Ludwig Storch
Orestes in Paris
Ludwig Storch

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

16.

St. Romain harrte, wie ein Landpächter oder Bürger der Provinz gekleidet, in des Dichters Dachstübchen, sehnsüchtig auf die glückbringende Freundin. Der Abbé hatte sich entfernt, um die beiden Leutchen allein mit einander fertig werden zu lassen und seinen Sohn aufzusuchen, den er mit Nannons liebender Gesinnung gegen ihn bekannt machen wollte. Der gute Alte hatte gestern und heute vergeblich auf das Kind seiner Liebe geharrt, nun da Benoit nicht erschienen war, litt es 159 den Abbé nicht länger; er mußte dem Sohne die frohe Mähr selbst überbringen.

Benoit hatte aber denselben Abend seiner Mutter einen Besuch zugedacht. Durch sie war er von Nannons Anwesenheit unterrichtet, und da das muntre Mädchen sich auch bei Demoiselle Poupard über deren Sohn günstig ausgesprochen, so hatten Margotons mütterliche Zuflüsterungen sein Herz mit neuen Hoffnungen geschwellt. Er stand noch bei ihr in der Küche und horchte dem Lobe zu, welches sie nach langer Zeit zum ersten Mal wieder Nannon mit vollem Munde spendete, als diese selbst heraustrat, Benoit freundlich aber flüchtig grüßte und von Margoton sich pressirt beurlaubte. Ihr Anblick hatte Benoit alles Blut in die Wangen getrieben, die Eile aber, mit der sie davon lief, fiel ihm schwer aufs Herz.

»Wo geht sie hin?« fragte er seine Mutter.

»Sie hat einen wichtigen Gang vor,« versetzte die Haushälterin geheimnißvoll. »Ich will Dir nur vertrauen, es passirt diesen Abend etwas hier im Hause, das ein Geheimniß bleiben muß. Sei so gut und komme morgen wieder, da kann ich 160 mich eher mit Dir abgeben und da wollen wir sehen, wie weit wir es mit Nannon bringen. Sie wird Dein armes Herz nicht zurückweisen. Gute Nacht, mein Sohn!«

Der Mutter Betragen machte den mißtrauischen Sohn noch stutziger. Er rannte hastig davon und erkannte auf der Straße Nannon, die er argwöhnisch verfolgte. Ihr nach, trat er in das Haus, worin der Abbé wohnte und stand bald an der Thüre, durch die sie in das ärmliche Stübchen getreten war. Der feste Vorsatz zu erkundschaften, was in Tarneau's Hause vorgehe, ließ ihn vorsichtig an der Thüre lauschen. Das Schlüsselloch, eine Klinze, ein Loch im Kamin gestatteten ihm eine theilweise Uebersicht der Stube. Er sah einen fremden Mann, dessen Gesicht ihn das düstre Lampenlicht nicht erkennen ließ, und hörte abgerißne Worte.

St. Romain begrüßte Nannon als seinen Engel mit Begeistrung, und schilderte ihr seine Liebe zu Elisabeth mit den glühendsten Farben, wie sie nur aus dem glücklichsten Gemisch von Jugend und Leidenschaft entspringen.

161 »Wohlan!« sagte Nannon, ihm die Hand reichend, »ich will Sie zu Alison bringen, von der Sie eben so heiß geliebt werden. Noch diesen Abend sollen Sie das sehnsüchtige Mädchen umarmen; wie ich Ihnen durch den Abbé bereits habe zusichern lassen; aber ich habe auch meine Bedingung dabei.«

»Ich gehe jede ein!« rief der junge Mann, »wenn Sie mir zu solchem Glück verhelfen. Reden Sie nur.«

»Sie sind der Stiefsohn meines Vaters. Er wünscht mit Ihnen in freundlichen Verhältnissen zu leben und bietet Ihnen durch mich die Hand zur Versöhnung. Meine Bedingung ist, daß Sie meine Vermittlung annehmen.«

»Mit Freuden, liebenswürdige Schwester!« jauchzte der Offizier, umarmte Nannon und küßte ihr Mund und Wangen so herzinnig, als ob sie Elisabeth wäre. »Ich will mich Allem fügen, was Du begehrst, holdes Mädchen, nur mache mich glücklich und hilf mir Elisabeth vor dem Könige retten, der sie seit der Aufführung des Orestes liebt.«

162 »O jener verhängnißvolle Abend!« seufzte Nannon. »Ich weiß von des Königs Leidenschaft. Und was das Schlimmste ist, Elisabeths Mutter baut große Plane darauf und ist aus Patriotismus und Anhänglichkeit an den Prinzen Condé sehr geneigt, ihre reizende Tochter dem jungen Könige zu verkuppeln, um durch sie politische Zwecke zu erreichen.«

»Großer Gott!« stöhnte St. Romain auf. »Dann steht es schlimm um mein Glück.«

»Gerade zu Ihrem Glück bin ich von Frau von Tarneau in ihre hochfahrenden Plane eingeweiht. Dies macht uns leichtes Spiel, sie zu vernichten.«

»Dich hat mir der Himmel gesandt!« rief St. Romain, sie umarmend, »herrliches Mädchen, wie kann ich Dir danken.«

»Helfen Sie mir Sturm auf das Herz meines Vaters laufen. Ich bedarf eines tüchtigen Beistandes, um ihn meinen Wünschen geneigt zu machen.«

»Nenne mich Du! Sei meine Schwester!« 163 bat Roger und ihre Lippen vereinigten sich zum schönen Bunde geschwisterlicher Liebe.

»Nun komm, mein Bruder,« sagte Nannon, »ich führe Dich zu Elisabeth. Herr von Tarneau ist nicht zu Hause, bei Madame geb' ich Dich für einen Bekannten aus. Die Haushälterin ist unterrichtet. Auf ihrem Zimmer könnt ihr ruhig kosen.«

Sie brachen auf; Nannon verschloß das Zimmer und verbarg den Schlüssel an der ihm bestimmten Stelle im Kamin. Ihre Hand war kaum einen Zoll breit von Benoits Kopfe, aber er hielt den Athem an sich und schlich dann auf den Zehen nach. In seiner Brust tobte ein Meer höllischer Qualen. Er hatte Nannon in den Armen eines Andern liegen und mit ihm Küsse wechseln sehen. Nur einzelne Worte hatte er erhascht; denn das wilde von der Flammengeisel der Eifersucht gepeitschte Blut brauste ihm wie Mühlräder in den Ohren; aber aus diesen einzelnen Worten bauete er sich eine Bestätigung des Gedankens zusammen, der ihm durch den Kopf gefahren war, nämlich, daß der 164 Fremde Prinz Condé sei, der heimlich nach Paris gekommen, um den Bürgerkrieg von Neuem anzufachen, oder sich doch wenigstens mit den Häuptern seiner Partei zu besprechen. St. Romains kriegerischer Anstand, seine Größe, auch wohl einzelne Töne seiner Stimme mochten diesen Wahn bestärken. Was konnte in Tarneaus Hause auch sonst noch Geheimes vorgehen, was nicht in Beziehung mit dem Prinzen stehe? Und war er nicht Nannons Liebhaber gewesen? Was stand dagegen, daß er es nicht noch war? Diese Gedanken hatten Benoit abgehalten, nicht in das Zimmer zu stürzen und seiner knirschenden Wuth Luft zu machen. Er zog es vor, dem Paare nachzuschleichen. Sobald er beide in Tarneau's Haus hatte gehen sehen, verließ ihn einige Augenblicke lang jegliche Ueberlegung. Mit krampfhaft geballten Fäusten, zusammengebissenen Zähnen stand er da, Schaum vor dem Munde, das Haar gesträubt. So lang er den Gegenstand seiner Aufregung vor sich gesehen hatte, waren alle Kräfte seiner Seele in Spannung gewesen. Jetzt übermannte ihn die Wuth. Auf 165 diese verhängnißvolle Stille folgte ein mit ihr harmonirender Ausbruch. »Ha betrogen!« knirschte er, »betrogen von meinem Papa, dem alten Sünder, der sich nicht schämt, der schändlichen Buhlschaft sein Zimmer einzuräumen. Ei, es ist der angebetete Prinz Condé! Betrogen von meiner Mutter, die mich auch noch mit der Metze dieses Fürsten verkuppeln will. O ich wollte, daß ich es in Stücken zerreißen und sie damit vergiften könnte! Von Allen betrogen, die ich liebte, teuflisch betrogen, hintergangen! Dank's meiner wunderbaren Fassung! Nicht sie will ich verderben, die Schändlichen, sondern ihren Abgott. Der Prinz hat mich unglücklich gemacht, wohlan! so will ich ihn verrathen. Mensch gegen Mensch! Das ist eine richtige Rechnung.«

Und mit einem scheuslichen Gelächter rannte er von dannen, als wenn ihm Flügel gewachsen wären. Es waren die Fittige der Rache, auf denen er dahin stürmte. 166

 


 


 << zurück weiter >>