Ludwig Storch
Der Diplomat
Ludwig Storch

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

13.

Bei der Gräfin Klattau war zum Frühstück servirt; sie stand mit Spangenheim in einem Fenster und zwar entzückt über die Sympathie ihrer Seelen, die sich in den schwärmerischen, eben von seinem beredten Munde strömenden Ergießungen über Religion und Metaphysik kund that. Mit kühnen poetischen Worten malte er ihr die herrlichsten Bilder aus der Welt der Gefühle vor, und sie schwelgte in den Empfindungen, die er herbeirief.

Fräulein von Grünewald trat ein und fragte, ob die Comtesse noch nicht hier sei? Die Gräfin fand kaum Zeit, ihr diese Frage verneinend zu beantworten, und hörte nicht darauf, daß Helene schon vor einer Stunde erklärt habe, hierher 214 gehen zu wollen, während sie ihr eine Arbeit aufgetragen, welche sie an's Zimmer gefesselt.

Bald darauf kam der Marchese. Man setzte sich. Der Letztere erzählte, er habe eben den jungen Müllersdorf mit der gestern über der Tafel krank gewordnen Dame in einen Wagen steigen sehen und ihnen glückliche Reise gewünscht. Spangenheims Gesicht verklärte sich; er trank hastig einige Gläser, und wurde sehr fröhlich. Helenens Ausbleiben fiel nach beendigtem Frühstück auf; allein der weinlustige Diplomat wußte ja, daß seine Feindin ihm bei Helenen nicht mehr schaden konnte, und so blieb er ruhig. Erst als Helene auch nicht bei der Mittagstafel erschien, sahen sich Spangenheim, der Marchese und die Gräfin wechselseitig befremdend an, und Fräulein von Grünewald erhielt den Auftrag, die Comtesse zu suchen. Diese erkundigte sich bei sämmtlichen Badegästen; man hatte sie wohl gesehn, wußte aber nicht, wohin sie gerathen sei. Endlich fiel es Spangenheim auf, daß die Familie Hochmannsdorf sich gar nicht über die Abwesenheit der Madame Bergmann beklagte, und er unterstand 215 sich, nach ihr zu fragen; »sie ist verreis't!« antwortete der alte Baron gegen alle Gewohnheit kurz. »Wo denn aber ist Herr von Müllersdorf?«

»Auch verreis't!« versetzte Spangenheim ebenso.

»So wird ja wohl die Comtesse ebenfalls verreis't seyn. Was?« höhnte der Alte, der heute eine grimmige Laune hatte. Doch Niemand von der Gegenpartei legte Werth auf diese Worte. Man trennte sich und Spangenheims Unruhe stieg von Stunde zu Stunde. Die Gräfin sprach gegen Abend den Gedanken aus, der sie, sie folternd, schon lange gequält hatte, Helene könne sich ein Leids angethan haben, und als das gräßliche Wort ein Mal heraus war, warf es schier alle mit seiner unterirdischen Kraft zu Boden. Spangenheim rennte wie ein Verzweifelter umher, und suchte die Comtesse in Teichen und Flußgräben; Leute wurden ausgeschickt, das ganze Bad kam in Aufruhr. So verging die Nacht. Die Gräfin brachte sie zerknirscht am Hausaltare betend zu, um die Stimme ihres Gewissens zu beschwichtigen, die ihr laut vorwarf, sie habe das Kind ihrer einzigen Schwester in den Tod 216 gejagt; Spangenheim wild umherlaufend, fluchend und tobend und ohne alle Aufmerksamkeit auf seine zwiefache Rolle, die des Diplomaten und des Religionsschwärmers, die Grünewald ihn verwünschend, daß er ihr nicht Wort gehalten und Müllersdorf mit einer Andern davongegangen, der Marchese ruhig, nach eingenommener guter Mahlzeit, in seinem Bette schlafend.

Die Sache machte natürlich das größte Aufsehen; man war am folgenden Tage mit nichts weiter beschäftigt. Die Gerichte invigilirten und gegen Mittag verbreitete sich Licht. Bei der Tafel fehlte die Familie Hochmannsdorf, und man erfuhr, daß sie diesen Morgen plötzlich abgereis't sei und hie und da habe Karten abgeben lassen. Wie ein Blitzstrahl traf diese Nachricht Spangenheim. Fast zu gleicher Zeit wurde von den Gerichten gemeldet, daß Tags vorher, um neun Uhr früh, hinter dem Dorfe G., eine Viertelstunde vom Badeorte, eine Dame von dem Aussehen und in der Kleidung der Abhandengekommenen, in einen Wagen gestiegen sei, worin bereits ein junger Herr und eine Dame gesessen. Die Flüchtige 217 habe ein Bewohner des Dorfes über eine halbe Stunde hinter einer Hecke warten sehen. Spangenheim wurde von dieser Nachricht fast zu Boden geworfen. Nun erfuhr er auch von der Grünewald, daß Helene aus dem Theater gegangen. Er hatte Licht, aber eins blieb ihm völlig unerklärlich, wie nämlich der Sohn des loyalen, servilen Losewitz, der angehende Diplomat, so gegen einen Mann handeln konnte, der ihm an Geist weit überlegen war und der in Staatsgeschäften sich bald unentbehrlich machen werde. Er schwankte nach Hause. Mechanisch griff er nach dem von dem jungen Manne erhaltnen Paket, welches mit Staffete an dessen Vater geschickt werden sollte. Das Siegel fiel ihm auf; es war das der Familie Losewitz, welches ihm wohl bekannt war. Ein siedend heißer Gedanke schoß plötzlich durch seinen Kopf wie ein feuriger Pfeil; er riß das Paket auf, und – Makulatur fiel ihm entgegen. Das war der gräßlichste Schlag. Er raffte sich auf und tobte wie ein Rasender zum Marchesen: »Ha, meine Ahnung hat sich fürchterlich erfüllt!« brüllte er. »Der schändliche 218 Losewitz ist uns und seinem Vater ungetreu geworden und mit Helenen geflohen. Er kehrt nicht zurück, wie ich Ihnen noch heute sagte; er hat mich, wie seinen Vater, betrogen.«

»Aber was wollen Sie denn vom jungen Losewitz?« fragte der Marchese befremdend. »Ist der Sohn unsres Losewitz hier gewesen?«

»Nun wissen Sie denn nicht, daß der sogenannte Müllersdorf eigentlich der Sohn meines Gönners war?« fragte Spangenheim erstaunt.

»Hat er Ihnen das selbst gesagt?« gegenfragte der Marchese.

»Ei freilich! Er hat mir ja einen Brief seines Vaters überbracht, er hat die Parole richtig angegeben und über alle unsre Verhältnisse nicht anders gesprochen, als wie ein genau Unterrichteter. Sie selbst haben ihn ja für den jungen Losewitz anerkannt.«

»Ich niemals; ich habe ihn stets für einen Herrn von Müllersdorf gehalten, und ihn auch in *** als solchen kennen gelernt. Ich sah ihn mehrmals in Gesellschaft des jungen Losewitz, an den er attachirt war, und dessen Vater von ihm, 219 als einem sehr brauchbaren Kopfe, sprach. Es ist jammerschade, daß ich ihn nun nicht zu meinem Plane hinsichtlich des Herzogs A. von Z. benutzen kann.«

»So ist ein fürchterlicher Betrug vorgegangen,« tobte Spangenheim; »ich bin um meine Papiere und habe meine Geheimnisse auf Ihr Geheiß an einen Feind unsrer Sache verrathen.«

»Hätten Sie mir doch früher davon gesagt, daß Sie den Müllersdorf für den Losewitz hielten. Jetzt ist's zu spät; und ich bedauere nur das Scheitern meines schönen Planes.«

»Ich werde sogleich nach *** reisen, um den schlimmen Folgen dieses Betrugs vorzubeugen.«

»Thun Sie das; sonst möchte es mit Ihrer diplomatischen Laufbahn ein Ende seyn. Da uns ohnedies die Lockspeise genommen ist, so können wir vor der Hand nicht zur Ausführung unsres Planes schreiten. Sie allein können, wie ich Ihnen schon bewiesen habe, die Erfordernisse nicht erfüllen. Bringen Sie uns von *** ein andres Exemplar mit. Ich werde mit der Gräfin hier bleiben und den Prinzen F. erwarten.« –

220 Spangenheim wollte die Flüchtigen aber erst verfolgen und machte sich auf den Weg nach E. Sein Aerger war grenzenlos, keine Spur von Müllersdorf und seinen Begleiterinnen zu finden, und als er verdrießlich zurückkehrte, erfuhr er, daß der Kutscher den entgegengesetzten Weg hatte fahren müssen. Er mochte vor Wuth bersten, daß er den Flüchtigen auch noch den Wagen gemiethet und mit ihrer Flucht einverstanden gewesen, ja daß sie auf seinen dringendsten Wunsch vor sich gegangen war.

Am andern Morgen reisete er, von den Segenswünschen der Gräfin begleitet, mit Extrapost nach *** ab.

 


 


 << zurück weiter >>