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An der Börse zirkulierte der faule Witz: Wer ist selig, und wer ist seliger? Und die Antwort auf diese wohlfeile Scherzfrage lautete: Die kleine Klotilde Marbach und der Direktor der Kommerzbank.
Seliger hatte seine Pläne rasch verwirklicht. Im fernen und von der vornehmen jüdischen Gesellschaft fast nie besuchten Osten der Stadt, dort, wo sich eine schöne, aber einsame Hügelstraße nach einem ganz und gar nicht fashionablen Vorort erstreckte, hatte er sich für den Sommer ein kleines Gartenhäuschen gemietet, in dem er zusammen mit dem jungen Mädchen hauste.
Es war ein Idyll. Die Glyzinen, die eben zu blühen begannen, rankten sich bis unter das Holzdach des im Schweizerstile errichteten Chalet, und in dem Efeu, der die Hinterseite des kleinen Nestes emporkletterte, bauten die Rotschwänzchen und die Kohlmeisen, daß es eine reine Freude war.
Schon eine Woche nach der mit seinem Freispruch, endigenden Gerichtsverhandlung hatte Seliger mit Hilfe eines Sensals die kleine Besitzung, an der niemand mehr ein rechtes Interesse hatte – sie gehörte einer im Ausland wohnenden Witwe – ausfindig gemacht und sie für billiges Geld zu seinem Zwecke gemietet. Mollig, ja vornehm hatte er sie einrichten lassen, und Klotilde kam sich vor, wie eine verwunschene Prinzessin, wenn sie in seidener Matinée durch die behaglichen Räume rauschte, deren Nutznießung sie der Freigebigkeit ihres alternden Geliebten zu danken hatte.
Eine Köchin, ein Hausmädchen und ein Diener, der zugleich als Kutscher zu fungieren hatte, bildeten das Personal des kleinen Hauses, dem der immer für das Internationale schwärmende große Börsianer den Namen »Mon rêve« gab.
Das Apfelschimmelpaar, das in dem kleinen zu dem Häuschen gehörenden Stalle stand, hatte gute Tage. Denn nur selten fuhr Seliger in diesen herrlichen Frühlingswochen hinein in die Stadt, alle Tage einmal des Morgens nach der Kommerzbank, um dort nach dem Rechten zu sehen und seinen Austritt als Vorstand sowie die Zurückziehung der ihm gehörenden Millionen langsam vorzubereiten.
An der Börse erschien er nicht mehr. Er hatte keine Lust, dort die neuesten Börsenwitze zu hören, die sich einmal mit ihm und seiner Klotilde befaßt hatten.
Des Nachmittags ging es dann hinaus in den Wald. Ein kleiner Tannenschlag, in dessen Schatten es sich herrlich lustwandeln, und auf dessen weichem Nadelteppich es sich trefflich lagern und die Zeit verträumen ließ!
Der ruhelose Mann, der ein Leben lang geglaubt hatte, daß er ohne den nervenaufreibenden Kitzel des steigenden und fallenden Spieles der Börsenwerte nicht existieren könne, schien ein verliebter Narr und Träumer geworden zu sein, der die zarte Hand seines Mädchens in der seinen dem Locken der Vögel lauschte und dem Zuge der weißen Wölkchen am blauen Firmamente nachsah.
In der Villa, im Kreise seiner Familie vermißte man ihn nicht. Graf und Gräfin Waldburg-Immenhausen weilten schon seit einem Monat auf ihrem Gute Erlwitz, im Posenschen, das nach der Meinung des Grafen zunächst die Anwesenheit und das tatkräftige Zugreifen seines Besitzers nötig hatte. Der Abschied vom Militär war dem Grafen auf sein Gesuch hin in Gnaden bewilligt worden, und von dem ihm verliehenen Rechte zum Tragen der Uniform durfte er wie so viele an jedem patriotischen Ehrentage Gebrauch machen.
Vor einigen Wochen war Leo, dem es in der Stadt zu langweilig geworden, nach Berlin übergesiedelt. So waren nur Frau Hilde und Edith in der Villa zurückgeblieben. Und droben im obersten Stockwerk vegetierte Frau Rosenbusch, der man aus dem jüdischen Krankenhause eine neue Pflegerin geschickt hatte, weil Schwester Rosine nicht länger entbehrt werden konnte, und deren Gesundheit zur Pflege der Schwerkranken im Spital durch den langen Aufenthalt in der Villa Seliger wieder genügend gekräftigt war.
Frau Rosenbusch hatte diesen Wechsel in ihrer persönlichen Bedienung nicht mehr empfunden. Seit vier Monaten sprach sie überhaupt nicht mehr. Nur das Leuchten der großen, einst so schönen Augen und die Tatsache, daß sie noch Bouillon und schwere Weine, weiche Eier und Milchreis als Nahrung zu sich nahm, verbürgten, daß das Leben immer noch nicht aus dem widerstandskräftigen Körper der zähen, zweiundneunzigjährigen Jüdin gewichen sei.
Wenn sich einer über Seligers Liebschaft mit Klotilde Marbach freute, dann war das Seine Hoheit Prinz Egon von Trachenstein. Zwar vor den Leuten und besonders Hilde gegenüber nannte er die Tatsache, daß der sechsundfünfzigjährige Mann mit dem zwanzigjährigen jungen Mädchen, auch noch einer Schreibmaschinenmamsell, wie er verächtlich sagte, zusammen in einem Gartenhäuschen lebte, einen unerhörten Affront.
Aber die reichlichen pekuniären Mittel, die ihm Frau Hilde jetzt ungeniert zuwandte, das behagliche Leben in der vornehmen Villa, wo er täglich ein- und ausging, und das gute Essen hatten auf die Stimmung und das Aussehen das Prinzen ihre günstige Wirkung nicht verfehlt. Sichtlich begann er sich zu erholen. Seine Wangen waren nicht mehr so eingefallen, der Spindeldürre begann unter der guten Pflege noch einmal Fett anzusetzen, sogar sein Leiden hatte sich gebessert, die Unterlippe hing nicht mehr so tief herab wie früher, und er konnte ein Glas Sekt zum Munde führen, ohne mit der Hand zu zittern und die Hälfte des Inhalts auf Frau Hildes blütenweißes Damasttuch zu gießen.
Das behagliche Zusammensein mit dem Geliebten ihrer Jugend ließ auch Frau Hilde wieder aufleben, die Entfernung Seligers aus dem Hause gab ihr neue Kraft. Sie fühlte sich nicht mehr ganz so einsam und verlassen, so vernachlässigt, so von Gott und der Welt beiseite geschoben wie früher. Ein Teil ihrer Lebenslust kehrte zurück, zumal da der schlaue Hausarzt auf einen neuen Trick verfallen war.
Im Interesse ihrer körperlichen Schönheit hatte er ihr dringend zu einer Entfettungskur geraten, und es war ihm in der Tat gelungen, die bequeme und verwöhnte Dame, die für den günstigen Eindruck, den sie auf Trachenstein zu machen glaubte, fürchten mochte, zu veranlassen, etwas weniger Zucker und Mehl zu genießen und sich reichlichere Bewegung zu gönnen. Daß man sich dermaßen intensiv um ihr körperliches Wohlergehen kümmerte, regte ihre Lebensgeister aufs neue an. Massage und Gymnastik, Kneipp und Elektrizität waren gerade in die Mode gekommen, und wirklich, Frau Hilde raffte sich empor, sie mußte sich doch auch ihren beiden noch unversorgten Kindern, Leo und Edith, erhalten. Sie stand des Morgens um neun Uhr auf und übte zwei Stunden in einer gymnastischen Heilanstalt, bis ihr infolge der ungewohnten Anstrengung der helle Schweiß aus allen Poren rann.
Seit Etelka sich so glänzend mit einem wirklichen Grafen und ehemaligen Offizier bei den Leibulanen verheiratet hatte, war ihr außerdem mit einem Male eine neue Lebensaufgabe erwachsen. Edith war achtzehn, und an ihr war es nun, das Töchterchen in die große Welt einzuführen.
»Das Schaf«, wie Leo und Etelka Edith einst treffend genannt hatten, bedurfte dringend der Leitung von Seiten dieser Mutter. Zu lange hatte man es in der Tat wie ein ausgelassenes Lämmlein auf der Heide im Grünen grasen lassen. Die Besuche bei der alten Frau Rosenbusch, das Techtelmechtel mit Davidchen Mandelbaum, der Verkehr mit der Krankenschwester, die nur gar zu leicht solch einem jungen Ding verrückte Gedanken in das unreife Gehirn setzen konnte, das alles paßte mit einem Schlage Frau Hilde nicht mehr.
Möglich, daß Trachenstein mit seinen feinen Manieren als Kavalier dahintersteckte, möglich, daß er Frau Hilde davor gewarnt hatte, diese junge und hübsche Menschenpflanze ganz sich selber zu überlassen.
Als Edith ihren achtzehnten Geburtstag gefeiert, zu dem ihr Frau Hilde einen kostbaren Perlenschmuck geschenkt, hatte die Mutter dem jungen Mädchen eine große Rede gehalten. Die Tage der Kindheit und die Jahre der Dummheiten seien nun vorbei, hatte sie im ernstesten Tone von der Welt gesagt. Sie trete jetzt in das Alter, wo aus einem Backfisch und Wildfang eine junge Dame werde, die ernstlich an die Gestaltung ihrer Zukunft und an ihre Pflichten gegenüber der Gesellschaft zu denken habe.
Edith war anfänglich gar nicht einverstanden gewesen. Ihr gefiel es droben bei der Urgroßmutter, wo sie ungestörte Stunden der Zärtlichkeit mit dem verliebten und tolle Pläne der Zukunft schmiedenden Davidchen Mandelbaum verbringen konnte. Aber Frau Hilde ließ sich nicht abschrecken. Ins Gesicht sagte sie ihr, daß der Verkehr mit einem Lehrling der Kommerzbank durchaus kein geeigneter für eine junge Dame aus ihrer Gesellschaftssphäre und von ihren Ansprüchen sei, daß sie so gut wie Etelka auf eine Mitgift von einer Million zu rechnen habe, und daß sie wie diese ihre Hand einem veritablen Grafen oder gar einem Prinzen reichen könne und sich nicht mit einem vermögenslosen Judenjungen, der in der Kommerzbank die Portokasse zu verwalten habe, verplempern dürfe.
Auf die Antwort Ediths, Davidchen Mandelbaum sei gar kein Lehrling, er sei ein Dichter, lachte Frau Hilde höhnisch auf. Was denn der wohl gedichtet habe? Sie habe noch niemals etwas von diesem Herrn Mandelbaum in den Zeitungen gelesen, Leo sei ein Dichter, der gehe jetzt in Berlin einer großen Zukunft entgegen. Und überhaupt sei die Literatur nur eine Beschäftigung für reiche Leute, aber nicht für einen Menschen, der mit hundert Mark Salär monatlich bei der Bank angestellt sei.
Das hatte viele Tränen gegeben. Aber Frau Hilde hatte nicht nachgelassen. An jedem neuen Morgen hatte sie Edith ins Gebet genommen, und »das Schaf« hatte geglaubt, daß die Mutter in ihrem Rechte sei.
Zwar die heimlichen Zusammenkünfte mit dem schwärmerischen Davidchen, das von Woche zu Woche schönere und glühendere Verse machte, droben in der Wohnung der Urgroßmutter oder draußen unter den blühenden Bäumen des Frühlings gab Edith deshalb nicht auf.
Denn sie war weniger »Schaf«, als Etelka und die Mutter vielleicht annehmen mochten. Auch sie kannte ja die Gepflogenheiten ihres Hauses, und ganz im stillen sagte sie sich jetzt, daß eine Ehe mit einem Grafen oder einem Prinzen eine Liebschaft mit Davidchen Mandelbaum noch lange nicht ausschlösse. Denn auch ihr waren von den hohen Idealen, die sie einst aus ihrer Schweizer Pension mitgebracht hatte, im Laufe der Zeit manche verloren gegangen, und die heilige Furcht, die sie noch vor Monaten empfunden, die Furcht mit den anderen gemein zu werden, begann sich in dieser Atmosphäre des Leichtsinns und des Lebensgenusses langsam zu verflüchtigen.
Das süße Nichtstun, die Putzsucht und die Eitelkeit, das behagliche Bewußtsein der Möglichkeit, allen seinen Launen die Zügel schießen zu lassen, das Duseln morgens in dem warmen Bette, und das Gedämmer in den Flaumenpolstern des Wagens, der schnell und lautlos auf seinen Gummirädern dahinfuhr, weckten auch in ihrem Herzen schlechte Gedanken.
Eine entsetzliche Angst hatte sie im letzten Winter vor dem ersten Ball gehabt, den sie in Begleitung der Mutter hatte besuchen müssen. Nicht vor dem Schimmeln und nicht davor, wie sie sich mit den Herren unterhalten sollte, nein! Aber das Kleid, das ihr die Schneiderin für diesen Ball gemacht hatte, war nach ihrem jungfräulichen Gefühl schamlos gewesen. Und dennoch hatte sie es angezogen und hatte sich den Augen der Männer halbnackt, wie sie meinte, präsentiert. Und es war gegangen. Sie war nicht in den Erdboden gesunken, sie war nicht davongelaufen, es hatte ihr sogar Freude bereitet, wenn sie sah, daß die Blicke der Herren wohlgefällig auf ihrem alabasterweißen Halse ruhten und auf der zarten Rundung ihrer zierlichen Brüste, die die elfenbeinfarbene Seide der Taille nicht hatte verdecken wollen.
Und seit dem Winter hatte ein gesellschaftliches Vergnügen nach dem anderen den Hauptplatz in Ediths Beschäftigung eingenommen.
Jetzt kam die Frühlingssaison. Sie hatte Ruhe erhofft, aber Frau Hilde schleppte sie zu neuen Sensationen. Sie fand die nötige Sammlung nicht mehr. Denn seit dem Freispruch Seligers und seit ihrer völligen Trennung von dem Gatten suchte Frau Hilde etwas darin, überall dabei zu sein und sich bei jeder Gelegenheit sehen zu lassen. Und Edith gab der dicken Frau Seliger in ihrer Jugend und Anmut den plausibeln Grund, an allen Festlichkeiten teilzunehmen und überall eine Rolle zu spielen, denn die opferbereite Mutter tat eben alles für »das Kind«.
Wenn Edith mit ihr erschien, wenn sie in dem von zwei prächtigen Rappen gezogenen offenen Wagen an ihrer Seite saß, dann konnte sie der allgemeinen Aufmerksamkeit sicher sein. Und das wollte sie. Sie wollte der Welt zeigen, daß sie sich aus Seligers offenem Bruche, nichts mache, und daß sie auch ohne ihn imstande sei, das Leben zu genießen.
So ward Edith ihr Opfer. Und nur zu natürlich, immer mehr verblaßte das Bild Davidchen Mandelbaums in dem Herzen des jungen Mädchens, je mehr sich dieses dem leichtsinnigen und oberflächlichen Genüsse dessen, was gerade die Stunde dem Reichen bietet, hingab.
Dinge, die sie früher gar nicht gesehen, an denen sie einst achtlos vorübergeschritten war, fielen ihr jetzt auf. Die Herren in erster Linie, die Frau Seliger grüßten und sich die Hälse nach der Equipage verdrehten, die jungen und fast noch mehr die alten, gefielen dem »Schaf«.
Die Besorgungen bei der Putzmacherin und in den Kleidermagazinen, die Juweliergeschäfte und die Weißwarenläden zogen sie mit einem Male an. Ein Pariser Spitzendessous, das in einem der vornehmsten Geschäfte ausgestellt war, erregte ihre Bewunderung, der Preis der Diamanten und Perlen interessierte sie. Der weibliche Vampyr, der sich für Kinkerlitzchen, die ein Vermögen kosten können, an den Meistbietenden verkauft, war plötzlich unter Frau Hildens sachverständiger Leitung in der Seele des einst so harmlosen Dinges, des »Schafes«, wie sie Leo und Etelka spöttisch genannt hatten, erwacht.
Es war ein herrlicher Samstagnachmittag zu Anfang des Mai. Unaufhörlich rollten die Wagen der vornehmen Welt jüdischer und christlicher Konfession über die den breiten und stolzen Strom überspannende Brücke und bogen in die schattige, mit Ahornbäumen bepflanzte Allee, die von dort nach dem am Rande des Forstes gelegenen prächtigen Rennplatz führt.
Frau Hilde sah gut aus. Das Meergrünseidene und der mit weißen Straußenfedern überladene große neue Hut aus Florentiner Geflecht kleideten sie vorzüglich. An ihrer Seite im Fond des Wagens lehnte Edith in einer glatten Robe aus salmfarbenem Atlas, einen mit gleichfarbigen Bändern verzierten und mit Rosenknospen ausgeputzten Schäferhut auf dem Kopf.
Den Rücksitz des Wagens nahm wie immer in den letzten Monaten der »Onkel« ein, Prinz Egon von Trachenstein. Er trug zur Feier des Tages einen blendend weißen Nanking, einen soeben für hundertundzwanzig Mark erstandenen Panama und im Knopfloch eine La France. Der große Feldstecher, den er umgehängt hatte, markierte den altgedienten Militär, den einstigen Herrenreiter und großen Sportsman.
Der Seligersche Wagen war nach dem sachkundigen Urteil Seiner Hoheit in tadelloser Verfassung. Ein moderner viersitziger Landauer mit allen nur erdenklichen Bequemlichkeiten, der auf doppeltem Gummi lautlos dahinfuhr. Ernst, Seligers altgedienter Kutscher, und Karl, der neuengagierte Diener, ein früherer Offiziersbursche, dessen Disziplin Seine Hoheit in Entzücken versetzen konnte, trugen heute zum ersten Male die neue helle Sommerlivrée.
Die beiden Rappen, zwei junge Tiere englischer Abstammung und voll Rasse, hatten wohl den tadellosesten Tritt von allen Herrschaftspferden der Stadt. Seine Hoheit fühlten sich in dieser Situation wieder einmal ganz auf der Höhe, auf die ihn Rang und Geburt gestellt hatten, und er unterhielt sich animiert mit Frau Hilde, indessen Edith die Insassen der vorüberfahrenden Gefährte musterte.
In knapp einer halben Stunde hatten die Rappen den Weg von der Stadt nach der Rennbahn zurückgelegt.
Hier herrschte das lebhafteste Treiben, denn bereits vor einer Stunde hatten die Rennen ihren Anfang genommen. Nachdem der Seligersche Wagen auf den Wagenplatz eingebogen war, und Seine Hoheit die Damen nach der ersten Tribüne geleitet hatte, begab er sich alter Gewohnheit gemäß zunächst nach dem Sattelplatz, um das Material zu besichtigen. Allem Anschein nach versprachen die Rennen gut besetzte Felder. Vor allem das Frühjahrshandikap für Vierjährige, das von Herren geritten werden mußte und das wegen der Persönlichkeiten der Reiter das größte Interesse in erster Linie in den Kreisen der Damenwelt erregte.
Als Prinz Egon die Namen auf dem Programm studierte, glitt ein wehmütiges Lächeln um seine heute wieder mehr als in den letzten Tagen herunterhängende Unterlippe. Lauter Neulinge, nichts mehr von der alten Garde, in deren Reihen er einst vor dreißig Jahren als unbesiegbarer Champion geglänzt hatte.
Er ging nach der Tribüne und überzeugte sich, daß den Damen nichts fehle, dann machte er als alter Pferdeenthusiast das nun folgende Jungfernhürdenrennen an der Barriere mit.
Aber seine Aufmerksamkeit weilte nicht bei dem schön besetzten Felde, und nicht einmal das glänzend gerittene Finish, in dem Wanda die Favoritin Walkyre um wenige Nasenlängen schlug, verscheuchte die großen Gedanken und die kühnen Pläne, die er in seinem Inneren hin und her erwog.
Der Tag zum Handeln war doch jetzt endlich gekommen. Seine Lage bedurfte dringend der Klärung. Wie lange noch, und die nur mühsam mit Versprechungen beruhigten Gläubiger konnten sich wieder melden. Unerschöpflich waren auch Frau Hildes Mittel nicht, solange er keine andere, keine sicherere Position in dem Hause des Börsenkönigs einnahm.
Ein Glück, daß sie diesen Seliger freigesprochen hatten, sonst wäre alles vereitelt worden, er hätte sich zurückziehen müssen, denn zu einem Manne, der im Gefängnisse gesessen, hätte er, ein Sprosse fürstlichen Geblütes, unmöglich in nähere Beziehungen treten können. Aber so! Freigesprochen war eben freigesprochen. Zum Donnerwetter, die Zeit drängte. Sechs Monate hatten ihm seine schlimmsten Peiniger noch Frist gegeben, sechs kurze Monate, und drei davon waren am ersten Mai schon verstrichen gewesen.
Daß Hilde auch noch immer ihre eifersüchtigen Bedenken hatte. Mit den Weibern, es war einfach gräßlich, nicht zum Aushalten, alle gleich, wenn es einmal auf diesen Punkt kam. Und dann! Welche Garantie hatte er denn, daß dieser Seliger der Schreibmamsell nicht eines schönen Tages überdrüssig würde, daß er dann nicht in die Villa zurückkehrte, ihm aufs neue die Tür wies, und daß dann alles vorbei sein werde!
Noch heute mußte er Hilde wieder auf den Zahn fühlen, wie sie denn seinem Plane gegenüberstand.
Er hoffte mit aller Bestimmtheit auf einen Sieg. Sie war eitel, maßlos eitel, tönende Namen fielen bei ihr immer in die Wagschale, und der seine hatte einen Klang. Seine Hoheit Prinz Egon von Trachenstein, das klang denn doch noch ganz anders als Graf Waldburg-Immenhausen.
In blühender Kraft und Jugendschönheit sah er Edith die Treppe der Tribüne hinab auf den grünen Rasen schreiten. Sie ging auf eine Gruppe von jungen Damen zu, unter denen sie Bekannte haben mochte, die dort drüben mit einem Leutnant von den Leibulanen flirteten.
Diesen Moment mußte er benutzen. Das nächste Rennen war schon das letzte, das Handikap, das er sich nicht entgehen lassen durfte, und im Wagen, in Ediths Gegenwart, da würde es wieder unmöglich sein.
Mühsam, schon ein bißchen altersschwach, stieg er die steile Treppe zur Tribüne hinauf, auf deren vierter Reihe ihm der crêmefarbene, mit echten Venezianer Spitzen besetzte große Sonnenschirm die Anwesenheit Frau Hildes ankündigte.
Als er neben ihr Platz genommen hatte, sagte er:
»Es sind heute viel Bekannte auf der Rennbahn, geliebte Hilde. Die Herren von den Leibulanen sind fast vollzählig erschienen.«
»Fast,« wiederholte Frau Hilde mit einem leisen Seufzer.
»Du denkst an den Grafen von Waldburg-Immenhausen,« fuhr er fort, »der fehlt allerdings.«
»Ja, der schönste Offizier der Garnison fehlt.«
»Das hat er sich allerdings verscherzt,« sagte nun Seine Hoheit, »meiner Meinung nach hätte er das auch anders haben können, auch ohne diesen Affront, Seliger hätte schon nachgeben müssen.«
Frau Hilde schwieg nachdenklich.
»Hast du übrigens mit Edith gesprochen?« fragte er nun unvermittelt.
Erschrocken sah sie ihn an. Dann traten die hellen Tränen in ihre großen, blauen Augen. »Egon,« schluchzte sie, »du bist mich leid, du willst mich zur Seite schieben!«
»Aber, Geliebte meiner Seele, Königin meines Herzens,« sagte er pathetisch, »ich dich beiseite schieben, ich, der für niemanden anders als nur für dich allein lebt! Du kennst doch meine Lage!! Seliger wird zurückkehren, und dann ist alles, alles aus, wenn wir nicht vorher zu einer Klärung der Situation gekommen sind. Ich bleibe dir unverloren, Geliebte, ich bin dein, ob ich Edith geheiratet habe oder nicht. Du kennst doch selbst die Motive der meisten Ehen. Im Gegenteil, unser Leben wird sich noch harmonischer, noch inniger gestalten, teuerste Hilde, wenn ich erst vor den Augen deines Mannes und vor den Augen der Welt dein Schwiegersohn geworden bin!!«
»Und Edith?«
Frau Hildes Stimme zitterte. Sie hatte in diesem entscheidenden Augenblicke wirklich Mitleid mit dem Kinde.
Erstaunt, verständnislos sah er sie an.
»Edith? Was kann sie Besseres verlangen, als einen fürstlichen Namen und einen Gemahl, der sich doch, das wirst du, liebe Hilde, am ersten zugeben, vor aller Welt sehen lassen kann. Ihrer persönlichen Freiheit werde ich, wie ich dich schon des öfteren versichert habe, keinerlei Hindernisse in den Weg legen, vorausgeschickt natürlich, daß jeder Affront, der meinem fürstlichen Namen zur Unehre gereichen könnte, vermieden wird. Also, liebste Hilde, wenn du keine anderen Bedenken hast, als deine wirklich unbegründete Eifersucht, dann rette deine und meine Ruhe und sprich mit Edith, die mich gewiß in monatelangem Zusammensein ein wenig schätzen gelernt hat und die mir Achtung und Freundschaft entgegenbringt!«
Frau Hilde weinte.
»Das ist es ja gerade, Egon, wenn sie dich nicht leiden könnte, aber, wer sagt mir denn, daß sich nicht Liebe aus Achtung und Freundschaft entwickeln kann?«
Nun mußte Seine Hoheit doch lächeln. Alles konnte er sich denken, es war kein Ding auf der Welt unmöglich, aber daß Edith ihm einmal Liebe entgegenbringen werde, das war denn doch –
»Fürchte nichts, Hilde, und sprich mit Edith, ja sprich bald mit ihr!«
»Ich muß es mir gründlich überlegen, Egon, gründlich.«
Frau Hilde brach den Satz ab, denn Edith löste sich aus der Gruppe, mit der sie unten geplaudert hatte, und schritt wieder auf die Tribüne zu.
Die Rennen gingen zu Ende. Man fuhr zurück. Zwischen Frau Hilde und dem Prinzen Trachenstein wurde heute kein Wort mehr in der für Ediths Schicksal so wichtigen Angelegenheit gewechselt.
Es war ein harter Seelenkampf, der sich jetzt in Frau Hildes Innerm entspann, und Wochen dauerte es, bis sie endlich mit sich ins reine kam. So viel sie auch hin und her überlegte, so viele Gründe sie auch gegen diese sinnlose Heirat zwischen dem Prinzen und Edith ins Feld führen mochte, Trachenstein behielt doch am Ende recht. Ihr gegenseitiges Verhältnis war so, wie es war, unhaltbar geworden. Ein Mäntelchen war nötig, hinter dem sie ihre Beziehungen verstecken, ein Vorwand, durch den sie den täglichen Verkehr des Prinzen im Hause Seliger erklären konnten. Sie zermürbte sich das Gehirn, alles half nichts, sie weinte des Nachts in die Kissen heiße, bittere Tränen, sie war eine unglückliche Frau. Trachenstein hatte recht und wieder recht. Wenn Seliger zur Besinnung kam, wenn er der Schreibmaschinenmamsell den Laufpaß erteilte und eines schönen Tages in die Villa zurückkehrte, dann war es zwischen ihr und dem Prinzen aus.
Wie anders, wenn er in der Zwischenzeit, da sich Seliger um sie und die Geschicke seiner Familie gar nicht kümmerte, ihr Schwiegersohn geworden war!
Die Gerüchte in der Stadt, das Geschwätz der Dienerschaft würden verstummen, wenn die Welt erst eingesehen hätte, daß die Bemühungen Seiner Hoheit der liebreizenden Tochter und nicht der Mutter gegolten hatten.
Und sie behielt den Freund für sich. Was war denn auch dieses Verhältnis schon seit Jahren anderes als eine Seelenfreundschaft, eine platonische Zuneigung zu einem der Edelsten der Nation, wie es Frau Hilde oft im Innersten begeistert und voll poetischer Verzückung nannte. In der Tat, sie verloren nichts, wenn Trachenstein Ediths Gatte geworden war, und sie gewannen alles. Niemand würde dann mehr das Recht haben, den intimen Freundschaftsbund zwischen Schwiegersohn und Schwiegermutter zu stören, aus dem die tolle Leidenschaft, mit der sich die Tänzerin einst in die Arme des lebenslustigen Reiteroffiziers geworfen hatte, längst gewichen war. Es war am besten so, Trachenstein hatte recht.
Und nicht nur ihr gegenseitiges Verhältnis, auch Trachensteins eigene Situation, die der Klärung so dringend bedurfte, würde mit einem Schlage eine andere werden. Der Millionär Seliger konnte dem fürstlichen Gemahl seiner Tochter nicht weigern, was er dem Liebhaber seiner Frau ausgeschlagen hatte. Sein und ihr Lebensabend waren gesichert, seiner in pekuniärer Beziehung, und ihrer in bezug auf die stillen Wünsche ihres Herzens, die nur in dem Seelenbunde mit Seiner Hoheit ihre innerste Befriedigung finden konnten.
Und Edith? Was war dabei? Wie viele junge Mädchen hatten nicht schon alternden Männern die Hand zum ehelichen Bunde gereicht, wenn diese eine glänzende Stellung oder einen weithin leuchtenden Namen in die Wagschale zu werfen hatten. Hatte sie nicht selber den Juden Seliger nur um seiner Millionen willen geheiratet, und es war doch gegangen, schlecht und recht.
Und Seliger war damals noch ein Jüngling gewesen, während Trachenstein fast an der Schwelle des Greisenalters stand. »Auf Abbruch heiraten« hatte man das damals in den Kreisen der Ballettdamen an dem kleinen Hoftheater, dessen Star sie gewesen, genannt. Du lieber Himmel, jeder Mensch mußte in diesem Leben Opfer bringen, vollkommen war nichts auf der Erde. Und Edith war noch so jung, erst achtzehn, sie hatte noch das ganze Leben vor sich. Einmal Witwe geworden, stand ihr die Welt offen, und die Witwe Seiner Hoheit des Prinzen Egon von Trachenstein würde mit ihren Millionen noch ganz andere Abnehmer finden als die simple Edith Seliger.
Je mehr sie sich mit diesen Gedanken und mit dem Vorschlage des Prinzen befreundete, desto schöner und sonniger malte sie sich die Zukunft aus. Ja, Egon war doch ein gescheiter Mensch. Für so ein junges Ding wie Edith, das in solch glänzenden Verhältnissen lebte, war die Ehe ja nichts als eine Spielerei. Wenn sie an ihre Jugend zurückdachte, an all die Entbehrungen und die Demütigungen, die sie als angehende Ballerina hatte durchmachen müssen, bis Trachenstein als der erste Erretter aus all ihrer Misere gekommen war, bis sie dann, von diesem verlassen, endlich Harry Seligers Frau geworden und endlich den Hafen erreicht hatte. Von all dem hatte Edith keine Vorstellung.
Wie viele Opfer hatte nicht Frau Hilde gebracht, ein kleines Opfer, der Mutter zuliebe, konnte auch die verwöhnte Tochter bringen. Ein Opfer, das sie nicht einmal als solches empfinden würde.
Frau Hilde hing so sehr an den Äußerlichkeiten dieses Lebens, daß sie sich Ediths Stellung an der Seite des Prinzen geradezu als eine beneidenswerte ausmalte. Seliger verfügte über die nötigen Mittel. Seinen Kindern gegenüber war er nie knauserig gewesen. Was konnte es Verlockenderes für ein junges Mädchen geben, als mit achtzehn Jahren seine eigene Herrin zu sein und im Golde wühlen zu dürfen? Was war sie mit achtzehn Jahren gewesen? Ein aus dem Elternhause entlaufener Nichtsnutz, der in der Ballettschule getanzt und sich des Abends mit einem Glase Milch und einem Stück trockenen Brotes begnügt hatte.
Und Edith? In ihrem eigenen Coupé würde sie durch die Straßen der Stadt fahren, Kammerdiener und Zofen würden zu ihrer Verfügung stehen und eine schloßähnliche Villa würde sie bewohnen, die zu dem fürstlichen Namen ihres Gemahls im richtigen Verhältnisse stehen mußte.
Und wenn sie klug war, wer hinderte sie daran, die Freuden der Liebe zu genießen, wie ja auch sie diese in ihrer Jugend genossen hatte, den alternden Mann und dessen Freundschaft der vereinsamten Mutter zu überlassen und, wenn sie denn keinen besseren Geschmack hatte, den »Dichter« David Mandelbaum in ihr Haus zu ziehen, um sich einen Trost und ihren Salons ein literarisches Relief zu verschaffen? Sie war beneidenswert, die kleine Edith, wollte es Frau Hilde bedünken.
Eines Morgens endlich stand ihr Entschluß fest. Sie hatte wieder einmal eine schlaflose Nacht hinter sich, nicht einmal die sonst unfehlbaren, von dem Medizinalrat für solche Fälle verordneten Aspirinpulver hatten es vermocht, ihr den gesuchten Schlaf zu bringen.
Gestern abend hatte Trachenstein sie wieder zur Entscheidung gedrängt. In den langen Stunden, während deren sie sich ruhelos in den warmen Daunen ihres Bettes hin- und hergewälzt, hatte sie sich ihren Plan zurechtgelegt. Sie wollte Edith überrumpeln, das war das beste, einem überraschenden, völlig ungeahnten Vorschlage gegenüber hielten solch junge Seelen am schwersten stand.
In ihrer gymnastischen Kur in der therapeutischen Turnanstalt hatte sie heute einen Ruhetag. Auch dieser Umstand wirkte günstig auf ihre angegriffenen Nerven und gab ihr einen Teil der an den Turntagen sie völlig verlassenden Tatkraft wieder. Nachdem sie den ihr von der Zofe im Bett servierten Frühtee eingenommen und Toilette gemacht hatte, ließ sie Edith in das Boudoir rufen.
»Setze dich, mein Kind,« sagte sie zu der eintretenden, sie erstaunt und fragend anschauenden Tochter, »ich habe eine wichtige Sache mit dir zu besprechen.«
Die an Gehorsam gewöhnte Tochter, »das Schaf«, folgte den Worten der Mutter, und ihre großen blauen Augen waren forschend auf diese gerichtet.
»Es ist eine wichtige, für dein ganzes Leben ausschlaggebende Angelegenheit, meine liebe Edith. Ich muß dich daher gleich bitten, mich in Ruhe anzuhören, gut aufzupassen und dir alles, was ich sage, auf das reiflichste zu überlegen. Eine hohe Ehre, wie sie nur wenigen Menschen zuteil wird, ist dir widerfahren, mein Kind! Seine Hoheit der Prinz Egon von Trachenstein hat gestern abend bei mir um deine Hand angehalten.«
Jede andere Antwort hätte Frau Hilde erwartet, nur nicht das silberhelle Lachen, das nach diesen Worten, die sie soeben in heiligem Ernste ausgesprochen, Ediths Lippen entquoll.
Sie wurde nervös.
»Was soll das heißen, du lachst, mein Kind, wenn deine Mutter dich hierher ruft, um eine so ernste, eine für dein ganzes Leben wichtige Werbung mit dir zu besprechen?«
»Aber, Mama,« begann jetzt Edith, »du willst deine Scherze mit mir treiben. Das ist ja doch unmöglich. Onkel Trachenstein, ach nein!« Sie lachte wieder. »Zu komisch, Onkel Trachenstein, auf dessen Knien ich geschaukelt habe, der mich auf seinen Schultern hat reiten lassen, den soll ich heiraten, das ist wirklich zu komisch!«
Frau Hilde konnte keine Worte finden, indessen sich Edith vor Lachen schüttelte.
Endlich hatte sich Frau Hilde gefaßt.
»Ich weiß nicht, was du daran komisch findest, liebe Edith. Wenn du die Verhältnisse in unserer Gesellschaft mit klaren Augen betrachtest, dann wirst du bald anderer Meinung werden. Die meisten Männer sind viel, viel älter, als ihre Frauen, sie könnten oft die Väter ihrer Frauen sein, und dennoch sind gerade diese Ehen die glücklichsten geworden. Im Gegenteil, ein junger Mann ist ein Unglück für eine Frau, das habe ich in meiner Ehe bitter erfahren müssen, aber ein gesetzter Mann, der die Ausschweifungen, ja die Ausschweifungen, der Jugend hinter sich hat, der bietet allein die Garantie für ein glückliches Zusammenleben. Ja, mein Kind, du sprichst eben von Dingen, die du ganz und gar nicht verstehst! Aber davon ganz abgesehen. Glaubst du denn, daß sich jeden Tag ein Prinz finden wird, der bereit ist, nach allem, was vorgefallen, nach Etelkas Benehmen und nach Papas Prozeß, dir seine Hand anzubieten? Bedenke, ein bürtiger Prinz, dessen Bruder regierender Fürst ist, bedenke doch, mein Kindl«
»Aber, ich will ja gar keinen Prinzen, Mama, das ist ja ein Irrtum von dir,« sagte nun Edith, und wieder begann sie zu lachen, »nein, das ist doch zu komisch! Ich und Onkel Trachenstein, zu komisch, ich kann mich über die Komik dieser Vorstellung gar nicht beruhigen! Weißt du, was die Leute, was die Dienerschaften im Hause behaupten, Mama?«
Fragend, ein leises Zittern im Körper, sah Frau Hilde ihre Tochter an.
Und diese fuhr fort:
»Onkel Trachenstein ist dein Geliebter, sagen sie.«
Bis in die Haarwurzeln errötete Frau Hilde. Aber sie faßte sich rasch:
»Diese Leute sagen den Damen unserer Kreise mit Vorliebe solche Dinge nach, wenn auch kein wahres Wort daran ist, meine liebe Edith.«
»Ach, Mama, das sind nicht nur diese Leute, die das sagen, auch Etelka hat das immer gesagt. Und außerdem, ich heirate einmal später, wenn mir niemand mehr etwas zu sagen haben wird, und wenn aus David Mandelbaum ein großer Dichter geworden ist.«
Nun schlug Frau Hilde eine helle Lache an.
Sie fand gar keine Worte. Vor Lachen konnte sie nicht zum Sprechen kommen.
Schließlich ärgerte sich Edith.
»Er wird ein großer Dichter,« rief sie.
»Ja, wenn du darauf warten willst, meine Liehe, dann allerdings. Aber wer weiß denn, ob Herr Mandelbaum in zehn oder fünfzehn Jahren, wenn er einmal ein großer Dichter geworden ist, überhaupt noch etwas von dir wissen will, mein Kind. Dann bist du eine alte Jungfer geworden, wer weiß, wie du dann aussehen wirst, und Herr Mandelbaum! Die Dichter, das sind sehr merkwürdige Herren, mein Kind, ich kenne sie vom Theater her. Die besingen die jungen Mädchen und schwärmen sie an, und alle halbe Jahre brauchen sie eine andere Flamme, die ihrer Begeisterung neue Nahrung gibt. Einer solchen Gefahr, meine liebe Edith, würde ich mich nicht aussetzen, wenn ich mit achtzehn Jahren einen leibhaftigen Prinzen heiraten könnte! Und dann, schließt denn wirklich die Heirat mit einem Prinzen die Liebe eines Dichterjünglings aus?«
Frau Hilde kniff die Augen zusammen und lächelte Edith verständnisinnig zu.
»Das ist gemein, Mama,« rief das Mädchen.
Frau Hilde ließ sich aber nicht aus der Fassung bringen, sie lächelte wieder.
»Du bist jetzt achtzehn, meine liebe Edith, du glaubst doch selbst nicht, daß Papa seine Einwilligung zu einer Heirat mit dem dir ungefähr gleichaltrigen Dichterjüngling geben wird. Bis du einundzwanzig bist, wirst du immer noch warten müssen, und wer weiß, ob dich Davidchen Mandelbaum dann noch liebt? Mit dem Prinzen ist das eine andere Sache. Du wirst dein eigenes Haus bekommen, deine eigenen Zofen und Diener, deine eigenen Pferde und dein eigenes Geld. Wie ich den Prinzen kenne, wird er der letzte sein, dir deine Freiheit zu beschneiden, und wenn ich du wäre –« Wieder schloß sie die Augen und blinzelte Edith unzweideutig zu. »Wenn ich du wäre, dann sagte ich frohen Herzens ›Ja‹, denn der Gemahlin des Prinzen kann Davidchen Mandelbaum gerade so gut seine Huldigungen darbringen, wie der kleinen Edith, und für ihn, für deinen Dichter, dessen du doch jetzt sicher zu sein glaubst, wird es größeren Wert besitzen, die in der Gesellschaft eine Rolle spielende Frau des Prinzen zu besingen, als den Backfisch, der sich zu Urgroßmutter Rosenbusch in die Mansarde verkriecht! Wenn ich meinem Dichter so von Nutzen sein könnte, meine liebe Edith –«.
Jetzt wurde Edith ernst. Hatte ihr nicht Davidchen Mandelbaum erst gestern, Tränen in den Augen, erzählt, daß man ihm sein Stück »Das Alter« von seiten der Intendanz zurückgesandt habe, und hatte er nicht hinzugefügt, daß nur die Protektion beim Theater etwas auszurichten vermöchte? Wenn sie als Frau eines Prinzen, als Schwägerin eines regierenden Fürsten sich für Davidchens Poesien interessierte, am Ende hatte die Mutter doch nicht ganz unrecht!
Frau Hilde bemerkte den Umschwung in Ediths Stimmung.
»Ich will dich heute keineswegs zu einer Entscheidung drängen, mein Kind, denn ich sehe, daß du dir diese wichtige Sache doch reiflich zu überlegen entschlossen bist. Denke darüber nach! In ein paar Tagen werde ich dich wieder nach deiner Meinung fragen.«
Etwa drei Wochen später gab Edith dem Prinzen von Trachenstein ihr Jawort. Frau Hilde hatte gesiegt. In so leuchtenden Farben hatte sie an jedem neuen Tage dem jungen Mädchen die Zukunft an der Seite des prinzlichen Gemahls geschildert, daß dieses nicht mehr hatte widerstehen können.
Die Unabhängigkeit und das Leben einer »grande dame«, deren Mann über einen solchen Namen, und die selber über Millionen verfügte, die Prunkräume der fürstlichen Villa, die der Vater seinem Kinde für sein neues Glück einrichten würde, den herrlichen Trousseau, der in Paris bestellt werden sollte, die kostbaren Roben, die man für sie anfertigen, die Perlenschnüre und die Brillantenketten, die man ihr zu Füßen legen würde! Und dann hatte sie von den Dienern und den Zofen, von den Pferden und den Wagen, von den Gesellschaften und Festlichkeiten gesprochen, die den fürstlichen Haushalt, dessen unumschränkte Herrin sie sein werde, zum Mittelpunkt der auserlesensten Kreise der Stadt machen würden.
Einen tollen Reigen führte die ganze Welt vor Ediths Augen auf, in ein blühendes und glänzendes Reich der Zukunft glaubte das junge, unerfahrene Ding zu blicken, nach dem sie nur die Hände auszustrecken hatte, und alles war ihr.
Auch von der Hochzeitsfeier hatte Frau Hilde gesprochen. Ein noch niemals Dagewesenes sollte dieses Fest in der Villa Seliger werden. Sie zweifelte nicht daran, daß sich Trachensteins fürstliche Verwandte nach der Verlobung infolge der nunmehr glänzenden pekuniären Position Seiner Hoheit mit diesem aussöhnen und zu der Feier vollzählig erscheinen würden.
Von der wundervollen Robe, die Edith für den Akt der Ziviltrauung anlegen, von dem Brautkleid, das ganz aus echten Brüsseler Spitzen hergestellt werden sollte, von der Taufe der weder jüdisch noch christlich Eingetragenen, von allen Einzelheiten war schon die Rede. Es gab so viel zu besprechen und so viel zu planen, daß man gar nicht recht zu sich selber, gar nicht zur Überlegung dieser folgenschweren Verbindung kam.
Am Tage der offiziellen Verlobung, zu der Frau Hilde die schriftliche Zustimmung Seligers eingeholt hatte, benahm sich Seine Hoheit Prinz Egon von Trachenstein tadellos. Nachdem er sich versichert, daß Edith der Mutter ihr Jawort gegeben, machte er dem Kinde einen regelrechten Antrag. Im schwarzen Gehrock, der um seinen immer noch recht dürren Körper flatterte, die unvermeidliche La France im Knopfloch, erstattete er zwischen zwölf und ein Uhr seine Aufwartung. Unter lieblichem Erröten hörte Edith seine wohlgesetzte Rede an und nahm aus seinen Händen einen Strauß prächtiger Orchideen entgegen, sowie ein kostbares Lederetui, das das Brautgeschenk Seiner Hoheit enthielt, eine dreireihige Rivière aus Smaragden und Diamanten, die von einem Perlenschlosse zusammengehalten wurde. Man hatte dieses mit fünfzehntausend Mark ausgezeichnete Geschmeide ebenso wie den Orchideenstrauß dem künftigen Verlobten von Fräulein Seliger bereitwillig gepumpt.
Denn schon vor dem Tage der offiziellen Verlobung hatte der Prinz, durch die Not gedrängt, ein Arrangement mit seinen Gläubigern getroffen, so daß die bevorstehende Vermählung Trachensteins und Ediths schon seit einigen Tagen in aller Munde war.
Seliger hatte seiner Frau geschrieben, daß er gegen eine Verlobung seiner Tochter mit dem Prinzen Egon von Trachenstein nichts einzuwenden habe.
Im ersten Moment empfand er die Mitteilung seiner Frau lediglich als eine Last. Er hatte sich völlig von seiner Familie zurückgezogen und kümmerte sich nicht mehr um sie. Aber dann. Wenn Edith damit einverstanden war, warum denn nicht? Der schmähliche Bund zwischen Hilde und dem Prinzen, der ihm Jahre seines Lebens vergällt halte, wurde so wenigstens äußerlich aus der Welt geschafft. Und weiter!
Es war ein Gedanke von geradezu faszinierender Gewalt, der Seliger sogleich beim Lesen des Briefes, in dem Hilde ihn um seine Zustimmung zu der Verlobung Ediths mit dem Prinzen gebeten, gepackt hatte! Was ihm mit Etelka mißlungen, das blühte ihm am Ende ohne sein Zutun hier. Wie der in den Tiefen des scheinbar spiegelglatten Meeres ruhende Sturm, war es plötzlich in seinem Innersten losgebrochen mit elementarer Kraft. Wenn der Prinz Edith seine Hand zum ehelichen Bunde reichte, dann hatte er diesen Schuldenmacher und Lumpen, den er haßte und verachtete, in seiner Hand. Sein waren noch immer die Millionen, mit denen der sich arrangieren und ein fürstliches und verschwenderisches Leben bequem an Ediths Seite führen wollte! Ihn hatte er in der Hand!!
Und der war der Bruder des Fürsten, von dessen Laune die Erteilung der Konzession abhing. Wie der Löwe im Käfig rannte Seliger in dem Gartensälchen des kleinen Häuschens, das er mit Klotilde teilte, auf und ab, nachdem er den Brief seiner Frau gelesen hatte. Alles Vergessene, alles längst Begrabene war in seinem Innern mit einem Schlage wieder erwacht.
In dem Erdboden von Walportshausen, in dem Boden, der ihm gehörte, schlummerten die Millionen, die er zum Leben erwecken, die er vor einer staunenden Welt von Dummköpfen ins Rollen bringen mußte, er, Harry Seliger, der einstige große Leiter der Kommerzbank, der, wenn jetzt nicht alles trog, zukünftige König der Börse!
Den Prinzen bekam er in die Hand, und der Fürst würde die Konzession erteilen, trotz Kutzleben und Genossen würde er sie erteilen, die Bahn würde gebaut, die Kalilager würden erschlossen werden, die ihm mehr bedeuteten, als die Diamantenfelder Südafrikas und die Goldminen von Klondyke. Sie würden erschlossen werden, und der Erde ungeahnte, unübersehbare, endlose Schätze würden ihm dienstbar gemacht.
Wie ein Toller war er durch den Gartensaal, war er dann hinein in die Stadt gerannt und hatte den Brief auf die Post getragen, in dem er Frau Hilde schriftlich seine Zustimmung zu dem ungleichen Ehebunde Ediths mit dem Prinzen gab, wieder der alte Seliger, der in Klotildens Armen verjüngte, der das rote Gold in den Adern der Erde wie das lebendige Blut in dem Leibe eines Menschen pulsieren und wirken sah.
Und wieder, zum dritten Male in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum stand das Haus Seliger im Mittelpunkte des öffentlichen Interesses. Die ganze Stadt sprach von der Verlobung und von dem Glücke Frau Hildes, der es gelungen war, zwei Schwiegersöhne edelster Herkunft für ihre Töchter, zwei Männer adeligen Geblütes ohn' all Verdienst und Würdigkeit zu ergattern.
Sie selbst maß sich keinerlei Verdienst bei. Den zahlreichen Besuchen, die in diesen festlichen Tagen wieder in der Villa ein- und ausgingen, versicherte sie, daß sie weder bei Etelkas noch bei Ediths Heirat die Hand im Spiele gehabt, und daß die jugendliche Anmut und der holde Liebreiz ihrer Kinder wohl die entscheidende Rolle bei den alle Welt mit Freude erfüllenden Ereignissen gespielt hätten.
Die ganze Stadt sprach von Ediths Verlobung mit dem Prinzen Trachenstein.
Nur einer hatte keine Ahnung davon, Davidchen Mandelbaum. Er hatte sich im Laufe des Winters eine heftige Influenza zugezogen, von der er sich immer noch nicht erholen konnte. So hatte man ihm denn von seiten der Bank zu Beginn des Vorsommers einen vierwöchigen Urlaub bewilligt, den er in der Heimat auf dem alten »Jiddehof« bei dem Vater verbrachte. Aber auch dort in der freien Natur und in der reinen Spessartluft wollte es nicht viel besser werden, und voll banger Sorge betrachtete der »große Rabbi« seinen einzigen Sohn, der dermaßen mager und blaß aus der Stadt zurückgekommen war und der sich obendrein gar keine Ruhe gönnen wollte.
Mit der alten Buxbaum sprach er oft und viel darüber, und ihr erzählte er auch, daß schon Davidchens Mutter auf der Brust nicht ganz fest gewesen, und daß er ernste Sorge für Davidchens Gesundheit und Leben habe.
Aber Davidchen selber hörte nicht auf die gutgemeinten Ratschläge seines Vaters. Den ganzen Tag und die halbe Nacht saß er droben im »Jiddehof« in seinem kleinen Kämmerchen und schrieb und schrieb. Es sollte ein neues, ein anderes Drama werden, ganz anders als »Das Alter«, das man ihm zurückgeschickt hatte, ein modernes Stück aus dem Leben der Stadt da drunten, für das sich die Leute im Theater interessieren würden, und das der Intendant nicht von sich weisen konnte, weil es auf der Bühne von überwältigender Wirkung war.
Nur zweimal in der Woche verließ Davidchen Mandelbaum den »Jiddehof« und stieg hinab in das kleine Städtchen. Dann ging er zur Post und warf eigenhändig einen langen Brief an Fräulein Edith Seliger in den Kasten.
In diesen Briefen, von denen kein Mensch, am allerwenigsten aber sein Vater oder gar die alte Buxbaum, eine Ahnung hatte, schwärmte er von der großen Liebe zu dem holden Kinde, die sein Herz ganz erfüllte. Oft reichte die Prosa der Sprache nicht aus. Dann wurden es begeisterte Verse, die in glühenden Farben, in sinnlichen orientalischen Bildern, in wundersamen Vergleichen die Schönheit der Geliebten und seine große und unbezwingliche Sehnsucht ausmalten. Am Schlüsse einer jeden Epistel zählte er die Tage, die er noch Urlaub hatte, die er nach dem Ausspruch des Arztes auf dem Lande verbringen mußte, um dann jauchzend zu schließen: »und dann kommt ein frohes Wiedersehen.«
Seit vierzehn Tagen hatte er keinen Brief mehr von Edith erhalten. Alle seine Anfragen, alle seine Klagen blieben unbeantwortet. Er ängstigte sich. War sie krank geworden, war ihr etwas zugestoßen?
Da, endlich eines Morgens, sein Urlaub ging schon gewaltig auf die Neige, hatte der Landbote, der den »Jiddehof« zu besorgen hatte, einen Brief. Schon von weitem winkte er Davidchen zu und hielt den Brief in den Händen, und Davidchen rannte den Abhang hinunter, dem Boten entgegen, so daß er den Atem verlor und einen fürchterlichen Hustenanfall bekam.
Als er sich mit dem Taschentuch den Mund abwischte, war dieses rot von Blut. Der Bote bekam einen gewaltigen Schrecken und sagte, das sei ein Bluthusten, und ein Bluthusten sei sehr gefährlich. Aber Davidchen Mandelbaum lachte und meinte, das schade nichts, das sei nichts anderes, als Nasenbluten. Er war ja so glücklich, einen Brief von Edith in seinen Händen zu halten und endlich zu erfahren, daß sie wohlauf und munter sei.
Der Bote murmelte noch etwas von Vorsicht und dem Doktor. Dann ging er. Und Davidchen Mandelbaum las:
»Liebes Davidchen!
Schon lange wollte ich Dir schreiben und ich wußte nie recht, wie ich es anfangen sollte. Für Deine lieben Briefe und die herrlichen Gedichte meinen herzlichsten Dank. Sie haben mir alle so ausgezeichnet gefallen, und ich freue mich recht sehr von Herzen, wenn ich in der Lage sein werde, Dir als Dichter in größerem Maße förderlich sein zu können, als das bisher der Fall gewesen ist, und als ich dummes und unerfahrenes Ding, auf dessen Meinung ja kein Mensch gehört hat, dazu imstande war. Auch Mama ist der Meinung, daß mir das in kurzer Zeit viel leichter gelingen wird.
Und nun erschrick nicht, Davidchen. Hier hat es nämlich eine große Veränderung gegeben, die entscheidend in mein ganzes Leben eingreift. Nach Mamas Willen habe ich mich nämlich vor vierzehn Tagen mit Seiner Hoheit dem Prinzen Egon von Trachenstein verlobt –«
Davidchen Mandelbaum las nicht weiter. Ein schwerer Hustenanfall schüttelte seinen schwachen Körper, und dann schoß ein breiter, hellroter Blutstrom aus seinem Munde hervor. Der »Jiddehof« und die Berge und die Wiese, auf der er stand, tanzten einen tollen Reigen vor seinen Augen, dann wußte er von nichts mehr.
Als er wieder erwachte, lag er in seinem Bette. Der Vater und der Doktor standen vor ihm und machten traurige Gesichter, und er erinnerte sich ganz dunkel, daß er vorhin einen Brief bekommen habe, und daß in dem Briefe gestanden, Edith sei mit dem Prinzen Trachenstein verlobt.
Da schluchzte er laut auf. Und dann wurde ihm wieder ganz schwarz vor den Augen, so daß er den Vater und den Doktor nicht mehr sah.