Ludwig Storch
Der Diplomat
Ludwig Storch

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14.

»Nun sagt mir nur, Erzgalgenstrick von Menschen, was für tolle, unbegreifliche Streiche Ihr treibt? Ich hab' aus Constanzens Gerede noch nicht klug werden können und mir den ganzen Weg über den Kopf zerbrochen, wie wohl die 221 Sache zusammenhängen möge, aber nichts herausgebracht. Was?« Also redete der Baron von Hochmannsdorf, kaum auf seinem Gute Silberbach aus dem Wagen gestiegen, wo er und seine Familie von Müllersdorf, Madame Bergmann und der Comtesse Helene freundlich empfangen wurden, den Erstern an, und dieser führte ihn sogleich in den Garten mit dem Versprechen, ihm klaren Wein über alles einzuschenken, was er nur zu wissen begehren würde. Der alte neugierige Mann ließ sich das gefallen. Sie setzten sich auf eine Bank, und Müllersdorf begann: »Die Zeit drängte so sehr zu unsrer Flucht, daß ich Constanzen überlassen mußte, Ihnen zu entdecken, was ihr durch Zufall über mich bekannt worden war. Durch sie haben Sie denn auch erfahren, daß ich wirklich der Sohn Ihres von Ihnen so sehr geliebten Freundes bin.«

»Ich weiß,« unterbrach Hochmannsdorf den jungen Mann mit Thränen im Auge. »Gott hat's wunderbar gefügt. Ich sah dir's übrigens gleich an, lieber Junge; denn du hast deines Vaters Gestalt und Wesen. Dein Läugnen nur 222 machte mich irre. Nun sag' mir nur erst etwas von meinem herzinnigen Freunde! Was?«

»Mein Vater ist schon vor einigen Jahren gestorben; ich studirte eben in Breslau und hatte gerade die Reise mit zu dem Wartburgsfeste gemacht. Ergriffen von dem Aufschwunge der deutschen Jugend, gehörte ich mit Leib und Seele, mit glühender Begeistrung der Sache der Demagogen an. Die Krankheit meines Vaters rief mich nach Warschau, wo er mit seinem Regimente stand. Der Haß, den er in seiner Brust gegen die Russen trug, in deren Dienste ihn Gott weiß welch' ein trübes Schicksal geführt hatte, bewog ihn, mich, den er und meine Neigung zum Militär bestimmt hatten, in ***ische Dienste zu schicken. Er hatte bereits das Nöthige verfügt; eine Lieutenantsstelle war mir zugesagt, als sein Brustübel sich verschlimmerte und er in meinen Armen verschied. Nachdem ich seine Verlassenschaft geordnet, ging ich nach ***, meine Stelle anzutreten. Dort machte ich die Bekanntschaft eines jungen Herrn von Losewitz, Sohn eines vornehmen und angesehnen Diplomaten. Der 223 Stolz des Vaters wollte ihn ebenfalls zum Diplomaten bilden, und er sollte einst eine bedeutende Carriere machen; Lust und Talent führten den Sohn ganz andre Wege. Leidenschaftlich für Poesie, Theater, Musik eingenommen, dem Vergnügen bis zur Ausschweifung ergeben, von seinem Vater verzärtelt und verzogen, trieb er sich mit Dichtern, Schauspielern, Musikern herum und fand einen großen Genuß darin, diese Leute zu regaliren. Auf diese Weise vergeudete er große Summen, die ihm sein in ihn verliebter Vater gern gab, sobald er sich nur zu einigen diplomatischen Arbeiten verstand, die der Alte von ihm forderte. Das Leichte und Angenehme arbeitete er gern, das Schwierige mußte ich ihm ausarbeiten. Gleiche Neigung zur Poesie, zum Theater &c. hatten uns zusammengeführt. Durch meine gelungenen Arbeiten machte er Furor, erhielt Geld und – wir wurden die innigsten Freunde. Es konnte aber doch nicht fehlen, daß er mit seinen Ansichten und Aeußerungen oft gegen seinen Vater verstieß, und dann mußte ich jedes Mal wieder gut machen, was er verdorben hatte. Um 224 jene Zeit kam einer meiner innigsten Universitätsfreunde, einer der eifrigsten Demagogen zu mir, und ich erfuhr mit Schrecken, in welcher Gefahr meine Freunde und die Sache schwebten, welcher ich so innig ergeben gewesen war. Mein zeitheriges Leben hatte mir jenes Interesse aus den Augen gerückt, aber ich war noch der Alte. Mein Freund machte mich darauf aufmerksam, wie viel ich in meiner jetzigen Stellung meinen Freunden nützen könne, und ich schied mit dem Versprechen von ihm, Alles, was mir möglich, zu thun, und stets mit ihm im Briefwechsel zu bleiben. Dies bewog mich denn auch, den schon einige Mal zurückgewiesenen Antrag des jungen Losewitz, meine militärische Carriere aufzugeben und eine Bedienstung im Bureau seines Vaters anzunehmen, näher in Berücksichtigung zu ziehen und endlich darauf einzugehen. Der Sohn machte mich mit dem Vater bekannt, ich fertigte auf den Wunsch des Letztern Probearbeiten und kam bei ihm in Gunst. Auf dem Bureau lernte ich bald das Wesen der Diplomatie kennen, und nur der Gedanke, daß ich meinen Freunden nützen könne, unterdrückte 225 den Ekel gegen meine Beschäftigung in mir. Ein Mensch, der bei der **ischen Gesandtschaft in B. als zweiter Sekretär angestellt war, ein geborner B–ner, Namens Spangenheim, erregte bald meine Aufmerksamkeit im höchsten Grade. Er denunciirte strafbare Verbindungen in den **ischen Staaten und versprach vieles zu entdecken, wenn man ihn befördern wollte. Vom jungen Losewitz erfuhr ich, daß ein italienischer Marchese, Ricconi mit Namen, seinem Vater jenen Spangenheim besonders empfohlen habe. Man nahm Rücksicht auf seine Anträge, zumal jener Marchese den von Losewitz und vielen Andern unterstützten Plan hatte, den Herzog A. von Z. zur katholischen Kirche zu bekehren, wozu sich dessen Bruder, der Prinz F., schon in Rom bekannt hatte. Dazu sollte jener Spangenheim auch gebraucht werden. Von all diesem wußte ich etwas, aber durchaus nichts Zusammenhängendes, nichts Vollständiges. Ich hatte den Marchese nur einige Mal in *** gesehn; dann wurde ich vom jungen Losewitz, und statt seiner, diesen Sommer nach Marienbad mit einem Auftrage an ihn 226 gesandt, wo er sich mit dem Prinzen F. von Z. aufhielt. Zu derselben Zeit erhielt mein kunstliebender Freund von seinem Vater den Befehl, nach Bad L. zu reisen, dort die auf die Demagogenverbindungen bezüglichen Papiere von genanntem Spangenheim in Empfang zu nehmen, sich die Badezeit über des genauen Umgangs dieses Mannes zu befleißigen und von ihm zu profitiren, ihn in Gemeinschaft mit dem Marchese, der auch bald dorthin kommen werde, noch ein Mal gründlich zu prüfen, ob derselbe zu den großen Zwecken, zu welchen man ihn zu benutzen gedenke, zu gebrauchen sei, und wenn er sich als brauchbar bewährt, einige Zeit mit ihm am Hofe des Herzogs A. von Z. zu leben, der eben in Karlsbad sei, oder die Papiere nach *** zu bringen und Marchese und Spangenheim in Z. beim Herzoge zu lassen. Nichts konnte meinem Freunde ungelegner kommen; denn er hatte seiner Geliebten, einer Opernsängerin, versprochen, die Badezeit mit ihr in Franzensbrunn zuzubringen, und er hätte eher Alles dran gesetzt, als diesen romantischen Plan aufzugeben. Dies war auch der 227 Grund gewesen, weshalb er mich nach Marienbad geschickt, während sein Vater nicht anders glaubte, als er sei, dem erhaltnen Befehl gemäß, selbst dorthin gereist. Ich that ihm den Vorschlag, auch die Reise nach Bad L. für ihn, ohne Wissen seines Vaters, zu unternehmen und statt seiner die Geschäfte mit Spangenheim abzumachen. Er nannte mich seinen Engel, umarmte mich, gab mir Geld und wirkte mir Urlaub zu einer Reise nach Schlesien zu meinen Verwandten aus. Die Hoffnung, für meine theuern Freunde etwas Wichtiges thun zu können, beseelte mich zu dem Unternehmen, von dessen Mißlingen am Ende nicht sehr viel abhing. Ich reiste mit allen Instruktionen des jungen Losewitz nach Bad L., enthüllte mich dort dem Sekretär Spangenheim, der, theils weil er Verrath fürchtete, theils weil er sich in der Adelssphäre gefiel, als Herr von Reinecke aufgetreten war, als Herr von Losewitz, der unter dem falschen Namen von Müllersdorf auftrete, aus denselben Gründen, die ihn auch zum Pseudonymen bestimmt hätten. Er glaubte dies und mußte es glauben. Aber ein wunderbares 228 Schicksal führte mich dort mit der Comtesse Helene Billaplotzsky zusammen. Ich sah, ich liebte sie. Der Verlust meines Geldes am Pharaotisch brachte mich schier zur Verzweiflung. Ich erfuhr, daß Helene als Sklavin auf den Markt geführt wurde, um diesem verworfnen Spangenheim, der sich mir in seiner tiefsten Nichtswürdigkeit zeigte, als Preis für Schurkendienste zugeschlagen zu werden. Ich fand meinen eignen Namen auf der Liste der Demagogen; ich erfuhr schlimme Dinge, und beschloß, nicht wieder nach *** zurückzukehren. Ein Brief nahm mir alle Aussichten auf Geld, da trat ich in Ihre Wohnung, um mich Ihnen zu entdecken. Gott weiß, wie Sie mich mißverstanden –«

»Stille, stille davon!« sagte der Baron, »das ist eine sehr alberne Geschichte, von der man nicht viel erzählen muß. Was?«

»Constanze, das edle Weib, wurde meine Retterin, wurde Helenens Engel. Doch Sie kennen die Größe ihres Edelmuthes noch nicht. Da Helene arm ist, und ich ohne Vermögen und Anstellung, so hat Constanze mir die Benutzung ihres beträchtlichen Fonds bis an ihr Lebensende 229 überlassen und mir versprochen, mich oder meine Kinder zum Erben einzusetzen; denn nie und in keinem Falle will sie wieder heirathen. Wir wollen ein Gut in der Nähe kaufen, es selbst bewirthschaften und dort gemeinschaftlich wohnen. Womit ich mir die unbegrenzt großmüthige Gunst dieser trefflichen Frau erworben, kann ich nicht begreifen; doch hat sie mir versprochen, daß ich es gleich nach Ihrer Ankunft, Herr Baron, erfahren soll, und so sehe ich denn mit Begierde dem Augenblicke entgegen, wo sie den Mund öffnen wird.«

»Höre, Müllersdörfchen, ich will Dir's verrathen,« sagte der Baron lächelnd; »denn ich weiß es doch eigentlich noch besser als sie. Nur laß mir die demagogischen Narrenspossen! Das kann ich nicht vertragen. Komm, wir wollen ein Glas Wein auf die Gesundheit unsers guten Königs trinken. Was?«

»Mit der größten Freude; doch nicht eher, bis Sie mir erzählt und meinen Wunsch nach Licht in dieser Sache befriedigt haben. Ich lasse Sie nicht eher von der Stelle.«

230 »Nun meinethalben auch. Wir sind ein Mal allein, und solch ein Bekenntniß läßt sich nur unter vier Augen ablegen; vorzüglich wenn ein alter Mann einem jungen Beichte sitzt.

Ich war bei der Regierung angestellt und hatte noch kein Vermögen; denn mein reicher Onkel, dessen einziger Erbe ich war, lebte noch. Er war pensionirter Rittmeister und führte mich in das Haus des ebenfalls pensionirten Obersten von Königshofen ein, der auf seinem Gute wohnte, mit dem Wunsche, mir von den beiden heirathsfähigen Töchtern des Hauses eine auszulesen. In diesem Hause lernte ich Deinen Vater kennen, mein Junge, der damals Premierlieutenant war. Wir wurden bald die besten Freunde.« –

»Königshofen?« unterbrach ihn Müllersdorf. »Meine Mutter war ja eine Königshofen.«

»Ganz recht. Höre nur weiter. Friedrike und Karline waren beide hübsch, munter, einnehmend, kurz allerliebste Dinger. Sie gefielen mir beide gleich wohl; die Wahl that mir so wehe, daß ich mich für keine bestimmen konnte. Ich entdeckte dem Onkel meine große Verlegenheit. Er lachte 231 und meinte, hier müsse das Alter entscheiden, und – mein Onkel war alt, aber immer noch der Rittmeister – am andern Tage wurde ich mit Friedriken, der Aeltesten, verlobt, und vier Wochen darauf war sie meine Frau. Kaum hatt' ich sie, als ich inne ward, daß ich eigentlich Karlinen liebte und aus ihrem Trübsinne merkte ich bald, daß ich von ihr mehr geliebt wurde, als von meiner Frau. Diese war Deinem Vater gut, aber die Sache war nicht mehr zu ändern. Mir aber ging's sehr schlimm; bald war ich zum Tollwerden in meine Schwägerin verliebt; ich hatte nicht Ruh' noch Rast, fast hätt' ich mich erschossen, da Werthers Leiden eben Furor machten. Es war eine böse Geschichte. Ich war krank, meine junge Frau besorgt um mich – sie hatte keine Ahnung von meinem Uebel – die Aerzte riethen den Aufenthalt auf dem Lande; meine Frau fuhr mit mir zu ihren Eltern. Da steckte mein Krankheitsstoff; ich war kaum eine Woche in Karlinens Gesellschaft, so blühete ich wieder auf. Was halfen alle angelernten Dinge, was alle Formen des bürgerlichen Lebens, unsre Herzen 232 flogen einander zu, und das meinige lebte jetzt erst auf; wir verstanden uns, liebten uns, und – cetera quis nescit? – Ich bitte Dich, lieber Junge, sei nicht voreilig, richte nicht streng! In Sachen des Herzens ist weder der steifzopfige Verstand, noch die prüde Klugheit Richter. Karline war eins der edelsten und trefflichsten Geschöpfe Gottes, ein Engel, der in irdischer Gestalt über die Erde schritt, aber der Erde ihren Wegezoll an Leidenschaft und Schmerz zahlen mußte. Du hast sie gekannt, Moritz, segne ihr Andenken mit mir; sie war Deine Mutter.« Das Auge des Greises hatte sich mit Thränen gefüllt, er nahm die Kappe ab und blickte mit verklärtem Gesichte, so daß er sich fast nicht mehr ähnlich sah, in die Bläue des Himmels; seine Lippen bebten, als glitte ein kaum gedachtes, nur gefühltes Gebet über sie. Müllersdorf weinte heilige Thränen; es war ihm, als schwebe der Geist seiner Mutter an ihnen vorüber.

»Unsre Leidenschaft hatte Folgen; ich verlor fast den Kopf. Was konnte alles daraus entstehen, wenn nicht bei Zeiten vorgebeugt wurde. 233 Der unversöhnlichste Zorn meiner Schwiegereltern und meiner Frau, wahrscheinlich Scheidung von der Letztern, Verstoßung Karlinens, Enterbung meiner von Seiten meines Onkels, Verlust meines Dienstes, kurz ein unübersehbares Elend. Da that mir ein treuer Freund noth. Ich hielt Deinen Vater dafür, entdeckte ihm meinen grenzenlosen Kummer, und hatte mich nicht geirrt. Der Edle that, was Tausende nicht gethan haben würden; er entschloß sich sogleich – Karlinen zu heirathen. Karline wurde mit diesem Entschlusse bekannt gemacht; die Geängstigte willigte in Alles, um nur dem drohenden Verderben zu entgehen. Für die edelmüthige Aufopferung mußte ich dem Freunde nur versprechen, Karlinen nie wieder zu sehen, und das Kind, welches sie zur Welt bringen würde, erziehen zu lassen. Er mochte diesem Kinde weder seinen Namen geben, noch es um sich haben. Ich versprach, was er begehrte. Hierauf verfügte er sich zu meinem Schwiegervater und bekannte sich, auf die Gefahr eines heftigen Sturmes hin, zu meiner Schuld. Einige Wochen darauf war Karline seine Frau; auf sein 234 Nachsuchen wurde er in eine entfernte Garnison versetzt; geschrieben haben wir uns viel, aber gesehn haben wir uns nicht wieder. Er war ein eigner fester Charakter: doch Du hast ihn gewiß genau gekannt. Die Schwiegereltern erhielten die Nachricht, Karlinens erstes Kind sei gleich nach der Geburt mit Tod abgegangen; mir meldete mein theuerer Schwager, daß sie ein Mägdlein zur Welt gebracht, welches in der Taufe den Namen Constanze erhalten habe.

Der Hofrath Ritter in B. war mein Vorgesetzter und Freund. Seine Frau, ein liebes Wesen, aber kinderlos und voll Sehnsucht, ein Kind, vorzüglich ein Töchterchen, zu besitzen. Ich entdeckte mich dem Ritterschen Ehepaare, ohne zu gestehen, daß Karline des Kindes Mutter sei. Mein Vorschlag, das Kind zu erziehen, wurde von der lieben Frau mit Freuden genehmigt. Constanze kam in Ritters Haus; sie wurde an Kindes Statt angenommen und hat ihren Adoptiv-Vater beerbt. Was sie mir war, so wie die ganze Geschichte meiner Jugendvergehung, hat sie erst nach Ritters Tode erfahren. Dein Vater war nach 235 Rußland gegangen; nach Jahren erfuhren wir, daß Karline gestorben. Meine Frau hat nie begreifen können, weshalb eine Trennung zwischen uns eingetreten war. An der Quelle des Lichts ist auch ihr Alles klar geworden. Meine Bedienstung gab ich später auf und kaufte mich hier an. Den Verstoß am menschlichen Gesetz habe ich durch langen Schmerz gebüßt. Beide Schwestern sind eingegangen in das Land des Friedens. Von dort lächelt Dein Vater in ihrer Mitte auf uns herab. Die Abendsonne sendet milde Strahlen auf mein Haupt; ein schönes Abendroth verklärt mein Antlitz; ich habe meines Freundes, Karlinens Sohn, gefunden, und er ist mein Sohn geworden. Komm an mein Herz, Junge!«

 

Greis und Jüngling lagen in schöner Umarmung, da traten Helene und Constanze durch die Gartenthüre. Mit tiefer Rührung wandt sich Müllersdorf aus des Barons Armen, eilte auf Constanzen zu und drückte sie heftig an seine wogende Brust. Sie las in seinen Augen, daß er Alles wußte. Zu Helenen gewendet, lispelte 236 der bewegte Mann: »Sie ist meine Schwester!« Staunend umschlang sie Helene von der andern Seite. –

* * *

Es wird dem Leser nicht unlieb seyn, über die Schicksale der Personen, welche seinem geistigen Auge vorüberschritten, in Kurzem noch Folgendes zu erfahren:

Moritz von Müllersdorf fand bald ein schönes Landgut in dem gesegneten Thüringen, und bezog es mit Gattin und Schwester. Diese beiden Engel erheiterten sein Leben; Helene schmückte es mit den heitern bunten Kränzen der Freude, Constanze schlang die Schleier sanfter Wehmuth hinein, und gab dem poetischen Gemüthe ihres Bruders dadurch erst den rechten Genuß. Denn dem Dichter sind die leis umwölkten Tage lieber, als die, deren Sonnenglut drückt.

Für Luischen fand sich ein braver Gutsbesitzer aus der Nachbarschaft, der keine Ansprüche zu machen berechtigt war. Sie feierte mit Charlotten und Müllersdorf zugleich Hochzeit. Es 237 war ein schöner Tag; und so viel auch Wittenbach trank, er fluchte nicht ein Mal; denn er hatte es Charlotten am Morgen heilig und theuer versprochen. Uebrigens erfuhren weder Charlotte und Luise, noch ihre Eheherrn den wahren Zusammenhang des Verhältnisses zwischen ihrem Vater und Constanzen, und konnten sich nie erklären, warum der alte Herr mit so unbegrenzter Liebe an Madame Bergmann hinge, wenn sie auch den lächerlichen Argwohn aufgegeben hatten, daß der Greis die junge Frau heirathen werde. Und wirklich war Constanze des Barons liebste Tochter; er sah in ihr den Lichtblick seines Lebens verkörpert; ja ein Jahr darauf zog er zu ihr, und starb nach mehren Jahren heitrer Ruhe in ihren Armen.

Dann und wann gingen Nachrichten aus *** ein, und Müllersdorf und seine liebenswürdige Frau erfuhren in einzelnen Briefen eine Reihe Jahre hindurch, was hier zusammengefaßt wird.

Spangenheim wurde, eh' noch das Jahr 1821 verstrich, der Gatte der Gräfin Klattau, erhielt das Adelsdiplom und eine einträgliche Anstellung 238 auf dem Büreau des Herrn von Losewitz. Diesen alten Diplomaten wußte er so für sich einzunehmen, daß er ihm in Haus und Herzen die Stelle des Sohns einräumte, weil dieser, für seinen Leichtsinn etwas hart behandelt, von dannen gegangen war und in einer Stadt Norddeutschlands unter fremdem Namen als Barytonist auf der Bühne wirkte. Stets für die Kunst begeistert, ist er ihr treu geblieben und hat sich Lorbeern errungen. Er besucht fast jährlich seinen Freund Müllersdorf, und dann belachen sie zusammen ihre diplomatische Carriere.

Auch der schöne Plan des Marchese Ricconi scheiterte gänzlich. Im Mai des folgenden Jahres starb der Herzog A. von Z. plötzlich. Prinz F., immer geistesschwächer, überlebte ihn nur um einige Jahre. Das Fürstenhaus starb mit ihm aus. Der Himmel zerschlug mit zürnender Faust das schimmernde Luftschloß des intriguanten Pfaffen; er kehrte nach Rom zurück. Später hat man mehrmals die Behauptung gemacht, er sei eigentlich ein Deutscher, Namens Ricken, gewesen.

239 Dem Fräulein von Grünewald verschaffte Spangenheim, zum Lohn für treu geleistete Freundschaftsdienste, einen Mann aus seinem Büreau, als er selbst an der Spitze eines solchen stand. Vor einigen Jahren trat der brauchbare Diplomat in das Ministerium eines kleinern Fürsten; zwei Monate darauf ließ er sich von seiner alten Frau scheiden, heirathete ein blühendes Fräulein aus einem der ältesten Adelshäuser des Landes, und wußte sich in der Gunst seines Fürsten zu erhalten.

 


 


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