Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einundvierzigstes Kapitel

Der Vormund

Das, was mir am ersten auffiel, war die blaue Schildwache im Tore und die zur Verschönerung der Stadt und Bequemlichkeit der Fußgänger gelegten breiten Platten; allein, was mich anbetraf, so befand ich mich in einer unangenehmen Lage, weil ich weder Vater noch Mutter, weder Bruder noch Schwester, ja, wenn ich die Freundschaft nicht von Noah herleiten will, nicht einmal einen weitläufigen Vetter antraf. Da ich, wie gesagt, hier weder Eltern noch Bekannte hatte, so besuchte ich einige Schulfreunde. Von diesen frug mich einer, ob ich in Gotha zu bleiben gedächte. Ich antwortete ihm, daß ich nur zu meinem Bruder und Vormunde gehen und hernach meine Rückreise nach Wien sogleich wieder antreten wollte. Hierauf sagte er mir aus Scherz, daß ich lieber hier Meister werden und meines Lehrmeisters Tochter, die neben ihm wohne, heiraten sollte. Diese Worte waren mir aus der Ursache auffallend, weil ich diesem Mädchen, von der die Rede war, während meinen Lehrjahren als einem Kinde von zehn Monaten das Laufen gelernt und beinahe vergessen hatte, daß ich neunzehn Jahr weggewesen war. Ist es möglich, dachte ich, daß dieses deine Frau werden könnte; weil ich ihr nun so nahe war, sprach mit ihr und sähe, daß das unbedeutende Mädchen groß genug worden war, um meine Frau werden zu können; doch war der Gedanke, sie zu heiraten, so vorübergehend, daß ich gleich den andern Tag wieder von Gotha weg und über Mühlhausen und Einbeck nach Bevern zu meinem Bruder ging. Dieser war nicht wenig verwundert, mich nach so vielen Jahren zum dritten Male und so ganz unverhofft wiederzusehen, wollte aber meinen Entschluß, wieder nach Wien zu reisen, durchaus nicht billigen, sondern bat mich, entweder bei ihm in Bevern oder in Holzminden zu bleiben und Unterricht im Italienischen zu geben. Da er wußte, daß es oft ein elend und jämmerlich Ding um einen Sprachmeister ist, so erbot er sich, falls ich etwa mit meinem Verdienste gar nicht oder zu früh auskommen sollte, mich durch seine Hülfe zu unterstützen. Als ich ihm nun sagte, daß man mir schon eine halbe Ehehälfte in Gotha ausgesucht habe, so mußte ich ihm versprechen, je eher je lieber nach Hause zu gehen und selbe heimzuführen; doch hätte dieses Versprechen durch folgenden Zufall bald Schiffbruch erlitten.

Ich sah einst im Schloßgarten zu Bevern ein schönes Frauenzimmer Spazierengehen, welches wohlgewachsen, und da ein ausgesuchter Anzug, der das schöne Geschlecht noch schöner macht, auch etwas sagen will, so hatte sie ein blauseidenes Kleid an, zu dem ihre übrige Toilette so vortrefflich paßte, daß ihre Reize dadurch um ein großes vermehrt wurden. Ich betrachtete sie mit vielem Vergnügen und wollte eben meinen Bruder fragen, ob er sie kennte und wer sie sei, als sie gerade auf das Gartenhaus zukam, wo wir uns befanden. Als sie hereinkam, sprach sie mit meinem Bruder von verschiedenen Sachen, sah mich aber dabei sehr aufmerksam an und sagte endlich zu mir: »Wie es scheint, bin ich Ihnen fremder geworden als Sie mir?« Ich antwortete ihr, daß ich mich gar nicht besinnen könne, jemals die Ehre gehabt zu haben, sie nur zu sehen. »O ja«, erwiderte sie, »recht vielmal, und zwar in der Nähe.« »Und wo«, frug ich sie, »hätte ich dieses Vergnügen gehabt?« »In Amsterdam«, war ihre Antwort; und nun erkannte ich sogleich die Tochter des erwähnten Gastgebers, an den ich durch seine Frau Schwester, bei der sie sich just aufhielt, empfohlen worden war. Ich bat sie, mir zu erlauben, sie bei ihrer Tante besuchen zu dürfen, welches ich auch aus alter Bekanntschaft erhielt. Hier erfuhr ich nun, warum sie ihr Vater auf einige Zeit nach Bevern getan hatte, und sogleich war auch mein Entschluß gefaßt, nach Amsterdam zu reisen und sie bei meiner Zurückkunft zu heiraten; wenn sie auch gleich in Ansehung des letztern Punktes viel einzuwenden hatte, so wollte ich doch heute noch zehn gegen eins wetten, daß ich die Einwendungen aus dem Wege geräumt haben würde, doch, eines außer uns liegenden Umstandes wegen, zerschlug sich das ganze Plänchen. Hätte ich es durchgesetzt, so wäre ich wahrscheinlich jetzt in Holland und – doch warum eine Sache nehmen, wie sie sein könnte!

Ich reiste also von Bevern weg und ging über Göttingen nach Treffurt zu meinem lieben Vormunde, welchem ich aber sehr ungelegen kam; denn er mochte geglaubt haben, daß mich die Walrosse in Schweden oder die Skorpione in Italien oder vielleicht gar die Vampiren in Ungarn verzehrt hätten. Dieser Mann sagte mir fünfzehn Jahre zuvor, daß mein geringes Vermögen noch in 170 Talern bestünde, und versprach, mir solche nach Rudolstadt zu schicken, wo ich mich damals niederlassen wollte; weil er aber, vermöge löblicher Vormundschaftsgewohnheit, sein Wort nicht hielte, ohngeachtet ich mehrere Briefe an ihn geschrieben hatte, so ging ich selbst zu ihm, um es abzuholen. Als ich zu diesem nun seligen Vormunde kam (wenn anders Vormünder, die die ihrer Pflege Befohlnen um das Ihrige bringen, selig werden können), sagte er mir, daß er sich geirrt habe, daß es nicht 170, sondern nur 109 Taler wären, die ich noch hätte, welche der Brenner (Gott weiß, welcher Brenner!) jetzt wegen gehabtem Wasserschaden nicht bezahlen könne und sich deswegen noch einige sächsische Fristen ausgebeten habe, die ich erst abwarten müsse. Weil ich nun meinem Vetter, dem Herrn Bürgemeister Richard, bei dem ich mich aufhielte, nicht gern so lange beschwerlich fallen und doch nicht ohne Geld nach Rudolstadt zurückkehren wollte, so nahm ich mir vor, während diesen zwei sächsischen Fristen eine kleine Reise zu unternehmen, aus welcher aber achtzehn Jahre wurden. Nun hätten nach meiner Rechnung 170 Taler in diesen fünfzehn Jahren, ohne Interessen zu Interessen zu schlagen, 297 Taler 12 Groschen betragen sollen; hierzu kam noch eine mir während meiner Abwesenheit zugefallene kleine Summe; und doch erhielt ich nichts mehr von ihm als fünfzehn Dukatens, das übrige wollte er mir nachschicken; allein, ob ich gleich eine Mandel Briefe an ihn geschrieben, die Untersuchung einem andern Advokaten aufzutragen, und noch eine Reise, die mir bald das Leben gekostet hätte, unternommen habe, so kann ich doch heilig versichern, daß ich keinen Heller mehr bekommen habe; und nun hatte Freund Hein den ehrlichen Mann gar abgerufen, um die Rechnungen über seine löblich geführten Vormundschaften jenseit des Styxes abzulegen.


 << zurück weiter >>