Adalbert Stifter
Der Nachsommer
Adalbert Stifter

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Mein Gastfreund war wirklich in demselben. Er ging in leichten Schuhen mit Sohlen, die noch weicher als Filz waren, auf dem geglätteten Pflaster auf und nieder.

Da er mich kommen sah, ging er auf mich zu und blieb vor mir stehen.

»Ich habe die Tür zu dem Marmorgange offen gesehen«, sagte ich, »man hat mir berichtet, daß ihr hier oben sein könntet, und da bin ich herauf gegangen, euch zu suchen.«

»Daran habt ihr recht getan«, erwiderte er.

»Warum habt ihr mir denn nicht gesagt«, sprach ich weiter, »daß die Bildsäule, welche auf eurer Marmortreppe steht, so schön ist?«

»Wer hat es euch denn jetzt gesagt?« fragte er.

»Ich habe es selber gesehen«, antwortete ich.

»Nun dann werdet ihr es um so sicherer wissen und mit desto größerer Festigkeit glauben«, erwiderte er, »als wenn euch jemand eine Behauptung darüber gesagt hätte.«

»Ich habe nehmlich den Glauben, daß das Bildwerk sehr schön sei«, antwortete ich, mich verbessernd.

»Ich teile mit euch den Glauben, daß das Werk von großer Bedeutung sei«, sagte er.

»Und warum habt ihr denn nie zu mir darüber gesprochen?« fragte ich.

»Weil ich dachte, daß ihr es nach einer bestimmten Zeit selber betrachten und für schön erachten werdet«, antwortete er.

»Wenn ihr mir es früher gesagt hättet, so hätte ich es früher gewußt«, erwiderte ich.

»Jemandem sagen, daß etwas schön sei«, antwortete er, »heißt nicht immer, jemandem den Besitz der Schönheit geben. Er kann in vielen Fällen bloß glauben. Gewiß aber verkümmert man dadurch demjenigen das Besitzen des Schönen, der ohnehin aus eigenem Antriebe darauf gekommen wäre. Dies setzte ich bei euch voraus, und darum wartete ich sehr gerne auf euch.«

»Aber was müßt ihr denn die Zeit her über mich gedacht haben, daß ich diese Bildsäule sehen konnte und über sie geschwiegen habe?« fragte ich.

»Ich habe gedacht, daß ihr wahrhaftig seid«, sagte er, »und ich habe euch höher geachtet als die, welche ohne Überzeugung von dem Werke reden, oder als die, welche es darum loben, weil sie hören, daß es von Andern gelobt wird.«

»Und wo habt ihr denn das herrliche Bildwerk hergenommen?« fragte ich.

»Es stammt aus dem alten Griechenlande«, antwortete er, »und seine Geschichte ist sonderbar. Es stand viele Jahre in einer Bretterbude bei Cumä in Italien. Sein unterer Teil war mit Holz verbaut, weil man den Platz, an dem es stand, und der teils offen, teils gedeckt war, zu häufigem Ballschlagen verwendete, und die Bälle nicht selten in die Bude der Gestalt flogen. Deshalb legte man von der Brust abwärts einen dachartigen Schutz an, der die Bälle geschickt herab rollen machte und über den sich die Gestalt wie eine Büste darstellte. Es waren in dem Raume, teils an den Bretterbuden, teils an Mauerstücken, aus denen er bestand, noch andere Gestalten angebracht, ein kleiner Herkules, mehrere Köpfe und ein altertümlicher Stier von etwa drei Fuß Höhe; denn der Platz wurde auch zu Tänzen benützt und war an den Stellen, die keine Wand hatten, mit Schlinggewächsen und Trauben begrenzt, an andern war er offen und blickte über Myrten, Lorbeer, Eichen auf die blauen Berge und den heiteren Himmel dieses Landes hinaus. Gedeckt waren nur Teile des Raumes, besonders dort, wo die Gestalten standen. Diese hatten Dächer über sich wie die niedlichen Täfelchen, welche italienische Mädchen auf dem Kopfe tragen. Im Übrigen war die Bedeckung das Gezelt des Himmels. Mich brachte ein günstiger Zufall nach Cumä, und zu diesem Ballplatze, auf dem sich eben junges Volk belustigte. Gegen Abend, da sie nach Hause gegangen waren, besichtigte ich das Mauerwerk, welches aus Resten alter Kunstbauten bestand, und die Gestalten, welche sämmtlich aus Gips waren, wie sie in Italien so häufig alten edlen Kunstwerken nachgebildet werden. Den Herkules kannte ich insbesondere sehr gut, nur war er hier viel kleiner gebildet. Die Büste des Mädchens – für eine solche hielt ich die Gestalt – war mir unbekannt; allein sie gefiel mir sehr. Da ich mich über die reizende Lage dieses Plätzchens aussprach, sagte die Besitzerin, eine wahrhaftige altrömische Sibylle, es werde hier in Kurzem noch viel schöner werden. Ihr Sohn, der sich durch Handel Geld erworben, werde den Platz in einen Saal mit Säulen verwandeln, es werden Tische herum stehen, und es werden vornehme Fremde kommen, sich hier zu ergötzen. Die Gestalten müssen weg, weil sie ungleich seien und weil Menschen und Tiere unter einander stehen, ihr Sohn habe schon die schönsten Gipsarbeiten bestellt, die alle gleich groß wären. Sie führte mich zu dem Mädchen und zeigte mir durch eine Spalte der Bretter, daß dasselbe in ganzer Gestalt da stehe und also die andern Dinge weit überrage. Man habe darum an dem oberen Rande der Balken, mit denen die Gestalt umbaut ist, einen hölzernen, bemalten Sockel angebracht, von dem der Oberleib wie eine Büste herab schaue. Dadurch sei die Sache wieder zu den anderen gestimmt worden. Ich fragte, wann ihr Sohn hieherkomme und wann das Umbauen beginnen würde. Da sie mir das gesagt hatte, entfernte ich mich. Zur Zeit des mir von der Alten angegebenen Beginnes des Umbaues fand ich mich auf dem Platze wieder ein. Ich traf den Sohn der Wittwe – eine solche war sie – hier an, und der Bau hatte schon begonnen. Die alten reizenden Mauerstücke waren zum Teile abgetragen, und ihre Stoffe waren geschichtet, um zu dem neuen Baue verwendet zu werden. Die Schlinggewächse und Reben waren ausgerottet, die Gesträuche vor dem Platze vernichtet, und man ebnete ihre Stelle, um dort Rosen anzulegen. Auf der Südseite baute man schon die Sockelmauern, auf welche die Säulen von Ziegeln zu stehen kommen sollten. Die Gestalt des Mädchens, von der man die Balkenverhüllung weggenommen hatte, lag in einer Hütte, welche größtenteils Baugeräte enthielt. Neben ihr lagen der Herkules, der Stier und die Köpfe, die, wie ich jetzt sah, alte Römer darstellten. Mir gefiel nun auch die früher nicht gesehene übrige Gestalt des Mädchens, die nicht wesentlich verletzt war, außerordentlich, und ich erhandelte sie, da die Dinge zum Zwecke des Verkaufes in der Bretterhütte lagen. Aber der Verkäufer sagte, er gebe von der Sammlung nichts einzeln weg, und ich mußte den Stier, den Herkules und die Köpfe mit kaufen. Der Kaufschilling war nicht geringe, da mein Gegenmann die Schönheit der Gestalt recht gut kannte und sie geltend machte; aber ich fügte mich. Ich ließ Kisten machen, um die Dinge fortzuschaffen. Den Stier, den Herkules und die Köpfe verkaufte ich in Italien um ein Geringes, die Mädchengestalt sendete ich wohlverpackt, daß der Gips nicht leide, an meinen damaligen Aufenthaltsort; ich kann euch den Namen jetzt nicht nennen, es war ein kleines Städtchen an dem Gebirge. Mir fiel schon damals auf, daß das Fahrgeld für die Gestalt sehr hoch sei und daß man sich über ihr Gewicht beklagt habe; allein ich hielt es für italienische List, um von mir, dem Fremden, etwas mehr heraus zu pressen. Als ich aber nach Deutschland zurückgekehrt war und als eines Tages die Gipsgestalt, für deren gute Verpackung und Überbringung ich durch mir wohlbekannte Versendungsvermittler gesorgt hatte, in dem Asperhofe ankam, überzeugte ich mich selber von dem ungemeinen Gewichte der Last. Da der Bretterverschlag, in welchem sich die Gestalt befand, nicht so schwer sein konnte, so entstand in mir und Eustach, der damals schon in dem Asperhofe war, der Gedanke, die Gestalt möchte etwa naß geworden sein und durch die Nässe gelitten haben. Wir ließen das Standbild in die hölzerne Hütte schaffen, welche ich teils zu seinem Empfange, teils zur Reinigung von den vielen Schmutzflecken, die es an seinem früheren Standorte erhalten hatte, vor dem Eingange in den Garten hatte aufbauen lassen. Da es dort von den Brettern und von allen seinen andern Hüllen befreit worden war, sahen wir, daß sich unsere Furcht nicht bestätigte. Die Gestalt war so trocken, wie Gips nur überhaupt zu sein vermag. Wir setzten nach und nach die Vorrichtungen in Gebrauch, durch die wir die Gestalt in die Nähe der Glaswand der Hütte auf eine drehbare Scheibe stellen konnten, um sie nach Bequemlichkeit betrachten und reinigen zu können. Da sie auf der Scheibe stand und wir uns von der Sicherheit ihres Standes überzeugt hatten, gingen wir zu ihrer Betrachtung über. Eustach war über ihre Schönheit entzückt und machte mich auf Manches aufmerksam, was mir auf dem Tanz- und Ballplatze bei Cumä und später in der Bauhütte entgangen war. Freilich stand die Gestalt jetzt viel vorteilhafter, da durch die reinen Scheiben der Glaswand das klare Licht auf sie fiel und alle Schwingungen und Schwellungen der Gestaltung deutlich machte. Da wir die Überzeugung gewonnen hatten, daß ein edles Werk in das Haus gekommen sei, beschlossen wir, sofort zu dessen Reinigung zu schreiten. Wir nahmen uns vor, dort, wo der Schmutz nur locker auf der Oberfläche liege und dem reinen Wasser und dem Pinsel weiche, auch nur Wasser und den Pinsel anzuwenden. Leichtes Übertünchen und sanftes Glätten würde die letzte Nachhülfe geben. Für tiefer gehende Verunreinigung wurde die Anwendung des Messers und der Feile beschlossen; nur sollte die äußerste Vorsicht beobachtet und lieber eine kleine Verunreinigung gelassen werden, als daß eine sichtbare Umgestaltung des Stoffes vorgenommen würde. Eustach machte in meiner Gegenwart Versuche, und ich billigte sein Verfahren. Es wurde nun sogleich ans Werk geschritten und die Arbeit in der nächsten Zeit fortgesetzt. Eines Tages kam Eustach zu mir herauf und sagte, er müsse mich auf einen sonderbaren Umstand aufmerksam machen. Er sei auf dem Schulterblatte mit dem feinen Messer auf einen Stoff gestoßen, der nicht das Taube des Gipses habe, sondern das Messer gleiten mache und etwas wie die Ahnung eines Klanges merken lasse. Wenn die Sache nicht so unwahrscheinlich wäre, würde er sagen, daß der Stoff Marmor sei. Ich ging mit ihm in die Bretterhütte hinab. Er zeigte mir die Stelle. Es war ein Platz, mit dem die Gestalt häufig, wenn sie gelegt wurde, auf den Boden kam und der daher durch diesen Umstand und zum Teile durch Versendungen, denen die Gestalt ausgesetzt gewesen sein mochte, mehr abgenützt war als andere. Ich ließ das Messer auf dieser Stelle gleiten, ich ließ es an ihr erklingen, und auch ich hatte das Gefühl, daß es Marmor sei, was ich eben behandle. Weil der Platz, an dem die Versuche gemacht wurden, doch zu augenfällig war, um weiter gehen zu können und ihn etwa zu verunstalten, so beschlossen wir an einem unscheinbareren einen neuen Versuch zu machen. In der Ferse des linken Fußes fehlte ein kleines Stückchen, dort mußte jedenfalls Gips eingesetzt werden, dort beschlossen wir zu forschen. Wir drehten die Gestalt mit ihrer Scheibe in eine Lage, in welcher das helle Licht auf die Lücke an der Ferse fiel. Es zeigte sich, daß neben der kleinen Vertiefung noch ein Stückchen Gips ledig sei und bei der leisesten Berührung herab fallen müsse. Wir setzten das Messer an, das Stück sprang weg, und es zeigte sich auf dem Grunde, der bloß wurde, ein Stoff, der nicht Gips war. Das Auge sagte, es sei Marmor. Ich holte ein Vergrößerungsglas, wir leiteten durch Spiegel ein schimmerndes Licht auf die Stelle, ich schaute durch das Glas auf sie, und mir funkelten die feinen Kristalle des weißen Marmors entgegen. Eustach sah ebenfalls durch die Linse, wir versuchten an dem Platze noch andere Mittel, und es stellte sich fest, daß die untersuchte Fläche Marmor sei. Nun begannen wir, um das Unglaubliche völlig zu beweisen oder unsere Meinung zu widerlegen, auch an andern Stellen Untersuchungen. Wir fingen an Stellen an, welche ohnehin ein wenig schadhaft waren und gingen nach und nach zu anderen über. Wir beobachteten zuletzt gar nicht mehr so genau die Vorsichten, die wir uns am Anfange auferlegt hatten, und kamen zu dem Ergebnisse, daß an zahlreichen Stellen unter dem Gipse der Gestalt weißer Marmor sei. Der Schluß war nun erklärlich, daß an allen Stellen, auch den nicht untersuchten, der Gips über Marmor liege. Das große Gewicht der Gestalt war nicht der letzte Grund unserer Vermutung. Durch welchen Zufall oder durch welch seltsames Beginnen die Marmorgestalt mit Gips könne überzogen worden sein, war uns unerklärlich. Am wahrscheinlichsten däuchte uns, daß es einmal irgend ein Besitzer getan habe, damit ein fremder Feind, der etwa seine Wohnstadt und ihre Kunstwerke bedrohte, die Gestalt, als aus wertlosem Stoffe bestehend, nicht mit sich fort nehme. Weil nun doch der Feind die Gestalt genommen habe oder weil ein anderer hindernder Umstand eingetreten sei, habe die Decke nicht mehr weggenommen werden können, und der edle Kern habe undenkbar lange Jahre in der schlechten Hülle stecken müssen. Wir fingen nun auf dem Wirbel des Hauptes an, den Gips nach und nach zu beseitigen. Teils, und zwar im Roheren, geschah es mit dem Messer, teils, und zwar gegen das Ende, wurden Pinsel und das auflösende Mittel des Wassers angewendet. Wir rückten so von dem Haupte über die Gestalt hinunter, und alles und jedes war Marmor. Durch den Gips war der Marmor vor den Unbilden folgender Zeiten geschützt worden, daß er nicht das trübe Wasser der Erde oder sonstige Unreinigkeiten einsaugen mußte, und er war reiner als ich je Marmor aus der alten Zeit gesehen habe, ja er war so weiß, als sei die Gestalt vor nicht gar langer Zeit erst gemacht worden. Da aller Gips beseitigt war, wurde die Oberfläche, welche doch durch die feinsten zurückgebliebenen Teile des Überzuges rauh war, durch weiche, wollene Tücher so lange geglättet, bis sich der glänzende Marmor zeigte und durch Licht und Schatten die feinste und zartest empfundene Schwingung sichtbar wurde. Jetzt war die Gestalt erst noch viel schöner als sie sich in Gips dargestellt hatte, und Eustach und ich waren von Bewunderung ergriffen. Daß sie nicht aus neuer Zeit stamme, sondern dem alten Volke der Griechen angehöre, erkannten wir bald. Ich hatte so viele und darunter die als die schönsten gepriesenen Bildwerke der alten Heidenzeit gesehen und vermochte daher zwischen ihren und den Arbeiten des Mittelalters oder der neuen Zeit zu vergleichen. Ich hatte alle Abbildungen, welche von den Bildwerken der alten Zeit zu bekommen waren, in den Asperhof gebracht, so daß ich neuerdings Vergleichungen anstellen konnte, und daß auch Eustach, welcher nicht so viel in Wirklichkeit gesehen hatte, ein Urteil zu gewinnen vermochte. Nur nach sehr langen und sehr genauen Untersuchungen gaben wir uns mit Festigkeit dem Gedanken hin, daß das Standbild aus der alten Griechenzeit herrühre. Wir lernten bei diesen Untersuchungen, zu deren größerer Sicherstellung wir sogar Reisen unternahmen, die Merkmale der alten und neuen Bildwerke so weit kennen, daß wir die Überzeugung gewannen, die besten Werke beider Zeiten gleich bei der ersten Betrachtung von einander unterscheiden zu können. Das Schlechte ist freilich schwerer in Hinsicht seiner Zeit zu ermitteln. Merkwürdig ist es, daß völlig Wertloses aus der alten Zeit gar nicht auf uns gekommen ist. Entweder ist es nicht entstanden oder eine kunstbegeisterte Zeit hat es sogleich beseitigt. Wir haben in jener Untersuchungszeit viel über alte Kunst gelernt. Von wem und aus welchem Zeitabschnitte aber unser Standbild herrühre, konnten wir nicht ermitteln. Das war jedoch gewiß, daß es nicht der strengen Zeit angehöre und von der späteren, weicheren stamme. Ehe ich aber das Bild aus der Hütte, in welcher es stand, entfernte, ja ehe ich an den Platz dachte, auf welchen ich es stellen wollte, mußte etwas anderes geschehen. Ich reiste nach Italien und suchte bei Cumä den Verkäufer meines Standbildes auf. Er war mit den Umänderungen seines Platzes beinahe fertig. Dieser war jetzt eine Halle neuer Art, in welcher einige Menschen süßen roten Wein tranken, in welcher neue Gipsbilder standen, um welche grüner Rasen war und aus welcher man eine schöne Aussicht hatte. Ich erzählte ihm von der Entdeckung, welche ich gemacht hatte und sagte, er möge nun nach derselben den Preis des Bildes bestimmen. Er könnte es zu diesem Zwecke selber in Deutschland besehen oder es besehen lassen. Er fand Beides nicht für nötig, sondern forderte sogleich eine ansehnliche Summe, die den Wert eines solchen Gegenstandes, deren Preise in den verschiedenen Zeiten sehr wechseln, darstellen mochte. Ich war damals schon in den Besitz meiner größeren Habe gekommen, die mir durch eine Erbschaft zugefallen war, und zeigte mich bereit, die Summe zu erlegen, nur möchte ich mich über das Herkommen des Standbildes noch näher unterrichten und mir die Gewißheit über das Recht verschaffen, das mein Vormann bei so veränderter Sachlage über das Bild habe. Meine Forschungen führten zu nichts weiter, als daß das Bild seit vielen Menschenaltern schon in dem Besitze der Familie sei, von welcher ich es habe, daß einmal Überreste eines alten Gebäudes hier gewesen wären, daß man das Gebäude nach und nach abgebrochen habe, daß man aus Wasserbecken, niederen Säulengittern und andern Dingen von weißem Steine Kalk gebrannt, und daß man aus den Resten des Gebäudes und mit dem Kalke Häuser in den Umgebungen gebaut habe. Es seien mehrere Standbilder bei den Trümmern gewesen und seien verkauft worden. Für das weiße Mädchen mit dem Stabe in der Hand habe man einmal einen Mantel aus Holz gemacht, darüber ist ein Streit in Hinsicht der Zahlung entstanden, und die Schrift, welche den Großvater des jetzigen Besitzers zur Zahlung verurteilte, ist mir in dem Amte zur Einsicht und beglaubigten Abschrift gewiesen worden. Nachdem ich mir noch einen Kaufvertrag über das Marmorbild von einem Notar hatte verfassen lassen und mich mit einer gefertigten Abschrift versehen hatte, erlegte ich die geforderte Summe und reiste wieder nach Hause. Hier wurde beraten, wohin das nun mit allem Rechte mein genannte Standbild kommen sollte. Es war nicht schwer, die Stelle auszufinden. Ich hatte auf der Marmortreppe schon einen Absatz errichtet, der einerseits die Treppe unterbrechen und ihr dadurch Zierlichkeit verleihen und andrerseits dazu dienen sollte, daß einmal ein Standbild auf ihm stehe und der Treppe den größten Schmuck verleihe. Nachdem wir uns durch Messungen überzeugt hatten, daß die Gestalt für den Platz nicht zu hoch sei, wurde der kleine Sockel verfertigt, auf dem sie jetzt steht, es wurde eine Vorrichtung gebaut, sie auf den Platz zu bringen, und sie wurde auf ihn gebracht. Wir standen nun oft vor der Gestalt und betrachteten sie. Die Wirkung wurde statt schwächer immer größer und nachhaltiger, und unter allen Kunstgegenständen, die ich habe, ist mir dieser der liebste. Das ist der hohe Wert der Kunstdenkmale der alten, heitern Griechenwelt, nicht bloß der Denkmale der bildenden Kunst, die wir noch haben, sondern auch der der Dichtung, daß sie in ihrer Einfachheit und Reinheit das Gemüt erfüllen und es, wenn die Lebensjahre des Menschen nach und nach fließen, nicht verlassen, sondern es mit Ruhe und Größe noch mehr erweitern und mit Unscheinbarkeit und Gesetzmäßigkeit zu immer größerer Bewunderung hinreißen. Dagegen ist in der Neuzeit oft ein unruhiges Ringen nach Wirkung, das die Seele nicht gefangen nimmt, sondern als ein Unwahres von sich stößt. Es sind manche Männer gekommen, das Standbild zu betrachten, manche Freunde und Kenner der alten Kunst, und der Erfolg ist fast immer derselbe gewesen, ein Ernst der Anerkennung und der Würdigung. Wir, Eustach und ich, sind in den Dingen der alten Kunst sehr hiedurch vorgeschritten, und beide sind wir von der alten Kunst erst recht zur Erkenntnis der mittelalterlichen gekommen. Wenn wir die unnachahmliche Reinheit, Klarheit, Mannigfaltigkeit und Durchbildung der alten Gestaltungen betrachtet hatten und zu denen des Mittelalters gingen, bei welchen große Fehler in diesen Beziehungen walten, so sahen wir hier ein Inneres, ein Gemüt voll Ungeziertheit, voll Glauben und voll Innigkeit, das uns fast im Stammeln so rührt wie uns jenes dort im vollendeten Ausdrucke erhebt. Über die Zeit der Entstehung unseres Standbildes können wir auch jetzt noch nichts Festes behaupten, auch nicht, ob es mit anderen aus dem Volke von Standbildern, das in Hellas stand, nach Rom gekommen ist, oder ob es unter den Römern von einem Griechen gefertigt worden ist, wie man es in jener Römerzeit, da griechische Kunst mit nicht hinlänglichem Verständnisse über Italien ausgebreitet wurde, in den Sitz eines Römers gebracht hat und wie es auf ein ganz anderes, entferntes Geschlecht übergegangen ist.«

Er schwieg nach diesen Worten, und ich sah den Mann an. Wir waren, während er sprach, in dem Saale auf und nieder gegangen. Ich begriff, warum er diesen Saal bei Abendgewittern aufsucht. Durch die hellen Fenster schaut der ganze südliche Himmel herein, und auch Teile des westlichen und des östlichen sind zu erblicken. Die ganze Kette der hiesigen Alpen kann am Rande des Gesichtskreises gesehen werden. Wenn nun ein Gewitter in jenem Raume entsteht – und am schönsten sind Gewitterwände oder Gewitterberge, wenn sie sich über fernhinziehende Gebirge lagern oder längs des Kammes derselben dahin gehen -, so kann er dasselbe frei betrachten, und es breitet sich vor ihm aus. Zu dem Ernste der Wolkenwände gesellt sich der Ernst der Wände von Marmor, und daß in dem Saale gar keine Geräte sind, vermehrt noch die Einsamkeit und Größe. Wenn nun vollends schon eine schwache Abenddämmerung eingetreten ist, so zeigt die Oberfläche des Marmors den Widerschein der Blitze, und während wir so auf und nieder gingen, war einige Male der reine, kalte Marmor wie in eine Glut getaucht, und nur die hölzernen Türen standen dunkel in dem Feuer oder zeigten ihre düstere Fügung.


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