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Wir stiegen im »Weißen Wolfe« ab; allein des andern Morgens fragten wir den Perückenmacher, ob er nicht ein Quartier für uns wisse. Dieser brachte uns auf die Lorenzi-Pastei zum Herrn von Martinelli, kaiserlichen Architekt, wo aber nur für den Herrn Hauptmann und seine Gemahlin Platz war; da sie mich gerne in der Nähe haben wollten, so nahm ich mein Quartier gleich gegenüber bei einem Bürger, der Meyer hieß. Sobald ich zu diesem kam, reichte er mir ein gedrucktes Blatt, welches folgende Fragen enthielte: wo ich herkomme? wo ich den letzten Paß genommen habe? wie lange ich in Wien zu bleiben gedenke? womit ich mich während dieser Zeit ernähren wolle? welcher Religion ich zugetan und ob ich verheiratet oder ledig sei? Alle diese Punkte muß jeder in Wien ankommende Fremde, insoferne er sich eine Zeitlang darinne aufzuhalten gedenkt, selbst unterschreiben, welches dem Herrn Platzmajor eingereicht wird. Nun wußte ich nicht, welchen Weg ich einschlagen sollte, denn der Großfürst, mit dessen Gefolge ich die Reise nach Rußland machen wollte, war schon den sechsten Januar von Wien abgegangen, ich nahm mir also vor, nach Hause zu reisen, um zu sehen, ob ich etwas von meinem lieben Vormunde bekommen könnte. Doch als ich hörte, daß Seine Heiligkeit nach Wien zu kommen dächten, so änderte ich meinen Entschluß und blieb da, um die in solchen Fällen vorfallenden Feierlichkeiten mit anzusehen.
Ich weiß nicht, wie lange der Hauptmann von der Osten nebst seiner Gemahlin die evangelische Kirche entbehrt haben mochte, allein ich hatte in dreizehn Jahren gar keine gesehen, wir hatten also alle großes Verlangen, dem Gottesdienst beizuwohnen. Weil sich damals noch keine evangelische Kirche in Wien befand, so bat mich der Hauptmann, zu dem preußischen Abgesandten zu gehen, um mich zu erkundigen, wenn die Kirche gehalten würde; ich ging also dahin und frug den Torsteher, welcher mir sagte, daß sein Herr keine unterhielt und daß ich entweder in die Kapelle des dänischen oder schwedischen Abgesandten gehen müßte. Wir gingen also alle drei in die ohnweit den Schotten befindliche schwedische Kirche. Vor der Kirchtür stand ein bedeckter Tisch voller schönen Gesangbücher, wovon der Kirchner uns einige gab und uns die Plätze anwies, wo wir den Prediger im Gesichte hatten; und ich kann mit Wahrheit sagen, daß ich in diesem Gottesdienste recht erbaut worden bin.
Ich war noch nicht lange in Wien, so erhielt ich Briefe von Temiswar, daß meine gewesene dreiundsechzigjährige Braut gestorben sei. Ich hatte eben keine große Ursache, ihren Tod, wohl aber die 25 000 Gulden zu bedauren. Mit dem nämlichen Briefe erhielt ich die Nachricht, daß der Herr Podesta Barbieri, mit dem ich in Temiswar in Verbindung gestanden hatte, in Wien sei. Gleich des andern Tages ging ich in das italienische Coffee-Haus, um ihn auszufragen. Dieser Herr empfing mich mit vieler Höflichkeit und nahm mich mit in die Komödien, in die in der Leopoldstadt gelegene Hetze und an mehr Belustigungsörter. Wie freute ich mich daher, als ich vor einigen Jahren in Zeitungen las, daß er von Seiner Majestät dem Kaiser 500 Joch Feld, benebst einem Vorschuß von 20 000 Gulden, um dasselbe urbar zu machen, erhalten hat. In der Folge war ich so glücklich, in dem Hause der Frau von Nascholdin, geborne Baronesse von Steinberg, eingeführt zu werden, worin ich, während meines Aufenthaltes in Wien, einen freien Zutritt hatte.
Da bekannt genug ist, daß Wien groß und prächtig, mit Belustigungsörtern aller Arten bis zum Überfluß versehen ist, an prächtigen Palästen, Bibliotheken, Kunstkammern und dergleichen keinen Mangel hat, so will ich nur einiger besondern, bei meiner Anwesenheit vorgefallenen Begebenheiten gedenken.
Schon gegen das Ende des Februars fing man in Wien an, von der Ankunft des Papstes zu sprechen, und an allen Ecken der Straßen fand man alte Weiber, welche sein Bildnis für einen Kreuzer verkauften und ohne Aufhören dabei schrien: »Den Papst für einen Kreuzer! den Papst für einen Kreuzer!« Doch kurz vor der Ankunft desselben mochte ihnen dieses unschickliche Rufen verboten worden sein, oder sie mochten es selbst eingesehen haben; genug, sie änderten es in der Folge dahin ab, daß sie ruften: »Seine Heiligkeit den Papst für einen Kreuzer! Seine Heiligkeit den Papst für einen Kreuzer!«, ohne dieses Epithets wegen den Preis ihres Kupferstiches im mindesten zu erhöhen; allein es war auch so erbärmlich gestochen, daß man ohne den Namen Pius VI. nicht gewußt haben würde, ob es den Papst oder den Mufti vorstellen sollte. Endlich wurde der 22. März 1782 zur Ankunft bestimmt, und es strömten von allen Provinzen so viel Menschen nach Wien, daß man hätte glauben sollen, die Lebensmittel würden dadurch sehr verteuert werden und nicht alle Obdach finden können; allein man spürte in Ansehung des Preises der Viktualien nicht den geringsten Unterschied, weil die Polizei die besten Maßregeln getroffen hatte.
Am gedachten Tage der Ankunft des Papstes waren des Morgens acht Uhr schon alle Gasthöfe zu beiden Seiten der Vorstadt, durch welche er seinen Einzug hielt, besetzt, vor den andern Häusern aber Gerüste gebaut, worauf man für einige Kreuzer einen Platz haben konnte. Herr von Martinelli nebst seiner Gemahlin und ich gingen erst um zehn Uhr in die »Blaue Kugel«, wo wir das Mittagsmahl bestellt hatten und der Zug vorbeigehen mußte. Um zwölf Uhr kam die Nachricht von der Annäherung; wir gingen also hinaus und stellten uns am Wege hin, um den Zug desto besser mit ansehen zu können. Da es ein schöner Tag war, so bedauerte die Frau von Martinelli, daß sie ihre größte Tochter nicht mitgenommen habe, und bat mich, wenn ich mir getraue, mit ihr durch das Gedränge zu kommen, sie abzuholen. Ich lief also in die Stadt, allein noch ehe ich mit ihr die »Blaue Kugel« erreichte, kam der Papst schon gefahren; ich wollte also einen Platz auf einem Gerüste nehmen, da aber schon alles besetzt war, so trat ich mit ihr auf ein an der Chaussee liegendes Steinhäuschen, wo wir den Papst recht wohl sehen konnten. Er saß dem Kaiser zur Rechten im Wagen, und während er sich zur Linken wendete und mit demselben sprach, hatte er den rechten Ellenbogen auf den Kutschenschlag gestützt und gab so den auf der Chaussee knienden Segenshungrigen unaufhörlich den Segen. Nachdem er vorbei war, speiseten wir im gedachten Gasthofe zu Mittag und fuhren erst gegen Abend wieder zurück. Da ich in Wien beinahe gar keine bestimmten Geschäfte hatte, so konnte ich jeder öffentlichen Feierlichkeit nachgehen, besonders nahm ich jede Gelegenheit in acht, die durch den Aufenthalt des Papstes veranlaßten außerordentlichen Vorfälle mit anzusehen. Einer von diesen war, als am Karfreitage der Papst, der Kaiser und der jetzige Kurfürst von Köln, in Begleitung des ganzen Hofes, aller fremden Ambassadeurs, nach katholischem Gebrauche die sieben Kirchen besuchten, sowie auch die Fußwaschung, welche Zeremonie der Papst in der Stephanskirche vornahm. Doch nichts glich dem Zufluß von Menschen am ersten Ostertage, wo der Papst von der Jesuiter-Kirche auf dem Hofe den Segen gab. Die Menge der Zuschauer war an diesem Tage so groß, daß, als der Kreuzträger das Zeichen zum Niederknien gab, niemand imstande war, solches zu tun, ja es war niemand vermögend, weder Hand noch Fuß zu regen. Mit dem Glockenschlage zwölf trat der römische Bischof in seinem ganzen Ornate, mit der dreifachen Krone auf dem Haupte, auf den an der Jesuiter-Kirche befindlichen Balkon, las erstlich eine Gebetsformel ab, zerriß das Papier und warf die Stücken davon hinunter, welche tausend Hände aufzufangen suchten, worauf er unter Lösung aller um Wien herum befindlichen Kanonen den Segen gab. Da es vorher durch den Druck bekanntgemacht worden war, daß dieser feierliche Segen bloß für die Bewohner der Stadt, der Vorstädte und für diejenigen, die in den Linien wohnten, sein sollte, so kann man leicht denken, daß alle die, so außer den Linien wohnten, um sich dessen teilhaftig zu machen, zu den Toren hineinstürzten. Gleich bei der Ankunft des Papstes wurde öffentlich angezeigt, daß er den Segen alle Tage in bestimmten Zeiten geben wolle. Nun strömten die Menschen dermaßen auf den am Burgtore befindlichen Platz zu, daß sie das am Wall befindliche Geländer zerbrachen und einige mitsamt dem päpstlichen Segen in den Stadtgraben purzelten. Dieser Ab- und Zufluß von Menschen dauerte bis den 22. April, wo Pius VI. des Morgens frühe acht Uhr Wien wieder verließ, um seinen römischen Untertanen den Segen nicht zu lange zu entziehen, denen freilich oft mehr an größerm Brote gelegen ist und die deswegen öfters dem Wagen des Papstes nachschreien: »Santissimo padre! pagnotte grosse, pagnotte grosse!«