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Ganz Paris war voll Freude und Jubel, Prinz Condé hatte kurz vor Ostern die königliche Armee bei Blenau geschlagen, und würde den König in Gien, wo sich der Hof eben aufhielt, sicherlich gefangen genommen haben, wenn die Unerschrockenheit des Marschall Türenne denselben nicht gerettet hätte. Zum Fest nun war der siegreiche und gefeierte Prinz in die Hauptstadt gekommen und wie der König des Landes empfangen worden. Das Commando seiner Armee hatte er seinen Generalen übergeben und die Herzöge von la Rochefoucault und Beaufort mitgebracht. Die Rückkehr des verhaßten 75 Cardinals hatte seiner Partei schier mehr Anhänger gewonnen, als seine eigne Persönlichkeit, und die Macht, die ihm bei seiner Ankunft über die Gemüther der Pariser zustand, zusammen gehalten mit seinem drohenden Heereshaufen, veranlaßten in der Hauptstadt die verschiedensten Vermuthungen. Einige glaubten, er würde ohne weiteres den König Ludwig für abgesetzt erklären, und den Thron Frankreichs selbst besteigen. Man hörte sogar Leute behaupten, daß er dazu kein zweideutiges Recht besitze, indem man offen und überall erklärte, weder Ludwig XIV. noch sein Bruder, der Herzog von Anjou, seien Söhne Ludwigs XIII.; der Herzog Gaston von Orleans hatte aber aus seinen beiden Ehen nur Töchter erzielt, folglich gehöre der französische Thron dem Herzog von Bourbon-Condé von Gottes und Rechts wegen. Eine andre Partei meinte, er werde sich nur solange zum Generalstatthalter des Reichs erklären, bis Mazarin sammt der Königin Mutter auf ewig aus dem Lande entfernt worden seien. Eine dritte, obgleich kleinere Partei, die den Prinzen aber besser kennen mochte, 76 als alle übrigen, war der Meinung, Condé sei nur nach Paris gekommen, um sich des taumelnden Beifalls des großen Haufens zu erfreuen und die Vergnügungen der Hauptstadt zu genießen, die er lange über ein halbes Jahr habe entbehren müssen. Man war in Erwartung der kommenden Dinge. Aber man sah nichts weiter, als einen glänzenden Hofstaat, den der Prinz um sich versammelte und mit dem er sich dem Genusse aller sinnlichen Freuden wie ein Heißhungriger hingab, der an eine reich besetzte Tafel kommt. –
Der Prinz war von seiner Muhme Montpensier zu einem glänzenden Dejeuner geladen; sie hatte es darauf abgesehen, sein Herz zu erobern. Ihre zahlreiche Dienerschaft prangte in Galla, ihre Fräulein und Zofen boten sich dem Auge in verführerischer Nymphentracht dar. Der glückliche Held war in der heitersten Laune, und nahe daran, seiner schönen Muhme eine feurige Liebeserklärung zu machen, stahl er ihr Küsse, als sie durch den Fall einer gläsernen Vase von einander geschreckt wurden. Das Mädchen, das 77 eben mit dem Prunkgefäß herein getreten war, lag ebenfalls am Boden und hatte sich an einer Scherbe im Gesicht verwundet, so daß sie heftig blutete. Der Prinz sprang herbei, hob die Ohnmächtige auf und war einigermaßen betreten, in ein ihm wohlbekanntes Gesicht zu sehen. Die Prinzessin kam ihm mit einigen Essenzen zu Hülfe und sagte bei dem Versuche, das Blut zu stillen: »Ueber dem armen Kinde scheint ein blutiges Verhängniß zu schweben. Erst vor Kurzem ist sie von einem lebensgefährlichen Dolchstich genesen, den ihr ein toller eifersüchtiger Liebhaber versetzte, und heute fließt ihr Blut schon wieder.«
Die Ohnmächtige kam zu sich.
»Nannon,« redete sie die Prinzessin an, »wie ist Dir?« Aber kaum hatte Nannon des Prinzen Gesicht wieder erblickt, als sie das ihrige mit beiden Händen bedeckte und tief aufstöhnte. Die Prinzessin befahl einen Wundarzt herbei zu holen und trat mit dem Herzoge in ein anderes Zimmer.
»Ein Dolchstich aus Eifersucht?« sagte 78 Condé lachend, »das ist ja in Frankreich etwas ganz Unerhörtes.«
»Gewiß! Gott mag wissen, wie es damit zugegangen! Ich habe es nie erfahren können. Ihre Eltern oder vielmehr Pflegeeltern flohen aus Furcht, in schlimme Händel verwickelt zu werden, noch in der Nacht aus Paris, ich weiß nicht wohin, und ließen die schwer-Verwundete zurück, die meiner Sorge anheim fiel, weil ich sie früher gekannt hatte und – obgleich sehr von fern – mit in ihr trauriges Schicksal verflochten war. Auch hatte sie durchaus Niemanden weiter, der sich ihrer annahm. Ich erzähle Ihnen die Geschichte ein andres Mal.«
Der Prinz drang nicht sehr in seine Freundin, ihm Ausführlicheres über die schöne Nannon mitzutheilen, deren Leiden er, wie er wohl merkte, herbeigeführt hatte; doch beruhigte es ihn, daß die Prinzessin nichts von seinem Antheil an Nannons Schicksal zu wissen und also auch die Ursache ihrer Ohnmacht nicht zu ahnen schien. Das Gespräch kam wieder auf den Hof und die Scandala, welche während der 79 Abwesenheit des Prinzen in Paris vorgefallen waren; und beide befanden sich noch einige Stunden wohl dabei.
Man hatte dem Prinzen seine getreuesten Anhänger im Parlamente genannt und er verfehlte nicht diese Leute bei sich einladen zu lassen, ihnen Feste zu geben, ja, um sich populär zu machen, beehrte er den Einen und den Andern sogar mit seinem Besuche. Wenn unter diesen Wenigen auch der Parlamentsadvocat von Tarneau sich befand, so mochte wohl das Gerücht, daß dieser Mann eine wunderschöne Tochter besitze, auch einen Grund, und vielleicht den vorzüglichsten zu diesem Besuche abgegeben haben. Mitten aus den Festen, die ihm Paris bereitete, sich losreißend, erschien der Herzog eines Morgens in Tarneau's Wohnung. Sein Erscheinen veranlaßte dort eine Bewegung, wie sie seit der Hochzeit des friedlichen Ehepaars daselbst nicht vorgekommen war. Herr Battist saß zum Glück eben nicht in staubigen Akten, sondern wartete einen Besuch ab. Er kämmte Haar und Schnauzbart mit den Fingern, und verneigte sich 80 so tief es seine steife Gestalt zuließ; Madame ließ sich von Margoton in ihrem Stuhle herbeirollen, haschte nach des Herzogs Rock und preßte gewaltige Küsse, weinte Ströme von Freudenthränen darauf. Mademoiselle Poupard schluchzte auch beim Anblick des reizenden jungen Helden, aber ihre Thränen hatten einen andern Grund, als die ihrer Frau. Elisabeth stand von fern und senkte ihr herrliches Auge verschämt zu Boden, als sie der gütige und zugleich heiße Blick des Prinzen traf und mit huldigender Bewundrung auf ihr verweilte. Außerdem befand sich noch ein ältlicher stattlicher Mann im Zimmer, der in vornehmer militärischer Kleidung lächelnden Gesichts dem jungen Feldherrn gegenüberstand.
»Eure Hoheit beglückt mein armes Haus mit ihrer Gnade!« rief Tarneau, »und nicht nur uns, sondern auch diesen meinen trefflichen Freund, den ich die Ehre habe, Eurer Hoheit vorzustellen. Er ist der Herr Marquis von la Boulage, der von Meaux, seinem jetzigen Wohnorte, nach Paris gekommen ist, um Eurer Hoheit seine Ergebenheit zu versichern.«
81 »O ich kenne den Herrn Marquis sehr wohl,« versetzte der Prinz so leutselig und liebenswürdig, wie er sich nur zu geben vermochte. »Sie gehörten immer zu den Feinden des Cardinals und waren ein ächter Frondeur; auch von Ihren Waffenthaten wissen die Spanier zu erzählen, und vielen davon haben Sie einen Brief durchs Leben aufs Gesicht geschrieben.«
»Ich habe es nicht zu so hoher Meisterschaft in dieser Art Schrift bringen können, wie Eure Hoheit,« sagte der Marquis.
»Jeder nach Kräften und Geschick, doch alle zu dem gemeinsamen Zweck: Frankreichs Wohl! – Waren Sie nicht mit der Wittwe des früh verstorbnen Marquis von St. Romain verheirathet?«
»Das bin ich noch, mein gnädigster Herr; denn meine Frau lebt noch, obgleich schwach und kränklich.«
»Irre ich nicht, so hinterließ der Marquis, der oft in meines Vaters Hause war, einen Sohn. Er müßte jetzt ein stattlicher Jüngling 82 sein und gäbe gewiß einen guten Offizier in meiner Armee ab.«
»Roger von St. Romain, mein Stiefsohn« versetzte der Marquis verlegen, »würde gewiß mit Freuden unter Eurer Hoheit glorreichen Fahnen seine ersten Waffenthaten verrichten, wenn er nicht als Page des Königs von Sr. Majestät zum Offizier unter dem Marschall Türenne gemacht worden wäre.«
»Nun, dient er nicht für mich, so dient er doch gegen mich, und Türenne ist wahrlich ein wackrer Lehrmeister im Kriegshandwerk. Das hab' ich vor Kurzem erst wieder erfahren.« Seine Augen fielen auf Elisabeth und er bemerkte nicht ohne Verwundrung, daß eine hohe Purpurglut ihr Gesicht überzogen, die er vorhin nicht wahrgenommen hatte, und ihre Blicke mit dem Ausdruck eines ängstlichen Staunens auf den Marquis gerichtet waren.
»Wenn auch der Sohn durch Umstände an die königliche Partei geknüpft ist,« sagte Tarneau, »so ist der Vater Eurer Hoheit um so treuer ergeben.«
83 »Mein Freund, auch ich bin dem Könige bis in den Tod ergeben,« entgegnete Condé. »Meine Waffen sind nur gegen Mazarin und seine Beschützerin gerichtet.«
»Das ist auch unsre Meinung und Ansicht,« war des Marquis Rede.
»Und diese Gleichheit der Gesinnungen hat uns erst vor Kurzem zusammengeführt und so innig verbunden, gleicher Haß gegen Mazarin, gleiche Liebe zu Eurer Hoheit,« sprach Tarneau mit Salbung. »Ich war dem Cardinal selbst entgegen gezogen, um sein Eindringen in Frankreich zu vereiteln.«
»Ich habe davon gehört,« unterbrach ihn der Prinz lächelnd.
»Aber unsre Kräfte waren zu schwach; wir mußten wieder umkehren. Da nahmen wir in der letzten Nacht unsrer Heimreise Einkehr bei dem Herrn Marquis. Herr von Plessis, einer der Parlamentsräthe, die mit mir den Zug unternommen hatten, war ein langjähriger Freund desselben; wir wurden gar freundlich empfangen. Die Rückkehr des Cardinals machte ihn ganz zu dem 84 Unsern, und seit dieser Zeit sind wir innige Freunde, ja ich kann wohl sagen, Frankreich hat schwerlich ein Paar getreuere Anhänger an Eure Hoheit, die bereiter wären, Gut und Blut jeden Augenblick für Ihre gerechte Sache zu geben.«
»So nenne mich wenigstens als das dritte Herz,« äußerte sich Madame Tarneau noch immer weinend, »und wer weiß, ob die beiden Männerherzen vereint so viel Treue fühlen zu Ew. Hoheit, wie ich. Mein Vater war ja Ew. Hoheit Vater Wildmeister zu St. Maur, und meine Mutter hat uns die Liebe zum Hause Condé mit in der Milch zu trinken gegeben. Ich auch bin's, die meinen Mann zu Ihrer Partei gebracht hat; denn er hielt es erst mit dem Herzog von Orleans und dem Coadjutor Gondi.«
»Frau!« schmälte Tarneau mißbilligend und drehete verlegen am Zwickbarte, »wie Unrecht thust Du mir im Beisein Sr. Hoheit!«
»Nein ich will mich stolz meines Verdienstes rühmen vor dem rechten Manne. Seit dieser Stern in unserm Hause aufgegangen ist, bin ich die glücklichste Frau auf der Welt. Und nun glaub' 85 ich, daß mich der Himmel noch zu etwas Höherm bestimmt, daß er mich zum Werkzeug ausersehen hat, einen großen Plan auszuführen. Durch diesen hohen Besuch haben mich Ew. Hoheit geweiht, Ihnen und Frankreich einen großen Dienst zu leisten. Doch darf ich jetzt noch nicht sagen, worin er besteht, und wie er ausgeführt werden muß. Aber freudig bringe ich Ihnen mein höchstes und theuerstes Gut dar.«
Der Prinz verglich die hülflose Lage und die schwärmerischen Versicherungen der Frau zusammen, und obgleich ihm dadurch ihre Worte eben nicht klarer wurden, so versetzte er doch gütig: »Ich bin hocherfreut, so viel Liebe und Anhänglichkeit in einem Hause zusammen gefunden zu haben. Doch Sie, mein schönes Kind,« wandte er sich zu Elisabeth, »scheinen in die mir so höchst angenehmen Versicherungen Ihrer Eltern nicht einstimmen zu wollen. So hätt' ich wohl von Ihnen kein Fünkchen von Liebe zu hoffen?«
»Sie wird ihre Liebe durch die That beweisen,« antwortete die gesprächige Mutter an Elisabeths Statt, wodurch sie den galanten Prinzen eben 86 nicht sonderlich erfreuete. »Sie wird mir den Plan zu Ew. Hoheit Heil und Glück ausführen helfen.«
»Liebesthaten sind immer noch mehr werth als Liebesworte,« sagte Condé mit feiner Hofmanier, »und Liebesthaten von solch einem Herzen, von solchen Händen vollbracht, müssen allerdings das höchste Heil und Glück über das Haupt eines Mannes bringen, und stehe er auch noch so hoch. Den schönsten Kranz, sei er aus Blüthen oder reifen Aehren geschlungen, drückt doch nur die liebende Frauenhand auf die Schläfe des glücklichen Mannes und fürwahr der Fruchtkranz ist seines Glückes höchste Krone.«
»Nur wer der Blüthen wartet, darf auf die Früchte rechnen; nur wer gesäet hat, soll die Ernte hoffen,« sagte Elisabeth mit Bedeutung.
»Nicht immer sind die Früchte des Sämanns Lohn; oft gelten höhere Rechte,« versetzte der Herzog eben so.
»Käm' es stets auf die volle Garbe an, sie würde gewiß immer lieber dem angehören, der ihr Korn in der Erde Busen gesenkt, als dem 87 Reichen, der ohne Mühe sie genießen will. Wer ihrer mit Liebe gepflegt, der soll sich billig auch ihres Genusses erfreun.«
»Ich merke schon,« lächelte der Prinz, »hier hat ein Sämann guten Samen ausgestreut;« und wandte sich dann wieder zur Mutter, die von dem Allen nichts begriff. –
Als der Prinz nach Hause kam, rief er seinem Vertrauten, dem Hauptmann von Gourville entzückt zu: »Ich habe ein göttliches Mädchen kennen gelernt, schöner als die Morgenröthe, wenn sie aus dem Bette des Tithonus stieg. Ein Paar feurige Küsse von ihr würden mich von aller Langeweile heilen, die mir verschiedene Herzoginnen und Marquisinnen mit ihren Liebeserklärungen und zudringlichen Zärtlichkeiten bereiten. Aber die reizende Amourette hat einen Liebhaber, einen Anbeter, an dem sie mit ganzer Seele zu hängen scheint. Doch durch die Mutter, die eine Närrin ist, und wie eine Verrückte spricht, ist Alles zu gewinnen. Spionire mir nur erst aus, wer der Glückliche ist, den sie liebt, um ihn nach Befinden der Umstände auf die schicklichste Art entweder bei Seite zu 88 schieben, oder aber beizubehalten. – Weißt Du auch, daß ich die schöne Schäferin wieder gefunden habe? Seltsam! als Zofe der Montpensier, die mir stark die Cour macht. Das arme Ding! Ich war noch nicht weit mit ihr, die Sache war noch zu neu; kaum einige Küsse hatte ich von ihrem schönen Munde genascht, als ich fort mußte, und doch hat sie der Tändelei wegen einen kalten Stahl kosten müssen. Sie dauert mich, und ich würde ihr gern zur Entschädigung ihr liebevolles Herzchen leichter machen, und Alles nachholen, woran ich verhindert wurde, aber sie ist die Zofe der Montpensier, und wenn mich ihr Blick nicht getäuscht hat, so quälen sie Gewissensbisse. Auch hab' ich in der That keine Zeit dazu. Meine Liaison mit der Herzogin von Chatillon ist inniger und zärtlicher, als je; die Muhme Montpensier hat es ernstlich mit mir vor, und die muß ich mir durchaus zur Freundin erhalten; ich meine es ebenso mit der schönen Elisabeth von Tarneau. Außerdem schmachtet die Marquise von la Laubern nach mir und das Fräulein von Tachord ladet mich in den zärtlichsten Liebesbriefen ein. Und meine Frau darf 89 ich doch auch nicht vernachlässigen, so lächerlich das auch klingt; aber Du weißt, wir lieben uns. Kurz, ich lasse die kleine Theaterprinzessin fahren.«