Ludwig Storch
Orestes in Paris
Ludwig Storch

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19.

Nannon war mit Herrn von Tarneau, von schwerer Angst bedrängt, in Meaux angelangt. Sie hatte sich wohl gehütet, dem strengen Manne die Wahrheit hinsichtlich des Boten und des Briefs zu gestehen, und ihn nur dringend gebeten, sie zu begleiten. Der Advocat war also nicht wenig überrascht, den Prinzen Condé, die Herzogin von Longueville, seine Schwester, die Prinzessin von Montpensier, in seltsamen Verkleidungen, so wie noch zehn bis zwölf der treuesten Anhänger der Condéischen Partei hier zu finden. Der Zweck dieser Zusammenkunft war eine Besprechung der anzuwendenden Mittel, um die drohende Zurückkunft Mazarins zu verhindern. Condé wußte gewiß, daß man dazu bereits geheime Anstalten getroffen hatte.

Nannon zog ihren Vater bei Seite, und gestand ihm, was mit dem Briefe an Tarneau vorgegangen. Der Marquis erschrak und entdeckte 185 sich dem Prinzen. Man erwog genau, was in dem Briefe gestanden und da weder von Zeit noch Ort die Rede gewesen, und das Ganze eigentlich nur eine Einladung an Tarneau enthalten hatte, Nannon nach Meaux zu begleiten, so ließ sich der Prinz nicht aus seiner frohen Laune bringen.

»Aber warum haben Sie Ihre liebenswürdige Familie nicht mitgebracht?« redete er zum Parlamentsadvocaten. »Es würde mir die größte Freude sein, Ihre treffliche Frau wieder zu sehen. Gewiß, Sie hätten ihr bei ihren schweren Leiden diesen Genuß bereiten sollen. Schicken wir einen Boten nach Paris! Schreiben Sie Ihrer Frau, sie soll kommen. Ihre Tochter begleitet sie. Wir wollen einen Tag oder zwei froh zusammen sein. In Paris ahnen sie meine Nähe nicht.«

Das heiße Verlangen des Prinzen, die schöne Elisabeth wieder zu sehen, und die kühnen Hoffnungen, die er ihretwegen hegte, ließen ihn ihren Vater unablässig antreiben, bis sich dieser dazu bequemte, einen Einladungsbrief an seine Ehehälfte abzufassen. Während er mit dieser sauern Arbeit beschäftigt war, befahl der Marquis seinen 186 geräumigen Reisewagen anzuspannen, um die Familie Tarneau darin abzuholen, an welcher dem Prinzen schier mehr gelegen schien, als an der Verhindrung der Mazarin'schen Rückkehr nach Frankreich.

Der Brief war endlich fertig und der Wagen stand zur Abfahrt bereit, als ein Reiter auf den Hof sprengte und den Marquis von Boulage und Herrn von Tarneau unverzüglich zu sprechen begehrte. Nannon hatte nicht ohne Herzklopfen Benoit erkannt. Man führte ihn in ein Zimmer. Kaum waren die beiden Männer bei ihm eingetreten, als er sich zur Erde warf und sich anklagte, ein großes Verbrechen an ihnen begangen zu haben. Es kostete Mühe ihn zu einer klaren Darstellung zu bringen, und der Parlamentsadvocat erfuhr Dinge, die ihm so nagelneu waren, daß er sich vor Verwundrung kaum zu fassen vermochte.

»Nichts weiter als meine rasende Liebe zu Nannon hat mich zu all den dummen Streichen verleitet,« schloß Benoit wehmüthig. »Hätte sie ihre Gunst nie dem Prinzen Condé geschenkt, so hätt' ich jetzt meinen braven Offizier, der mich so sehr geliebt, nicht in's Verderben gestürzt.«

187 »So sind wir alle verrathen,« rief Tarneau entsetzt, »und keinen Augenblick sicher von königlichen Truppen aufgehoben zu werden.«

»Gottlob!« versetzte Benoit, »daß ich Ihnen wenigstens die Versicherung geben kann, vom bündigsten Beweise unterstützt, daß Sie, und wäre Prinz Condé hier, nicht das Mindeste zu befürchten haben. Nehmen Sie diese Papiere.«

Er überreichte den königlichen Befehl an die Municipal-Behörden, und erzählte kurz, wozu ihn die Königin habe brauchen wollen. »Man hat mir Adel und Ehrenstellen versprochen,« weinte der Arme; »aber ich will nichts als Nannons und St. Romains Verzeihung. Auch Sie flehe ich darum an, meine Herren. In keinem Fall kehre ich wieder nach Paris zurück.«

Nannon wurde herbeigerufen und bestätigte Benoits Aussage, so viel sie davon wissen konnte. Ihr Auge ruhte zärtlich auf ihm, der sie kaum anzublicken wagte.

Tarneau hatte unterdessen dem Prinzen den Beweis seiner Sicherheit überbracht. Dieser verfügte sich in das Zimmer, wo Benoit noch 188 immer verweilte, und wandte sich mit den Worten an Boulage: »Mein Herr Marquis, dieser brave Jüngling verdient eine glänzende Belohnung. Ich stehe sehr in seiner Schuld, aber ich bin nicht im Stande, sie abzutragen; das vermögen nur Sie und Ihre Tochter. Ich will wenigstens thun, was in meinen Kräften steht. Und so trete ich als sein Brautwerber bei Ihnen auf. Sie wissen es selbst, wie sehr er Nannon liebt.«

»Und liebst Du ihn ebenso?« fragte der Marquis seine Tochter.

»Wenn das nicht wäre, so hätte ich schon längst Ihren Wünschen nachgegeben und mich anerkennen lassen. Nannon Berger kann Benoit Poupards Gemahlin werden, die Marquise von la Boulage nicht.«

»Vortrefflich!« sagte Condé. »Und was den Grund Deiner Eifersucht betrifft, die sich schon verderblich genug geäußert hat, Benoit, so bin ich erbötig, Dir für jeden Kuß, den ich Nannon gegeben, hundert Livres zu zahlen. Wie viel waren es, Nannon?«

»Viere,« versetzte sie lächelnd.

»Deine Geliebte ist nicht auf Deinen 189 künftigen Wohlstand auf Kosten der Wahrheit bedacht.« Dann flüsterte er dem erröthenden Mädchen zu: »Es waren doch einige mehr, so viel ich mich erinnern kann.« Und zu dem Marquis gewandt, fragte er: »Darf ich ihre Hände zusammenlegen?«

»In Gottes Namen!«

»Ich statte sie aus,« sagte die Prinzessin von Montpensier, die unterdessen auch herein gekommen war. »Obgleich ich nicht Ursache habe, mit dem jungen Manne sehr zufrieden zu sein.«

Der alte Debarques wurde herbeigerufen, um seine Pflegetochter zu segnen.

»O wenn doch meine Mutter da wäre!« rief Benoit.

»Und der Abbé, mein Freund,« fügte Debarques hinzu.

»Wenn die hohen Herrschaften erlauben,« erhob Tarneau seine Stimme, »so hänge ich noch einige Zeilen an meinen Brief, und wir lassen Benoits Mutter und den Abbé auch mit kommen.« »Da wir so sicher sind, wollen wir gleich Hochzeit machen,« sagte Condé. »Der Kutscher soll fahren, 190 daß ihm die Räder brennen. Und Elisabeth soll er nicht mitzubringen vergessen.«

 


 


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