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Ich willigte ein, wir setzten uns, das Summen war wirklich über unsern Häuptern zu hören, und ich fragte: »Habt ihr nun diese Beobachtungen an den Tieren, wie ihr sagtet, gemacht?«
»Auf Beobachtungen bin ich eigentlich nicht ausgegangen«, antwortete er; »aber da ich lange in diesem Hause und in diesem Garten gelebt habe, hat sich Manches zusammengefunden; aus dem Zusammengefundenen haben sich Schlüsse gebaut, und ich bin durch diese Schlüsse umgekehrt wieder zu Betrachtungen veranlaßt worden. Viele Menschen, welche gewohnt sind, sich und ihre Bestrebungen als den Mittelpunkt der Welt zu betrachten, halten diese Dinge für klein; aber bei Gott ist es nicht so; das ist nicht groß, an dem wir vielmal unsern Maßstab umlegen können, und das ist nicht klein, wofür wir keinen Maßstab mehr haben. Das sehen wir daraus, weil er alles mit gleicher Sorgfalt behandelt. Oft habe ich gedacht, daß die Erforschung des Menschen und seines Treibens, ja sogar seiner Geschichte, nur ein anderer Zweig der Naturwissenschaft sei, wenn er auch für uns Menschen wichtiger ist, als er für Tiere wäre. Ich habe zu einer Zeit Gelegenheit gehabt, in diesem Zweige Manches zu erfahren und mir Einiges zu merken. Doch ich will zu meinem Gegenstande zurückkehren. Von dem, was die kleinen Tiere tun, wenn Regen oder Sonnenschein kommen soll, oder wie ich überhaupt aus ihren Handlungen Schlüsse ziehe, kann ich jetzt nicht reden, weil es zu umständlich sein würde, obwohl es merkwürdig ist; aber das kann ich sagen, daß nach meinen bisherigen Erfahrungen gestern keines der Tierchen in meinem Garten ein Zeichen von Regen gegeben hat.
Wir mögen von den Bienen anfangen, welche in diesen Zweigen summen, und bis zu den Ameisen gelangen, die ihre Puppen an der Planke meines Gartens in die Sonne legen, oder zu dem Springkäfer, der sich seine Speise trocknet. Weil mich nun diese Tiere, wenn ich zu ihnen kam, nie getäuscht haben, so folgerte ich, daß die Wasserbildung, welche unsere gröberen wissenschaftlichen Werkzeuge voraussagten, nicht über die Entstehung von Wolken hinausgehen würde, da es sonst die Tiere gewußt hätten. Was aber mit den Wolken geschehen würde, erkannte ich nicht genau, ich schloß nur, daß durch die Abkühlung, die ihr Schatten erzeugen müßte, und durch die Luftströmungen, denen sie selber ihr Dasein verdankten, ein Wind entstehen könnte, der in der Nacht den Himmel wieder rein fegen würde.«
»Und so geschah es auch«, sagte ich.
»Ich konnte es um so sicherer voraussehen«, erwiderte er, »weil es an unserem Himmel und in unserem Garten oft schon so gewesen ist wie gestern und stets so geworden ist wie heute in der Nacht.«
»Das ist ein weites Feld, von dem ihr da redet«, sagte ich, »und da steht der menschlichen Erkenntnis ein nicht unwichtiger Gegenstand gegenüber. Er beweist wieder, daß jedes Wissen Ausläufe hat, die man oft nicht ahnt, und wie man die kleinsten Dinge nicht vernachlässigen soll, wenn man auch noch nicht weiß, wie sie mit den größeren zusammenhängen. So kamen wohl auch die größten Männer zu den Werken, die wir bewundern, und so kann mit Hereinbeziehung dessen, von dem ihr redet, die Witterungskunde einer großen Erweiterung fähig sein.«
»Diesen Glauben hege ich auch«, erwiderte er. »Euch Jüngeren wird es in den Naturwissenschaften überhaupt leichter, als es den Älteren geworden ist. Man schlägt jetzt mehr die Wege des Beobachtens und der Versuche ein, statt daß man früher mehr den Vermutungen, Lehrmeinungen, ja Einbildungen hingegeben war. Diese Wege wurden lange nicht klar, obgleich sie Einzelne wohl zu allen Zeiten gegangen sind. Je mehr Boden man auf die neue Weise gewinnt, desto mehr Stoff hat man als Hilfe zu fernern Erringungen.
Man wendet sich jetzt auch mit Ernst der Pflege der einzelnen Zweige zu, statt wie früher immer auf das Allgemeine zu gehen; und es wird daher auch eine Zeit kommen, in der man dem Gegenstande eine Aufmerksamkeit schenken wird, von dem wir jetzt gesprochen haben. Wenn die Fruchtbarkeit, wie sie durch Jahrzehnte in der Naturwissenschaft gewesen ist, durch Jahrhunderte anhält, so können wir gar nicht ahnen, wie weit es kommen wird. Nur das eine wissen wir jetzt, daß das noch unbebaute Feld unendlich größer ist als das bebaute.«
»Ich habe gestern einige Arbeiter bemerkt«, sagte ich, »welche, obwohl der Himmel voll Wolken war, doch Wasser pumpten, ihre Gießkannen füllten und die Gewächse begossen. Haben diese vielleicht auch gewußt, daß kein Regen kommen werde, oder haben sie bloß eure Befehle vollzogen, wie die Mäher, die an dem Meierhofe Gras abmähten?«
»Das Letztere ist der Fall«, erwiderte er. »Diese Arbeiter glauben jedes Mal, daß ich mich irre, wenn der äußere Anschein gegen mich ist, wie oft sie auch durch den Erfolg belehrt worden sein mögen. Und so werden sie gewiß auch gestern geglaubt haben, daß Regen komme. Sie begossen die Gewächse, weil ich es angeordnet habe und weil es bei uns eingeführt ist, daß der, welcher wiederholt den Anordnungen nicht nachkömmt, des Dienstes entlassen wird. Es sind aber endlich auch noch andere Dinge außer den Tieren, welche das Wetter vorhersagen, nehmlich die Pflanzen.«
»Von den Pflanzen wußte ich es schon, und zwar besser, als von den Tieren«, erwiderte ich.
»In meinem Garten und in meinem Gewächshause sind Pflanzen«, sagte er, »welche einen auffallenden Zusammenhang mit dem Luftkreise zeigen, besonders gegen das Nahen der Sonne, wenn sie lange in Wolken gewesen war. Aus dem Geruche der Blumen kann man dem kommenden Regen entgegen sehen, ja sogar aus dem Grase riecht man ihn beinahe. Mir kommen diese Dinge so zufällig in den Garten und in das Haus; ihr aber werdet sie weit besser und weit gründlicher kennen lernen, wenn ihr die Wege der neuen Wissenschaftlichkeit wandelt und die Hilfsmittel benützt, die es jetzt gibt, besonders die Rechnung. Wenn ihr namentlich eine einzelne Richtung einschlagt, so werdet ihr in derselben ungewöhnlich große Fortschritte machen.«
»Woher schließt ihr denn das?« fragte ich.
»Aus eurem Aussehen«, erwiderte er, »und schon aus der sehr bestimmten Aussage, die ihr gestern in Hinsicht des Wetters gemacht habt.«
»Diese Aussage war aber falsch«, antwortete ich, »und aus ihr hättet ihr gerade das Gegenteil schließen können.«
»Nein, das nicht«, sagte er, »eure Äußerung zeigte, weil sie so bestimmt war, daß ihr den Gegenstand genau beobachtet habt, und weil sie so warm war, daß ihr ihn mit Liebe und mit Eifer umfaßt; daß eure Meinung deßohngeachtet irrig war, kam nur daher, weil ihr einen Umstand, der auf sie Einfluß hatte, nicht kanntet und ihn auch nicht leicht kennen konntet; sonst würdet ihr anders geurteilt haben.«
»Ja, ihr redet wahr, ich würde anders geurteilt haben«, antwortete ich, »und ich werde nicht wieder so voreilig urteilen.«
»Ihr habt gestern gesagt, daß ihr euch mit Naturdingen beschäftiget«, fuhr er fort, »darf ich wohl fragen, ob ihr eine bestimmte Richtung gewählt habt und welche.«
Ich war durch die Frage ein wenig in Verwirrung gebracht und antwortete: »Ich bin doch im Grunde nur ein gewöhnlicher Fußreisender. Ich besitze gerade so viel Vermögen, um unabhängig leben zu können, und gehe in der Welt herum, um sie anzusehen. Ich habe wohl vor Kurzem alle Wissenschaften angefangen; aber davon bin ich zurückgekommen und habe mir nur hauptsächlich die einzelne Wissenschaft der Erdbildung zur Aufgabe gemacht. Um die Werke, welche ich hierin lese, zu ergänzen, suche ich auf den Reisen, die ich in verschiedene Landesteile mache, zu beobachten, schreibe meine Erfahrungen auf und verfertige Zeichnungen. Da die Werke vorzüglich von Gebirgen handeln, so suche ich auch vorzüglich die Gebirge auf. Sie enthalten sonst auch Vieles, das mir lieb ist.«
»Diese Wissenschaft ist eine sehr weite«, entgegnete mein Gastfreund, »wenn sie in der Bedeutung der Erdgeschichte genommen wird. Sie schließt manche Wissenschaften ein und setzt manche voraus. Die Berge sind wohl jetzt, wo diese Wissenschaft noch jung ist und wo man ihre ersten und greifbarsten Züge sammelt, von der größten Bedeutung; aber es wird auch die Ebene an die Reihe kommen, und ihre einfache und schwerer zu entziffernde Frage wird gewiß nicht von geringerer Wichtigkeit sein.«
»Sie wird gewiß wichtig sein«, antwortete ich. »Ich habe die Ebene und ihre Sprache, die sie damals zu mir sprach, schon geliebt, ehe ich meine jetzige Aufgabe betrieb und ehe ich die Gebirge kannte.«
»Ich glaube«, entgegnete mein Begleiter, »daß in der gegenwärtigen Zeit der Standpunkt der Wissenschaft, von welcher wir sprechen, der des Sammelns ist. Entfernte Zeiten werden aus dem Stoffe etwas bauen, das wir noch nicht kennen. Das Sammeln geht der Wissenschaft immer voraus; das ist nicht merkwürdig; denn das Sammeln muß ja vor der Wissenschaft sein; aber das ist merkwürdig, daß der Drang des Sammelns in die Geister kömmt, wenn eine Wissenschaft erscheinen soll, wenn sie auch noch nicht wissen, was diese Wissenschaft enthalten wird. Es geht gleichsam der Reiz der Ahnung in die Herzen, wozu etwas da sein könne und wozu es Gott bestellt haben möge. Aber selbst ohne diesen Reiz hat das Sammeln etwas sehr Einnehmendes. Ich habe meine Marmore alle selber in den Gebirgen gesammelt und habe ihren Bruch aus den Felsen, ihr Absägen, ihr Schleifen und ihre Einfügungen geleitet. Die Arbeit hat mir manche Freude gebracht, und ich glaube, daß mir nur darum diese Steine so lieb sind, weil ich sie selber gesucht habe.«
»Habt ihr alle Arten unsers Gebirges?« fragte ich.
»Ich habe nicht alle«, antwortete er, »ich hätte sie vielleicht nach und nach erhalten können, wenn ich meine Besuche stetig hätte fortsetzen können. Aber seit ich alt werde, wird es mir immer schwieriger. Wenn ich jetzt zu seltnen Zeiten einmal an den Rand des Simmeises hinaufkomme, empfinde ich, daß es nicht mehr ist wie in der Jugend, wo man keine Grenze kennt als das Ende des Tages oder die bare Unmöglichkeit. Weil ich nun nicht mehr so große Strecken durchreisen kann, um etwa Marmor, der mir noch fehlt, in Blöcken aufzusuchen, so wird die Ausbeute immer geringer; sie wird auch aus dem Grunde geringer, weil ich bereits so viel habe und die Stellen also seltener sind, wo ich ein noch Fehlendes finde. Da ich allen Marmor selber gesammelt habe, so kann ich wohl auch kein Stück an meinem Hause anbringen, das mir von fremder Hand käme.«
»Ihr habt also wahrscheinlich das Haus selber gebaut oder es sehr umgestaltet?« fragte ich.
»Ich habe es selber gebaut«, antwortete er. »Das Wohnhaus, welches zu den umliegenden Gründen gehört, war früher der Meierhof, an dem ihr gestern, da wir auf dem Bänkchen der Felderrast saßen, Leute Gras mähen gesehen habt. Ich habe ihn von dem früheren Besitzer sammt allen Ländereien, die dazu gehören, gekauft, habe das Haus auf dem Hügel gebaut und habe den Meierhof zum Wirtschaftsgebäude bestimmt.«
»Aber den Garten könnt ihr doch unmöglich neu angelegt haben?«
»Das ist eine eigene Entstehungsgeschichte«, erwiderte er. »Ich muß sagen: ich habe ihn neu angelegt, und ich muß sagen: ich habe ihn nicht neu angelegt.
Ich habe mir mein Wohnhaus für den Rest meiner Tage auf einen Platz gebaut, der mir entsprechend schien. Der Meierhof stand in dem Tale, wie meistens die Gebäude dieser Art, damit sie das fette Gras, das man häufig in den Wirtschaften braucht, um das Gehöfte herum haben; ich wollte aber mit meiner Wohnung auf die Anhöhe. Da sie nun fertig war, sollte der Garten, der an dem Meierhofe stand und nur mit vereinzelten Bäumen oder mit Gruppen von ihnen zu mir langte, heraufgezogen werden. Die Linde, unter welcher wir jetzt sitzen, sowie ihre Kameraden, die um sie herum stehen oder einen Gartenweg bilden, stehen da, wo sie gestanden sind. Der große alte Kirschbaum auf der Anhöhe stand mitten im Getreide. Ich zog die Anhöhe zu meinem Garten, legte einen Weg zu dem Kirschbaume hinauf an und baute um ihn ein Bänklein herum. Und so ging es mit vielen andern Bäumen. Manche, und darunter sehr bedeutende, daß man es nicht glauben sollte, haben wir übersetzt. Wir haben sie im Winter mit einem großen Erdballen ausgegraben, sie mit Anwendung von Seilen umgelegt, hierher geführt und mit Hilfe von Hebeln und Balken in die vorgerichteten, gut zubereiteten Gruben gesenkt. Waren die Zweige und Äste gehörig gekürzt, so schlugen sie im Frühlinge desto kräftiger an, gleichsam als wären die Bäume zu neuem Leben erwacht. Die Gesträuche und das Zwergobst ist alles neu gesetzt worden. In kürzerer Zeit, als man glauben sollte, hatten wir die Freude, zu sehen, daß der Garten so zusammengewachsen erschien, als wäre er nie an einem andern Platze gewesen. In der Nähe des Meierhofes habe ich manchen Rest von Bäumen fällen lassen, wenn er dem Getreidebau hinderlich war; denn ich legte dort Felder an, wo ich die Bäume genommen hatte, um an Boden auf jener Seite zu gewinnen, was ich auf dieser durch Anlegung des Gartens verloren hatte.«
»Ihr habt da einen reizenden Sitz«, bemerkte ich.
»Nicht der Sitz allein, das ganze Land ist reizend«, erwiderte er, »und es ist gut da wohnen, wenn man von den Menschen kömmt, wo sie ein wenig zu dicht an einander sind, und wenn man für die Kräfte seines Wesens Tätigkeit mitbringt. Zuweilen muß man auch einen Blick in sich selbst tun. Doch soll man nicht stetig mit sich allein auch in dem schönsten Lande sein; man muß zu Zeiten wieder zu seiner Gesellschaft zurückkehren, wäre es auch nur, um sich an mancher glänzenden Menschentrümmer, die aus unsrer Jugend noch übrig ist, zu erquicken, oder an manchem festen Turm von einem Menschen empor zu schauen, der sich gerettet hat. Nach solchen Zeiten geht das Landleben wieder wie lindes Öl in das geöffnete Gemüt. Man muß aber weit von der Stadt weg und von ihr unberührt sein. In der Stadt kommen die Veränderungen, welche die Künste und die Gewerbe bewirkt haben, zur Erscheinung: auf dem Lande die, welche naheliegendes Bedürfnis oder Einwirken der Naturgegenstände auf einander hervorgebracht haben. Beide vertragen sich nicht, und hat man das Erste hinter sich, so erscheint das Zweite fast wie ein Bleibendes, und dann ruht vor dem Sinne ein schönes Bestehendes und zeigt sich dem Nachdenken ein schönes Vergangenes, das sich in menschlichen Wandlungen und in Wandlungen von Naturdingen in eine Unendlichkeit zurückzieht.«
Ich antwortete nichts auf diese Rede, und wir schwiegen eine Weile.
Endlich sagte er wieder: »Ihr bleibt noch heute nachmittag und in der Nacht bei uns?«
»Nach dem, wie ich hier aufgenommen worden bin«, antwortete ich, »ist es ein angenehmes Gefühl, noch den Tag und die Nacht hier zubringen zu dürfen.«
»So ist es gut«, erwiderte er, »ihr müßt aber auch erlauben, daß ich euch einen Teil des Vormittags allein lasse, weil die Stunde naht, in der ich zu Gustav gehen und ihm in seinem Lernen beistehen muß.«
»Tut euch nur keinen Zwang an«, entgegnete ich.
»So werde ich euch verlassen«, antwortete er, »geht indessen ein wenig in dem Garten herum, oder seht das Feld an, oder besucht das Haus.«
»Ich wünsche für den Augenblick noch eine Weile unter diesem Baume sitzen bleiben zu dürfen«, erwiderte ich.
»Tut, wie es euch gefällt«, antwortete er, »nur erinnert euch, daß ich gestern gesagt habe, daß in diesem Hause um zwölf Uhr zu Mittag gegessen wird.«
»Ich erinnere mich«, sagte ich, »und werde keine Unordnung machen.«
Eine kleine Weile nach diesen Worten stand er auf, strich sich mit seiner Hand die Tierchen und sonstigen Körperchen, die von dem Baume auf ihn herabgefallen waren, aus den Haaren, empfahl sich und ging in der Richtung gegen das Haus zu.