Ludwig Storch
Der Diplomat
Ludwig Storch

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3.

Müllersdorf traf den Oberkellner des Badehauses an und befragte sich nach der polnischen Gräfin, welche Zimmer sie bewohne, wann sie gewöhnlich ausgehe und wohin, ob keiner von den fremden Herrn sie begleite oder ihr Besuche mache, ob sie Musik treibe, viel lese, munter oder still sey? und der höfliche Kellner antwortete auf Alles mit größter Gefälligkeit, gleichsam als kenne er die Gräfin seit Jahren und habe ihre Lieblingsneigungen studirt. Müllersdorf wollte wieder gehen, als der Gesprächige noch beibrachte, daß er diesen Morgen für die gnädige Comtesse einen Wagen besorgt habe, und dieselbe sich eben zur Abreise nach M. anschicke, wo sie wahrscheinlich 49 einige Tage verbleiben werde; denn sie lasse den Wagen leer zurückkehren. Mit diesem Bescheid, der ihn eben nicht besonders erfreuete, kehrte der Jüngling wieder in's Freie zurück, um Reinecke einzuholen, welcher langsam auf der Chaussee nach dem Dörfchen G. hingeschlendert war. Bald verfolgten sie gemeinschaftlich denselben Weg und in ein Gespräch über den Gegenstand verwickelt, welcher sie beide hier zusammengeführt hatte, war die Zeit unvermerkt an ihnen vorübergestrichen und sie bereits eine große Strecke vom Bade entfernt, als ein ihnen rasch nachfahrender Wagen ihrer Unterhaltung plötzlich eine andre Wendung gab. Indem nämlich Müllersdorf in die halboffne Chaise blickte, erkannte er mit freudigem Erstaunen die beiden Damen, nach deren Bekanntschaft er nun schon seit einigen Stunden große Sehnsucht trug, und grüßte mit zuvorkommender Freundlichkeit. Die Damen dankten und flogen vorüber; doch bemerkte Müllersdorf nicht ohne Freude, wie sich die Jüngere und Schönere noch einmal herausbog, um sich nach ihm umzusehen.

»Glückliche Reise, ihr Huldinnen!« sagte 50 Müllersdorf mit einem Anfluge chevalesker Schwärmerei. »Die Comtesse reis't nach M., und bleibt wahrscheinlich mehre Tage dort,« wandte er sich an seinen Gesellschafter.

»Gottlob!« holte Reinecke tief Athem; »ich befürchtete schon, Sie würden für alle diplomatische Verhandlungen unfähig werden und sich in die Gräfin verlieben. Alle Anstalten dazu haben Sie schon gemacht. So wenig ich nun auch die Liebe tadle; denn sie ist wegen Erhaltung des Menschengeschlechts nothwendig, so kann und darf sie doch ein vernünftiger Mann nicht anders als ein Vergnügen betrachten, das ihn nach gethaner Arbeit erheitere und ergötze, und ich muß den thörigt schelten, der die Zeit, die er auf bessere und nützlichere Dinge verwenden sollte, im Umgange der Frauen mit liebelnden Plaudereien vergeudet.«

»Sie sprechen von der Liebe wie ein Diplomat, oder richtiger, wie ein Blinder von der Farbe,« sagte der junge Mann in seiner harmlosen Fröhlichkeit; »und es ist köstlich für mich, Sie das Alles im vollsten Ernste sagen zu hören, und die 51 Liebe mit dem Spazierengehen, Reiten, Fahren, Tanzen, Essen, Trinken und andern diversen Vergnügungen in eine Klasse geworfen zu sehen.« Und somit ließ er seiner Lachlust freien Lauf. Reinecke sah aber zu solchem Beginnen ziemlich sauer, und hatte schon Worte auf der Zunge, die nicht wie Höflichkeiten aussahen, als Müllersdorf plötzlich aus dem Lachen in ein wildes Schreien überging und mit beiden Händen vorwärts deutete. Ueberrascht blickte Reinecke die Straße entlang und sah einen fahrenden Frachtwagen und eine liegende Kutsche. Wirklich hatten sich beide Fuhrwerke bei einer Krümmung des Wegs begegnet und der Kutscher die Kehr zu kurz genommen. Der schwer beladene Frachtwagen war wohl stehen geblieben, das leichte Fuhrwerk aber umgeworfen worden. Reinecke hatte sich durch seine Lorgnette kaum von dieser Thatsache überzeugt, als er auch seinen Zögling schon mit wilden Sätzen gleich einem Gassenbuben dahin rennen sah. Ein lauter Fluch flatterte wie eine Schwefelflamme zwischen seinen Zähnen hervor; sein Gesicht verzog sich zur scheuslichen Fratze. 52 Er streckte die geballte Faust dem laufenden Freunde nach, und wanderte, so schnell als es seine Ansicht von Anstand und Würde erlaubten, hinter her.

Müllersdorf war in einigen Minuten schon an dem Wagen, und kam gerade zur rechten Zeit, um den Damen aus dem fragmentirten Reisehäuslein herauszuhelfen. Das hart berührte Rad war nämlich gebrochen. Die Gräfin hatte sich die Hand verstaucht, hüpfte aber lachend über ihren Unfall heraus, und verbreitete ein wahres Witz- und Scherzfeuer um sich. Ihre Begleiterin war dagegen sehr bestürzt, konnte gar nicht begreifen, wie die Comtesse über solch ein Unglück noch so ausgelassen sey und that sogar empfindlich. Dies gab der Gräfin aber nur zu noch wildern Ausbrüchen ihrer Laune Veranlaß, und es dauerte gar nicht lange, so führte sie mit Müllersdorf auf der Straße ein köstliches Lachduett auf; denn beide lachten so herzlich und so aus vollem Halse, daß man sie für Tollhäusler hätte halten können.

In der That wußte der unterdessen 53 herbeigekommene Reinecke so wenig, wie das verdrießliche Fräulein, was er von den beiden Lachern denken sollte. Er hatte den Hut gezogen und einige Verbeugungen gemacht, die Niemand erwiederte, während Müllersdorf mit bedecktem Haupte vor dem höchst liebenswürdigen Mädchen stand und mit ihr wie mit einer längst Bekannten umging.

»Das find' ich doch höchst sonderbar,« sagte der geistvolle Diplomat mehr zu sich selbst, als zu den Andern.

»Sie können es nicht sonderbarer finden, als ich, mein Herr,« wandte sich das beleidigte Fräulein zu ihm, und beide machten mit diesen wenigen Worten Partei gegen die Lacher.

Die junge Gräfin wandte sich mit bezaubernder Laune zu ihrer Begleiterin und sagte: »Sie wissen, Amalia, daß ich eine enthusiastische Liebhaberin des Sonderbaren bin. Also nicht viel vernünftelt, wenn ich bitten darf, selbst wenn Sie etwas höchst sonderbar finden! Grollen Sie, wenn es doch ein Mal nicht ohne Groll abgehen soll, mit dem Himmel und unserm ungeschickten 54 Kutscher; mir aber gönnen Sie die Freude, eine kleine Sonderbarkeit erlebt zu haben.« Hierauf wandte sie sich an Müllersdorf, nahm ohne Ziererei dessen dargebotenen Arm und fuhr lachend fort: »Was wäre das Leben ohne Sonderbarkeiten so nüchtern und schaal! Ein Mensch, der das Unglück hat, nichts Sonderbares erlebt zu haben, gehört mehr der Thierwelt an. Das Sonderbare erhebt uns zu Göttern. Das Sonderbare ist des Lebens Stolz und Würze. Und Bekanntschaften, die ich auf eine sonderbare Weise mache, pflegen mir stets lieber zu seyn, als andre, die mir täglich auf die miserabelste gewöhnlichste Weise entgegen laufen und die ich den dritten Tag radical vergessen habe, während ich mir von jenen viel verspreche.«

»I nun,« versetzte Müllersdorf, »ohne mir gleich von vorn herein Lobreden halten zu wollen, denn das wäre abgeschmackt sonderbar, und diese Art Sonderbarkeiten lieben Sie gewiß so wenig wie ich – so kann ich Ihnen doch die Versicherung geben, daß Sie heute gut gefahren sind, obgleich Sie der Kutscher umgeworfen hat; denn 55 Sie hätten keinen sonderbarern Kauz finden können, als meine Wenigkeit, und ich habe damit ein Recht erlangt, Ihnen nicht mehr gleichgültig zu seyn, schöne Unbekannte.«

»Vorausgesetzt, daß sich Ihre Behauptung als wahr erweis't. Was können Sie zum Beispiel gleich jetzt zur Unterstützung derselben anführen, nur um mir einen Vorgeschmack Ihrer Sonderbarkeit und einen Begriff von der Art derselben zu geben?«

Müllersdorf besann sich einen Augenblick, schaute dann rückwärts, und als er Reinecken mit dem Fräulein im eifrigen Gespräche und ziemlich weit entfernt hinter sich sah, flüsterte er der Gräfin mit geheimnißvollem Tone zu: »Ich bin nicht der, der ich scheine, aber ich bin der, für den ich gelte. Während mein Schein trügt, ist er zugleich Wahrheit. Was ich vorstelle, ist Lüge, aber was ich scheine, bin ich doch. Ich bin der treueste und wärmste Anhänger meiner Gegner, und der glühendste Hasser meiner Freunde. Und doch bin ich kein Widerspruch, doch kein zweideutiger, doch kein schlechter Mensch. Das 56 Merkwürdigste aber ist, daß ich Ihnen das Alles in der ersten halben Stunde unsrer Bekanntschaft sage, bevor ich weiß, zu welcher Fahne Sie geschworen haben. Doch sagt mir Ihr Auge, Ihre ganze Gestalt, daß Sie den lichten Mächten angehören.«

»Allerdings sehr sonderbar!« versetzte die Gräfin, »und weit sonderbarer, als ich erwartet hätte, weit sonderbarer als Alles, Was mir bis jetzt vorgekommen ist. Ihr offnes ehrliches Gesicht aber sagt mir, daß Sie keine Lüge zu machen im Stande sind. Sie haben mein ganzes Interesse erregt, mein Herr; darf ich mir Ihren Namen ausbitten?«

»Ich heiße Moritz von Müllersdorf.«

»Darf ich wohl auch hoffen, ein Mal den Schlüssel zu dem Räthsel zu erhalten, welches Sie mir jetzt sind?«

»Vielleicht, wenn Sie ihn nicht selbst finden,« sagte Müllersdorf mit einem zärtlichen Blick auf die Gräfin, der ihr, wenn sie anders sich auf Blicke verstand, genugsam andeuten mußte, welch' einen tiefen Eindruck sie auf ihn gemacht habe.

57 »Ich bin sehr begierig, ›des Pudels Kern‹ zu sehen,« rief sie lebhaft aus, aber auf einen Wink ihres Begleiters, den sie sogleich verstand – Reinecke und das Fräulein waren dicht herangekommen – änderte sie plötzlich den Ton der Stimme, und fuhr erzählend fort: »Und so zwingt uns denn das unerbittliche Schicksal, von der beschlossnen Irrfahrt heute abzustehen; und was die unsterblichen Götter in ihrer Weisheit ein Mal verweigert, das soll man frevelhaft nicht zum zweiten Mal von ihnen begehren. Wir sollen die Freiheit vor Ankunft der Tante mäßig genießen, und das ist auch gut. Dann thut es mir nicht zu ungewohnt, wenn sie mir auf dem Dache sitzt; und das soll, so Gott will, recht bald geschehen.«

»Wie aber kommt es, daß eine so besorgte Tante eine so lose Nichte allein vorausreisen läßt?« fragte Müllersdorf.

»Das hat so seine Ursachen, die sich nicht gut angeben lassen,« lachte die Comtesse schelmisch. »Ich will Ihnen im Vertrauen und heimlich etwas davon merken lassen,« fuhr sie so laut 58 fort, daß es die Hinterhergehenden deutlich hören mußten, indem sie mit den Augen nach ihrer ernsten Begleiterin deutete: »die fromme Tante hat einen geistlichen Freund, mit welchem sie sich oft beschaulichen Betrachtungen hingiebt; mit diesem heiligen Manne macht sie auch die Reise nach dem Bade L., wenn derselbe noch einige Geschäfte wird abgemacht haben, und sie befürchtete mit Recht, manche mir angebornen bösen Eigenschaften, als da sind Muthwille, Necksucht, Fröhlichkeit, Stichelsucht u. dgl. m. möchte sie in ihren frommen Uebungen stören. So hat sie's für besser gefunden, mich mit Fräulein Grünewald voran reisen zu lassen, in welcher sie mir aber, wie Sie bereits zu bemerken Gelegenheit gehabt haben, eine gute Wächterin und Lenkerin bestellt hat.«

»Spotten Sie nur, Comtesse,« rief jetzt die Grünewald von hinten ärgerlich und mit gereizter Stimme; »die Frau Gräfin Klattau hätte mir kein schlimmeres Geschäft übertragen können, als Ihren zügellosen Muthwillen zu bändigen.«

»Nicht böse seyn! nicht böse!« rief die Comtesse mit hinreißender Gutmüthigkeit, indem sie 59 sich umwandte, und wie ein um Verzeihung bittendes Kind dem Fräulein liebkosend die Wangen streichelte. »Ich will nicht muthwillig seyn und Sie mit Vorsatz nicht wieder unwillig machen.«

Das Fräulein hätte von Stein seyn müssen, wenn sie dieser rührenden Bitte widerstanden wäre; versöhnt reichte sie der Comtesse die Hand, in deren Augen ein Paar Perlen glänzten, Zeuginnen des reinsten und schönsten Gefühls; gleich darauf hüpfte diese wieder schäkernd auf die Wiese, um sich eine Blume zu pflücken, mit der sie ihren Busen schmückte.

In Blick, Gang, Rede und Bewegung hatte sie eine so unbeschreibliche Anmuth entwickelt, daß Müllersdorf sich gestehen mußte, nie ein reizenderes weibliches Wesen kennen gelernt zu haben; dabei zeigte ihr Witz von scharfem Verstand, ihre Thräne von tiefem Gefühl und all' ihre Aeußerungen von einem vortrefflichen Gemüthe. Müllersdorf fühlte, daß das unbegrenzte Wohlgefallen, das er an der Polin fand, zur heftigsten Leidenschaft werden könnte, wenn ihn nicht die fatale Gewißheit, daß sie hier ihren 60 Verlobten erwarte, in den Schranken der Mäßigung zurückhielte.

Als sie am Badehause angekommen waren, dankte die Comtesse für geleisteten Beistand, und eilte auf ihr Zimmer, um sich umzukleiden. Müllersdorf bemerkte, daß sein Begleiter mit dem Fräulein von Grünewald ebenfalls recht bekannt geworden seyn müsse; denn er drückte ihr die Hand nicht ohne zärtliche Galanterie.

 


 


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