Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 2
Julius Stettenheim

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35 IV.

Herrn Wippchen in Bernau.

Von Zeit zu Zeit will es uns doch als ein großer Uebelstand erscheinen, daß Sie nicht an Ort und Stelle sind, sondern, statt in Berlin, in Ihrem geliebten Bernau den wichtigen Schritten des Berliner Congresses folgen. Dadurch passiren Ihnen Schnitzer, welche wir Ihnen zwar nicht zur Last legen können, die aber doch manchem Ihrer sehr interessanten Berichte derart schädlich sind, daß der Abdruck ganz unmöglich wird. So haben Sie z. B. auf die Nachricht hin, daß die Mitglieder des Congresses den Zoologischen Garten besuchen, in Ihrem jüngsten Bericht die Sitzungen des Congresses nach diesem öffentlichen Vergnügungsort verlegt, und motiviren diesen Localwechsel damit, daß dem Congreß der Saal des Reichskanzleramts zu klein und zu heiß geworden sei, nachdem nicht nur sämmtlichen Kleinstaaten, sondern auch den Journalisten und dem Publikum der Zutritt zum Congreß gewährt worden. Auch 36 wünschten die Congreßmitglieder mit Militärmusik zu debattiren, wie sie sie im Zoologischen Garten fänden. Und nun beschreiben Sie die erste daselbst stattfindende Sitzung, und wie schwer es Ihnen gewesen sei, die Reden der Bevollmächtigten in diesem Gebrüll der Löwen, diesem Schmettern der Blechmusik, diesem Geräusche der Roben und diesem Lärm des Publikums zu vernehmen. Kurz, wir mußten diesen Artikel in den Papierkorb werfen.

Geradezu sprachlos aber hat uns Ihre Mittheilung gemacht, daß Sie augenblicklich damit beschäftigt sind, für unser Blatt »einen Roman von d'Israeli, jetzigem Lord Beaconsfield,« zu schreiben. Lassen Sie das, wir bitten sehr. Wir machen Sie nur darauf aufmerksam, daß d'Israeli, allerdings vor vielen Jahren, Romane geschrieben hat, deren einer jetzt in einem hiesigen Blatt abgedruckt wird, daß es aber unmöglich die Aufgabe einer Zeitung sein kann, Romane, die nicht von d'Israeli sind, unter dessen Namen zu veröffentlichen.

In Erwartung baldiger druckbarer Berichte

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

37 Bernau, den 27. Juni 1878.

Ihr geschätztes Schreiben überrascht mich weniger, als Sie. Wie ein Ertrinkender nach dem Strohhut, so greife ich nach Gelegenheiten, von dem Congreß, dessen Mitglieder zum Schweigen eingenommen haben, Interessantes zu melden. Es ist schlimm, daß Bismarck's Blut- und Hufeisenpolitik gesiegt hat und die Journalisten darauf beschränkt sind, die Staatsmänner zu beschreiben, wie sie entweder zu Fuß, oder zu Wagen angefahren kommen. Ich möchte vor Bismarck hintreten und ihm den Spiegl der Wiener »Deutschen Zeitung« vorhalten, wie derselbe, zu stolz, um wie Hannibal zu antichambriren, durch das Schlüsselloch der ante portas vergeblich etwas zu erfahren sucht. So geht es auch den Vertretern anderer Blätter. »Ich reise ab, Times is money« soll der Correspondent derselben gesagt haben.

Und nun verlege ich den Congreß nach dem zoologischen Garten und Sie schießen vor Schreck einen Purzelbaum über den Haufen. Sie sind eben kein Naturfreund, da liegt das Punctum saliens begraben! Wie, ist es etwa in dem genannten Garten, im Schatten des Ozon, unter freiem Zenith, nicht köstlicher als im dumpfen Congreßsaal, wo die Lungen sich vergeblich nach frischer grüner Luft umschauen? Ach, die Natur! Kaum kann ich in Prosa von ihr sprechen, meine Begeisterung fände nur in gebundenem Pegasus den würdigen Ausdruck. Wenn rings die Nachtigallen schweigen, der Mond seine Sichel über die Landschaft gießt und Aeolus mit dem 38 Nachtzug durch die Bäume fährt, . . . wie oft schwärmte ich in solchen Stunden, an jedem Arm ein Mädchen, und schwur ihnen ewige Treue und war glücklich! Und nun sind Sie aus meinem Häuschen, weil ich den Congreß in einen öffentlichen Garten versetze? Da steht mir, aufrichtig gestanden, ein Mühlenrad im Kopfe still.

Den d'Israelischen Roman werde ich also nicht schreiben. Ich will nicht mit dem Kopf durch Ihr Feuilleton rennen und verbrenne die bereits fertigen Capitel zu Fidibussen. Aber wer weiß, ob die Schlangen, die ich da wie Hercules in der Wiege lächelnd erwürge, Ihnen nicht tausend Abonnenten gebracht hätten? Vielleicht weniger!

Nun sende ich Ihnen einen neuen Congreßbericht. Ich lasse die Vertreter der kleinen Staaten zu und hoffe, dadurch einige Variatio in den Delectat zu bringen. Lassen Sie dafür meine Bitte um einen Vorschuß von 30 Mark zu.

* * *

Berlin, den 28. Juni 1878.

W. Heute war die circa neunte Sitzung des Congresses. Gortschakow, der noch immer den Tragsessel hüten muß, war in seiner Equipage zu Hause geblieben. Dagegen waren die Uebrigen pünktlich und wie gewöhnlich alphabetisch erschienen, nach rechts und links freundlich Cigaretten rauchend, die Türken mit unterschlagenen Beinen.

Um die Zulassung der Griechen, Bulgaren, Serben, Rum-, Arm- und Montenegriner durchzusetzen, hatte Bismarck gedroht, 39 im anderen Falle die Zulassung seines Hundes Sultan zu verlangen. Natürlich zogen die Congreßmitglieder von zwei Uebeln den Kürzeren. Eine halbe Stunde später traten denn auch die Vertreter der genannten Völker ein, nachdem ihnen das Wort abgenommen war, im Saale weder Nasen noch Ohren abzuschneiden. Ich finde diese Bedingung durchaus billig.

Was ihnen bewilligt werden wird, steht noch nicht fest. Wie mir heute Herbert von Bismarck, ein junger Staatsmann, der die Diplomatie mit der Vatermilch eingesogen hat, sagte, sei Rußland nicht in der Geberlaune, da dasselbe von seinem Beati kein Possidentes missen wolle. Indeß sei doch anzunehmen, daß ihnen schließlich eine Pferdebahn, Straßenbeleuchtung, Droschken erster Classe, Asphaltpflaster und vielleicht auch ein Rieselfeld bewilligt werden würde.

Nur die Serben haben wenig Aussichten. Als sie mit ihren Wünschen hervortraten, stellte sich Schuwalow auf die völlig zugeknöpften Hinterbeine und verweigerte schließlich sogar ihrem Führer des Rädels eine Cigarre, um die derselbe bat. Ja, ja, mit den Großen ist eben unter Einer Decke schlecht Kirschen essen!

Um sieben Uhr beantragte Salisbury den Valentin der Sitzung, die denn auch geschlossen wurde. Hierauf fuhren die Bevollmächtigten wieder nach dem Zoologischen Garten, um dort ihre Neugierde zu befriedigen, indem sie sich um das Publikum herumdrängen und dasselbe dadurch sehr geniren. Die Menschen, welche hier Musik hören und ruhig frisches 40 Bier schöpfen wollen, sind den Blicken der Staatsmänner schonungslos ausgesetzt und wissen sich in Folge dessen nicht zu lassen. »Sehen Sie, Waddington«, sagt Beaconsfield, »der da mit dem Strohhut, das ist Lehmann«. – »I, das ist ja sehr interessant«, ruft Corti, »den Lehmann möchte ich wohl mal sehen«. – »Dort«, belehrt ihn Hohenlohe-Schillingsfürst, »zwischen Schultze und Meier sitzt er«. – »Sie irren sich, Durchlaucht«, wirft d'Oubril dazwischen, »das ist ja Müller!« – »Den dachte ich mir ganz anders!« ruft Andrassy. Und so geht es fort. Wie würde es wohl den Congreßmitgliedern gefallen, wenn sie in dieser Weise vom Publikum belästigt würden!


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