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In jenen Zeiten trafen der Florian und der Valentin Hinterbichler auf dem Markt zu Kufstein zusammen. Sie waren sehr froh, sich wieder einmal zu sehen, begrüßten sich freundlich und setzten sich in den Schatten des Hirschengartens, um eine Halbe Wein zu trinken. Sie waren allein an ihrem Tische, was beiden sehr angenehm schien, denn es drängte sie – den einen wie den andern – die Lage einmal offen zu besprechen.
Der Valentin begann:
»Du, Florian, jetzt reden sie ja gar nichts anderes mehr, als von dir und von der Rosi.«
»Was mir recht zuwider ist,« unterbrach der Florian.
»Hab' mir's selber denkt, und letztenmal in der blauen Traube haben sie mich so falsch gemacht, daß ich in den Tisch hineingeschlagen hab'. Der Florian, hab' ich gesagt, hat die Rosi noch gar nie gesehn und sie nicht ihn.«
»Hast recht gehabt, Valentin!« schaltete der Florian mit beifälligem Nicken ein; »ich hätt' auch nichts anders sagen können.«
»Aber anschauen sollst sie doch einmal.«
»Zieht mich nicht recht hinüber in die Sewi –«
»Nu, sauber ist sie schon!«
»Das sind andre auch.«
»Und reich –«
»Ah reich? 's sind sieben Kinder; was wird sie kriegen? Vielleicht so sechs-, vielleicht siebentausend Gulden. Ich bin nicht in der Not.«
»Und sonst wär' sie auch ganz recht für dich, weil sie gerad so einen – Streich hat.«
»Nu,« sagte der Florian lachend, »ich hab' an dem meinigen schon genug.«
»Ein' andre wird dir doch nicht taugen –«
»Ich hätt' eigentlich nichts gegen das Mädel, aber es gefällt mir halt nicht recht, wie's da drüben zugeht, in der Sewi. Die Maler –«
»Ja, ja, da geht viel Gerede von den Malern. Wird auch so bös nicht sein.«
»Da laßt sie sich zum Beispiel alle Jahre drei-, viermal malen! Da muß sie ja ganz hoffärtig werden und ganz verruckt. Und was hilft's mir nachher, wenn sie bei dem englischen Grafen in der Galerie hängt? Weiß mir leicht ein schöneres Vergnügen!«
»Das ist alles noch nichts Unrechtes!«
»Und nachher, daß sie sie so hernehmen, wie eine Komödiantin – daß sie gar noch die Germania spielen muß, ›den Lorbeerkranz auf dem Scheitel mit aufgelösten Haaren und wallendem Busen‹, wie neulich so ein norddeutscher Maler erzählt hat in der Klausen, ein guter Freund vom Pauli. Und nachher deklamiert sie die Verslein, die ihr die Maler anlernen, und tritt auf wie im Theater! Ein Bauernmädel, das deklamiert – 's ist ja zum Lachen!«
»Das gehört halt auch zum G'spiel.«
»Und wer legt ihr denn nachher das Gewand an, bei solchen Gelegenheiten? ›Die faltige Tunika und den seidenen Festrock‹ hat der gesagt. Werden ihr wohl die Maler die Strümpf anziehen?«
»Aber, Florian! heut bist nicht gut aufgelegt!«
»Nu, man weiß ja, wie solche junge Herren solche Mädeln zurichten. Was kann da alles geschehen sein! Ich bedank' mich.«
»Wenn's dich nur nicht reut« –
»Nein! Von mir aus kannst überall auf den Tisch neinschlagen und öffentlich behaupten: es wird nichts daraus. Da kann ein anderer hingehen, der's leichter nimmt. – Jetzt reden wir aber etwas anderes.«
Dies geschah auch und zwar in der Weise, daß sie zunächst die Briefe besprachen, welche sie nach dem Vertrag von Kundl einander zuletzt geschrieben hatten. Sie sagten sich dabei gegenseitig viele freundliche Worte und hoben namentlich den guten Stil und den reichen Inhalt hervor, über den der eine wie der andre in seinen schriftlichen Arbeiten gebiete.
Als das Zwiegespräch zu Ende, ging der Florian seinen Geschäften nach, während der Valentin allein beim Glase blieb. Dieser verfiel aber bald in folgenden beachtenswerten Monolog:
»Der nimmt sie einmal nicht! und wenn sie ihn auch noch so gern hat, so hilft's ihr nichts! So ist's g'scheiter, man treibt die zwei gleich recht weit auseinander, damit das Schmachten in der Sewi ein Ende hat. Die Rosi bleibt deswegen doch nicht über!«
Dieses Selbstgespräch ist zwar schon ohne Erläuterung nicht sehr dunkel, zu seiner völligen Aufhellung mag aber doch dienen, daß der Valentin, der ja so oft an der Sewi vorüberging und dort immer einkehrte, die Rosi schon seit jungen Jahren kannte und daß sie ihm ebensogut gefiel, wie der sämtlichen Jugend des starken Geschlechts. War er bisher nicht hervorgetreten, so hatten ihn wohl die trüben Erfahrungen der andern abgehalten, und in letzter Zeit, da man die Rosi nie ohne den Florian nannte, dachte er in der Tat nicht daran, sich als Nebenbuhler seines Freundes aufzuspielen. Jetzt dagegen, da dieser unverleitet und unverhetzt das liebliche Mädchen aufgegeben, schien ihm das Feld ganz frei und ein glücklicher Erfolg nicht unwahrscheinlich; zumal da in jenen Tagen allgemein die Rede ging, die Rosi, die bekanntlich einundzwanzig Jahre alt, sehne sich nunmehr aus dem Hause, und wenn's mit dem Florian nichts werde, so nehme sie wohl auch einen einfachen Bauernsohn, denn ihr Stolz und ihre Hoffart werde dann bald verfallen. Die Malerfrage, die den Florian so stark beschäftigte, die nahm der Valentin gar nicht in seine Erwägungen auf.
Sonst war dieser ein ganz gut gelittener und gut beleumundeter Bursche. Die paar Jahre, die er bei den Franziskanern in Hall verlebt, hatten auch ihm einen feineren Schnitt verliehen und diesen wußte er, wenn er wollte, ganz vorteilhaft herauszukehren. In seiner Gestalt lag nicht der ritterliche Schwung, der den jungen Wirt von Langkampfen auszeichnete, aber der Valentin war immerhin ein wohlgeschlachter, angenehmer »Bue«. Darum hätte ihm auch jedes Mädchen seines Standes wohl gerne die Hand gegeben, allein er konnte leider nicht jede Hand brauchen, denn unter etlichen tausend Gulden ging es nicht, da der väterliche Hof seinem älteren Bruder bestimmt war und er einen eigenen Herd begründen wollte. In so ferne wäre ihm die Rosi allerdings immer obenan gestanden, nur daß die Blume der Sewi, wie wir wissen, an etwas anderes dachte. Nun aber setzte er sich von Stund' an gerade diese vor und begann auch schon mit seiner Zukunft ernsthaft zu rechnen.
Fünftausend Gulden hatte ihm sein Vater versprochen, siebentausend brachte vielleicht die Rosi ein, und mit solchen Mitteln konnte er leicht einen hübschen Hof, der eben feil stand, in dem anmutigen Niederndorf erwerben und dort mit der lieben jungen Frau die schönsten Tage verleben.
In diesen Gedanken beschloß er mit seiner neuen, vielmehr alten Liebe unverzüglich Fühlung zu suchen und da er, wie schon erwähnt, auch sonst nie an der Sewi vorübergegangen, so kehrte er dieses Mal auf dem Heimweg um so lieber ein, und setzte sich in den Garten. Die Rosi brachte ihm den Wein, ließ sich neben ihm nieder und sagte als artige Schenkin:
»Grüß dich Gott, Valentin! Kommst aus der Stadt?«
»Ja, vom Viehmarkt.«
»Hat's viel Leut' gegeben heut?«
»Ja, viel Leut'; sind viel Oberländer dagewesen und viel bayerische Händler; der Florian hat sich auch sehen lassen, haben eine Halbe Terlaner getrunken im Hirschengarten.«
»Der Florian! Hör' nicht ungern von ihm reden; soll so ein feiner Bursch sein. Wenn er nur einmal rüber käme. Möcht' ihn so gern sehen!«
»Glaub dir's schon. Heut hat er ein paar Rösseln gekauft; die will er einspannen.«
»Hat gewiß wieder einen guten Handel gemacht? Er versteht ja alles!«
»Ja, ja, und von dir haben wir auch geredet, Rosi!«
»So, von mir?« sagte sie munter; »was habt ihr denn diskuriert miteinander?«
»O, ich hab' nicht viel gesagt; hat schon er das mehrere gewußt.«
Gewußt, gewußt – dies Wörtlein fiel plötzlich wie ein schwerer Stein auf des Mädchens armes Herz. Seitdem vom Florian die Rede, war ihre Stimmung zusehends heitrer geworden; aber jetzo schlug sie jählings um.
»Gewußt, gewußt?« wiederholte sie ängstlich. »Das mehrere hat er gewußt! Ja, was weiß man dann von mir? Wenn man viel von einem Mädel weiß – ist viel besser, wenn man nichts weiß.«
»Nu, wie's da zugeht in der Sewi, das kann man ja leicht erfahren.«
»Und müßt' ich mich denn fürchten, wenn's der Florian erführe?«
»Nu, weißt, Rosi! Das Leben in der Sewi kann man nehmen wie man will. Dem einen gefällt's, dem andern nicht.«
»Und dem Florian?«
»Gefällt's nicht.«
»Ja, was wär' denn das?« rief die Rosi in sichtbarer Bestürzung und erhob sich. »Was hat er denn auszusetzen?«
»Nu, die Maler, glaub' ich, gefallen ihm halt nicht recht.«
»Die Maler? Die sind halt auch so gekommen wie andre Gäst'. Ich habe sie nicht verschrieben; haben sich aber immer ordentlich aufgeführt. Und jetzt soll man ihnen das Haus verbieten?«
»Und daß du dich alle Jahre drei- viermal malen läßt.«
»Das ist schon hart,« sagte die Rosi traurig, »wenn man einen solchen Vorwurf hören muß, und vom Florian, der doch kein Bauer ist. Ich lasse mich ja nicht malen, aber das Anschauen kann ich doch nicht wehren!«
»Und daß du dich so hernehmen laßt wie eine Komödiantin, und daß du die Germania spielst und deklamierst!«
»O mein Gott!« seufzte die Rosi tiefgekränkt, »muß man sich da auch noch verteidigen! Da haben sie voriges Jahr so einen Festtag gehabt, den achtzehnten Oktober, wegen der Leipziger Schlacht, wo die Deutschen den Franzosen Herr worden sind, und da bin ich die Germania gewesen und hab' etliche Verslein sagen müssen, von dem deutschen Vaterland. Die Maler sprechen ja allweil' so, als wenn wir Tiroler Mädeln auch ins deutsche Vaterland gehörten, und so hab' ich's zuletzt selber geglaubt und hab' gemeint, ich darf auch mitfeiern. Und haben alle gesagt, daß mir das Gewand so gut steht, und ich hab' den ganzen Abend an den Florian denkt, wenn er jetzt nur um Gottes willen einmal käme, daß ich ihm als Germania die erste Hand geben könnte! Und der!« – Hier stockte aber ihre Stimme, und sie verhielt mit Mühe ihre Tränen.
»›Und wer legt ihr denn nachher,‹ sagt er, ›das Gewand an bei solchen Gelegenheiten? Werden ihr wohl die Maler die Strümpf' anziehen‹?«
»Mir hat die Mutter das Gewand angelegt und die Schwester. Ist kein Mannsbild dagewesen um und um im ganzen Gaden.«
»›Man weiß ja,‹ sagt er, ›wie die jungen Herren solche Mädeln zurichten. Was kann da,‹ sagt er, ›alles geschehen sein‹!«
»Ich – laß – mich – nicht – zurichten, Valentin!« sprach da die schöne Rosi langsam und feierlich, aber in tiefster Erregung, und hob die Hand wie schwörend gegen den Himmel. »Und was da geschehen ist, das hat unser lieber Herrgott und seine Heiligen alles sehen dürfen. – Aber das ist doch abscheulich, wie sie in Langkampfen droben mit so einem armen Mädel umgehen! – – Und soll so ein rechtschaffener Mensch sein!«
»Nu, ob er's ist oder nicht – er ist ja nicht der einzige – gibt ja andre auch!«
»Du brauchst mir aber keinen zu verraten!« entgegnete die Rosi mit verächtlicher Wendung des Hauptes, drehte sich und ging.
Dem Valentin schmeckte der Wein auch nicht mehr recht. Er griff zum Wanderstabe und trachtete heimwärts.
»Aller Anfang ist schwer!« sagte er unterwegs. »Aber es kann doch noch was werden. Und der Florian kann mich auch nicht schelten, denn ich hab' ihr nicht ein Wörtlein mehr gesagt als er mir. Und mögen tut er sie so nicht!«
Nun müssen wir aber doch sagen, wo die Rosi damals hingegangen. Die Laube oder das Sommerhäuschen, wo der Valentin eben sein Seidel getrunken, ist noch auf einem bemerkenswerten Aquarell zu sehen, das aus dem Jahr 1850 stammt und jetzt in der Sewi das »Nebenzimmer« ziert. Dieses zeigt uns deutlich, daß die Laube oder das Sommerhäuschen in jenen Tagen – jetzt ist es nicht mehr so, – gegen den Wilden Kaiser hin, am Rande eines kleinen Angers und nahe an der kleinen Leite stand, die zum Jenbach hinunterführt. Wenn nun die Rose der Sewi in diesen Zeiten einmal ein Viertelstündchen ihren Gedanken nachhängen wollte, so ging sie über die Leite hinunter in den schmalen Wiesengrund, der da an dem Bache liegt. Damals stand dort ein alter Ahorn, in dessen Schatten ein Bänklein und ein Tischlein aufgeschlagen war – eine stille liebliche Einsamkeit!
Unter diesem Ahorn war also damals die arme Rosi zu finden. So lange sie dem Valentin gegenübergestanden, hatte sie sich gegen seine oder vielmehr ihres Florians Vorwürfe, obgleich sie ihr ins tiefste Herz schnitten, wohl standhaft verteidigt und keine Träne dabei vergossen, aber jetzt, da sie allein war, gingen ihr die Augen über und die Zähren flossen reichlich. Dabei seufzte sie wehmütig in die Abendluft hinaus:
»Was hab' ich ihm denn getan? Hab' ihn immer so hoch gehalten! Hab' mich immer so gefreut, wenn er einmal rüber käme! An Stand und Vermögen sind wir ja doch nicht so weit auseinander! Hab' ich nicht an ihn denken dürfen?«
Diese Betrachtungen spann sie noch mannigfach aus, schüttelte aber immer wieder das Haupt dazwischen, wie in schwerem Zweifel, und sprach:
»Und soll doch so ein prächtiger Mensch sein!«
Die Mutter begann endlich die Rosi zu vermissen, ging ihr in den Garten nach und fand sie auf dem Bänklein unter dem alten schattigen Ahorn. Die Tochter erzählte schluchzend, was ihr der Valentin gesagt. Die Mutter vernahm es mit Schrecken. Und endlich weinten sie zusammen und weinten und wußten sich keinen Rat. Und als sie später das Lager aufgesucht, fand sie dort keinen Schlaf, und als nach der leidlangen Nacht die Sonne aufging, brachte auch diese keinen Trost.
Ein gefühlvoller Leser wird uns sicherlich beistimmen, wenn wir die damalige Lage der schönen Rosi sehr traurig finden. Bis dahin, bis der Valentin in den Garten gekommen, schien noch nichts verloren; der Florian war noch immer in Sicht, wenn auch in unsicherer Ferne – er konnte noch immer kommen, heute so gut wie morgen. Aber jetzt, nachdem einer sozusagen seine Botschaft ausgerichtet, jetzt war es schrecklich Tag oder vielmehr Nacht geworden. Jetzt mußte sie wohl sich selbst gestehen, daß alles zusammengebrochen und verfallen sei. Einem Mädchen, das er so beurteilte, konnte er nie gewogen werden. Darum war es ihr jetzt, wie wenn ein Wolkenbruch niederginge und der Jenbach ihr Ehre, Liebe und Lebensglück mit fortschwemmte, oder auch wie wenn eine ungeheure Steinmuhr vom Wilden Kaiser herabkäme und sie mit aller Macht zudeckte, so daß sie hundert Klafter tief im Erdboden vergraben läge.
»Das schönste Mädel und die ärmste Haut!« sagte die Mutter schmerzvoll für sich, als sie am andern Morgen ihre Tochter wiedersah.