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X.

Und wieder einmal erstrahlte die Villa Seliger in hellstem Glanze.

Es war in der ersten Woche des Oktober, und man feierte die Hochzeit Ediths mit dem Prinzen Egon von Trachenstein. Die Vorbereitungen zu der fürstlichen Vermählung, die Formalitäten, die Einholung des Ehekonsenses von seiten des regierenden Bruders Seiner Hoheit, die Erhebung der Braut zu einer Freiin von Ehrenfels, Ediths formeller Übertritt zum Christentum und ihre Taufe, das alles hatte doch mehr Zeit erfordert, als Frau Hilde und der Prinz angenommen hatten.

Dann hatten das Weißwarengeschäft in Paris und die Schneiderinnen der Seinemetropole die Herstellung der zahllosen Dinge, die man dort in Auftrag gegeben, verzögert. Zweimal war Edith mit ihrer Mutter in der maßgebenden Stadt der Eleganz und des Luxus gewesen, und ihr Aufenthalt dort hatte sich auch länger, als unbedingt notwendig, ausgedehnt.

Auch der Kunsttischler, der die fürstlichen Möbel nach eigens von einem flämischen Meister entworfenen Zeichnungen zu liefern übernommen hatte, bedurfte der Zeit, um das palastartige, in einem wundervollen uralten Parke gelegene Gebäude, das Seliger für sein Kind und seinen fürstlichen Schwiegersohn gekauft hatte, auszustatten.

Frau Hilde war entzückt, daß man diesen Palast gefunden hatte. Er lag in derselben Villenstraße der Stadt wie ihr eigenes Heim, schräg gegenüber der Villa Seliger. Es war der Besitz eines russischen Konsuls, eines viele Millionen schweren Weinhändlers in Moskau, der einst eine Deutsche geheiratet und sich ihr zuliebe vor wenigen Jahren in deren Vaterstadt niedergelassen hatte. Nun war die Frau plötzlich infolge einer Ansteckung an Diphtherie gestorben, und der verwitwete Russe war nach Moskau zurückgekehrt.

Das herrliche Haus war seit dem Frühjahr um ein billiges feil gewesen, und Seliger hatte es vorteilhaft an sich gebracht. Wie wunderbar bequem für Frau Hilde! Nicht einmal den Wagen brauchte sie anspannen zu lassen, nur ein paar Schritte über die Straße, und sie war bei ihren lieben Kindern, deren junges Glück mitzuschmieden, wie sie sich ausdrückte, die vornehmste Aufgabe ihres Lebensabends bilden sollte.

So war der Sommer dahingegangen, und endlich war man so weit. Notdürftig genesen, war Davidchen Mandelbaum aus seinem heimatlichen Spessartdorfe wieder in die Stadt zurückgekehrt und hatte seine Beschäftigung an der Kommerzbank, aus deren Vorstand Seliger mit dem ersten Oktober definitiv ausgeschieden war, wieder aufgenommen.

Sie bestand jetzt in der Hauptsache im Couponzählen, denn man hatte ihn zur weiteren Ausbildung seiner kaufmännischen Kenntnisse in die Wechselstube gesteckt.

In der Villa Seliger ließ sich Davidchen Mandelbaum nicht mehr blicken. Nur ein einziges Mal hatte ihn Edith auf der Straße gesehen. Sie hatte im Wagen gesessen und sich nicht aufhalten können, da sie wegen der Anprobe eines Sommerkleides zu ihrer Schneiderin bestellt war.

Aber sie war doch erschrocken, wie schlecht Davidchen Mandelbaum ausgesehen hatte. Noch viel schlechter, als damals, da er Abschied von ihr genommen, um seinen Erholungsurlaub in der reinen Gebirgsluft des Spessart anzutreten. So eingefallen und so gelb, die Backenknochen fast herausgetrieben. Das pechschwarze Haar, das er sehr lang zu tragen pflegte, hatte tiefe Schatten auf sein schönes, bartloses Jünglingsgesicht geworfen. Er sah in der Tat wie ein leidgebeugter Dichter aus. So mochte Heinrich Heine in Hamburg ausgesehen haben, mußte Edith immer denken, da er Volontär in dem Bankhause seines reichen Onkels gewesen und die wundervollen Lieder auf seine Cousine Amalie Heine gedichtet hatte, die gerade so wie sie einem älteren Manne die Hand zum ehelichen Bunde gereicht.

»Aus meinen großen Schmerzen mach' ich die kleinen Lieder.« Das war eben Dichterlos.

Und es ließ ihr lange keine Ruhe.

Zu Hause angekommen, erzählte sie der Mutter, daß sie Davidchen Mandelbaum auf der Straße gesehen, und daß er aus Gram und Kummer ganz elend und blaß geworden sei, daß sie sich doch Gedanken mache, ob er ihren Brief nicht übel aufgenommen habe.

Da lachte Frau Hilde und küßte ihre schöne Tochter auf die Stirn.

»Aber mein Kind,« sagte sie, »er wird schon wiederkommen, wenn er vernünftiger und praktischer geworden ist.«

Und nach drei Tagen hatte Edith diese Begegnung vergessen. Sie war auch zu sehr in Anspruch genommen. Vor allem, als Seine Hoheit die Brautvisiten mit ihr machte, als sie gar an den Hof von Walportshausen befohlen ward, um sich dem Bruder ihres Bräutigams, dem regierenden Fürsten, und dessen Schwester, der Herzogin von Winterburg-Bielingen, vorzustellen.

Und nun war man endlich so weit.

In dem wundervollen Speisesaale der Villa Seliger, wo der fürstliche Schwiegersohn des Hauses einst als Frau Hildes Intimus so ungeniert verkehrt hatte, war eine exquisite Tafelrunde zum Hochzeitsdiner versammelt.

»Im engsten Familienkreise« hatte die Parole des Bräutigams gelautet. In Anbetracht der Anwesenheit seines regierenden Bruders und seiner herzoglichen Schwester hatte er sich die »Jüdenschaft« offiziell verbeten.

Die Mitte der mit Gold und Silber überladenen, mit frischen Blüten überschütteten Tafel nahm das junge Paar ein. In seinem von einem Londoner Kleiderkünstler hergestellten – krëierten, sagte er selbst – Evening-coat, die Orden auf der schmalen Brust und das Myrtensträußchen im Knopfloch, sah Prinz Egon ganz jugendlich aus. Man hätte ihn heute auch für einen Vierziger halten können, meinte Frau Hilde.

Geradezu »entzückend« war Edith im Brautkleid aus antiken Brüsseler Spitzen, zu deren Einkauf Hilde mit ihrer Tochter eigens von Paris aus einen Abstecher in die belgische Hauptstadt gemacht hatte.

»Gar nicht jüdisch mit den blauen Augen und dem blonden Haare,« mußte die herzogliche Schwester zu ihrem Tröste immer denken. Nur die Nase, die gebogene Nase, ja, wenn diese Nasen nicht gewesen wären!

Zur Linken des Bräutigams saß Frau Hilde. Sie hätte sich diesen Ehrenplatz nicht um alles in der Welt nehmen lassen, und wenn die herzogliche Schwester aus diesem Grunde in letzter Minute abgeschrieben hätte. Mit Diamanten war sie übersät, strahlend, wie sie seit Jahren nicht ausgesehen hatte. Nach höfischer Sitte tief ausgeschnitten in einer Robe aus erdbeerfarbenem Sammet, mit einer zwei Meter langen Schleppe aus Velours ornementé in den immer noch so üppigen, blonden Haaren ein Diadem, das sie eigenmächtig bei einem Brüsseler Juwelier für ein kleines Vermögen erstanden hatte.

Zur Rechten der Braut saß Seliger, den neuen ihm von dem regierenden Fürsten von Walportshausen verliehenen Orden mit Brillanten vom roten Turmfalken auf dem Atlas des Fracks. Er unterhielt sich vortrefflich mit seiner Nachbarin, Ihrer Hoheit der Herzogin Adelgunde Isabella von Winterburg-Bielingen, die sich als einzige Dame der Tafelrunde in Schwarz geworfen hatte.

Allerdings schwerste Seide, übersät mit Silberornamenten, die bei jeder Bewegung der etwa sechzigjährigen alten Dame mit dem blendend weißen Haarschmucke wie der Panzer einer seltenen Schlange glitzerten und funkelten.

Anfangs war Ihre Hoheit die Frau Herzogin ihrem Nachbar, dem Börsenjuden gegenüber ein wenig zurückhaltend gewesen, aber allmählich taute sie auf.

Um so jovialer und ungezwungener gab sich Heribert XXIII., der regierende Fürst von Trachenstein-Walportshausen, ein gemütlicher Herr von Vierundsechzig, mit einem weinfrohen Gesichte, dessen Barttracht auffallend an die des Prinzen von Wales erinnerte. Auch die schmalen, langen, wohlgepflegten Hände, die nur ein einziger unbezahlbarer Brillant, das Familienerbstück der Trachenstein-Walportshausen, das vor Jahrzehnten die fürstliche Krone geziert hatte, schmückte, verrieten, daß er mütterlicherseits englischer Herkunft war.

Um den Hals trug er den höchsten Orden seines Hauses, das Brillantenkreuz von der weißen Lilie, und er scherzte mit Frau Hilde, von der er sich ganz im geheimen Streiche aus deren Theaterlaufbahn erzählen ließ.

Er bedauerte immer wieder, daß eine Stadt wie Walportshausen leider das Halten eines Hoftheaters ausschlösse, denn er war, seitdem er denken konnte, ein enthusiastischer Freund von allem, was mit der Bühne in Zusammenhang stand.

Graf Waidburg-Immenhausen, der zur Feier des Ehrentages im Hause Seliger die Uniform der Leibulanen angelegt hatte und so heute wieder als der schönste Offizier der Garnison glänzte, Etelka in fliederfarbener Seide, Leo, der eigens aus Berlin erschienen war, und der aristokratische Pfarrer mit dem schönen Namen von Huckenheim, der seine auf große Diners immer begierige, schon dickliche Frau, eine geborene Freiin von Bitterbach, mitgebracht hatte, machten den Rest der Tafelrunde aus.

»Ein römisches Mahl,« scherzte Seine Hoheit Heribert XXIII. von Trachenstein-Walportshausen. Er schwärmte für die Antike, hatte in seiner Jugend Rom und Neapel, Sizilien und Griechenland besucht und einstmals seine Mußestunden dazu benutzt, eine sehr gelehrte Arbeit über die Reste alter Tafelgerätschaften aus Pompeji zu schreiben, die natürlich von der Akademie der Wissenschaften in einem ihm befreundeten größeren Nachbarstaate preisgekrönt worden war.

»Die Zahl der Musen soll nicht überschritten werden, fordert ein römischer Gebrauch,« sagte er. »Wir sind elf, mein lieber Seliger, also schon zwei zu viel.«

Seliger beeilte sich zu sagen, elf sei eine glückliche Zahl, sie sei unteilbar und stelle daher ein fest gefügtes Ganze dar.

»Das ist wieder echt jüdisch, diese ewige Beschäftigung mit den Zahlen und ihren Eigenschaften,« dachte die herzogliche Schwester.

Seliger war heute in vorzüglicher Stimmung. Ein Heidengeld zwar hatte ihn diese Ehe gekostet, und würde sie ihn noch kosten. Aber, was lag daran? Es war ja dazu da. Die Hauptsache war und blieb, daß Heribert XXIII. selber in seine niederen Räume als Gast eingekehrt war, daß es ihm gefiel, daß er sich mit seinem Bruder – eine sehr einfache Folge der Seligerschen Millionen – feierlich und offiziell ausgesöhnt hatte, und daß infolgedessen seine Hoffnungen auf das glückliche Zustandekommen der Kleinbahn trotz Kutzleben und Genossen wieder lebendig wurden, ja mehr als das, daß berechtigte Aussicht vorhanden war, den großen Plan, der die Krönung seines Lebenswerkes bilden sollte, in Bälde zu verwirklichen.

Und deshalb ließ er sich nicht lumpen. Die Bahn und die Kalilager würden alles wieder hundertfach einbringen, was diese Heirat und der wahnsinnige Luxus, der heute hier entfaltet wurde, verschlangen. Ganz wie bei einem Könige stand auch hier hinter jedem Sitze ein galonnierter Diener, der die Gedecke zu wechseln, die köstlichen Speisen vorzulegen und die unbezahlbaren Weine einzugießen hatte. Ganz wie bei einem Könige richtete man sich nach Seiner Hoheit dem regierenden Fürsten.

Sobald dieser Gabel und Messer aus der Hand gelegt hatte, wurde nach Seligers Weisung ohne Rücksicht auf die anderen abserviert. O, er wußte, was er Heribert und dem Rufe seines Hauses, das heute zu einer souveränen Familie in intimste verwandtschaftliche Beziehungen getreten, schuldig war!

Vom Grand Hôtel du Louvre in Paris hatte er den dort mit einem Jahresgehalt von dreißigtausend Franken dotierten Chef de cuisine kommen lassen, seiner Tochter Edith dieses Hochzeitsmahl zu bereiten. Das mit dem Wappen der Trachenstein-Walportshausen und mit Ediths neuerworbener Krone geschmückte Menü, das kunstvoll mit Myrten- und Orangenblüten verzierte, wies eine Speisenfolge auf, die Herr Boisserée vom Grand Hôtel du Louvre als dernier cri bezeichnet hatte.

Natürlich war es in französischer Sprache, dem Idiom der Höfe und der Diplomaten, abgefaßt.

»Sie wollen uns umbringen, mein lieber Seliger,« hatte Heribert XXIII. gesagt, nachdem er dieses Menü gelesen, und der große Börsianer hatte zufrieden vor sich hingelächelt.

Die fünfzehnhundert Franken, die Herr Boisserée als Honorar gefordert hatte, und die hundert Mark, die ihm Seliger pro Kuvert als Auslagen bewilligt, waren doch nicht umsonst ausgegeben worden.

Nach der truite saumonée und den filets de soles erhob, sich der regierende Fürst. Es wurde still wie in einer Kirche, nur das leise Rascheln der seidenen Jupons, wenn eine der Damen eine Bewegung machte, unterbrach hier und da das feierliche Schweigen, das leise Froufrou, das in dieser Atmosphäre wundersamer Parfüms und köstlich duftender Weine und Speisen nicht unangenehm auffiel.

»Werte Festgenossen, liebe Verwandte,« begann Seine Hoheit Heribert XXIII., indem er das Monokel fallen ließ, »ich will mich kurz fassen, denn Kürze ist der Rede Würze, und dieses köstliche Diner will nicht durch lange Betrachtungen unterbrochen werden. Aber es ist mir doch ein Herzensbedürfnis, als ältester und offizieller Vertreter unseres fürstlichen Hauses das Wort an Sie zu richten, um der Freude Ausdruck zu verleihen, mit der mich und uns alle, insonderheit meine herzogliche Schwester – ein ganz klein wenig lächelte Heribert XXIII. doch, Seliger wenigstens glaubte es zu bemerken – die Verbindung meines Bruders mit dem Hause Seliger erfüllt. Ich fasse alle unsere Gefühle und unsere Wünsche zusammen in die Worte: Das erlauchte junge Paar, es lebe hoch!«

Eine brausende, von Leo mit Stentorstimme begonnene Ovation folgte diesen kurzen Worten. Hell klangen die feinen Kristallgläser aneinander.

Nur einer ärgerte sich ganz im stillen, Pfarrer von Huckenheim. Denn regierender Fürst hin, regierender Fürst her, an ihm wäre es gewesen, den ersten Toast auf das junge Paar auszubringen. Wozu hatte man ihn denn eingeladen? Nur dazu, daß seine Frau etwas Gutes zu essen bekam? In der Kirche war Seine Hoheit der regierende Fürst auch nicht gewesen, seine Traurede hatte er also nicht gehört, und seines Berufes war es denn doch einmal, sich bei solchen Gelegenheiten auszuzeichnen. So schön hatte er es sich ausgemalt, von dem schlanken Efeu, der sich um den starken Eichbaum windet, hatte er sprechen wollen, und nun hatte ihm der regierende Fürst selber das Beste, das Hoch auf das junge Paar, weggenommen. Jetzt würde er gar nicht reden, er würde verzichten, beschloß er in seinem Inneren.

Als das Diner zu Ende ging, ärgerte er sich aufs neue, über seine Frau. Sie entstammte einer bettelarmen Offiziersfamilie und hatte die unausrottbare Gewohnheit, immer etwas von Tische mitzunehmen, um es den Kindern mitzubringen. Auch hier unterließ sie das nicht und wickelte drei klebrige marrons glacés in ihr Taschentuch, weil Hänschen, ihr ältester, sie so gerne aß. Frau Seliger bemerkte das und gab dem hinter ihr stehenden Diener leise den Auftrag, für die Kinder der Frau Pfarrer etwas einzupacken. Frau von Huckenheim hatte ihren Zweck erreicht, indessen dem blonden Gemahl, der, obwohl vorzüglicher Kanzelredner, etwas geniert war, die Röte ins Gesicht stieg.

Etelka, der die Ehe trefflich bekam, und der, wie die Leute zu sagen pflegten, ihr junges Glück aus den Augen strahlte, unterhielt sich mit Heribert über das Landleben und über die Fortschritte, die das Gut Erlwitz unter der Leitung ihres Gatten gemacht hatte.

Leo renommierte furchtbar von Berlin. Er sprach mit seinem Schwager, dem Grafen von Waldburg-Immenhausen, der vor Jahren in Berlin auf Kriegsakademie gewesen war.

Daß er Berlin heute nicht wiedererkennen würde, behauptete er.

Das Diner war zu Ende. Galant reichte Heribert XXIII. Frau Hilde den Arm. Die Damen zogen sich zu einer Tasse Kaffee in den blauen Salon zurück, die Herren in das Palmenzimmer, wo Seliger die eigens für ihn auf Kuba gefertigten Importen zu kleinen Schalen nach orientalischer Art zubereiteten Mokkas reichen ließ.

Eine reizende Aufmerksamkeit hatte er für den regierenden Fürsten, der ein leidenschaftlicher Raucher war, in petto. Die dicke Kuba, die ihm der Diener offerierte, trug ein rotes Bändchen mit der Aufschrift: »Heribert XXIII., Fürst von Trachenstein-Walportshausen.«

»Eine neue exquisite Marke, Hoheit,« sagte Seliger, als Heribert das köstliche Kraut anzündete.

Und der Fürst lächelte gnädig, wie immer, wenn er sehr gut gegessen hatte und dann bei der Zigarre angekommen war.

»Nur nicht in den Handel bringen, mein lieber Seliger,« drohte er scherzend und klopfte dem Börsenkönig jovial auf die Schulter, »denn Walportshausen –« Er seufzte leise vor sich hin.

»Quälen Eure Hoheit die Sorgen des Landesvaters?« schäkerte der durch den Wein und die prachtvolle Laune des Fürsten ganz übermütig gewordene Seliger.

»Auch das,« gab Heribert lakonisch zur Antwort. »Man ist doch immerhin für so und so viel tausend Menschen in gewissem Sinne verantwortlich.«

Dann schwieg er wieder und blies die blauen Wolken der herrlichen Kuba gedankenvoll vor sich hin.

»Sagen Sie mal, mein lieber Seliger,« begann er nach einer Weile, »wenn ich nicht sehr irre, dann war doch vor einiger Zeit in den Blättern die Rede von einem Bahnprojekte, bei dem auch Ihr Name genannt wurde.«

Das Blut schoß Seliger zum Herzen. Der Fürst selber begann hier von der Sache zu sprechen, die ihn schon in all den Monaten seit Ediths Verlobung wieder beschäftigt hatte, und von der er nicht wußte, wie er sie Heribert gegenüber aufs Tapet bringen sollte.

Aufmerksam wandte Seliger das Ohr dem fürstlichen Sprecher zu, der ruhig fortfuhr:

»Ich habe die Sache seinerzeit in Cannes in einer deutschen Zeitung gelesen und dann in Paris noch einmal davon gehört. Wenn ich nicht sehr irre, dann wurde Ihr Name, mein lieber Seliger, als erster unter den Gründern genannt. Es handelte sich, wie ich glaube, um den Bau einer Kleinbahn, die die Stadt mit Walportshausen über Weilingen und Feldkirch verbinden sollte. Wie kommt es denn, daß man gar nichts mehr von diesem segensreichen Projekte hört?«

Seliger schauerte zusammen.

»Segensreich,« hatte er denn recht gehört? »Segensreich« hatte Fürst Heribert XXIII. selber sein großes Unternehmen genannt!

Nun faßte er sich Mut.

»Ich weiß nicht,« begann er, »ob Eurer Hoheit die Einzelheiten über den allerdings sehr wichtigen Bahnbau bekannt geworden sind?«

»Einzelheiten?« fragte Fürst Heribert, »Einzelheiten? Was kann es da für wichtige Einzelheiten geben bei dem Bau einer Bahn, die doch eine Lebensfrage für ein, wenn auch kleines, so doch volkreiches und daher erwerbsbedürftiges Ländchen ist?«

Seliger glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Durch einen Zufall, aus den Zeitungen hatte der Fürst im Auslande von seinem Projekte erfahren, um dessen Konzessionierung man bei ihm vergeblich monatelang antichambriert hatte, und er selber erklärte jetzt die Bahn für ein volkswirtschaftliches Bedürfnis seines Landes!

»Ja, so ist es, mein lieber Seliger,« sagte der Fürst. »Kein Opfer sollte man scheuen, um diesen Plan zu verwirklichen, Einzelheiten, kommen fürs erste, ehe die Sache gesichert ist, gar nicht in Betracht. Würde doch die Bahn die einzige Verbindung Walportshausens mit der Großstadt bilden, und das ist nach meinem Dafürhalten schon mehr als genug. Ich kann gar nicht begreifen, woran ein solches Projekt scheitern konnte!«

»Kutzleben, Kutzleben,« klang es in Seligers Innerm, der Schuft, der Betrüger, der ihn auf die Anklagebank gebracht hatte, wo er selber hingehörte, der hatte das Gesuch um die Konzession unterdrückt, aus egoistischen Motiven unterdrückt und ihn hingehalten, bis die Geldgeber glücklich vor den Kopf gestoßen waren.

Aber noch war es nicht zu spät. Was bedurfte er jetzt der anderen? Mit seinen eigenen Millionen, er ganz allein, würde er das große Werk verwirklichen, wenn Heribert selber tatsächlich auf seiner Seite stand!

»Ich weiß nicht,« begann er jetzt, »ob Eure Hoheit wissen, daß dem Bahnbau unüberwindlich erscheinende Hindernisse in den Weg getreten sind?«

»Unüberwindliche Hindernisse?« wiederholte der Fürst und schüttelte ungläubig mit dem Kopfe.

»Tunnelbauten, die Hunderttausende verschlingen würden und die Rentabilität der Bahn in Frage stellen könnten,« versicherte Seliger.

»Aber, mein Lieber,« lachte der Fürst, »wo sind denn da Tunnelbauten notwendig? Wollen Sie denn die Kirche mit ihrer Bahn ums Dorf tragen? Der direkte Weg nach Walportshausen führt doch unter Umgehung des Gebirges durch meinen Wildpark!«

Nun hatte er es selber ausgesprochen, und Seliger, keiner Beherrschung mehr fähig, erzählte weiter in fliegendem Eifer:

»Acht Monate hat das Gesuch um Erteilung der Konzession, daß die Trace ihren Weg durch den Wildpark Eurer Hoheit nimmt, in dem Kabinett Eurer Hoheit gelegen und ist nicht erledigt worden, so daß ich und alle Beteiligten annehmen mußten, daß Eure Hoheit dem Plane feindlich und ablehnend gegenüberständen.«

»Himmel-Kreuz!« Fast wäre dem Munde Seiner Hoheit des regierenden Fürsten Heribert XXIII. ein derber Fluch entfahren. Aber noch faßte er sich rasch.

»Mir hat ein solches Gesuch niemals vorgelegen, Herr Seliger.«

Er lächelte.

»Sie wissen, Ministerpräsidenten in kleinen Staaten sind manchmal sonderbare Käuze, zumal wenn sich der Regierende auf lange Zeit unterwegs befindet und seinen Beamten alles überlassen muß. Ich möchte nur wissen, was der Wildpark der Trace für ein Hindernis bieten soll? Die Ruhe der Säue ist doch nicht so heilig, und dafür, daß keine unter die Lokomotive gerät, läßt sich durch einen tüchtigen Drahtzaun sorgen, und an den Jagdtagen, da pürscht man eben einfach um das Bahngelände herum.« »Also wären Eure Hoheit entschlossen, die Konzession zur Führung der Trace durch den Wildpark zu erteilen?«

Seliger schluchzte, Tränen traten in seine Augen, als er diese Frage aussprach, deren Beantwortung über den kühnen Traum seines Lebens, die im Boden von Walportshausen ruhenden Millionen ins Rollen zu bringen, entscheiden sollte.

»Aber selbstverständlich bin ich entschlossen, diese Konzession zu erteilen,« antwortete der Fürst. »Ich müßte ja ein Esel sein, wenn ich es nicht täte. Und, weiter bin ich entschlossen, den zur Rechenschaft zu ziehen, der mir das Gesuch vorenthalten hat. Da zerbricht man sich selber den Kopf und setzt den Landtag in Bewegung um Anschluß an die Hauptbahn, und der geniale Plan unternehmenden Privatkapitals, der eine eigene Bahnlinie für Walportshausen schaffen will, wird achtlos beiseite geschoben! Himmel-Kreuz! Wenn Sie das Gesuch da hätten, mein lieber Seliger, ich würde es auch ohne den Kutzleben, schon ihm zum Trotz, auf der Stelle unterzeichnen!«

Und wirklich, Seliger zog das Gesuch aus der Tasche. In dem Gedanken »man kann nie wissen« hatte es der vorsichtige Jude heute morgen in seinen Frack gesteckt.

Auf einen Wink brachte ein Diener Tinte und Feder, und während man draußen nach alter Sitte das Myrtensträußchen des Prinzen Trachenstein vertanzte, das natürlich Leo, als dem einzigen Unverheirateten, zufallen mußte, vollzog Seine Hoheit der Fürst eigenhändig die Unterschrift, mit der er Seliger ungezählte Millionen, mit der er ihm den Triumph seines Lebens in die Hände legte.

Da trat Edith ein.

»Eure Hoheit entschuldigen,« sagte sie. »Um acht fährt unser Zug nach Venedig. Ich muß mich noch umkleiden. Ich sage Lebewohl.«

Sie sah rührend aus in ihrer jungfräulichen Unschuld, mit ihren achtzehn Jahren, den bräutlichen Myrtenkranz auf der heute etwas blassen Stirn.

»Der Kaufpreis,« mußte Seliger seltsamerweise in Erinnerung an das, was er einst Etelka hatte zumuten wollen, in diesem Augenblicke denken. Aber gleich wusch er in Gedanken seine Hände in Unschuld wie Pilatus vor allem Volke, und tröstete sich, daß nicht er, sondern Frau Hilde diese Heirat zustande gebracht.

»Ich wünsche dir alles Glück, liebe Schwägerin,« sagte nun der Fürst, während sich Edith mit einem tiefen Knickse von Seiner Hoheit verabschiedete.

Heribert XXIII. küßte sie auf Stirn und Wangen, dann reichte sie dem Vater den Mund. »Gottes Segen mit dir,« stammelte Seliger, »sein Segen über dich!«

Er hatte ganz plötzlich, warum wußte er nicht, eine fromme Anwandlung.

Edith ging.

Vor dem hohen Portale der Villa wartete seit einer Stunde der Wagen. Es war ein fürchterliches Wetter. Es regnete in Strömen, und dazu tobte ein heulender Wind und trieb in den fast entlaubten Kronen der stolzen Bäume im Garten sein wüstes Spiel.

Die Pferde wurden ungeduldig, zwei vierjährige, feurige Trakehnerhengste, die Seliger zusammen mit dem für seinen fürstlichen Schwiegersohn bestimmten Palaste von dem russischen Konsul übernommen hatte. Es war ihnen doch zu viel, so lange im Regen zu stehen. Nur mit Mühe gelang es dem Kutscher, sie noch für einige Minuten zu beruhigen.

Am Arme Seiner Hoheit erschien Edith im Reisekostüm. Es war ein kurzer Abschied, denn der rasende Sturm riß dem die junge Frau geleitenden Diener den Schirm aus der Hand. Die Tür des Wagens schlug zu, und in schlankem Trabe eilten die jungen Tiere über den nassen Kies der Gartenwege nach der Straße.

Trachenstein öffnete den Schlag: »Um die Ecke, über den Fasanenweg, es ist höchste Zeit,« rief er dem Kutscher zu.

In scharfer Wendung, das Tempo nicht mäßigend, so daß die Räder die Hecke des Parkes streiften, bog das elegante Gefährt in die fast dunkle Seitenstraße, in der der Wind die Scheiben einer Gaslaterne zerbrochen und die Flamme verlöscht hatte.

Da scheuten die Pferde. Man fühlte es in dem Wagen. Sie mußten kerzengerade in die Höhe gestiegen sein. In demselben Augenblicke erscholl ein markerschütternder Schrei.

Auch Edith schrie auf. Im Halbdunkel glaubte sie eine fürchterliche Vision gehabt zu haben. Für Minuten schwand ihr das Bewußtsein. Kein Zweifel, man hatte einen Menschen überfahren.

Trachenstein riß den Schlag des Wagens auf.

»Voran,« schrie er, »voran, zur Bahn, zur Bahn,« in befehlerischem Tone.

Der Kutscher hieb auf die Pferde ein, in weitem Bogen lenkte er die Tiere um eine dunkle, regungslos im Kote der Straße liegende Masse, die wohl ein Mensch sein konnte.

Ein wüstes Geschimpfe erhob sich hinter dem auf seinen Gummirädern fast lautlos davonrollenden Wagen. Ein Häuflein Menschen hatte sich an der Unglücksstätte versammelt. Gesindel, das sich schon den ganzen Nachmittag in der Nähe der Villa herumgetrieben und vergeblich darauf gewartet hatte, daß von der fürstlichen Hochzeitsfeier etwas abfallen würde.

Der Hausknecht der Villa Seliger hatte zusammen mit dem Gärtner seine liebe Not gehabt, diese Leute in respektvoller Entfernung zu halten. In das Gärtnerhäuschen der strahlenden Villa trug man einen Schwerverletzten. Er war bewußtlos und blutete aus einer tiefen Stirnwunde, die ihm ein Huf der Pferde geschlagen hatte. Totenblässe im Gesichte, erkannte der alte Gärtner den jungen Herrn Mandelbaum, der früher so oft zu Fräulein Edith in die Villa gekommen war und der sich in den letzten Monaten nicht mehr hatte sehen lassen. Aber er wagte es nicht, die Herrschaften drinnen in der Villa von dem Vorgefallenen in Kenntnis zu setzen, zumal da Seine Hoheit der regierende Fürst den Hausherrn noch mit seiner Anwesenheit beehrte.

Stundenlang hatte Davidchen Mandelbaum an diesem Nachmittage in Wind und Wetter verborgen an der Hecke der Seligerschen Villa gestanden. Von dort aus konnte man den Speisesaal überblicken, und hier hatte er der Hochzeit seiner Liebsten zugesehen.

Dann war die Dunkelheit hereingebrochen, und immer noch hatte er ausgeharrt. War ein Unglück passiert, hatte er sich in wahnsinnigem Schmerze unter den Wagen des hochzeitlichen Paares geworfen? Es blieb ein Rätsel!

Man hatte einen in der Nähe wohnenden Arzt benachrichtigt und einen Boten nach der Rettungswache geschickt.

Endlich erschien der erstere, schüttelte bedenklich mit dem Kopfe und legte einen Notverband an. Nach drei Viertelstunden fuhr der Wagen mit dem roten Kreuze Davidchen Mandelbaum, der das Bewußtsein immer noch nicht erlangt hatte, nach dem städtischen Krankenhause.

Der Gärtner verstand sich auf seinen Dienst. Er öffnete die nach dem Fasanenweg führende Seitentür des Parkes. Alles ging lautlos von statten. Denn der Fürst und die herzogliche Schwester, die sich vorzüglich zu unterhalten schienen, weilten immer noch in der Villa.

Erst spät am Abend erfuhr Seliger von dem Unglück, das sich in nächster Nähe der Villa zugetragen hatte, und um wen es sich handelte. Als er Frau Hilde davon erzählte, bekam diese einen Weinkrampf. Noch in der Nacht benachrichtigte er den Vater des Verunglückten telegraphisch, daß sein Sohn schwer erkrankt sei, und daß seine Anwesenheit daher dringend gewünscht werde.

Im Laufe des Vormittags traf der »große Rabbi« aus seinem einsamen Spessartflecken ein. Vierundzwanzig Stunden saß er regungslos, ohne einen Bissen zu sich zu nehmen, an dem Schmerzenslager seines Kindes, das in all der Zeit nur noch schwache Lebenszeichen von sich gab.

Und in derselben Stunde, da Edith zusammen mit ihrem Gemahl das erste Diner im Hotel Bauer in Venedig einnahm, schwebte der Engel des Todes endlich durch das stille Zimmer im städtischen Krankenhause und legte die weiche Hand auf Davidchen Mandelbaums schmerzende und brennende Stirn.

Da brach der »große Rabbi« vor der Leiche seines einzigen Kindes zusammen und schrie mit gellender Stimme, so daß es furchtbar in den stillen Gängen des Spitals widerhallte:

»Gott meiner Väter, warum hast du mich verlassen?«


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