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Ein Intermezzo.
Zu Ehren der anläßlich des Congresses in Berlin verweilenden Vertreter der auswärtigen Blätter fand am 1. Juli im großen Saale des Zoologischen Gartens ein Abendessen statt. Die künstlerische Gabe der Tafel bestand in einer Tischkarte, welche Paul Meyerheim gezeichnet hatte. Sie ist in einer genauen Copie dem vorliegenden Bande als Titelbild beigegeben. Herr Wippchen, aufgefordert, als Gast an der Tafel theilzunehmen und die Erklärung dieser Tischkarte zu übernehmen, hatte leider der Einladung nicht Folge leisten können, war aber so freundlich, die von ihm verlangte Erläuterung schriftlich zu übersenden. Dieselbe wurde von Julius Stettenheim verlesen und lautete:
* * *
42 Bernau, den 1. Juli 1878.
Ich hatte eben mein Papier eingetaucht, um den orientalischen Frieden abzuschließen, mit welcher Nachricht wir gewiß mehr Sensation gemacht hätten, als mit der Abreise irgend eines Diplomaten. Denn es kann doch wahrlich in einer Zeit, wo die Pässe wieder eingeführt werden sollen, nicht sehr auffallen, wenn ein Bevollmächtigter, beispielsweise der Grieche, seine Engpässe fordert. Aber wenn der Friede, der liebliche an dem murmelnden Palmenzweig gelagerte Knabe, seine Rundreise durch die Zeitungsspalten gemacht hätte, das würde wie ein Blitz in alle Pulverherzen gefahren sein. Ich wollte mit Einem Wort das Friedensprotokoll entwerfen, denn ich mache nun einmal Alles ipse fecit, und Jeden hätte ich befriedigt, den Zarewitsch sowohl, als auch der Sultanewitsch, und jedem Staat, welcher noch neulich tobte wie ein Löwe, dem man die Küchlein geraubt, oder der sich in's Fäustchen weinte, wäre aufathmend ein Schuppen vom Herzen gefallen.
Da kommt Ihr ergebenes Schreiben und unterbricht meine Arbeit. Ich soll nach Berlin kommen, um die Meyerheim'sche Tischkarte zu erklären und meine Füße unter die üppigen Schüsseln zu setzen und mit einer Wittwe Clicquot die Nagelprobe zu machen. Wie gerne hätte ich mit meinen engeren Berufsgenossen den Abend verfehlt, wie gerne mich davon überzeugt, daß es den Berliner Journalisten gelungen ist, die Congreßmitglieder einmal vom Zoologischen Garten 43 gänzlich fern zu halten. Wie gerne hätte ich sie einmal ad oculos gesehen: Ludwig Pietsch, den ich um die Spalten der Tante Voß so sehr beneide, Wilbrandt, den Dramaputra, Auerbach, den Dichter der Tausend Collaboratoren, Frenzel, der ohne Ansehen der Personen im Schauspielhause zu richten pflegt, und wie gerne hätte ich Spielhagen einmal die Sturmfluth geschüttelt, und mit Lindau über den lieben, mir persönlich befreundeten Johannes Trieb geplaudert, und mit Rodenberg eine Rundschau gehalten über die von allen Seiten herbeigeströmten Collegen aller Herren und Länder!
Aber ich komme nicht. Verlassen Sie sich auf die zehn Pferde, die mich nicht hinbringen. Ich bin wahrlich kein Feind eines gutbesetzten Luculls, obschon ich mit Goethe singe:
»Alles in der Welt läßt sich ertragen,
Nur nicht eine Woche von 14 Tagen,«
aber ich will nicht nach Berlin, weil ich fürchte, dort doch etwas auf dem Congreß zu erfahren, so gewissenhaft die Bevollmächtigten immerhin ihren einmal gegebenen Mund halten mögen. Gewiß nicht. Und dies bringt mich auf den eigentlichen Medias res meines Briefes.
Viele meiner werthen Collegen – die Anwesenden natürlich ausgenommen – wollen immer noch zu ihren Berichten das sogenannte Nähere erfahren. Immer noch ist ihnen Ort und Stelle ans Herz gewachsen, und wenn sie 44 über ein Ereigniß einen Kabel in die Welt setzen wollen, wie ihn z. B. Herr Etienne an jedem Vorabend eines großen Ereignisses von 10 Uhr an gepachtet hat, so wollen sie – verzeihen Sie das harte Wort! – unterrichtet sein. Das ist falsch. Ich weiß, ich habe da ein gelassenes Wort gesprochen, aber ich nehme es nicht zurück. Der katexochäne Journalist darf nichts erfahren, denn nur so bewahrt er sich seine völlige Unbefangenheit und nur so kann er seinen Oblügenheiten gerecht werden. Es ist falsch, wenn der Journalist rennt, daß ihm die Poren von der Stirn perlen und eine Droschke nach der andern unter ihm zusammenbricht, wenn er sein Ohr an das Schlüsselloch des Cerberusses preßt, und hier und dort sogar untere Beamte zu oberst kehrt. Ich nicht. Ich wiederhole es. Mag Shylock auf seinem Schein stehen, ich will jeden vermeiden, als wüßte ich etwas, was nicht aus mir selbst kommt. Ich hoffe deutlich zu sein und kein Kauderdeutsch zu schreiben. Nichts will ich erfahren, und darum komme ich nicht nach Berlin. Ich würde mir in Berlin vorkommen, wie die fünfte Faust aufs Auge.
Und so wende ich mich denn zu dem mir völlig unbekannten Meyerheim'schen Bilde, das, mit bewährter Meisterschaft in Oel ausgeführt, in einem kostbaren Rahmen vor Ihnen liegt. Ich kenne Meyerheim. Wie oft sah ich ihn hängen, ihn, der, wenn er wie Raphael ohne Heim geboren wäre, doch ein berühmtes Atelier hätte. Er ist Thiermaler. Wie manchen Elephanten und wie manchen Walfisch hat er 45 auf die Leinewand geworfen! Und so ist er recht eigentlich der wahre Congreßmaler, berufen, auch die Karte für das Hufeisen der Journalisten zu malen. Das Bild ist so voll von Figuren, daß kein Augapfel zur Erde fallen kann, aber wie ein rother Ariadnefaden zieht sich durch das Ganze die Geschichte der letzten Wochen.
Zuvörderst die Darstellung dessen, was Berlin zur Erheiterung seiner Gäste gethan hat. Dies schildern am deutlichsten die zwei Soldaten, welche vor jeder Diplomatenwohnung aufgestellt worden sind.
Um den ohnehin so beschäftigten Diplomaten wenigstens die Abende freizuhalten, wurde die dramatische Muse geschlossen, doch als Ersatz ließ der Magistrat den Zoologischen Garten offen, weil er glaubte, daß den Diplomaten auch andere Thiere außer dem Hunde unseres verehrten Reichskanzlers, der demselben wegen seines bekannten Angriffs auf den Vertreter Rußlands den Maulkorb höher gehängt hat, angenehm sein würden. Ein anderes Vergnügen hat der Magistrat den Staatsmännern dadurch zu bereiten gesucht, daß er sich ein Bild von ihnen schenkt, welches im Rathhause den Nagel zieren soll. Werner, unser großer Schlachtenmaler, soll auch diesen Frieden verewigen, und Sie sehen ihn auf dem Bilde schon bereit, die Staatsmänner zu treffen. Ob die Portraits, wie der Papageno und die Sphinx als Sinnbilder der Verschwiegenheit andeuten, sprechend ähnlich werden dürfen, das beantworten Ihnen vielleicht meine 46 Collegen oben auf dem Dach des Reichskanzlerpalastes, welche sich leider Mühe geben, etwas herauszukriegen. Sie denken sehr richtig: Es ist nichts so fein gesponnen, wie es gekocht wird, denn selbst Minotauros, das bekannte Labyrinthvieh, war schließlich in seinem Versteck nicht sicher.
Aber nichts Größeres hat bisher die Journalistik geleistet, als der Maler mit der neuen Karte von Europa. Noch liegt Europa in den ersten Wochen des Friedens, und schon ist die Karte da. Rechts vom Wendekreis des Hummers liegt Italien an der Stelle Englands, während Schwe- und Norwegen an die Stelle Spaniens und Portugals getreten sind. Dagegen sind die Hauptstädte Europa's so eng zusammengeschoben, daß auch hier das juste milieu in der Mitte liegt. Vor dieser Landkarte verbeuge ich gerne meinen Hut.
Wie schwer es aber sein mag, jede Nüance des Meyerheim'schen Bildes, das von dem Stempel der Vollendung durchweht ist, zu würdigen, eines ist mir klar: es ist zur Ehre der Presse ersonnen, und den Stein, auf welchem es gedruckt ist, hat der Künstler bei mir im Brett. Der Presse – sie möge nun auf einem Hephästos tanzen, sich gegen äußere Feinde ihrer Epidermis wehren, oder der Reaction den rothen Hauspropheten auf's Dach setzen – der Presse gehört mein Herz. Ich ergreife mein volles Hoch und bringe es meinen Collegen auf dem Felde der Berichterstattung in drei Sprachen: One deux drei! Hurrah!