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Man war inmitten der winterlichen Hochsaison.
Um diese Zeit, in den Monaten Januar und Februar, pflegte Frau Seliger Donnerstags alle vierzehn Tage ihre Empfangsabende abzuhalten. Kurz nach acht Uhr stellten sich die Gäste ein.
Frau Seligers einstiger Bühnenlaufbahn entsprechend, setzten sich diese zum größten Teile aus den Vertretern der literarischen und künstlerischen Kreise der Stadt, der Presse und aus Theaterenthusiasten zusammen. Aber auch gegenwärtige und längst vergangene Größen der Finanz- und Handelswelt ließen sich hie und da blicken, Leute in Amt und Würden, Träger altadeliger Namen, von Zeit zu Zeit »sogar« Offiziere in blendenden Uniformen tauchten in ihren Salons auf.
Denn Frau Seligers Empfangsabende genossen mit Recht in der ganzen Stadt eine gewisse Berühmtheit. Küche und Keller des Börsenkönigs, die an solchen Abenden seiner Frau und deren Gästen zur Verfügung standen, waren exquisit, die chronique scandaleuse aller derer, die in der Gesellschaft mitzureden hatten, wurde hier eingehend besprochen, Leute, auf deren Meinung man etwas gab, oder auch solche, die der Öffentlichkeit noch eine schöne Hoffnung waren, gaben hier über Werke der Kunst und Literatur ihr treffsicheres Urteil ab, berühmte Künstler und Künstlerinnen ließen sich herbei, ein Lied zu singen oder eine Pièce auf dem Flügel vorzutragen, und endlich winkte den Intimen in dem Spiegelzimmer der Villa ein solides Spielchen, bei dem die Einsätze in mancher Nacht die dreiziffrigen Zahlen überschritten.
An solchen Abenden erstrahlte das Erdgeschoß der Villa Seliger in märchenhaftem Glanze. Vor den hohen Portalen des Parkes brannten die zehn Flammen in den beiden großen Gaskandelabern und warfen ihren weißen Schein weit hinaus auf die stille Villenstraße und tief hinein in den winterlichen Park, dessen Bäume und Sträucher ihre dürren Äste wie sehnsüchtig nach all dem Glanze, dem Lichte und dem Leben streckten.
In dem eleganten Speisesaale, an dessen Längswand ein echter Makart für sechzigtausend Mark hing, gab es an kleinen Tischen kaltes Büfett. Die edelsten Weine aus dem Keller des Kenners Seliger flossen an solchen Abenden in Strömen, die speziell für ihn auf Kuba hergestellten Importen wurden in Originalkisten herumgereicht. Der erfahrene Feinschmecker war sicher, die Primeurs und Finessen der Saison hier vereinigt zu finden. Die größten Langusten von der französischen Küste, englische Austern von Whitestable, Hummern aus Helgoland, Kaviar von Astrachan, der kaum ein Körnchen Salz empfangen hatte, Poularden aus Bresse, Calville-Äpfel und Duchessebirnen, die gab es hier. Dazu alte Marken aus Seligers Keller, die ihre zwanzig Jahre gelagert hatten, einen Sherry pale, dessen Restbestand der Börsenkönig in Madrid hatte kaufen lassen, einen Lafitte und einen Larose, wie sie außer ihm nur noch die Rothschilds selber tranken, einen Johannisberger aus dem Privatbesitz des Fürsten Metternich. und einen Trabener von der hohen Domkirche in Trier.
Und endlich knallten die Pfropfen der dickbäuchigen Flaschen mit den silbernen und goldenen Hälsen und schenkten je nach dem Geschmack der einzelnen Gäste die edelsten Produkte aus Epernay und Rheims in die schlanken Kelche.
An solchen Abenden schwamm Frau Seliger in einem Meer von Wonne. Wenn sie so ihre Getreuen um sich sah, dann war sie Herrin des Hauses, Beherrscherin der Situation. Denn Seliger selber kümmerte sich um diese Feste nicht.
Er wußte es einzurichten, daß er an diesen Donnerstagen regelmäßig etwas anderes vorhatte. Bald ging er in seinen Klub, wo er notwendig einen auswärtigen Geschäftsfreund, der nur für diesen einen Abend in der Stadt weilte, sprechen mußte, bald fand eine Nachtsitzung in der Kommerzbank oder eine Abendbesprechung mit einigen Aufsichtsräten statt. Kurz, er hatte immer eine Ausrede.
Am Anfang war es aus diesem Grunde häufig zu Auseinandersetzungen zwischen ihm und seiner Frau gekommen. Aber bald gab Frau Seliger jeden Versuch auf, ihren Gemahl zur Teilnahme an ihren Empfangsabenden zu überreden, und endlich gefiel sie sich darin, allein den guten Genius des gastlichen Hauses zu spielen und sich von gefälligen Freunden und Freundinnen als die von dem Gatten vernachlässigte Frau bedauern zu lassen.
Als Graf Eberhard von Waldburg-Immenhausen, der schönste Offizier der Garnison, wie ihn der weibliche Teil der Gesellschaft schwärmerisch und voll Überzeugung nannte, vor etwa vierzehn Tagen die alljährlich übliche Einladung zu den Empfangsabenden in der Villa Seliger erhalten, hatte er die goldumränderte Karte scheinbar gleichgültig in den Papierkorb gleiten lassen.
Wie kam diese Frau Seliger denn dazu, ihn immerfort mit ihren Einladungen zu behelligen? Niemals hatte er in der Villa einen Besuch gemacht, er gehörte doch ganz anderen Kreisen an. Fünf Jahre stand er nun hier als Rittmeister bei den Leibulanen, und richtig, in jedem Jahre erinnerte er sich deutlich, so etwa acht Tage vor Weihnachten war immer diese Einladung in die Villa Seliger in seine Hände gelangt.
Seliger! Wie das klang! Das klang gar nicht mehr, das roch ordentlich. Er erinnerte sich, daß er beim ersten Male diese Karte tatsächlich an die Nase geführt hatte.
Kam er doch damals aus dem fernen Osten, aus Lissa in Posen, in dessen Nähe auch ein Gut seiner Familie lag, aus einer Gegend, wo man bei einem Namen wie Seliger gleich an Knoblauch, ungelüftete Zimmer und alte Kleider dachte.
Aber dann hatte er, der in der Börsenwelt damals noch ganz Unerfahrene, sich doch im Kreise seiner Kameraden so hinten herum vorsichtig nach diesem Seliger erkundigt. Und da hatte er Wunderdinge zu hören bekommen. Nicht nur über die Empfangsabende in der Villa, deren Sekt und Delikatessen ihn nicht zu reizen vermochten. Aber Wunderdinge über die Millionen, die dieser Seliger in seinem arbeitsreichen Leben umgesetzt haben sollte. Von Fabriken, die dieser Mann begründet, ganzen Vierteln, die er gebaut, Straßenbahnen, Wasserleitungen, Beleuchtungsanlagen von Städten und ganzen Distrikten, die er finanziert und ins Leben gerufen haben sollte.
Da war er neugierig geworden. Aber standhaft war er geblieben, standhaft wie der Mann von Charakter, der, die Hunderte in der Tasche, an den Spielbänken des Lebens stolz und kühlen Blutes vorüberschreiten kann.
So war es geblieben bis zum vorigen Sommer, da ihn der tückische Zufall des Lebens plötzlich dem Hause Seliger nähergebracht hatte. Er hatte seinen Sommerurlaub genommen und war nach St. Moritz gefahren, von wo er einige Hochtouren in das Oberengadin und auf dessen Gipfel unternehmen wollte.
Und dort in dem großen eleganten Hotel war sie ihm zum ersten Male aufgefallen. Dort war sie ihm nähergetreten, das erste Weib, von dem er sich sagen mußte: »Donnerwetter, Eberhard, das ist Rasse!«
In dem glänzenden Speisesaal hatte er eines Abends allein an seinem Tischchen das reichhaltige Diner eingenommen und eine Flasche Heidsieck dazu getrunken. Am Nebentisch saßen eine wohlbeleibte Blondine in den vierziger Jahren und ein Backfischchen von etwa sechzehn oder siebzehn, die er beide keines Blickes gewürdigt hatte.
Und da, als der Kellner gerade die Lachsforellen servierte – er hatte das Monokel aus dem Auge fallen lassen, um deutlicher sehen zu können – da hatte sich in dem manchen Rassen eigentümlichen wiegenden Gange eine junge Dame von etwa zwanzig Jahren dem Tische genähert, an dem die beiden, offenbar Mutter und Tochter, speisten.
Sie fiel auf in dem Saale, denn einige Herren blickten empor von ihrem Teller, und die Damen tuschelten miteinander.
Und der erste Blick aus seinen Augen hatte damals den ganzen Liebreiz dieser ebenmäßigen Gestalt erkannt. Wie eine Elfe war sie in dem eng anschmiegenden Kleide aus mauvefarbener Seide durch den Saal gehuscht. Das blasse Gesichtchen mit den großen schwarzen Augen, umrahmt von einer Fülle dunkelbrauner Locken und freundlich zum Gruße geneigt, einen Strauß dunkelblauer Enzianen in der schlanken weißen Hand.
Wie oft während des langen Diners war sein Blick hinübergeglitten zu dem reizenden Mädchen, von dem er nicht recht wußte, ob er es für eine Spanierin oder Südfranzösin, für eine Südamerikanerin oder eine Italienerin halten sollte, bis er endlich im Salon des Hotels Gelegenheit gefunden, den Damen durch Aufheben des den Händen der Mutter entfallenen Fächers einen Dienst zu erweisen, und es sich herausgestellt hatte, daß er Frau und Töchter des in seiner Garnisonstadt so berühmten Seliger vor sich habe.
Frau Seliger war damals wie immer sehr bequem gewesen, und Edith im Vergleich zu ihm noch ein halbes Kind.
Da war es denn wie selbstverständlich so gekommen, daß sich Etelka, die ihn schon in der Heimat, aber immer nur von weitem, bewundert, an ihn angeschlossen hatte, und die Matten und Almen in der Umgebung von St. Moritz hätten ein Stücklein erzählen können von zwei verliebten Menschenkindern, die dort oben an schönen Sommertagen Enzian und Alpenrosen zum Strauße gebunden und sich nie ein Wörtlein von ihrer Liebe gestanden hatten. Denn Graf Eberhard von Waidburg-Immenhausen, der Majoratsherr eines bürtigen Geschlechtes und Rittmeister in einem der feudalsten preußischen Regimenter war, wußte sich der schönen Millionärin gegenüber die nötige Reserve aufzuerlegen. Zu einer Erklärung war es nicht gekommen, durfte, sollte es niemals kommen.
Die Sommertage in St. Moritz waren ein kurzer und schöner Traum gewesen, und in der Stadt stand der Graf dem Töchterlein des jüdischen Bankiers wieder so fern wie die Sonne der Erde.
Und dennoch, als er vor etwa vierzehn Tagen das goldumränderte Einladungsbillett in seiner Hand gehalten und es resigniert in den Papierkorb geworfen hatte, da waren sie in seiner Erinnerung wieder aufgestiegen, die goldenen Sonnentage aus dem vergangenen Sommer, da er an Etelkas Seite, den Piz Bernina vor Augen, emporgestiegen war in die reine Luft der reinen Höhen dort oben, hinauf zu den jungfräulichen Bergen, auf denen es keine Rassenunterschiede und keine Standesvorurteile gab.
Da hatte es wieder in seinen Ohren geklungen, das schalkhafte, das heitere, das goldene Lachen der schönen Jüdin, die gar nicht aussah wie eine Jüdin und doch wieder wie eine, in deren Körper und Gesicht sich all die Vorzüge der abend- und morgenländischen Rassen zu einem seltsam reizvollen Zusammenklang vereinigt zu haben schienen.
Da hatte er den Zauber ihrer Stimme, das Blitzen ihrer klugen Augen im Geiste wieder empfunden, da hatte er wieder gesehen, wie der reine Morgenwind der Höhen ihr kastanienfarbenes Haar in krausen Löckchen vom Kopfe trieb, und da – hatte er das Datum des ersten Empfangsabends bei Frau Seliger notiert, nachdem er die weggeworfene Karte aus dem Papierkorb wieder herausgesucht hatte.
Und nach langem, inneren Kampfe hatte er sich heute dazu entschlossen, die Villa des berühmten Börsenkönigs in der neunten Abendstunde aufzusuchen.
Freilich, wenn er sich ernstlich fragte, so ganz selbstlos, so völlig ideal waren die Motive, die ihn dorthin trieben, nicht mehr.
In der reinen Höhenluft der Berge von St. Moritz hätten sie schwerlich bestehen können. Dort wären sie weggehaucht worden von dem Winde der Firnen, der alles Niedrige und Gemeine in seinem Bereiche nicht aufkommen läßt.
Die Verhältnisse auf Waidburg-Immenhausen hatten sich verschlechtert. Der Verwalter war der Bewirtschaftung der beiden Güter nicht mehr gewachsen und verlangte eine Teilung der Direktion. Die Hoffnungen, die der Graf auf sein drittes im Posenschen gelegenes Gut gesetzt hatte, waren durch die Überschwemmungen des letzten Frühjahrs und die auf diese folgende Mißernte vernichtet worden. Er mußte mit Verlust verkaufen, oder neue Gelder aufnehmen, oder aber – ja oder – da lagen die Motive, von denen er sich sagen mußte, daß sie vor dem strengen Forum seines edelmännischen Gewissens nicht stand zu halten vermochten. Und trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb ging er hin.
Als die einfache Droschke mit dem Grafen die hell erleuchteten Portale der Villa Seliger erreicht hatte – es war wenige Minuten nach halb zehn Uhr – ging es in den Gesellschaftsräumen des stadtbekannten gastlichen Hauses schon hoch her. Es war der erste, von den Intimen schon längst mit Sehnsucht erwartete Abend der Saison, und Frau Seligers Freunde hatten sich rechtzeitig und vollzählig eingefunden.
Die dicke Herrin des Hauses trug ein schwarzes, tiefausgeschnittenes Kleid aus gemustertem Atlas, das überreich mit echten venezianischen Spitzen verziert war. Prinz Trachenstein pflegte zu behaupten, daß ihr diese Kleider am vorteilhaftesten stünden, weil Schwarz die Fülle des Körpers in diskreter Weise mindere, und das Dekolleté auf dem schwarzen Grunde bei Frau Seligers schwanenweißer Haut trefflich in die Erscheinung trete.
Gewohnt, auf den Rat ihres ergebensten Freundes zu hören, hatte sich die Dame des Hauses auch heute an diesen Ausspruch des Prinzen erinnert und die schwarze, durch reichen Perlen- und Diamantschmuck gehobene Toilette gewählt.
Sie sah imponierend aus, das mußte man ihr lassen. Trug sie doch auch um den immer noch schönen, blendend weißen Hals das berühmte Kollier, das ihr Seliger einst nach Gelingen einer großen Spekulation für einhundertundzwanzigtausend Mark gekauft hatte, das aus zehn Reihen gleichgroßer Perlen bestand und von einem aus Solitairs gebildeten Schlosse zusammengehalten wurde. Das auch von Kennern rückhaltlos bewunderte Stück stammte von einem Pariser Juwelier, der es für viele tausend Franken aus dem Nachlasse einer Tänzerin der Großen Oper, die einst zu Gambetta in Beziehungen gestanden haben sollte, erobert zu haben vorgab.
Die Tatsache, daß die einstige Besitzerin dieses Schmuckes Tänzerin an der Großen Oper gewesen sein sollte, machte Frau Seliger dieses Stück besonders wertvoll.
Unter der strahlenden Kristallkrone des blauen Empfangssalons, in dem sie an der Seite der noch dickeren Frau von Giloty saß, glänzten und funkelten die kostbaren Steine wie herrliche Sonnen auf ihrer sammetweichen Haut.
Eine Gruppe jüngerer Damen und Herren war um die Hausfrau und deren Freundin versammelt und erging sich gerade in den von Frau Seliger so gerne gehörten Lobpreisungen dieser herrlichen Abende, an denen sich noch niemals ein Mensch gelangweilt habe.
Edith und Etelka waren hier nicht zu sehen, aber Leo, Mamas Liebling, stand im tadellosen Smoking, eine Gardenia im Knopfloch, dicht neben seiner kleinen Feretti, inmitten der Gruppe und hörte interessiert den Ausführungen der kleinen Italienerin zu.
Diese behauptete, daß der am städtischen Opernhause angestellte Ballettmeister Maderno keine Ahnung von einem richtigen pas de deux habe, und daß es seine Schuld sei, wenn sie bei dem Solotanze in der letzten Weihnachtsnovität »Das Mädchen aus dem Zauberlande« von Seiten der Presse schlecht behandelt worden sei.
Die kleine Feretti, die ein kaum verständliches Deutsch und ein schlechtes Französisch skrupellos durcheinanderwarf und sich so in diesem Kreise, der ihre italienische Muttersprache nicht verstand, zu helfen versuchte, sagte:
»Es is ein vrai crétin, das Maderno.«
Alle lachten.
»Der Maderno, willst du sagen, Herzchen,« verbesserte Leo.
»Eh bien, der Maderno – quand je fais comme ça –« sie hob das Kleid und ließ die raschelnden Unterröcke und die reizenden, durchbrochenen, seidenen Strümpfe zu Leos Stolze und zur Freude aller anwesenden Herren sehen – »dann il faut anders. Man muß aber faire comme ça –«
Frau Seliger war ganz Auge und Ohr. Sie erhob sich von ihrem Sessel, und ohne auf Frau von Gilotys vorwurfsvolle Blicke zu achten, erklärte sie:
»Aber, meine liebe Feretti, den pas de deux haben wir seinerzeit am Hoftheater auch anders getanzt. Das machten wir comme ça – und dann comme ça – bitte Platz, meine Herren – comme ça et comme ça –«
»Charmant, Mamachen,« rief Leo, »ganz charmant, wie du das heute noch fertig bringst!«
Frau von Giloty machte ein indigniertes Gesicht. Das ging doch nicht gut, daß Frau Seliger hier in ihrem Salon vor den Augen der jungen Herren – –
Auch diese selber schien das Taktlose ihrer Tanzübung einzusehen, denn sie sagte:
»Ich wollte Ihnen nur andeuten, liebste Feretti, wie wir das damals vor zwanzig Jahren gemacht haben. Ja, ja, vor zwanzig Jahren, da gibt es nichts zu bemänteln, man ist eben eine alte Frau, aber sonst haben Sie vollkommen recht. Der Maderno ist ein Kretin.«
Eine allgemeine Bewegung ging durch den Saal. Leo, der an diesen Abenden als maître de plaisir fungierte, klatschte in die Hände und kündigte an: »Frau Bürger von der Oper wird die Güte haben, ein Lied von Hugo Wolf vorzutragen, und unsere junge talentvolle Konservatoristin Fräulein Blum wird sie auf dem Flügel begleiten.«
Mächtig rauschte Frau Bürgers gewaltige Altstimme von dem Musikzimmer her durch die Räume.
Brausender Beifall tönte von allen Seiten. Die Stimmung war eine so begeisterte, die sich Frau Bürger zuwendende Aufmerksamkeit eine so große, daß man für einen Moment die hohe Gestalt des glänzenden Ulanenoffiziers übersah, der, von einem Diener geleitet, dem blauen Salon zuschritt, um die Dame des Hauses zu begrüßen.
Nur dem Blicke Leos war Graf von Waldburg-Immenhausen nicht entgangen, und von ferne aus dem hintersten Winkel des sogenannten Palmenzimmers hatten ihn zwei Mädchenaugen erspäht.
Wie der Märchenprinz vor dem Throne einer Königin stand jetzt der Graf vor Frau Seliger, und diese reichte ihm wie eine Königin die Hand zum Kusse.
»Mein lieber Graf,« sagte sie in vertraulichem, ein wenig wohlwollendem Tone, »wie heißt es doch, das berühmte Zitat – – Nu, einerlei! Schön, daß Sie da sind. Daß Sie die herrlichen Tage von St. Moritz nicht vergessen haben. Sie erlauben doch: Meine Freundin Freifrau von Giloty, der Herr Graf Eberhard von Waidburg-Immenhausen, Rittmeister bei den Leibulanen, Signora Rosa Feretti von der Oper, mein Sohn Leo.«
Der Graf verneigte sich, während seine Augen suchend durch den Raum glitten, in dessen Tür eben in der Tat die schlanke Erscheinung Etelkas auftauchte. Noch schöner, noch gereifter, noch herrlicher erschien sie ihm heute, als damals in dem glänzenden Speisesaale des großen Hotels, wie sie so einen Moment dastand auf der Schwelle des Zimmers, zögernd, die Augen weit geöffnet, als fürchte sie nur die Erscheinung ihrer eigenen Phantasie und nicht einen leibhaftigen Menschen vor sich zu haben. In dem kirschfarbenen Kleide aus glattem Atlas, das, mit Silberfäden wundervoll durchzogen, bei jeder Bewegung des schlanken Mädchenkörpers in all dem Lichte strahlte und funkelte, ein Diadem von Rubinen und Diamanten in dem kastanienbraunen, krausen Haar.
Eine leise Bewegung zitterte durch die Stimme des Grafen, als er nun sagte:
»Gnädiges Fräulein, Ihr dankbarer Ritter von den Matten und Höhen um St. Moritz möchte die Wintersaison in dem Hause Ihrer Herren Eltern nicht beginnen lassen, ohne Ihnen seine Huldigung zu Füßen gelegt zu haben.«
Sie trat dicht an ihn heran und flüsterte:
»Fast hatte ich schon die Hoffnung aufgegeben, daß Sie uns diesen Winter beehren würden, Herr Graf.«
Aus dem Musiksaal tönten die Weisen eines Straußschen Walzers.
Da reichte er ihr galant den Arm. Wie sie zu seiner hohen Gestalt paßt! dachte Frau Seliger, als das schöne Paar sich dem hellerleuchteten Salon zuwandte und in dem Schwarm der sich dort tummelnden jungen Leute verschwand.
»Das wäre eine Partie,« sagte die wohlbeleibte Frau von Giloty zu der dicken Frau Hilde, als sich das stattliche Paar ihren Blicken entzogen hatte.
Ein glückliches Lächeln flog um die Lippen der Hausfrau. Sie nickte lebhaft, so daß das Doppelkinn die von dem kostbaren Perlenkollier auf ihren schneeweißen Busen herabhängende Agraffe für einen Moment den Blicken der umstehenden Bewunderer entzog.
In dem sogenannten Muschelsälchen wurde flott getanzt.
Der stattliche Ulanenoffizier und seine reizende Dame, des Hauses älteste Tochter, erregten die allgemeine Aufmerksamkeit.
Auch Leo drehte sich hier, im Arme die zierliche Feretti, und Davidchen Mandelbaum schwebte, den Arm um Ediths Hüften geschlungen, in einem Meer von Wonne.
Bis gegen Mitternacht spielte die Musik, dann begann es in den festlichen Räumen der Villa Seliger allmählich leerer zu werden. Nach zwölf Uhr pflegten die alle vierzehn Tage stattfindenden Gesellschaftsabende gewöhnlich zu Ende zu sein.
Freifrau von Giloty hatte sich von Frau Seliger verabschiedet, auch Graf Waldburg-Immenhausen war gegangen, Etelka in der seligen Hoffnung, daß dieser sein erster Besuch in der Villa Seliger nicht sein letzter sein werde, zurücklassend.
Langsam verlief sich der Schwarm der Gäste, und der Moment war da, wo sich die Intimen des Hauses Seliger im Spiegelzimmer bei einem Glase Pilsener zusammenfanden.
Am grünen Tisch saß da Seine Hoheit Prinz Egon Trachenstein, den man seit Wochen nicht mehr in der Stadt gesehen hatte. Er schien heute wohl und munter, ungemein aufgelegt und mischte mit einer eleganten Handbewegung ein Spiel funkelnagelneuer Karten, die ihm der Diener auf seinen heimlichen Wink soeben gebracht hatte. Der Rest der Seligerschen Gäste, die Dame und der Sohn des Hauses drängten sich um den Tisch. Edith war zu Bett gegangen, und Etelka saß traumverloren allein in dem Palmenzimmer, in dem sie vor knapp einer Stunde vielsagende Blicke mit dem Grafen Waldburg getauscht hatte.
Neben Trachenstein stand Frau Seliger und blickte gespannt auf das Spiel, zu dessen Anfang der Prinz eben mit den Worten: »Mesdames et messieurs faites votre jeu,« aufforderte. Bei der im Hause Seliger gern gespielten Trente et Quarante pflegte der Prinz, von der Frau des Hauses unterstützt, die Bank zu halten.
Es war etwa ein Dutzend Menschen, die den Spieltisch umgaben: Frau Seliger und der Prinz, Leo und die von ihm unzertrennliche Feretti, Frau Bürger, von der man wußte, daß sie eine ebenso vortreffliche Sängerin als leidenschaftliche Hasardspielerin war, drei jüngere, allerdings in Zivil erschienene Offiziere von dem in der Stadt garnisonierenden Infanterieregimente und zwei Herren, die Trachenstein aus seinem Klub hier eingeführt hatte, ein italienischer Herzog, namens Amadeo Falcone, und ein französischer Graf Montfleurant, zwei Fremde, die zum Besuche in der Stadt weilten, und denen Trachenstein einen vergnügten Abend versprochen hatte.
Die Wangen der Damen und Herren begannen zu glühen, das Spiel kam in Fluß, es wurde heute hoch gesetzt. Leo, den seine väterlichen Taschengelder immer in den Fingern juckten, eröffnete auf Rat der Feretti den Reigen mit fünfundzwanzig Mark, die er auf inverse wagte.
Wie ein gelernter Croupier mischte Trachenstein sein Spiel und zählte ab. Leo gewann. Das gab ihm und den anderen Mut.
Er ließ den ganzen Gewinn auf inverse stehen. Couleur verkündete nach einer Minute die Stimme des Prinzen, und Trachenstein strich das Geld ein.
Auch die fremden Herren, auf die es Seine Hoheit an diesem Abend in erster Linie ankam, wurden jetzt animierter. Montfleurant setzte tausend, und Falcone zweitausend Mark auf couleur.
Mit einer eleganten Handbewegung ließ der Prinz die letzte ausschlaggebende Karte fallen, »inverse«, und in aller Seelenruhe strich er die dreitausend Mark ein.
Die Augen aller Anwesenden begannen zu leuchten, die Wangen zu fiebern, der Spielteufel packte sie nun mit festen Krallen und ließ sie alles andere, sich und ihre Umgebung, vergessen. »Deux mille sur rouge,« rief Montfleurant, und Falcone, als ob er ihm ein Paroli bieten wollte, »trois mille sur noir«.
Langsam mischte Trachenstein die Karten, bat Frau Seliger abzuheben und legte das Spiel: »Rouge«.
Lautlos schob er zweitausend Mark von den durch Falcone gesetzten dreitausend dem Franzosen zu und nahm den Rest von tausend Mark an sich.
Gerade als Trachenstein die blauen Scheine zu einem ansehnlichen Häuflein an seiner rechten Seite aufstapelte und die monotonen Worte: »Mesdames et messieurs faites votre jeu« wieder von seinen Lippen kamen, vernahm er dicht an seiner Seite eine wohlbekannte Stimme:
»Ich darf Sie hier wohl zum Aufheben der Bank und zu einem Gespräche unter vier Augen bitten, Hoheit.«
Entsetzt starrte der Prinz in zwei zornfunkelnde, nichts Gutes verheißende Augen, indessen Leo jäh die Farbe wechselte, und Frau Seliger sich erschöpft in einen Sessel gleiten ließ. Frau Bürger und die Feretti tauschten ein paar erklärende Worte miteinander.
Die fremden Herren, die heute zum ersten Male in der Villa Seliger zu Gaste waren, mochten in dem nächtlichen Eindringling einen Geheimpolizisten vermuten. Da dieser aber sonderbarerweise nichts von Dableiben und Verhaftung verlauten ließ, beeilten sie sich so rasch als möglich den Ausgang des Zimmers und die Garderobe zu erreichen.
Der Herr, der den schönen Spielabend so jäh gestört hatte, war Seliger.
Kurz nach Mitternacht war er von einer geschäftlichen Besprechung in seine Villa zurückgekehrt und hatte von dem Portier erfahren, daß sich der Prinz, der seit Wochen nichts von sich hatte hören lassen, unter den Gästen der gnädigen Frau befand.
Wutschnaubend, in dem festen Entschlusse, Seine Hoheit zur Rede zu stellen, hatte er die Gesellschaftsräume betreten und den Gesuchten beim Hasard in seinem eigenen Hause ertappt. Er hätte sich auf ihn stürzen und ihn würgen können, aber momentan kehrte seine Kaltblütigkeit zurück.
Seine Frau und seinen Sohn sowie den Rest der Gäste keines Blickes würdigend, packte er nun den Prinzen, der keinerlei Miene machte, sich von seinem Stuhl zu erheben, vorne am Rock und schob ihn zur Freude der Unbeteiligten vor sich her in das Palmenzimmer, das vor wenigen Stunden Etelka und dem Grafen als Zufluchtsort zu trauter Aussprache gedient hatte.
Die ganze Wut seines kraftvollen Temperamentes, der Jähzorn und das Gift des von dem Prinzen um sein schönes Geld hintergangenen Juden, sie kamen spontan zum Ausdruck:
»Hier finde ich Sie,« zischte er den keines Wortes Mächtigen an, »hier in meinem Hause, bei einem Spiele, das die Gesetze auch im privaten Kreise verboten haben. Sie – Sie – Sie! Wo ist das Schriftstück, das Sie in Cannes zur Unterzeichnung vorlegen sollten? Wo sind Sie gewesen, was haben Sie mit meinen zehntausend Francs gemacht?«
Endlich faßte sich Seine Hoheit.
»Ich muß Sie doch ernstlich bitten, Herr Seliger,« stammelte er, »wenn Sie auch als Herr des Hauses ... ich muß Sie doch ernstlich bitten!«
»Meine zehntausend Francs, wo sind sie, wo ist die Unterschrift?« donnerte Seliger.
»Ich höre noch, ich bin nicht taub, ich verstehe, Sie brauchen nicht so zu schreien,« mahnte der Prinz und hüllte sich nun in die ganze Unnahbarkeit seines fürstlichen Standes. »Mein Bruder Seine Hoheit der regierende Fürst waren bei meiner Ankunft in Cannes schon nach Paris abgereist, und ich war daher leider außerstande –«
»Lüge!« schrie Seliger, »gemeine Lüge. In Cannes sind Sie gewesen? Sie waren überhaupt niemals in Cannes. Mit euresgleichen, Freundchen, sieht sich unsereiner vor. Sie sind beobachtet worden, mein Lieber, von einem Angestellten des Argus in Mailand habe ich Sie beobachten lassen! Verstehen Sie mich! Sie sind von Mailand direkt nach Monte Carlo gefahren und haben dort meine zehntausend Francs an einem einzigen Abend verspielt. Der Mann, von dem ich das weiß, hat hinter Ihnen gestanden, er folgte Ihnen, als Sie durch die Säle geführt wurden und das Geld für die Rückreise von der Verwaltung des Kasinos erbettelten. Pfui Deufel, zehnmal in drei Deufels Namen pfui Deufel, und nun treten Sie mir nie mehr unter die Augen und meiden Sie mein Haus!«
Wieder fühlte sich Seine Hoheit vorn am Rock gepackt und von dem starken und untersetzten Juden, der noch über herkulische Kräfte zu verfügen schien, durch die nun ganz leer gewordenen Säle der Villa Seliger nach dem Korridor gedrängt.
Hier reichte ihm ein Diener Hut und Mantel.
Erschöpft sank Seliger auf dem im Vorplatz stehenden Diwan zusammen. Er strich sich den perlenden Schweiß aus der Stirn und sagte leise vor sich hin:
»Den wären wir los, den Halunken, doch was nun?«