dem Löffel zum ersten Frühstück vertilgt hatte.
Im Augenblick kannte niemand Erben. Denn menschenscheu und geizig, hatte die Tote keine Verbindung zu Verwandten gehabt. Erst der Nachlaßpfleger stellte Fräulein Fuld aus Amsterdam als Großnichte und gesetzliche Erbin der Entschlafenen fest.
Als Eura von dem korrekten Herrn im Vestibül Louis XII. des Heiligmannschen Palais empfangen, rassige Pracht um sich sah, hatte sie über ein Chaos bestürzender Eindrücke das Empfinden: Hier stelle Schicksal sie vor den noch größten Zwist ihres Lebens. Denn gegen die erlauchten, adligsten Vergegenwärtiger alter Kulturen habe sie in Kampfjahren gewonnene Überzeugung ganz anders als noch gegen alle Zufälle bürgerlichen Lebens zu verteidigen.
Hier sei von Gegensatz zwischen um zeitliche Geltung kämpfenden Klassen keine Rede. Stoff, der sie umgab, scheine so zeitlos himmlisch, daß karolingischer Stil zur Restauration stimme. Hier werde nichts als ein gemeinsamer Geist festgestellt und verehrt, der von Wirtschaftsgesetzen unabhängig, Jahrhunderte über einer ums Dasein ringenden Menschheit schöne Gewißheiten mit alles erschlagender Triumphgeste geprägt hatte, die den Beschauer aus logischen und moralischen Zwängen riß.
Da, vor der Wahl zwischen Sicherheiten, die sie sich auf endlich vertrautem Boden erkämpft hatte und Möglichkeiten, die der neue bot, erschrak sie vor Unbekanntem so, daß sie die erste Nacht in der Empirprunklade schlaflos rollte, oft ans Fenster sprang und drauf und dran war, Palast, neuen Reichtum und die tief verletzende königliche Haltung von Paris hastig zu verlassen.
Im Saal unter Beauvais Teppichen brachte am Morgen der maitre d'hôtel in altem Hollandsilber die mit Erdenklichem hübsch geschmückte Schokolade und stelzte wie ein Schnitt von Beardsley, daß Eura im Lodenrock vor Scham und Zorn bis in die Beine errötete.
Von Zahlen ihres Vermögens ließ sie sich ein über das andere mal wuchtiger erschlagen, und während sie in riesige Abrechnungen sah, merkte sie eine Glocke sich auf sie stülpen, in der ihr Atem korrekt zu röcheln begann.
Sich vor der Kammerjungfer, die als schwarz-frischweißes Zöfchen dastand, zu entkleiden, wagte sie nicht, und gegen inneren Vorwurf und Entschluß kaufte sie am zweiten Tag Nötigstes, das sie vor der bis in die Fingerspitzen Korrekten beglaubigen konnte.
In der traf sie das erste Wesen, das dienende Stellung nicht unwillig, sondern mit Laune und fröhlicher Überlegenheit erfüllte, die Eura aus dem Standpunkt, den sie vertrat, verlegen machte, weil sie Erklärung für sie nicht hatte. Bei niedrigsten Handreichungen, wenn die Jungfer ihr Stiefel knöpfen, Nägel schneiden oder sonst sie am Leib bedienen wollte, geschah das bei aller Demut mit menschlicher Freiheit, die das Problem gesellschaftlicher Rivalität nicht sehen ließ. Mit solchem Takt wurde der Situation Wesentliches, daß einer bedient sein mußte, und der andere, weil er für sein Können nichts Besseres wußte, helfen wollte, betont, daß beide Teile, präzisem Sinn des Geschehens hingegeben, freudige Genugtuung aus ihm hatten.
Euras scheinbar bevorzugte Stellung aber wurde für die Dienerin in allen Lagen dadurch ausgeglichen, daß selbständig handelnd, die in ihnen entschied, und die sogenannte Herrin nicht nur von ihrer Vernunft und Liebe in der Handlung, sondern vom Erfolg derselben abhängig war. Nach kurzer Zeit schon stellte Eura fest, wie gemeinsamer innerer Anteil ihr das Mädchen nicht nur sympatisch, doch unentbehrlich machte. Während fürstlicher Rahmen, in dem sie plötzlich stand, sie von fast allen Menschen schied, gewann sie im Umgang mit Christine nicht mehr im Denken, doch im Sein ihre bis dahin unerhörteste Dichte eines Zusammenlebens.
Hatte sie bei vollkommen denkerischer Übereinstimmung mit einem ganzen Volk vollen Zusammenschlusses Glück bisher nur ein einziges Mal in jenen ekstatischen Sekunden ihrer Jungfernrede gehabt, stimmte sie mit diesem Mädchen stets so überein, daß sie spürte: Zum erstenmal sei aus plausiblem Wunder sie im Leben nicht mehr ein-, sondern zweisam, und, während sie über die Isolation, in die sie ihr Reichtum täglich mehr zwang, grübelnd sich härmte, glücklich schon ahnte, ein Weg führe von einem verlorenen Sozialismus zum neuen, der erst recht dem anmaßenden Individualismus Carl Wundts entgegengesetzt, ihren innersten Kern mitentzünden müßte. Äußere Vereinsamung, der durch fleißigen Briefwechsel mit deutschen politischen Kameraden sie sich noch zu entziehen suchte, wurde trotzdem größer. Der Menschenkreis, mit dem Geschäfte sie zusammenbrachte, war ein über die Welt verstreuter geldaristokratischer, mit eigenen Sitten, Ideen, sogar mit besonderem Anzug und Verkehrsmitteln.
Orte, an denen sie Kunden traf, waren leer von gewöhnlichem Volk: große Hotels der Luxusorte, Speisezimmer verschwiegener Restaurants, reservierte Abteile der Expreßzüge, Automobile, Segeljachten und Flugzeuge. Aller Umgangssinn mit dem Nebenmenschen war Meinungstausch über ein preziöses Kunststück, und nur durch überzeugende Hervorhebung der Eigenschaft am Ding, die unvergleichlich war, konnte sie an ihr kaufmännisches Ziel kommen.
Was sie früher am Objekt geschätzt hatte: Mitteilbarkeit, Allgemeingültigkeit, waren Fehler an Gegenständen, die sie jetzt kaufen und verkaufen sollte. Sondern deren Geltung machte das Seltene und Sonstnichtzufindende aus, das sie vom Gebrauchsplunder der misera plebs unterschied.
Und zuverlässig ergab sich Gültigkeit des in ihnen verkörperten absoluten Werts aus spontan für sie bezahltem Preis, so daß das von Eura in der Vergangenheit verstandesmäßig erreichte andere Urteil vom Sachenwert mit einer Kraft von Wirklichkeit gekreuzt wurde, der sie unter fanatischem Widerstand doch täglich wieder erlag.
Es geschah also, daß, je größere Erfolge sie bei neuer Tätigkeit hatte, sie in um so größere Verzweiflung fiel, weil sie zwiefach in sich orientiert und zerrissen war.
Müheloser Verkauf eines ziselierten romanischen Altarschreins zu unerhörtem Preis an einen südländischen Nabob machte trotz erregten Aufsehens und ihres phantastischen Verdienstes dabei sie nicht nur nicht glücklich, sondern gebar gegen sie selbst und den Käufer so zügellosen Haß, daß er als unvergleichliches Gefühlsfanal ihr lange im Gedächtnis blieb.
Über solche gefühlsmäßigen Zwänge hinaus aber brachten neue Verhältnisse, als sie sie erst als wirklich erkannt hatte, sie allmählich gerade so zur Anpassung an sie wie die einst erlebten deutschen. Das schien ihr tiefstes Muß, auf breiter Basis wirklich Vorhandenes unbedingt zu bejahen und, nachdem sie seine Mechanik als richtig arbeitend erkannt hatte, unverzüglich Kräfte an sie anzuschließen. Wieder wurde ihre ursprüngliche Einstellung, daß Intensität und Willensgrad in Handlungen sie mehr als Ziele bestimmen und begeistern konnten, entscheidend, und von neuem kam sie über Klippen des erkannten und von ihr zu erlebenden Gegensatzes durch den vitalen Elan hinweg, mit dem sie kopfüber sich in die Katarakte des um sie geschehenden Lebens warf.
Und in ihnen um so höher sprang, je unsicherer noch Zurechtfinden war, indem von Stufe zu Stufe sich schleudernd, die Gischthöhe einer Woge sie bestimmte, sich ihr anzuvertrauen, da sie wohl Strudelgewalt in ihr, doch nicht das Fallvermögen schätzen konnte.