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Das Winterfest des Krippenvereins war die vornehmste gesellschaftliche Veranstaltung in der Stadt. In sämtlichen Räumen des großen Saalbaus wurde es alljährlich an dem dem Fastnachtsdienstag vorangehenden Samstag abgehalten und bildete den Hauptanziehungspunkt der Saison für alt und jung.
Freilich nicht jedermann war so glücklich, für sich und seine Angehörigen Eintrittskarten zu dem Winterfeste des Krippenvereins zu erhalten. Das aus den Damen adliger Offiziere sich zusammensetzende Festkomitee war sehr prekär in der Frage, wen es in diesem Fall für salon- oder, wie man sich in gewissen Zirkeln auszudrücken pflegte, für »hoffähig« hielt. Die Spitzen der Zivil- und Militärbehörden, die Honoratioren der Stadt, die ersten Beamten- und Offizierskreise kamen dabei zunächst in Frage. Dann folgte die »misera plebs« der in engerem und weiterem Sinne Gewerbe- und Handeltreibenden, zunächst die christlicher Konfession, die über ein Jahreseinkommen von mindestens dreißigtausend Mark verfügten, und endlich auch die eine oder andere jüdische Familie, die man schlechterdings nicht übergehen konnte wegen des Einflusses, den das betreffende Familienoberhaupt an der Börse oder in der Stadtverwaltung hatte. Leute mit unter hunderttausend Mark versteuerter Revenuen kamen hierbei natürlich nicht in Frage.
Noch in jedem Jahre war es Frau Seliger durch Frau von Giloty oder auch infolge der Beziehungen des Prinzen Trachenstein geglückt, für sich und ihre Tochter Etelka Karten zu dem Feste des Krippenvereins zu erhalten. Diesmal hatte Frau von Giloty nichts von sich hören lassen. Und der vielgerühmte Einfluß des Prinzen versagte völlig. Er hatte sich durch seinen Lebenswandel in der Stadt zu sehr kompromittiert, und die maßgebenden Kreise, welche wußten, daß sich des Prinzen Bruder, der regierende Fürst, völlig von ihm zurückgezogen hatte, begannen ihn zu meiden.
Auch durch Frau von Giloty, die wie in jedem Jahre als einzige Kaufmannsgattin dem Komitee angehörte, war in diesem Jahre nichts zu erreichen gewesen. Denn seit wenigen Wochen weilte eine nahe Verwandte des kaiserlichen Hauses in der Stadt. Ihre königliche Hoheit hatte huldvollst das Protektorat über das diesjährige Fest übernommen. Der Andrang war infolgedessen ein doppelt großer, und die Auswahl von seiten des Komitees eine doppelt vorsichtige.
Da trafen eines Tages, etwa eine Woche vor dem Feste, also für eine solche Veranstaltung noch in letzter Stunde, dennoch zwei Eintrittskarten in der Villa Seliger ein. Sie lauteten auf den Namen der Hausfrau und auf den von Fräulein Etelka und trugen den Vermerk, »eingeführt durch den Grafen Eberhard von Waldburg-Immenhausen, Rittmeister im Leibulanenregiment«.
Noch ehe sich Mutter und Tochter über diese außerordentliche Liebenswürdigkeit des galanten Grafen beruhigt hatten, meldete der Diener den persönlichen Besuch Waldburgs. Voll Ungeduld harrten Frau Seliger und deren Tochter des Gemeldeten, der nach wenigen Minuten, strahlend schön wie ein Apoll, den blauen Salon betrat.
»Meine verehrten Damen,« begann er, nachdem er Mutter und Tochter formell begrüßt hatte, »ich habe mir die große Freiheit genommen,. Ihnen gestern mit der Post zwei Karten für das Winterfest des Krippenvereins übermitteln zu lassen. Ich täusche mich wohl nicht in der Annahme, daß es Ihnen, verehrte gnädige Frau, und Ihnen, Fräulein Etelka ...« es lag ein zärtlicher, schmelzender Ton in der Stimme des Grafen, wie er diesen Namen aussprach; Etelka entging das nicht – »daß es Ihnen Vergnügen bereiten wird, an dem Feste teilzunehmen. Aber zugleich will ich auch eingestehen, daß ich aus egoistischen Motiven gehandelt habe. Nicht nur deshalb, weil es mir natürlich eine große Freude sein wird, diesen Abend in Ihrer Gesellschaft verbringen zu können ...« diese Worte schienen mehr an Etelka als an Frau Seliger gerichtet ... »o nein, das ist ja mehr als selbstverständlich. Mein durch die Übersendung der Karten ausgesprochener Wunsch, das Fest zu besuchen, schließt zugleich eine Bitte in sich. Wie Sie wissen, veranstaltet das Komitee in dem ersten, dem offiziellen Teile des Festes eine Reihe von künstlerischen Genüssen, die von Dilettanten aus unseren ersten Gesellschaftskreisen geboten werden. Unter anderem führt man auch ein kleines Lustspiel in Versen auf, das meine Wenigkeit zum Verfasser hat.«
»Sie dichten, Herr Graf?« warf da Etelka dazwischen.
Und »nein, wie interessant,« kam es von den Lippen Frau Seligers.
»So in den Mußestunden, zum Hausgebrauch, meine Damen. Doch was ich sagen wollte. Ich weiß nicht, soll ich es Pech oder unerhörtes Glück nennen? Wir hatten schon einige Proben des kleinen Stückchens, in dem ich zusammen mit der Freiin von Löwenklau, der Tochter unseres Herren Stadtkommandanten, spiele, abgehalten, – das kleine Machwerk enthält überhaupt nur zwei Rollen – da legt sich das kleine Fräulein hin und bekommt eine Mandelentzündung. Das ist ja an und für sich nichts Gefährliches, aber so acht bis vierzehn Tage wird Fräulein von Löwenklau schon zu Hause bleiben müssen, und mit meinem Stücke und der Rolle ist es für das Winterfest nun nichts, wenn sich nicht eine hilfsbereite Fee findet, die mich plötzlich aus allen Schwierigkeiten befreit.«
Er warf einen fragenden und bittenden Blick auf Etelka und zog zu gleicher Zeit ein kleines Heft aus der Tasche, das er ihr mit einer liebenswürdigen Verbeugung überreichte.
Etelka fand kein Wort der Erwiderung. Sie als Partnerin des Grafen Eberhard von Waldburg-Immenhausen, das war ja kaum auszudenken, in einem von diesem verfaßten Lustspiel bei dem Winterfeste des Krippenvereins, zu dessen Teilnahme sich die ersten Kreise der ganzen Stadt drängten. Und anders als eine Aufforderung, daß sie für die Freiin von Löwenklau einspringen und deren Rolle übernehmen sollte, konnte sie die Worte des Grafen doch nicht auffassen.
Endlich hatte sie sich gefaßt.
»Es wird mich sehr interessieren, das Stück kennen zu lernen, Herr Graf,« sagte sie diplomatisch.
Und er, der ganz vergaß, daß er sie ja noch gar nicht zur Übernahme der Rolle aufgefordert hatte, meinte:
»Daß Sie das Stückchen kennen lernen, mein verehrtes gnädiges Fräulein, das genügt mir noch lange nicht, nein, Sie müssen mir gleich hier, noch heute versprechen, daß Sie die Rolle übernehmen und mit mir zusammen spielen wollen, denn Sie können sich denken, wie unendlich peinlich es mir wäre, wenn ich das Komitee in letzter Stunde im Stiche lassen müßte.«
»Ich, ich soll...wirklich...«
Einen Moment hatte Etelka die ganze Selbstbeherrschung, die ihr in anderen Lagen ihres Lebens in so reichem Maße zur Verfügung stand, verloren.
Lächelnd strich sich der Graf den blonden Schnurrbart.
»Sie sollen ja sagen, mein liebes Fräulein Etelka,« mahnte er sanft.
»Ich bin keine gute Schauspielerin,« wich sie jetzt aus, »und am Ende gar Verse, die kann ich gar nicht gut sprechen. Erst müssen Sie mir erlauben, Herr Graf, das Stück einmal durchzulesen, damit ich Ihnen auch sagen kann, ob ich mich meiner ehrenvollen Aufgabe gewachsen fühle oder nicht.«
Sie hätte die Rolle gespielt, und wenn es die der Hexe von Endor gewesen wäre.
Das fühlte der Graf.
»Also heute abend, mein verehrtes gnädiges Fräulein, erhalte ich den gewünschten Bescheid, und übermorgen, denke ich, werden wir die erste Probe veranstalten können. Ich setze nämlich voraus, daß Sie ein vorzügliches Gedächtnis haben und sehr rasch auswendig lernen werden, wenn Ihre Erinnerungen an Einzelheiten unseres Aufenthaltes in St. Moritz, die ich in der Tat vergessen hatte, einen solchen Schluß auf ein vorzügliches Gedächtnis zulassen sollten.«
Eine leichte Röte bedeckte Etelkas Gesicht; als sich der Graf nun verabschiedete und sagte, er werde sich erlauben, gegen Abend seinen Burschen in die Villa Seliger zu schicken, um sich Etelkas definitiven Bescheid über die Übernahme der Rolle übermitteln zu lassen.
»Und ja keinen Korb. Körbe kann ich nicht vertragen,« drohte er im Gehen lächelnd mit dem Finger.
Als Waldburg gegangen war, ließ Etelka den Redefluß ihrer Mutter über die große Liebenswürdigkeit des Grafen geduldig über sich ergehen. Aber nach wenigen Minuten entschlüpfte sie in ihr im ersten Stockwerk der Villa gelegenes Mädchenstübchen und versenkte sich in das kleine Heft, das ihr der Graf zum Studium und zur Lektüre überlassen hatte.
Also er war so etwas wie ein Dichter. Wer hätte das hinter ihm gesucht! Er, der schneidigste Reiteroffizier in der ganzen Stadt, der Stolz der Garnison, die Hoffnung aller adligen Damen und aller Schwiegermütter, er, Graf Waldburg-Immenhausen, der Schwarm ihrer Tage der selige Traum ihrer Nächte, er schrieb in seinen Mußestunden Einakter für den Hausbedarf und ließ sie am Winterfeste des Krippenvereins aufführen. Schon diese Tatsache allein war an und für sich so interessant, daß es sich lohnte, das kleine Heft durchzulesen, auch dann, wenn er sie nicht zur Übernahme der Rolle aufgefordert, und wenn sie nicht an seiner Seite vor allen maßgebenden Kreisen der Stadt an Stelle der erkrankten Freiin von Löwenklau hätte spielen sollen.
Also doch! Das war der erste Gedanke, der durch Etelkas krausen Mädchenkopf huschte, als sie nun allein in ihrem elegant eingerichteten Zimmer auf der Chaiselongue lag und langsam in dem Schriftstück des Grafen blätterte. Also doch!
So rasch und so völlig hatte er sie doch nicht vergessen können, so ganz waren die schönen Tage des vergangenen Sommers nicht aus seinem Gedächtnis entschwunden, wenn er sich auch dem Anscheine nach alle erdenkliche Mühe dazu gegeben hatte. Das hatte sie heute, das hatte sie neulich an dem Empfangsabende der Mutter, da er plötzlich wider alles Erwarten in den Salons der Villa Seliger aufgetaucht war, deutlich gemerkt. Sie hätte nicht Weib, nicht die schlaue Tochter ihres schlauen Volksstammes und nicht das Kind ihres stets berechnenden Vaters sein müssen, wenn ihr das entgangen wäre, wenn ihr es hätte entgehen können, daß eine leise Befangenheit in Waldburgs Wesen jedesmal an den Tag trat, wenn er sie anredete, daß die Freude als Unterton in seiner Stimme zitterte, wenn er mit ihr sprach, und daß es wie ein magnetischer Strom von Körper zu Körper ging, wenn sie ihren Arm in den seinen legte, wenn sie ihm die Hand reichte, oder wenn er beim Tanze den Arm um ihre Hüften schlang.
Stillbeglückt, ein verliebtes Mädchen und zugleich ein raffiniert überlegendes Geschöpf, das etwas gemeinsam hat mit der buntschillernden Schlange, die ihre Beute umlauert und sie fassen will, die weiß, daß sie dieser die Bewegungsmöglichkeit gelähmt hat, lächelte Etelka vor sich hin.
Sie hatte sich eine Zigarette angezündet und den schönen, schlanken Mädchenkörper behaglich auf den mit einem Pantherfelle bedeckten Diwan ausstreckend, las sie nun die Verse, die der Graf in seiner eleganten und kräftigen Handschrift in das kleine Heft geschrieben hatte.
Sie kannte diese graziösen und doch so männlichen Buchstaben von gelegentlichen Billetten, die Waldburg in St. Moritz als Aufforderung zu einem gemeinsamen Spaziergang an sie gerichtet, und die sie schon damals bewundert hatte.
Sprach sich nicht in der Schrift, wie sie schon des öfteren gehört hatte, der Charakter eines Menschen deutlich aus? Auch jetzt verweilte ihr Blick wieder mit Wohlgefallen auf diesen regelmäßigen und schönen Schriftzügen, hinter denen sich kein Arg und kein Falsch verbergen zu können schien. Der Inhalt der kleinen Bluette, die sie da las, war in der ersten Szene wenig interessant. Am Ende so, wie es bei solchen Gelegenheiten nicht anders sein konnte. Vollgespickt mit Anspielungen auf das Fest und auf ein wohlgeborenes Komitee, das alles zum Besten geführt habe. Es handelte sich um ein Zwiegespräch zwischen dem Pierrot und der Colombine. Ein volles Jahr hatte sich das Pärchen gemieden, er erzürnt über ihre Sprödigkeit, sie in der Meinung, von ihm vernachlässigt zu werden. Nun trafen sie sich endlich wieder auf dem Winterfeste des Krippenvereins, und aus den Vorwürfen, die sie gegen ihn erhob, klangen Sehnsucht und Liebe, die sie trotz allem in den langen Monaten des vergangenen Jahres völlig beherrscht hatten, mächtig hindurch.
Und wunderbar, aus diesen einfachen Versen, so wollte es Etelka wenigstens dünken, sprach eine große und freie Seele, eine Seele, die ihr einer starken, ja einer selbstlosen Leidenschaft fähig zu sein schien. Eine Seele, die am Ende mehr wert war, als die ihre, mußte sie da einen Augenblick denken, wenn sie sich überlegte, daß in all den Monaten, die sie den Grafen kannte, und in denen sie täglich, fast stündlich an ihn dachte, immer wieder sein Titel und seine vornehme Geburt, seine außerordentliche Stellung, die er unter allen Offizieren der Garnison einnahm, und seine äußere Schönheit im Vordergrunde ihres Interesses gestanden hatten.
Wenn sie mit sich ins Gericht ging, wenn sie ihre Gedanken und Gefühle aufrichtig prüfte, dann beherrschten sie in erster Linie die Empfindungen der Genugtuung darüber, daß ein Mann wie der Graf ihr ein wärmeres Interesse entgegenbringen konnte. Den Neid und die Eifersucht ihrer Freundinnen, das Gerede in den Kreisen der Gesellschaft, denen sie angehörte, das Aufsehen, das eine Heirat mit Eberhard von Waldburg-Immenhausen erregen würde, das alles war ihr bislang die Hauptsache gewesen.
Und dann die glänzende Aussicht, mit den Millionen des Vaters sich und ihm das Leben so angenehm wie möglich machen zu können, als Gräfin mit einem glänzenden Namen, an der Seite eines Mannes, um den sie alle scheel ansehen würden, durch die Gesellschaft und durch das Leben zu wandeln, das war es gewesen, was ihr bislang als der Reize größter erschienen.
Doch da sprach auf einmal die schlichte Stimme eines liebenden Herzens aus den einfachen Versen dieser Colombine, die ihn zum Verfasser hatten, die sie in den nächsten Tagen zu ihm vor den Augen und Ohren des Publikums sprechen sollte, und wie ganz anders stand er nun mit einem Male vor ihrem geistigen Auge da, er, der Graf, und nicht nur er, nein auch sie, für die es bislang in all ihrem Gelde nur die Jagd nach dem hohen Titel und der glänzenden Stellung dieses Mannes gegeben hatte.
Wie rührend schlicht und einfach klang das simple Gefühl der Sehnsucht und der Liebe auch von diesen Lippen, auch aus diesem stolzen Herzen, das mit dreifachem Erz umpanzert durch dieses Leben getragen zu werden schien.
Schon dreimal hatte sie die Stelle gelesen, die sie gleich beim ersten Male so tief ergriffen hatte. Sie konnte sich denken, daß sie diese Stelle mit Begeisterung und Inbrunst, mit Wärme und tiefem Gefühl würde sprechen können, wenn er als bereuender, in ihre Arme zurückkehrender Pierrot auf der Bühne vor ihr stehen würde.
Sie sprang von dem Diwan auf und eilte durch das Zimmer. Ein Warmes, früher nie Gekanntes pulsierte mit einem Schlage durch ihre Adern, sie kam sich wie neugeboren, wie umgewandelt vor, als hätten die schlichten Verse des Grafen ein bislang in ihrem Herzen Schlummerndes plötzlich geweckt.
Sie sah die Bühne vor sich und den hellerleuchteten Saal, angefüllt mit Menschen bis auf den letzten Platz. Und dicht vor ihr, da stand er, der Mann ihrer Träume, in der Tracht des Pierrot, die Augen bittend zu ihr emporgeschlagen, das Urteil der Liebe oder des Hasses, das Wort der Vereinigung oder des Abschiedes aus ihrem Munde erwartend.
Leise sprachen ihre Lippen die Verse vor sich hin.
Den ganzen Nachmittag schloß sie sich in ihr Zimmer ein und lernte die Rolle der Colombine auswendig. Auch in der Nacht kam kein Schlaf auf ihre Lider, und am folgenden Morgen wußte sie, daß sie wie keine andere an der Seite des Grafen das kleine Stückchen spielen werde.
Aber noch ein anderes fühlte sie. Es war jetzt mehr als die Lust, vor den andern an seiner Seite glänzen zu können, die sie zu dieser ungewöhnlichen Anstrengung ihres Gedächtnisses veranlaßt hatte. Eine tiefe Liebe zu dem Werke seines Geistes hatte sie erfaßt. Denn durch die Verse dieses Stückchens waren ihre Augen plötzlich geöffnet worden. Sie sah in ihm nicht mehr den Grafen und den glänzenden Offizier, nicht mehr den schönen Mann, den alle ihre Freundinnen bewundert hatten, sie sah seine Seele, sie sah den Menschen, aus dessen Herzen die schlichte Wahrheit der Liebe des Pierrot zu seiner Colombine sprach.
Schon gestern nachmittag hatte sie Waldburgs Burschen ein kleines Billett mitgegeben, in dem geschrieben stand, daß sie bereit sei, die Rolle der Colombine zu übernehmen, und daß der Graf, falls es seine Zeit erlaube, schon morgen zur Abhaltung einer kleinen Probe in der Villa Seliger vorsprechen könne.
Nun harrte sie voll Ungeduld des den ganzen Tag über sehnsüchtig Herbeigewünschten, der endlich nach Erledigung seines Dienstes in der fünften Abendstunde erschien.
In dem Palmenzimmer, das ihnen damals an Frau Seligers geselligem Abende seine Zuflucht gewährt hatte, erwartete Etelka den Offizier. Hier seien sie vollständig ungeniert, sagte sie, nachdem sie den Eintretenden begrüßt hatte, und hier könnten sie die Probe abhalten.
»Sie haben wohl eine Leseprobe im Sinne, gnädiges Fräulein?« fragte jetzt Waldburg, nachdem er auf ihre Einladung hin in einem der bequemen Klubsessel Platz genommen hatte.
Etelka, die in ihrer einfachen dunkeln Haustoilette sehr nett aussah, war gerade damit beschäftigt, eine prächtige, ihr von dem Grafen überreichte Maréchalnielrose in ihren Gürtel zu stecken, und sagte mit vielsagendem Lächeln:
»Nein, Herr Graf, wenn ich mir etwas vorgenommen habe, dann führe ich es rasch und sicher zu Ende. Nicht von einer Leseprobe habe ich in meinem Billette gesprochen, sondern von einer Probe. Ich habe die Rolle in dieser Nacht auswendig gelernt.«
Das siegreiche, bei ihren Worten um die Lippen des Grafen spielende Lächeln war ihr nicht entgangen. Es war ihr recht, daß er aus ihrem Eifer das Interesse herauslas, das sie nicht nur seinem Stückchen, sondern seiner ganzen Persönlichkeit entgegenbrachte, und dem festen und fragenden Blicke seiner offenen blauen Augen standhaltend, fuhr sie fort:
»Das liegt einmal so in meinem Charakter, Herr Graf, festzuhalten, was ich einmal erfaßt habe. Vielleicht habe ich diese Eigenschaft von meinem Vater geerbt, den sie einmal an der Börse ›die Zange‹ getauft haben. Und wie oft hat Papa zu mir gesagt: Du hättest ein Mann werden müssen, Etelka, dann wüßte ich, wem ich die Direktion der Kommerzbank zu hinterlassen hätte.«
Der Graf war nachdenklich geworden.
»Das ist eine lobenswerte Eigenschaft, mein gnädiges Fräulein,« sagte er ernst, »und eine, die in unserer Zeit immer seltener zu werden pflegt, die Beharrlichkeit im Guten und – – im Schlimmen.«
Lächelnd zog er einen wappengeschmückten Siegelring von seinem Finger und reichte ihn dem erstaunten Mädchen.
»Es ist das Wappen des alten Geschlechts derer auf Waldburg-Immenhausen, gnädiges Fräulein, das Sie auf diesem Ringe erblicken. Die Umschrift ist die Devise, die sich einst der Ahnherr unseres Geschlechts im fünfzehnten Jahrhundert in seinen Schild eingraben ließ: ›quod habeo teneo ...‹ Ich weiß nicht, ob es gutes Lateinisch war, das der alte Herr damals verbrochen hat, aber zu dem, was Sie soeben von sich und Ihrem Herrn Vater gesagt haben, scheint es mir vortrefflich zu passen. Es soll in biederes Deutsch übersetzt heißen: ›Was ich in meinen Fingern halte, das gebe ich nicht mehr los.‹ Das haben doch auch Sie sagen wollen?«
Ihre schönen Augen blitzten.
»Ja, das habe ich sagen wollen. Wie seltsam, daß die Devise Ihres gräflichen Hauses gerade so zu meinem Charakter paßt!«
Prüfend mit einem langen, fragenden Blicke sah sie ihn an, und er fühlte, daß sie, ganz abgesehen von den Millionen ihres Vaters und ihrem eigenen Liebreiz, mit einem Male eine wunderbare, fast unheimliche Gewalt über ihn gewann.
Lange hatte sie den Ring betrachtet. Nun gab sie ihm diesen zurück und wiederholte mit klarer und fester Stimme:
»Quod habeo teneo.«
»Sie haben es rasch behalten,« versuchte der Graf zu scherzen.
»Ich habe ein gutes Gedächtnis, Sie werden sich heute und wohl noch des öftern im Leben davon überzeugen,« antwortete sie ernst.
Die Probe verlief zur vollsten Befriedigung des gräflichen Autors. Etelka hatte Temperament. Sie verfügte über ein ausgesprochenes deklamatorisches Talent. Das war denn doch etwas ganz anderes, als die süßliche Betonung und das erlogene Pathos der Freiin von Löwenklau. In weichem, schmelzendem Tone, voll natürlicher Wärme kamen Colombinens Sehnsuchtsklagen von Etelkas Lippen, so daß dem Grafen selber seine eigene Dichtung mit einem Male in einem ganz neuen Lichte erschien. Nicht nur um seiner selbst, auch um der Sache und des Publikums willen freute er sich jetzt ganz im geheimen über die Mandelentzündung der kleinen Löwenklau und über die neue Partnerin, die er für seine Bluette gefunden hatte.
*
Der Abend des Festes kam heran. In dem karnevalistisch dekorierten großen Saale des Saalbaus saßen Hunderte, Damen in den erlesensten Toiletten, Herren in Uniform und im Frack, die breite Männerbrust mit Orden geschmückt, denn das Winterfest des Krippenvereins war eine fast offizielle Veranstaltung.
In der großen Mittelloge des Balkons hatte Ihre Königliche Hoheit mit ihrem Hofstaate Platz genommen. Sie war eine ältere, etwas korpulente Dame, die erst im Oktober ihre Residenz in die angenehme und klimatisch bevorzugte Stadt verlegt hatte, und die man heute eigentlich zum ersten Male offiziell in einem größeren Gesellschaftskreise bei einer doch mehr oder weniger öffentlichen Veranstaltung sah.
Alle Operngläser richteten sich nach der Loge. Man diskutierte lebhaft über das gute Aussehen Ihrer Königlichen Hoheit und flüsterte sich die Namen der in der Mittelloge anwesenden Herren und Damen in das Ohr.
Jetzt trat Ruhe ein. Hinter dem Orchesterraum, den man für heute in eine Bühne umgewandelt hatte, ertönte das Klingelzeichen. Eine junge Dame ... Freifräulein Alice von Biberfeld! flüsterten sich als Eingeweihte die Kenner der gesellschaftlichen Elite zu ... trat vor den Vorhang und deklamierte schlecht und recht einen Prolog, als dessen Verfasser der Zettel den Hofmarschall Ihrer Königlichen Hoheit, den Grafen von Ostenhofen-Ebenfeld nannte. Der Graf saß in der Mittelloge dicht hinter Ihrer Königlichen Hoheit. Kein Wunder also, daß der ganze Saal in atemloser Stille den furchtbaren Versen lauschte, deren Monotonie durch den gedankenlosen Vortrag des Freifräuleins von Biberfeld noch erhöht wurde.
Donnernder Applaus ertönte, als die nicht häßliche Blondine, der das ausgeschnittene weiße Kleidchen griechischen Schnittes vorteilhaft zu Gesicht stand, endlich die sechzehn Strophen dieses Prologes zu Ende gesprochen hatte. Sie schlossen mit einer plumpen Huldigung an Ihre Königliche Hoheit, die dem Winterfeste des Krippenvereins erst den wahren Glanz und Schimmer fürstlicher Gnade verliehen haben sollte.
Während Fräulein von Biberfeld mit einer devoten Verneigung nach der Mittelloge diese Verse in unterwürfigem Tone sprach, richteten sich aller Augen von der Bühne weg nach dem freundlich lächelnden Angesicht der Prinzessin, der diese Ovation gar nicht unangenehm zu sein schien:
»Wie Glanz der Sonne kamst du zu uns nieder
Und hebst dies Fest zu deiner Höh' hinauf!«
Der Hofmarschall hatte sich lächelnd erhoben und dankte huldvollst sich nach allen Seiten verneigend. Das ganze Publikum schien wirklich tief ergriffen.
Ein Schumannsches Lied, vorgetragen von der Hofdame Ihrer Königlichen Hoheit der Freifrau von Steinsdorff, bildete die Fortsetzung des Programmes. Die volle Brünette mit der schneeweißen Haut machte sich gut in der tiefausgeschnittenen dunkelroten Sammetrobe, die mit blühenden frischen Pelargonienzweigen geschmackvoll drapiert war. Sie leuchtete durch den ganzen Saal, und ihre Gefühle schienen so echt wie die Brillanten, die an ihrem nackten Halse funkelten.
Auch Rittmeister von Borsig auf Gundlershof, ein Kamerad des Grafen Waldburg von den Leibulanen, machte mit seinem Violinsolo Furore.
Das war doch etwas. Ein sichtbares Zeichen, daß der Sinn für Kunst, daß der Idealismus innerhalb unseres viel verlästerten Offizierskorps noch nicht im Schwinden begriffen waren, wenn es ein Mann in dieser Stellung, den der königliche Dienst an jedem neuen Tage für viele Stunden in Anspruch nahm, auf dem Gebiete der Musik zu solchen Leistungen brachte.
Die von der für Geld engagierten Frau Bürger vorgetragenen Mendelssohnschen und Schubertschen Lieder, sowie die Klavierpiècen des berufsmäßigen Virtuosen Carelli, die man beide zur Füllung des Programmes herangezogen hatte, wurden zurückhaltend und höflich beklatscht.
Man wußte eben, was man sich und »diesen Leuten« schuldig war, die man ja an jedem beliebigen Tage in der Oper und im Konzertsaal für fünf bis zehn Mark Entree hören konnte.
Nun kam der Clou des Programmes, auf den alles im stillen voll Ungeduld und Spannung gewartet hatte.
Ein Scherzo.
Gedichtet von Eberhard Graf Waldburg-Immenhausen.
Personen:
Pierrot – Der Verfasser,
Colombine – Frl. Etelka Seliger,
so sagte der Zettel.
Die dem Komitee des Winterfestes Näherstehenden wußten, daß dieses Fräulein Etelka Seliger, die Tochter des bekannten Börsianers, in letzter Stunde für die Freiin von Löwenklau wegen deren Erkrankung eingesprungen war. Aber die andern! – Seliger, Seliger! Der Name flog von Mund zu Mund. Etelka Seliger als Partnerin des Grafen Eberhard von Waldburg-Immenhausen in einem von diesem verfaßten Lustspiel!
Das war ja gerade, als wenn sich der Reichskanzler plötzlich mit einem Hirsch oder Maier associiert hätte und nun die gemeinsame Firma dieser beiden im Staatsanzeiger erschienen sei. Seliger und Graf Waidburg-Immenhausen!
»Der Vater soll ein Vermögen von dreißig Millionen in zehn Jahren zusammengeschachert haben,« flüsterte eine überschlanke, schon ältliche junge Dame ihrer Freundin in einer der ersten Sitzreihen des Saales ins Ohr.
»Ist denn das der Seliger von der Kommerzbank?« fragte ein alter Offizier seine etwas schwerhörige Ehehälfte.
Und diese sagte laut, so daß es alle Umsitzenden hören konnten:
»Ja, Kuno, es ist der Seliger von der Kommerzbank! Unerhört. So ein Affront vor den Ohren und Augen Ihrer Königlichen Hoheit. Der Graf hat sie selber zur Übernahme der Rolle aufgefordert. Und hübsch soll sie sein. Ihre Mutter war ja eine Christin, Tänzerin – Tänzerin an einem kleinen Hoftheater. So ein Affront!«
Das Klingelzeichen ertönte. Der Vorhang flog auseinander, die Bühne zeigte ein ärmlich ausgestattetes Zimmer, die Behausung des Pierrot, der sich eben zu seinem Ausflug zu den karnevalistischen Freuden des Winters rüstete. Aus der Tür des Nebenzimmers trat der Graf im Kostüm des auf Abenteuer ausziehenden Prinzen Karneval.
Die Zeit ist da, so folge denn dem Rufe,
Der jährlich trifft dein Ohr zur gleichen Stunde.
Schon flog von Haus zu Haus die frohe Kunde:
Es ist bereitet deines Thrones Stufe.
Es wehen Fahnen durch die bunten Gassen,
Und tausend Blüten fliegen in den Lüften,
Den Winter füllt ein Meer von Frühlingsdüften,
Sie harren dein, den Herrscher zu umfassen.
Du nahst, ein König, und das holde Lachen
Umkichert dich von tausend Frauenlippen.
Wie, willst du nur am Freudenbecher nippen,
Wo alle andern lebenstrunken prassen?
Nein, Pierrot, vergiß den alten Kummer,
Verlaß des Hauses leidgedrückte Enge
Und misch' dich lebensmutig in die Menge,
Die keine Nächte kennt und keinen Schlummer.
Es ruft das Winterfest, das oft genannte,
Auch heute zu erlesenen Genüssen
Noch kannst du singen, Pierrot, trinken, küssen,
Wenn Colombinchen auch dein Herz verbrannte.
So schmettert zu dem Feste, ihr Fanfaren,
Daß höher steig' der Schaum im Kelch des Lebens,
Noch sind wir da, wir lebten nicht vergebens,
Wenn wir auf dieser Erde trunken waren.
Voran, hinaus ins Meer der Lichterfülle
Wo tausend Herzen dir entgegen schlagen,
Wo tausend Arme dich durchs Leben tragen,
Entkleide du die Lust der neid'schen Hülle.
Ja, einmal trunken sein am rechten Orte,
Es ist das letzte Recht der Staubgeborenen
Er zähle jeden Tag zu den verlorenen,
Da er vorüberschlich der Freuden Pforte.
Hinaus, hinaus zum glänzendsten der Feste,
Wo sich im Tanze jubelnd dreht die Jugend,
Des Lebens Freude sei des Lebens Tugend,
Und von dem Guten nimm dir heut' das Beste!
Mit diesen Worten wandte sich der Pierrot nach der Tür, durch die nun Fräulein Etelka Seliger als Colombine eintrat.
Ein leises Geflüster ging durch den weiten Saal. Entzückend sah sie aus, geradezu entzückend! In dem kleidsamen Kostüm, an der Seite des hochgewachsenen Pierrot, dessen Blicke voll Bewunderung an ihr hingen.
»Gar nicht so übel,« flüsterte da eine der Zuschauerinnen, die reinblütige Baronin von Kleber, ihrer Nachbarin ins Ohr.
Ein leises Zittern der Erregung ging durch Etelkas Stimme, als sie nun mit den ersten Versen ihre Rolle begann. Aber bald fühlte sie sich ganz als Beherrscherin der Situation. Die Operngläser, die sich von dort unten auf sie richteten, vermochten sie nicht mehr aus der Fassung zu bringen. Die Nähe des Grafen gab ihr Ruhe und Kraft. O sie wußte, wie schön sie war, wie gut sie heute aussah, und sie hoffte, daß sie diese alle ausstechen und übertrumpfen werde.
Von tiefer, echt mädchenhafter Empfindung getragen, quollen nun die sanften Worte des Vorwurfs und der Liebe von ihren Lippen, in denen sie die Stimmung der von ihrem Pierrot verlassenen Colombine zum Ausdruck zu bringen hatte.
Die einzige Szene, aus der das Stückchen bestand, wurde zu einem Triumph für Etelka. Man fühlte, daß diese Colombine in der Tat zu ihrem Pierrot sprach, und lauschend folgte man der wohlklingenden Stimme des schönen Mädchens, bis das Ganze ausging in die von ihr voller Inbrunst gesprochenen Verse:
Du heischst Vergebung, Pierrot, und du weißt,
Nur Liebe ist des Weibes zartes Wesen.
Ahnst du in tiefster Seele, was es heißt,
Zwölf Monde bin ich fern von dir gewesen,
Zwölf Monde irrte ich auf deiner Spur,
Nun fand ich dich, und neu beginnt das Leben.
Nimm die Geliebte, Pierrot, nimm sie nur,
Denn wer sich selber gibt, der hat vergeben!
Vor aller Augen schloß nun der Pierrot seine Colombine in die Arme, vor aller Augen hing Etelka Seliger an dem Halse des Grafen Waldburg-Immenhausen.
»Das ist mehr als ein Spiel!« flüsterte man drunten im Zuschauerräume. »Das ist eine Liebeserklärung vor aller Welt.«
Der Erfolg war ein ganzer. Dreimal hob und senkte sich der Vorhang unter dem ehrlichen Applause und den Vivatrufen der Anwesenden, und Hand in Hand mit dem Grafen erschien Etelka auf der Bühne, das Lächeln des Stolzes und des Glückes um die hochmütig geschürzten Lippen.
Diesen allen, allen hatte sie heute ihren Sieg, das fühlte, das wußte sie, von der Bühne herab ins Gesicht geschleudert, den Sieg der kleinen jüdischen Bankierstochter Etelka Seliger in dem Wettkampfe um die Hand des Grafen Eberhard von Waldburg-Immenhausen, des schönsten Offiziers der Garnison!
Das Scherzo bildete den Schluß des Programms. Sofort nach Fallen des Vorhangs wurden der Graf und Etelka in die Loge zu Ihrer Königlichen Hoheit befohlen. Der Hofmarschall stellte beide der Prinzessin vor, die sich in Lobeserhebungen über das Stückchen und die Darstellung nicht genug tun konnte.
Als das schöne Paar die Loge verließ, sagte Ihre Königliche Hoheit zu einer ihrer Hofdamen:
»Ein herrliches Paar, die sollte das Leben nicht füreinander gemacht haben?!«
Die also durch eine Anrede Ausgezeichnete meinte mit einer tiefen Verbeugung:
»Es wäre schade um den Grafen, Königliche Hoheit, Fräulein Seliger ist Jüdin, und Graf Waldburg der beliebteste Offizier in der ganzen Garnison!«
Lächelnd warf der Hofmarschall, der heute wegen seines Prologes ein Lob seiner Prinzessin eingeheimst hatte und infolgedessen sehr mutig geworden war, dazwischen:
»Na, ewig kann einer doch nicht Rittmeister bleiben, dreißig Millionen soll der alte Seliger haben. Da kann man sich schon beruhigt zur Bewirtschaftung seines Rittergutes zurückziehen, ob die Wiege der gnädigen Frau nun an den Ufern des Jordan oder an denen der Neiße gestanden hat.«
Ihre Königliche Hoheit aber drohte lächelnd mit dem Finger:
»Ei, ei, mein lieber Ostenhofen,« sagte sie dabei, »Sie bekommen ja ganz liberale Anwandlungen. Was würden Sie wohl sagen, wenn der junge Ostenhofen eines Tages mit einer Hirsch oder Löb in Ihr gräfliches Haus gerückt käme?«
»Das ist bei uns etwas anderes, Königliche Hoheit,« erwiderte Ostenhofen ernst, »wer den Vorzug hat, zum Hofdienst herangezogen zu werden und dem regierenden Hause gewissermaßen nahesteht, dem erwachsen andere Verpflichtungen als dem freien Manne, der für sich und seine Kinder im fernen Osten des Vaterlandes seinen Kohl baut, wie das, so viel ich weiß, bei der Familie des Grafen von Waldburg-Immenhausen der Fall ist.«
Als Graf Waldburg kurz nach Mitternacht Etelka und deren Mutter an den Wagen begleitete, flüsterte er in das Ohr des jungen Mädchens die vielsagenden Worte:
»Ich werde also in acht Tagen von meiner Reise nach den Gütern zurück sein. Dann kann ich an jedem Tage mit deinem Vater sprechen!«
Frau Seliger war so müde, daß sie diese leise gesprochene Bemerkung überhörte. Als sie im Wagen saß, fielen ihr die Augen zu, und Etelka lächelte still beglückt vor sich hin.