Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
»Das ist noch der einzige Ort, wo man Geld und sich Ehre machen kann«, hatte Wolfgang am 3. Dezember 1777 an seinen Vater geschrieben, als ihm von den Mannheimer Freunden der Vorschlag zu einer Pariser Reise gemacht worden war. Der Vater aber meinte in seinem strengen Ermahnungsschreiben an den saumseligen Sohn, daß schon der Gedanke, in Paris vor die Öffentlichkeit treten zu können, ihn hätte zu angespannter Tätigkeit aufstacheln müssen. So setzte der Vater in der Tat auch jetzt die größten Erwartungen auf Paris. Er, der vor vierzehn Jahren für den Knaben Wolfgang eine so günstige Aufnahme in der französischen Hauptstadt gefunden hatte, rechnete bestimmt, daß der herangereifte Jüngling sich sicher durchsetzen würde. War doch aus dem Wunderkinde inzwischen ein Wundermeister geworden, der es an musikalischem Können mit allen Zeitgenossen aufnahm. Daß aber sein Sohn in Paris Gelegenheit zur Betätigung finden würde, daran zweifelte er um so weniger, als das Verhältnis mit Friedrich Melch. Grimm, der bei jenem ersten Aufenthalt dem bayerischen Landsmann alle Wege geebnet hatte, inzwischen noch inniger geworden war, so daß der Vater bei dem einflußreichen Herausgeber der » Correspondance litéraire« auf echt freundschaftliche Unterstützung rechnen durfte. Vater Mozart wußte ja aus Erfahrung, daß es überall hauptsächlich auf diese Protektion ankam. Auf
die Pariser Musikverhältnisse
an sich setzte er dagegen keine Hoffnungen. Er und sein Sohn haben vom französischen Musikgeschmack, überhaupt von der Begabung der Franzosen für Musik eine sehr geringe Meinung zeitlebens behalten. Es hat wohl keiner von ihnen vom Pariser Aufenthalt eine Förderung der eigenen Künstlerschaft erwartet, sondern eben nur die Gelegenheit, Ehre und Geld zu verdienen.
Es ist gerade umgekehrt gekommen. Auch in Paris gingen alle Erwartungen auf äußeren Erfolg zuschanden. Dagegen empfing der Künstler Mozart entscheidende Eindrücke. Hatte ihm Mannheim auf dem Gebiete der Instrumentalmusik die neuesten Errungenschaften vorgeführt, so war Paris jetzt der geeignetste Ort in der Welt, um auf dem strittigsten Gebiete der Musik, der Oper, seine Anschauungen zu klären und die Wirkungsmöglichkeit der verschiedensten Bestrebungen erproben zu können.
Es war ziemlich vier Jahre her, seitdem Baron Grimm in seiner Correspondance litéraire geschrieben hatte: »Seit vierzehn Tagen denkt, träumt Paris nichts als Musik. Musik ist der Gegenstand all unserer Erörterungen, aller Unterhaltung, sie ist die Seele unserer Soupers; es würde lächerlich erscheinen, für etwas anderes Teilnahme zu hegen. Muß ich erst noch sagen, daß es Glucks ›Iphigenie‹ ist, die diese ungeheure Gärung angeregt hat? – um so gewaltiger, je mehr die Ansichten geteilt und alle Parteien von gleicher Wut erfüllt sind. Diese schwört, keine anderen Götter anzuerkennen als Lully und Rameau, jene kann nur an die Melodien der Iomelli, Piccini, Sacchini glauben, während dort einzig auf Gluck geschworen wird, der die alleinige dramatische Musik gefunden, aus dem ewigen Quell der Harmonie, aus dem innerlichsten Zusammenhang der Seele mit den Sinnesnerven geschöpft hat; eine Musik, die keinem Lande zugehört, die er aber genial unserer Sprache angepaßt hat.«
Der Streit hatte seit dieser Zeit nicht nachgelassen, war vielmehr jetzt aufs heftigste entbrannt, seitdem im Januar Piccinis »Roland« einen glänzenden Triumph gefeiert hatte, während im September zuvor Glucks »Armide« recht lau aufgenommen worden war. Heftiger denn je tobte jetzt der Streit zwischen Piccinisten und Gluckisten, den die Anhänger der alten französischen Nationaloper zu ihrem eigenen Vorteil auszunutzen strebten. Wurde auch vielfach dieser Streit mit persönlichen Waffen ausgefochten, es war doch ein Kampf um das Wesen der Oper.
Wir wollen hier in kurzen Zügen die Sachlage darlegen, weil Wolfgang, wenn er auch nirgendwo in den Streit selber eingriff, doch nach seiner Art aus den vorgetragenen Meinungen und vor allem aus den aufgeführten Werken sich zu eigen machte, was seiner Natur entsprach und für seine Kunst von Vorteil war.
Trotz oder vielleicht auch wegen ihrer geringen musikalischen Veranlagung war es den Franzosen allein gelungen, dem Siegeszug der italienischen Oper Widerstand zu leisten. Dank ihrem Stolze auf die eigene bodenständige Kultur, dank der Fähigkeit, das, was man schließlich von der Fremde übernehmen mußte, dem eigenen Wesen anzupassen, hatten sie es vermocht, eine Nationaloper auszubilden, die in ihrer ganzen Gestaltung von der italienischen wesentlich verschieden war. Man kann sie als eine Erfüllung jener ältesten Bestrebungen florentinischer Gelehrter bezeichnen, aus der am Ende des 16. Jahrhunderts die erste Oper hervorgegangen war. Und es ist nicht der Zufall, daß der Begründer der französischen Nationaloper, J. B. Lully (1633-1687), aus Florenz stammte. Freilich war er selber ganz zum Franzosen geworden und fühlte gerade als ein Umgewandelter vielleicht am allerbesten das Abweichende der französischen Wünsche von denen seiner Landsleute. Die Zähigkeit der französischen Überlieferung in Kunstdingen bewirkte, daß man trotz der engen höfischen Beziehungen zu Florenz keineswegs an eine plötzliche Übernahme der neuentwickelten Kunstgattung dachte. Man suchte vielmehr an Vorhandenes anzuknüpfen und fand dafür das zu hoher Blüte entwickelte Ballett am geeignetsten. Diese Balletts wahrten äußerlich die Erscheinung eines Dramas, so lose die verschiedenen Szenen untereinander verknüpft waren, so oberflächlich die dramatische Begründung der Tänze war, die neben großartigen Szenerien und breiten Massenaufzügen den Hauptraum einnahmen. Schon hatte man in diesen Balletts die bloße Pantomime durch eingestreute Sprüche belebt. Es war nicht schwer, an Stelle dieser kleinen Gedichtehen ein Lied, eine Arie zu setzen. Mit diesen musikalischen Einschiebseln begnügte man sich, bis Kardinal Mazarin italienische Operntruppen nach Paris zu Gastspielen berief. Das geschah zwischen 1645 und 1652 wiederholt, ohne daß diese italienischen Operntruppen große Erfolge gehabt hätten. Die Franzosen vermißten dabei zu sehr ihr Ballett. Außerdem waren die antiken Stoffe nicht in der hier beliebten Art behandelt, wo das Drama es bereits zu einem Corneille und mit ihm zur Einengung der Antike in die Schnürbrust einer steifen Etikette und scharf geregelten akademischen Sprache gebracht hatte.
Immerhin war jetzt das Verlangen nach einer französischen Oper geweckt. Das herkömmliche Ballett konnte nicht mehr genügen. Aber freilich durfte diese Oper vom überkommenen Besitzstand nichts aufgeben; sie mußte das Ballett in sich schließen, sie mußte Gelegenheit zu Chorgesang darbieten. Vor allen Dingen mußte sie aber auch »dramatisch« sein. Je weniger der Sinn für das eigentlich Musikalische ausgebildet war, um so weniger mochte man sich durch reich ausgebildete musikalische Formen die Forderungen verkümmern lassen, die man an ein Drama zu stellen gewohnt war. In dieser Art arbeiteten der Dichter Pierre Pérrin und der Musiker Robert Cambert die ersten französischen Opern aus: »La pastorale« (1659) und » Ariadne, ou le mariage de Bacchus«(1661). Der Erfolg war so groß, daß Ludwig XIV.(1669) Perrin ein Patent zur Einrichtung ständiger Opernaufführungen (Académie royale de Musique) erteilte. Aber bald nach der Aufführung der ersten richtigen Oper » Pomona« (1671) gerieten Perrin und Cambert in Streit, den Lully so geschickt ausnützte, daß 1672 das Patent ihm in erweiterter Form übertragen wurde. Damit war ihm erlaubt, gegen Bezahlung vor dem Publikum Opern, »selbst jene, die vor dem König aufgeführt worden warm«, vorzustellen.
Lully begann noch 1672 mit »La fete de I'amour et de Bacchus«, der 18 weitere Opern folgten. Entscheidend war, daß er in Quinault einen Dichter gefunden hatte, der das dramatische Interesse in solchem Maße wachzuhalten verstand, daß es neben Szenerie und Tanz das Übergewicht behielt und die Musik nicht zur alleinherrschenden Macht wurde. Am so mehr herrschte diese Dramatik vor, als es Quinault gelang, die Tänze, Balletts und Aufzüge logisch aus dem Stoffe herauswarfen zu lassen, sie also dem eigentlich Dramatischen dienstbar zu machen. Und nun brachte Lully auch die Musik in Dienststellung gegenüber dem Texte. Er übernahm keine der in der Opera Lena so reich entwickelten Formen. Wie man es ursprünglich im florentinischen Musikdrama verlangt hatte, diente die Musik nur zur Hebung des Textwortes. Das Rezitativ, das sich getreu der Sprache anschließt, gab dem musikalischen Ausdruck durchgehends den Charakter. Jede Steigerung des Ausdrucks fand in der Musik durch melodische Ausbildung ihr Echo. Es bot also diese Art Gelegenheit zu reicher Anwendung melodischer Elemente, nicht aber zur Ausbildung und Erweiterung derselben zu größeren Formen, noch auch zu einer innigen Verschmelzung dieser melodischen Teile. So kommen an selbständigen Musikstücken in der Regel nur die zweiteiligen aus einem langsamen Grave und einem fugierten Allegro bestehenden Ouvertüren und die kurzen Ritornelle als Vorspiele zu den Tänzen in Betracht. Kommt es zu Ensemblesätzen, so sind diese lediglich nach Rücksichten der Verständlichkeit des Textes gebaut, so daß die einzelnen Stimmen entweder nacheinander abwechseln oder Note auf Note im Zusammenhange singen. Auch die Chöre sind im Grunde nur eine mehrstimmig ausgesetzte Harmonie. Das Orchester hat nur in den erwähnten Instrumentalsätzen und Tänzen selbständige Bedeutung, im allgemeinen gibt es nur zu jeder Note des Basses die volle Harmonie. Die eben erwähnten Tänze und die Bühnenaufzüge bilden in musikalischer Hinsicht den Kern der Opern. Der Tanzrhytmus beherrscht auch in den etwa vorkommenden Liedern die Gestaltung der Melodie, die schon mit Rücksicht auf die geringe Gesangskunst der zur Verfügung stehenden Kräfte nirgendwo an die blühende Üppigkeit der Italiener gemahnt.
Was also Lully und mit ihm die französische Oper erreichte, war die getreue musikalische Wiedergabe des sprachlichen Akzentes, die Erhöhung alles Deklamatorischen durch die Mitwirkung der Musik und somit die Stärkung der dramatischen Eindrucksfähigkeit der Dichtung. Lully fand vor allem für das Pathetische in der Tragödie einen musikalisch überzeugenden Ausdruck. Der Vortrag war diesem Geiste entsprechend dramatisch; das heißt, den Darstellern kam es nicht auf gute gesangliche Leistungen an, sondern auf möglichst dramatische Effekte. Das weniger Bedeutende wurde in psalmodierendem Tone abgeleiert, dafür alles dramatisch Leidenschaftliche übermäßig hervorgehoben, was die Italiener als »urlo francese« (französisches Geheul) verhöhnten.
Es ist leicht erklärlich, daß die eigentlich musikalischen Naturen, an denen es doch auch in Frankreich nicht fehlte, an diesem Musikdrama kein Genügen fanden, zumal nicht, wenn sie diese psalmodierenden, choralmäßig empfundenen Rezitative mit dem strahlenden Reichtum der Melodik und der sinnberückenden Gesangskunst der italienischen Oper verglichen. Mit ihrem Auftreten beginnt darum auch der literarische Streit über die Berechtigung der französischen Nationaloper, für die St. Evremond die schroffe Verurteilung fand, sie sei »eine Dummheit, beladen mit Musik, Tanz und Maschinen.« Von da ab hörte der Spott über die französische Oper nie mehr auf. Am allerschlimmsten trieb es der Kreis der Enzyklopädisten, unter diesen vorab Rousseau und Grimm. Man schalt das französische Musikdrama langweilig und frostig. Rezitativ und Arie seien nicht auseinandergehalten, jede Art von Text werde in demselben ausdruckslosen Ton wiedergegeben; Tänze und Chöre nähmen einen viel zu breiten Raum ein.
Man verkannte bei diesen zum Teil berechtigten Vorwürfen, daß doch auch auf dem eingeschlagenen Wege die Steigerung des musikalischen Gehaltes wohl erreichbar war. Das zeigte Jean Phil. Rameau (1683-1764). Es ist bezeichnend für die theoretische Schroffheit, mit der dieser ganze Streit geführt wurde, daß Rameau zuerst auch von den Lullysten bekämpft wurde. Natürlich wegen der Vermehrung des Musikalischen im Musikdrama. Bei Rameau ist die ganze harmonische Gestaltung reicher und mannigfaltiger, manchmal wird sie sogar überladen oder doch arg verwickelt. Die Begleitung ist frei und selbständig gedacht; im Orchester wird die Klangfarbe der einzelnen Instrumente ausgenutzt, es nimmt auch in selbständiger Charakteristik Stellung zum dramatischen Gehalt. Auch bei den Chören bewährt sich der große Musiktheoretiker im kunstvolleren Bau. Ein gleiches ist von der Behandlung der Einzelstimme zu sagen; die Melodien sind breiter und kunstvoller. Aber alles das ist doch nur ein Ausbauen auf der überkommenen Grundlage.
Dazu bekannten sich auch die Anhänger Lullys, als 1752 der gefürchtete italienische Gegner wieder auf dem Kampfplatze erschien. Diesmal kamen die Italiener als Buffonisten, und gegenüber ihrer komischen Oper konnten nicht jene dichterischen Bedenken geltend gemacht werden, die durch die im dramatischen Zuschnitte erstarrte und aller wahrhaftigen dichterischen Entwicklung Hohn sprechende Opera seria in so hohem Maße hervorgerufen wurden. Denn die italienische Opera buffa zeigte in dramatischer Gestaltung einen wahren Ausschnitt aus dem Leben und befleißigte sich, Handlung und Textwort nicht von Musik überwuchern zu lassen. So fand diese Musik auch leichter Eingang in die Herzen der Franzosen. Es kam hinzu, daß die Italiener über vorzügliche Gesangskräfte verfügten, daß der ganze Zuschnitt musikalisch leicht und gefällig war, während in der großen französischen Oper schon allein das hörbare Aufschlagen des Dirigenten für musikalische Ohren ja geradezu eine Qual sein mußte. Und nun endlich diese leicht faßliche, in jedem einigermaßen musikalischen Gehör sofort haftenbleibende Melodik so gefälliger Opern wie Pergolesis »Serva Padrona«. So kann man sich leicht erklären, daß nun die italienische komische Oper einen vollen Sieg erfocht. Freilich die »Nationalen« beharrten heftig auf ihren Theorien, und es kam zu so bösen Streitigkeiten, daß 1754 die italienischen Sänger Paris verlassen mußten. Aber ihre gewandtesten Anhänger, gerade die Enzyklopädisten, blieben ja im Lande, und einer derselben, Rousseau, begnügte sich nicht mit theoretischen Schriften, sondern schuf selbst die Operette »Der Dorfwahrsager», in der er zeigte, wie italienische Musik in der französischen Oper verwertet werden könnte. Der ungeheure Erfolg, den dieses Werk gewann, bewirkte, daß man sich nach den übrigen, bereits vorhandenen, in gleicher Richtung sich bewegenden Kräften umsah. Man fand sie vor allem in jenen Parodien mit eingelegten Gassenhauern (Vaudevilles), die man in Jahrmarktstheatern längst gegeben hatte.
So kam es 1762 zur Gründung der Opéra comique, die sich die Aufgabe stellte, die italienische Buffooper in echt französischem Geiste nachzubilden. Die mythologischen Stoffe wurden aufgegeben, statt ihrer wurden komische Vorgänge aus dem täglichen Leben der Bürger, der Bauern, der vornehmen Gesellschaft gewählt; man wurde dadurch gleichzeitig von der schematischen Formengebung frei, brauchte kein Ballett mit seinen ständigen Störungen und Unterbrechungen des dramatischen Laufs und ersetzte endlich auch das psalmodierende Rezitativ durch den gesprochenen Dialog. Man muß sich dabei erinnern, daß in diesen Jahren die Kunst der dramatischen Konversation durch Moliéres Lustspiele der Höhe zugeführt wurde.
Das lebhafte dramatische Interesse, das den Franzosen eignet, kam dieser neuentwickelten Gattung sehr zustatten. An die Stelle der im Umriß knappen, vielfach auch der Improvisation freien Spielraum lassenden italienischen Intermezzi legte der Franzose auch an diese Texte der französischen Oper die gerade durch seine Komödie hochentwickelten Ansprüche an. Wirklich begabte Dichter, wie Favart, Sedaine und Marmontel, widmeten der Gattung ihre besten Kräfte. Nachdem Duni, Monsigny und Philidor nach verschiedenen Richtungen den musikalischen Stil dieser komischen Oper ausgebildet hatten, fand er seine Vollendung durch André Ernest Grétry (1741-1813). Ohne wirkliche Leidenschaftlichkeit, sogar ohne eigentliche Tiefe des Gefühls war Grétry von beweglichstem Geiste und leicht erregtem Empfinden. So war er der rechte Mann, auch in der Musik alle Wechsel der Stimmung zu begleiten. Seine aus der französischen Chanson herausgewachsene Melodik hatte er an italienischen Vorbildern geschult und veredelt. Als echter Franzose studierte er aufs genaueste die Deklamation und wußte gerade in dramatisch belebten Stellen seine Musik lediglich auf eine tonliche Festhaltung einer wirklich ausdrucksvollen Deklamation einzustellen. Dafür verzichtete er dann auf das Rezitativ, das er gänzlich durch Dialog ersetzte; dadurch wurde wiederum Raum geschaffen für eine wirklich geistreiche, den Reiz der Pointe ausschöpfende Konversation. Man kann sich denken, wie diese Neuerungen dem Verlangen der Franzosen entgegenkamen, die nun das musikalische Seitenstück zu ihrer hochentwickelten Komödie erhielten. Die Mitarbeit bedeutender Dichter sicherte aber gleichzeitig diese komische Oper vor der Einseitigkeit der italienischen, indem hier in getreuen Abbildern des Lebens nicht Lustigkeit und Ausgelassenheit allein den Gang der Handlung bestimmten, sondern da man überhaupt sich auf psychologische Begründung der Vorgänge einließ, auch für die Gefühle des Rührenden, ja Ergreifenden Platz wurde. Gerade das wurde für Mozart bedeutsam. Übrigens wäre von diesem bürgerlichen Lustspiel der Weg zum bürgerlichen Trauerspiel auch nicht weit, und so hätte jene Operngattung entstehen können, für die wir in Beethovens »Fidelio«, Cherubinis »Wasserträger« allzu vereinzelte Beispiele besitzen. Grétrys Opern errangen den höchsten Beifall und machten von allen französischen wohl zuerst den Rundgang über alle europäischen Bühnen. Mit ihm war diese Gattung der französischen komischen Oper, für die schon 400 Jahre früher Adam de la Hâle, der Bucklige von Arras, ein Prototyp geschaffen, ein- für allemal festgelegt. Dagegen gelang es Grétry nicht, das Verlangen der Franzosen nach der tragischpathetischen großen Oper zu erfüllen. So blieb diese auf ihren steten Wechsel zwischen Lully und Rameau beschränkt und büßte immer mehr von der öffentlichen Teilnahme ein, bis nun auch hier der Erneuerer erstand. Es war der Deutsche
Christoph Willibald Gluck.
Gluck (1714–87) war eine echte Reformatorennatur. Ich habe ihn an anderer Stelle (Musikgeschichte, S. 550) unserem Lessing verglichen. Wie dieser war er nicht eine urschöpferische Natur, die völlig Neues schuf, wohl aber eine stark gestaltende Kraft, die einem Erkannten die ihm gemäße Form zu geben verstand. Wie Lessing, trotzdem er dichterisch weniger ursprüngliche Kraft besaß als Klopstock oder Wieland, dem deutschen Drama, so brachte Gluck, der an ursprünglich musikalischem Reichtum mit Händel oder Bach nicht verglichen werden kann, der Oper die Erlösung.
Die Oper war ein Problem; noch war das Musikdrama als künstlerisch notwendiger Ausdruck einer Persönlichkeit nicht entstanden. Erst Richard Wagner hat diese Kunstform als Lebensnotwendigkeit geschaffen. Die Oper war eine wesentlich aus Verstandeskräften heraus geschaffene Kunstform. Das Problem, das die Florentiner als »Musikdrama« in die Kunstwelt gestellt hatten, war nur von einem Manne zu lösen, der die Wechselbedingungen im Zusammenwirken der Künste erkannte und nach diesen Erkenntnissen ruhig und sicher gestaltete, nicht aber von einem Genius, der den gewaltigen Strom der in ihm flutenden Schaffenskräfte in das bereits gegrabene Bett einer vorhandenen Kunstgattung schießen ließ. So war es bei Händel gewesen; er lebte durch Jahrzehnte seine Natur in der italienischen Oper aus. Da diese Oper nicht lebensfähig war, waren die Kräfte vergeudet. Als Händel das endlich einsah, kehrte er der Gattung den Rücken und schuf sich eine andere Kunst. Auch Gluck hat ein Vierteljahrhundert lang italienische Opern geschaffen. Dann erkannte er, daß diese Form eine Fälschung der Gattung sei; kritisch drang er ein in das wahre Wesen derselben und schuf nun nach diesen Erkenntnissen sein Werk.
Gluck, der in seiner ersten Schaffensperiode durchaus der italienischen Oper gehuldigt hatte, hatte vermutlich durch die Kenntnisnahme altfranzösischer Opern einen der stärksten Antriebe zur Durchsetzung seines Reformwerkes erhalten. Er fand für seine Natur bei diesen französischen Opernkomponisten das Verwandte, daß sie das Wesen des Dramatischen in der Dichtung – zu verstehen als Wortdichtung, hier also als Text der Oper – sahen. Daraus ergibt sich dann in logischer Folge, sobald der Nachdruck auf den Begriff Drama bei der Oper gelegt wird, daß die Dichtung das eigentlich Entscheidende sei, daß die Musik Dienerin der Dichtung sei. »Ehe ich arbeite,« sagt Gluck von sich, »suche ich vor allen Dingen zu vergessen, daß ich Musiker bin.« Er strebte vielmehr danach, Dichter und Maler zu sein, sich in den gegebenen Text zu vertiefen, diesen zu illustrieren, durch Farben die von der Dichtung gegebene Umrißzeichnung zu verlebendigen, wie er sich bei anderen Gelegenheiten ausdrückte. Was aber Gluck gegenüber den französischen Komponisten auszeichnete, obwohl er selber in seinen theoretischen Ausführungen darauf niemals hinweist, ist sein Gefühl dafür, daß eine Dichtung, die zum Musikdrama werden soll, besonders geartet, eben musikalisch sein müsse. Daß der Begriff »Dichtung« weiter sei, als das In-Worte-Fassen irgend eines Gedankens oder Gefühls, ist erst später in der Kunst gewaltig verdeutlicht worden, als ein Beethoven sein Schaffen als »Dichten in Tönen« bezeichnete. Aber bei Gluck ist wenigstens in seinem künstlerischen Schaffen eine Vorahnung dieses Gefühls vorhanden. Wohl ist für ihn der Text das Wesentliche im Musikdrama, aber für diese zum Musikdrama bestimmte Dichtung ist das Wesentliche der musikalische Charakter. Wenn man seine Texte ansieht, ist nichts in ihnen neu: die Stoffe waren bereits oft zu Opern verwertet, und gegenüber den früheren Bearbeitungen bringen sie viel eher eine Vereinfachung der Handlung, überhaupt alles äußerlich Dramatischen. So war Glucks Anlage die des lyrischen Dramatikers, Lyrik im Sinne von Psychologie, Verkündung seelischer Zustände und Entwicklungen. Und in der Fähigkeit, seelische Stimmungen sich ausleben zu lassen, beruht seine Dramatik, nicht darin, daß er einen Charakter in Taten sich bewähren läßt. Wir könnten also hier eine Vergleichslinie vom Musiker der »Iphigenie« zum Neudichter des Iphigenienstoffes, Goethe, ziehen. Das Anzureichende bei Gluck liegt im Musikalischen. Weil ihm die Verbindung zweier Gefühle nicht voll gelingt, weil die Entwicklung des einen aus dem anderen – was für die Musik im höchsten Maße erst durch Beethoven erreicht ist – nicht überzeugend wirkt, erscheint er für unser heutiges Empfinden oft auch als Psychologe veraltet. Am so bedeutsamer ist er als Erschöpfer einer seelischen Situation, als Psychodramatiker des Augenblicks. Darum ist seine Musik im wesentlichen auch monologisch.
So liegt also Glucks musikgeschichtliche Bedeutung nicht in der Erfindung eines neuen Stils, sondern in der Betonung der Wahrheit des seelischen Ausdrucks. Darauf laufen auch alle einzelnen Neuerungen hinaus. Er brach mit der Willfährigkeit der italienischen Opernkomponisten, den virtuosen Eitelkeiten der Sänger nachzugeben. Die Musik habe im Drama natürlich die Aufgabe, das Dramatische zu stärken, dürfe also niemals den Zusammenhang zerreißen oder durch bloß äußerlichen Aufputz entstellen. Der Dialog dürfe nicht durch einen ungehörigen lyrischen Erguß unterbrochen werden. Die Franzosen und die alten Florentiner hatten aus diesen Grundsätzen heraus die geschlossene lyrische Musikform aus der Oper überhaupt verbannt. Gluck gelangte nicht dahin, da ja diese Lyrik aus der Situation natürlich erblühen kann. Nur muß diese Form durch den seelischen Gehalt erst gestaltet werden und nicht etwa diesen zwingen wollen. »Ich glaube«, heißt es einmal, »über den zweiten Teil einer Arie nicht rasch hinweggehen zu dürfen, wenn gerade in diesem die Leidenschaft am stärksten zum Ausdruck kommt, oder die Arie da zu schließen, wo der Sinn nicht schließt.« Die Ouvertüre solle den Zuhörer auf den Inhalt der Handlung vorbereiten; die Instrumente müßten stets im Verhältnis zur Stärke und dem Ausdruck der Leidenschaften stehen. »Endlich«, sagt Gluck, »glaubte ich, einen großen Teil meiner Bestrebungen auf Erzielung edler Einfachheit wenden zu müssen, weshalb ich stets vermied, auf Kosten der Anschaulichkeit mit Schwierigkeiten zu prunken; ich habe niemals auf Erfindung eines neuen Gedankens großen Wert gelegt, wenn er nicht von der Situation selbst herbeigeführt wurde und dem Ausdrucke entsprach. So glaubte ich auch zugunsten der Wirkung die Regel opfern zu dürfen.«
Indem er diese Neuerungen zu sehr als Einzelheiten ansah, kam Richard Wagner zu der verhältnismäßig geringen Einschätzung der Reformtätigkeit Glucks, dessen Hauptverdienst er darin sah, daß er die Vorherrschaft der Sänger gebrochen habe, so daß nunmehr nicht mehr die Virtuosität, sondern des Komponisten Absicht zur Geltung kam. »Im übrigen«, fährt Wagner fort, »blieb es in bezug auf den ganzen unnatürlichen Organismus der Oper durchaus beim alten. Arie, Rezitativ und Tanzstücke stehen, für sich gänzlich abgeschlossen, ebenso unvermittelt nebeneinander in der Gluckschen Oper da als vorher.« Hier trifft Wagner Glucks oben erwähnte Schwäche für musikalisch-symphonische Entwicklung. Aber darüber darf man nicht übersehen, daß Glucks sämtliche Grundsätze einen echt musikdramatischen Urgrund haben: Herrschaft des Seelischen über alle Form, natürlich auch über alle musikalische Form an sich. Das bedeutet nicht Formlosigkeit, sondern Formgestaltung aus dem Seelischen heraus: Seelisches Leben in musikdramatischen Formen, nicht in musikalischen. Das versteht sich zwar von selbst, wird aber wohl eben darum für gewöhnlich nicht beachtet.
»Es ist in der Tat komisch, aber doch auch recht traurig, wie unausrottbar in der Kunstgeschichte manche falschen Vorstellungen sind. Immer wieder wird gesagt, Gluck – bei Wagner wiederholten es Gegner wie Anhänger – habe in der Oper die Musik zurückgedrängt. Das ist doch einfach nicht wahr, trifft nicht einmal in quantitativer Hinsicht zu. Man bedenke doch, daß in der italienischen Oper große Teile aus musikalisch völlig belanglosen Rezitativen bestanden, daß das Orchester ohne jede selbständige, den musikalischen Gehalt steigernde Bedeutung ist. Gluck setzt an die Stelle dieses Rezitativs einen in Form und Gehalt musikalisch sehr reichen Sprachgesang – danach strebt sein Rezitativ – und sein Orchester bedeutet überall auch eine musikalische Vermehrung, nicht bloß Füllung. Preisgegeben sind dagegen etliche geschlossene Musikgebilde, genau genommen gewisse Formen der Arie und des mehrstimmigen Gesangs, letzterdings sogar nur bestimmte virtuose Arten des Gesangs. Aber selbst wenn diese Preisgabe musikalischer Formen noch weiterginge, könnte doch nur dann von einer Verminderung des Musikalischen gesprochen werden. wenn es sich um Kunstformen handelte, die für die Verbindung von Wort und Ton natürlich sind. Da nennt man die Musik immer Seelensprache, behauptet aber, daß jene, die bei der Verbindung von Musik und Dichtung gerade die Rechte der Wahrheit des seelischen Ausdrucks wahrnehmen, die Musik zurückdrängen. Wozu besitzen wir eine wortlose Musik, wenn sie nicht ein Sondergebiet einnehmen soll neben der mit dem Wort verbundenen? Wann und wo die Dichtung nur ein Vorwand ist, Musik zu machen, ist die so entstehende Kunstform unkünstlerisch. Wenn es dabei trotzdem einigen Musikern gelungen ist, unvergänglich Schönes zu schaffen, so ist das eben trotz der gewählten Form geschehen.« (Musikgesch., S. 561.)
Wir haben noch kurz Glucks Pariser Tätigkeit zu schildern. Es ist für den traurigen Zustand der damaligen deutschen Kultur bezeichnend, daß keines der Reformwerke Glucks in deutscher Sprache auf die Bühne kam. Die drei ersten kamen zwar im deutschen Wien heraus – » Orfo ed Euridice« 1762, » Alceste« 1767, » Paride ed Elena« 1770 –, aber in italienischer Sprache; die späteren Werke haben französische Dichtungen. Wir wollen daran denken, daß auch Richard Wagner nach Paris ging, weil er dort eher durchzudringen, von dort aus eher sein Vaterland erobern zu können hoffte.
Auch Gluck erkannte bald, daß er in Deutschland nichts würde erreichen können und ließ sich von dem Bailly der französischen Gesandtschaft, seinem Freunde du Roullet, gern überzeugen, daß er gerade das besitze, was die Franzosen von der Oper verlangten: dramatische Schlagkraft, Stärke des Ausdrucks, Lebendigkeit und Pathos des Vortrags. Roullet ließ der Anregung die Tat folgen und schuf Racines Tragödie » Iphigénie en Aulide« zur Oper um. Gluck nahm sofort die Komposition auf, die im Spätsommer 1772 im wesentlichen vollendet war.
Daß Gluck aber keineswegs die Absicht hatte, nun in der französischen Oper unterzutauchen, daß er das Gefühl hatte, etwas Neues und ganz Persönliches zu bringen, beweist jener Brief vom Februar 1773 an den » Mercure de France«, in dem er als seinen Lieblingsgedanken verkündet: »eine allen Nationen zusagende Musik zu schaffen und dadurch den lächerlichen Unterschied der Nationalmusiken verschwinden zu lassen«. Auch sonst wahrte sich Gluck alle Freiheit. Er bekannte sich als Anhänger der Rousseauschen Philosophie. Aber Rousseau war Bekämpfer der französischen Nationaloper. So hatte Gluck in Paris alle zu Gegnern. Zum Teil schon, weil er ein fremder Eindringling war. Im übrigen aber sahen die Nationalisten in ihm den Anhänger Rousseaus; die Liebhaber der italienischen Musik witterten in ihm den Fortsetzer der Oper Lullys und Rameaus; dazu kam dann noch der »Dieu de la dansé«, der »große« Gaetano Vestris, dem Zahl und Art der eingelegten Tänze nicht genügten.
Wie schier hundert Jahre später Richard Wagners »Tannhäuser durch Hofbefehl in der »Großen Oper« zur Aufführung durchgesetzt wurde, so setzt Glucks »Iphigenie in Aulis« durch das Eintreten der Kronprinzessin Marie Antoinette, die ihres früheren Lehrers Partei ergriff. Aber dieses Mal kam es zu einem guten Ende. Der Erfolg, den »Iphigenie« bei der Erstaufführung am 19. April 1774 gewann, verstärkte sich bei den Wiederholungen. Als wunderbarste »Bekehrung« nennt Baron Grimm den Übergang Rousseaus zur Partei Glucks, der bewiesen habe, daß auch bei Wahrung aller Rechte des Dramatischen die Musik nicht zu kurz kommen brauche, selbst wenn manche schöne musikalische Form aufgegeben werden müßte. Auch die Vernünftigen unter den Anhängern der überlieferten Nationaloper sahen in Gluck den Fortschritt oder die gesunde Weiterentwicklung über Lully und Rameau hinaus.
Im übrigen aber tobte der Streit heftiger als je um den Kernpunkt des Ganzen: italienische Musikoper oder Drama in Musik. Sobald Gluck, der durch französische Bearbeitungen des »Orpheus« und der »Alceste« den ersten Erfolg noch verstärkt, damit aber auch den Kampf verschärft hatte, im Frühling 1775 nach Wien zurückgekehrt war, setzte die italienische Partei die Berufung des besten damaligen Vertreters der italienischen Oper, Nicola Piccini (1728 bis 1800), durch. Marie Antoinette – inzwischen war sie Königin geworden – selbst erließ die Einladung an den italienischen Meister. Es war natürlich, daß in Paris, wo man die verschiedensten Richtungen der Oper hören konnte, die Zahl derer wuchs, die sich nicht in Theorien verrannten, sondern der Überzeugung waren, daß die scheinbar so feindlichen Gattungen nebeneinander bestehen und vor allem auch nebeneinander genossen werden könnten.
Mit Piccini, der 1776 mit seiner Familie endgültig nach Paris, wo er auch gestorben ist, übersiedelte, hatte man eine sehr gute Wahl getroffen. Er stammte zwar aus dem Neapolitanischen, wo sich für die Oper die völlige Überwucherung des Dramatischen durch Musik vollzogen hatte, aber er selber besaß entschieden echtes dramatisches Empfinden; und zwar durchaus nach der musikalischen Seite. Zeuge dessen sind die Finales seiner Opern, in denen mehrere Szenen bei reichem Wechsel von Tonart und Tempo zu einem Ganzen zusammengefügt werden. Hier offenbart sich doch unbedingt ein Gefühl für dramatische Entwicklung in und durch Musik. Gerade aus diesen Finales hat auch Mozart viel gelernt. Aber auch das Duett suchte er zu erweitern und dramatisch zu erhöhen.
Piccini war von überquellender Fruchtbarkeit; wir kennen dem Titel nach 114 Opern von ihm. 1760 hatte er zu Rom mit der komischen Oper »Cecchins nubile« (La buona figliuola) einen der stärksten Erfolge, von denen die Operngeschichte zu berichten hat. Sein Name hatte nun Weltruf. Piccini folgte um so lieber dem übrigens mit glänzenden Bedingungen verbundenen Rufe nach Paris, als er 1773 aufs bitterste den raschen Geschmackswechsel des Römervolkes hatte erfahren müssen, das ihn völlig zugunsten des minderwertigen Anfossi fallen ließ.
In Paris sollte Piccini nun keineswegs italienische Opern komponieren; man wollte mit ihm dem eigenen musikdramatischen Schaffen neues Blut zuführen und gab Piccini französische Texte. Das war für den Italiener, der nur notdürftig Französisch verstand, eine schwere Arbeit, deren Qual noch erhöht wurde, als der offene, die Leistungen anderer neidlos anerkennende Mann sich in das Ränkespiel gegen Gluck hineingezogen sah. Hatte man ihm doch dieselbe Operndichtung »Roland« gegeben, mit der bereits Gluck beschäftigt war. Als dieser von dem bösen Streich hörte, vernichtete er seine Skizzen zu diesem Werke und widmete sich ganz der » Armide«. Während diese aber am 23. September 1777 zunächst nur eine laue Aufnahme fand, gewann Piccinis » Roland« am 18. Januar 1778 einen vollen Erfolg.
Die Italiener hatten also zunächst Oberwasser, was dahin führte, daß nun für die »Große Oper« auch eine italienische Truppe engagiert wurde, die dann abwechselnd mit der französischen spielte. Solange Piccini italienisch komponieren durfte, war er in seinem Element. Aber die Oper hatte von dem wild tobenden Streit zwischen Gluckisten und Piccinisten in jedem Fall den Vorteil einer leidenschaftlichen Teilnahme; so schürte sie selber den Brand, indem sie beide Komponisten mit der Komposition der » Iphigénie en Tauride« beauftragte. Der 65jährige Gluck nahm alle Kräfte zusammen, so daß sein Werk bereits am 18. Mai 1779 in Szene ging und einen gewaltigen Triumph errang. Dieser Riesenschöpfung gegenüber brach der Widerstand zusammen. Glucks Sieg war entschieden, und es hätte nicht der demütigenden Niederlage bedurft, die sich Piccini anderthalb Jahre später mit seiner » Iphigénie« holte. Wir brauchen Piccinis noch sehr mannigfaltige Schicksale hier nicht näher zu erwähnen. Er hat, da er ja noch die französische Revolution überlebte, äußerlich und innerlich erfahren müssen, daß eine neue Zeit heraufgekommen war, die eine neue Kunst brauchte, wenn anders diese Ausdruck des Lebens sein sollte.
Diese ausführliche Schilderung der französischen, im besonderen pariserischen Musikzustände, soweit sie die Oper betreffen, war an dieser Stelle nötig, weil ihr Miterleben zweifellos für Mozarts persönliche Entwicklung als Dramatiker die letzte Entscheidung herbeigeführt hat. Das alles wurde dafür um so wertvoller, als auch Wolfgangs eigenes Erleben es begünstigte, daß auf seine an sich heitere Natur in dieser Zeit alles Lyrische, ja auch das Pathetische und Tragische besonders stark einwirkten. Das Lyrische, weil er das erstemal eine starke Liebe im Herzen trug, sicher überhaupt die stärkste Liebesleidenschaft seines Lebens. Und er war ein unglücklich Liebender, getrennt von ihr und voller Zweifel, ob seines Herzens Sehnen jemals würde Erfüllung finden. Verständnis für das Tragische aber gewann er aus dem eigenen Zustande seiner Seele, die einen heftigen Kampf zwischen Pflicht und Neigung zu bestehen hatte, brachte ihm jetzt noch in erhöhtem Maße das schwere Erlebnis des Todes seiner Mutter. Es ist ja nachträglich leicht, dem Lebensgange eines Künstlers nachzusagen, daß alles so gekommen sei, wie es für ihn am vorteilhaftesten gewesen. In wunderbarerer Weise als bei der reinsten Verkörperung des Genies, als die wir Mozart bewundern, ist das jedenfalls nie der Fall gewesen. So gewinnt auch das, was ihm selber vielfach als Hemmung erschienen ist, für seine Gesamtentwicklung Bedeutung, fast immer fruchtbare Bedeutung. Das gilt auch in höchstem Maße von dem Aufenthalt in Paris, der keine der Hoffnungen erfüllte, die Vater und Sohn auf ihn setzten und in dem auch Mozart sich nie behaglich, oft sehr unglücklich gefühlt hat.
Am 23. März 1778 kamen Wolfgang und seine Mutter in Paris an. Die mühselige Reise hatte neuneinhalb Tage gedauert. »Sie (der Vater) können sich leicht vorstellen, was das ist, wenn man von Mannheim und von so vielen lieben und guten Freunden wegreist ... Ich muß sagen, daß alle Kavaliere, die mich kannten, Hofräte, Kammerräte, andere ehrliche Leute und die ganze Hofmusik sehr unwillig und betrübt über meine Abreise waren.« Der schwere Abschied von seiner Geliebten trug auch noch dazu bei, ihn von vornherein gegen Paris einzustimmen, worüber man sich durch einzelne hoffnungsfreudige Aussprüche nicht täuschen lassen darf.
Seine Ahnung betrog ihn nicht. Der Vater, der sonst so gut rechnete, schlug bei seinem Vertrauen auf Grimm nicht an, daß dieser auch älter geworden war, daß er durch seine leidenschaftliche Parteinahme in dem Kampfe um die italienische Oper jetzt auch nur das Ansehen eines Parteimannes hatte, bedachte vor allem nicht, daß sein Wolfgang in keiner Hinsicht die Gewandtheit besaß, Empfehlungen auszunutzen, angeknüpfte Verbindungen weiterzuführen, daß er überhaupt von der Geschäftigkeit nichts sein eigen nannte, die den Vater in so hohem Maße auszeichnete. Übrigens war das ja auch die einzige Beschäftigung des Vaters gewesen, während dem Sohne alles, was er aufs Geschäftliche verwandte, als verlorene Zeit in seiner eigentlichen Lebenslaufbahn erscheinen mußte. Endlich ist ein Wunderkind eine Sensation; ein Genie dagegen, das seine Anwartschaft auf die Unsterblichkeit erst zu erweisen hat, muß sich seinen Platz mühselig erkämpfen. Ja, was man zunächst sogar für günstig halten mochte, die leidenschaftliche Erregung über musikalische Dinge, die ganz Paris beherrschte, war für Wolfgang ungünstig. Denn einmal galt natürlich die ganze Erregung mehr dem literarischen Skandal als der Kunst, und dann verlangte man, zumal von einem jungen Menschen, daß er sich zu einer der erklärten Parteien schlagen solle. Wolfgang aber wollte ja gerade sich selber zur Geltung bringen, und so jung er war, fühlte er doch deutlich, daß er selber einer sei. Nimmt man noch hinzu, daß dieser ganze Kunststreit mehr von Schriftstellern ausgefochten wurde, daß es vielmehr ein Redekampf, eine ästhetische Zänkerei war, so begreift man doppelt, daß der junge Mozart sich abgestoßen fühlte; denn seiner aus dem Vollen gebenden Schöpfernatur hat das Reden über Kunst nie zugesagt. Auch befand er sich jetzt in einem Zustande, in dem er abwarten mußte. Man kann sich vorstellen, wie er bei seiner unvergleichlichen Aufnahmefähigkeit durch die gewaltigen Eindrücke, die in der letzten Zeit auf ihn eingestürmt waren, beschäftigt war. Hier galt es Augen und Ohren offen zu halten, alles, was sich darbot, zu verarbeiten, sich das der eigenen Natur Zusagende anzueignen. Aber mit irgendeiner Partei mitlaufen, sein eigenes Schaffen in den Dienst einer dieser Parteien stellen, um so durch diese Partei wieder gefördert zu werden, das hätte er als ehrlicher Künstler nicht gekonnt, selbst wenn es seinem Charakter nicht so ganz fern gelegen hätte. Er war in der italienischen Opernschule groß geworden, hatte in München und Mannheim die Versuche, ein nationales Singspiel, eine deutsche Oper zu gründen, mit Begeisterung begrüßt, hatte dann doch die Schwächen in den Kompositionen Holzbauers und Schweitzers so stark empfunden, daß er wieder zweifelhaft geworden war. In Paris war er überdies gerade zur Zeit der höchsten Spannung und der Unsicherheit vor der Entscheidung eingetroffen. Er sah hier die ausgebildete »nationale« Kunst in Singspiel und großer Oper, die dank ihrer dramatischen Wahrhaftigkeit ihren Eindruck nicht verfehlen konnte. Dazu Glucks überzeugende Ausdrucksgewalt tragischer Herzenskonflikte. Aber anderseits war gerade Gluck mit seiner »Armide« durch des Italieners Piccini »Roland« übertrumpft worden.
Wolfgang mußte diesen zahlreichen Eindrücken gegenüber fühlen, daß, wenn er auf seinem Selbst beharren wollte, er sich möglichst fern von aller persönlichen Beeinflussung halten mußte. Gluck war ja nicht mehr in Paris, als er hinkam. Aber auch den Verkehr mit Piccini, auf den ihn Grimm immer verwies, beschränkte er auf den notwendigen Höflichkeitsaustausch; Bekanntschaft schloß er nicht. »Ich verstehe meine Sache und er auch, das ist genug« (9. Juli). Mit Grétry scheint er gar nicht bekanntgeworden zu sein, um so gründlicher beschäftigte er sich mit den Partituren seiner Werke. Seinen scharfen Augen blieb es auch nicht verborgen, daß diese rege Beschäftigung mit musikalischen Dingen, die nun in Paris herrschte, ganz oberflächlich war. »Was mich am meisten bei der Sache ärgert, ist, daß die Herren Franzosen ihren goût nur insoweit verbessert haben, daß sie nun das Gute auch hören können. Daß sie aber einsehen, daß ihre Musik schlecht sei – ei beileibe – und das Singen! oimè! – Wenn nur keine Französin italienische Arien sänge; ich würde ihr ihre französische Plärrerei noch verzeihen, aber gute Musik zu verderben, das ist nicht auszustehen.« Es ist leicht begreiflich, daß er da von vornherein in einen gewissen Gegensatz zu Grimm geraten mußte, der natürlich diese Zurückhaltung des jungen Mannes entweder als Hochmut oder als Dummheit ansah, sie aber nicht als innere Notwehr begriff.
Worin ihm Grimm vor allem nutzen konnte, waren gesellschaftliche Verbindungen. Der Vater ermahnte ihn denn auch, recht fleißig solche Verbindungen zu pflegen. Darauf antwortete ihm sein Sohn: »Sie schreiben mir, daß ich brav Visiten machen werde, um Bekanntschaften zu machen und die alten wieder zu erneuern. Das ist aber nicht möglich, zu Fuß ist es überall zu weit oder zu kotig, denn in Paris ist ein unbeschreiblicher Dreck. Im Wagen zu fahren – hat man die Ehre, gleich des Tags vier bis fünf Livres zu verfahren, und umsonst; denn die Leute machen halt Komplimente, und dann ist's aus, bestellen mich auf den und den Tag, da spiele ich, dann heißt es: »O c'est un prodige, c'est inconcevable, c'est etonnant!« – und hiemit Adieu. Ich habe hier so anfangs Geld genug verfahren und oft umsonst, da ich die Leute nicht angetroffen habe. Wer nicht hier ist, der glaubt nicht, wie fatal als es ist« (l. Mai).
Schlimmer noch war es für des jungen Künstlers Empfinden, wenn sich Grimms Empfehlungen schlecht bewährten und er gar Demütigungen ausstehen mußte. Das weckte dann sein Mißtrauen. Wir müssen ein derartiges Erlebnis hier anführen, um zu zeigen, daß es Wolfgang auch bei gutem Willen kaum möglich war, die Wünsche seines Vaters zu erfüllen. »Mr. Grimm gab mir einen Brief an Mad. la Duchesse de Chabot, und da fuhr ich hin. Der Inhalt dieses Briefes war hauptsächlich, mich bei der Duchesse de Bourbon (die damals im Kloster war) zu rekommandieren und mich neuerdings bei ihr wieder bekanntzumachen und sich meiner erinnern zu machen. Da gingen acht Tage vorbei ohne mindeste Nachricht. Sie hatte mich dort schon auf über acht Tage bestellt, und also hielt ich mein Wort und kam. Da müßte ich eine halbe Stunde in einem eiskalten, ungeheizten und ohne mit Kamin versehenen großen Zimmer warten. Endlich kam die D. Chabot mit größter Höflichkeit und bat mich, mit dem Klavier vorlieb zu nehmen, indem keines von den ihrigen zugerichtet sei, ich möchte es versuchen. Ich sagte, ich wollte von Herzen gern etwas spielen, aber jetzt sei es unmöglich, indem ich meine Finger nicht empfinde vor Kälte, und bat sie, sie möchte mich doch aufs wenigste in ein Zimmer, wo ein Kamin mit Feuer ist, führen lassen. ›O oui, Monsieur, vous avez raison‹ – das war die ganze Antwort. Dann setzte sie sich nieder und fing an eine ganze Stunde zu zeichnen en compagnie anderer Herren, die alle in einem Zirkel um einen großen Tisch herumsaßen. Da hatte ich die Ehre, eine ganze Stunde zu warten. Fenster und Tür waren offen; ich war nicht allein in Händen, sondern im ganzen Leib und Füßen kalt, und der Kopf fing mir auch gleich an wehe zu tun. Da war also altum silentium, und ich wußte nicht, was ich so lange vor Kälte, Kopfweh und Langeweile anfangen sollte. Oft dachte ich mir, wenn's mir nicht um Mr. Grimm wäre, so ging ich den Augenblick wieder weg. Endlich, um kurz zu sein, spielte ich auf dem miserablen, elenden Pianoforte. Was aber das Ärgste war, daß die Madame und alle die Herren ihr Zeichnen keinen Augenblick unterließen, sondern immer fortmachten, und ich also für die Sessel und Tische und Mauern spielen mußte. Bei diesen so übel bewandten Umständen verging mir die Geduld – ich fing also die Fischerschen Variationen an, spielte die Hälfte und stand auf. Da waren eine Menge éloges. Ich aber sagte, was zu sagen ist, nämlich, daß ich mir mit diesem Klavier keine Ehre machen könnte und mir sehr lieb sei, einen andern Tag zu wählen, wo ein besseres Klavier da wäre. Sie gab aber nicht nach, ich mußte noch eine halbe Stunde warten, bis ihr Herr kam. Der aber setzte sich zu mir und hörte mit aller Aufmerksamkeit zu, und ich – ich vergaß darüber alle Kälte, Kopfweh und spielte ungeachtet dem elenden Klavier so – wie ich spiele, wenn ich guter Laune bin. Geben Sie mir das beste Klavier von Europa und aber Leute zu zuhörern, die nichts verstehen oder nichts verstehen wollen und die mit mir nicht empfinden was ich spiele, so werde ich alle Freude verlieren« (l. Mai). Es ist nichts von der früheren Zuversichtlichkeit in diesem Briefe. »Wenn hier ein Ort wäre, wo die Leute Ohren hätten, Herzen zum Empfinden und nur ein wenig etwas von der Musik verständen und Gusto hätten, würde ich von Herzen zu allen diesen Sachen lachen, aber so bin ich unter lauter Viehern und Bestien, was Musik anbelangt.«
Auch die äußere Lage war nicht angenehm. Da die Mutter alles viel teurer fand, als es früher gewesen, behalf man sich, um zu sparen, mit einer unfreundlichen Wohnung, die obenein so klein war, daß nicht einmal ein Klavier darin aufgestellt werden konnte. So mußte Wolfgang, der sich am wohlsten zu Hause fühlte, den ganzen Tag draußen sein. Der Mutter war es dann auch unbehaglich, zumal sie andauernd kränkelte. Nun kamen von den Webers in Mannheim auch noch trübe Nachrichten über die dortigen Aussichten für die Musik. Sie machten sich Sorgen, wie es mit ihnen würde, wenn die Musik mit der Hofhaltung nach München verlegt würde. Mozart machte dem Vater gegenüber kein Hehl daraus, daß er mit Webers in Briefwechsel stehe, und was er nicht aussprach, konnte dieser oft genug zwischen den Zeilen erraten: daß des Sohnes ganzes Sinnen nach der Verbindung mit seiner Aloysia trachte. Unter diesen Umständen ließ die sonst so elastische Natur Wolfgangs nach. »Ich befinde mich, Gott Lob und Dank, so ganz erträglich; übrigens weiß ich aber oft nicht, ist es gehauen oder gestochen – mir ist weder kalt noch warm –, finde an nichts viel Freude; was mich aber am meisten aufrichtet und guten Muts erhält, ist der Gedanke, daß Sie, liebster Papa, und meine Schwester sich gut befinden, – daß ich ein ehrlicher Deutscher bin und daß ich, wenn ich schon allzeit nicht reden darf, doch wenigstens denken darf, was ich will; das ist aber auch das einzige« (29. Mai).
Nur dann lebte er auf, wenn sich ihm die Gelegenheit bot, musikalisch schöpferisch tätig zu sein. Dann war er unermüdlich, unerschöpflich, und wie früher vergaß er auch dann nur allzu schnell, auf seinen eigenen Vorteil bedacht zu sein. Er war ja glücklich, wenn er komponieren durfte.
Die Mannheimer Freunde hatten es ihm nicht nachgetragen, daß er sie im Stich gelassen, und hatten für ihn in Paris gehörig Stimmung gemacht. Außer dem Flötisten Wendling, Ramm (Oboe), Ritter (Fagott), mit denen er seinerzeit die Reise geplant hatte, traf er jetzt noch den trefflichen Waldhornisten Punto an, dem der Tenorist Raaff bald folgte. Diesen lernte er erst jetzt recht schätzen und schloß mit ihm um so engere Freundschaft, als Raaff ein Gönner der Aloysia Weber war. Die Mannheimer Freunde waren für das »Concert spirituel« engagiert, worunter jene Konzerte (etwa 24 jährlich) verstanden wurden, die an hohen Festtagen, wenn keine Opern waren, in einem Saale der Tuillerien stattfanden. Neben Instrumentalmusik kamen hier auch geistliche Kompositionen für Chor und Sologesang zur Aufführung. Wolfgang wurde mit dem damaligen Direktor Jean le Gros bekanntgemacht, der in ihm offenbar sofort den gutgläubigen und anspruchslosen Idealisten witterte. Jedenfalls gab er ihm gleich den wenig dankbaren Auftrag, zu einem »Miserere« von Holzhauer einige Chöre hinzuzukomponieren. Nachher war die überhetzte Arbeit umsonst, »denn das Miserere von Holzhauer ist ohnedies lang und hat nicht gefallen, mithin hat man anstatt vier nur zwei Chöre von mir gemacht und folglich das Beste ausgelassen. Das aber hat nicht viel zu sagen gehabt, denn viele haben nicht gewußt, daß etwas von mir dabei ist, und viele haben mich auch gar nicht gekannt«. Le Gros mochte sich sagen, daß ein Mann, der sich so leicht über eine schwere Schädigung hinwegtröstete, nicht besondere Rücksichten beanspruche; jedenfalls spielte er ihm bald danach einen recht bösen Streich mit einer »Sinfonie concertante« für Oboe, Klarinette, Horn und Fagott, die er den vier Mannheimer Virtuosen geschrieben hatte. Das dreisätzige, in Es-dur stehende Werk, das nach melodischer Erfindung und sorgsamer Durcharbeitung ein echter Mozart ist, war zur Aufführung angenommen, verschwand aber nachher bei le Gros, so daß gar nicht mehr davon die Rede war. Man darf Deiters zustimmen, wenn er urteilt, »zweifellos würde dieses Werk, wenn es le Gros zur Ausführung gebracht hätte, die Überlegenheit Mozarts rasch zum Bewußtsein gebracht und das Publikum mit ganz neuen, bis dahin unbekannten Wirkungen überrascht haben. Es ist erfreulich zu sehen, wie auch bei diesem Quartett, das doch für so hervorragende Virtuosen geschrieben war, das Virtuosenhafte völlig zurücktritt, daß nicht einen Augenblick durch besondere Schwierigkeiten Eindruck gemacht wird, daß sich der Komponist vielmehr völlig auf die überzeugende Kraft seiner melodischen Erfindung und die Gediegenheit seiner Arbeit verläßt.« Ein Gleiches kann man über das C-dur-Konzert für Flöte und Harfe sagen, das Wolfgang für den Herzog de Guines geschrieben, mit dem er durch Grimms Vermittlung bekanntgeworden war. Dabei mochte er gerade diese beiden Instrumente am allerwenigsten leiden, kannte sie aber trotzdem so genau, daß auch dieses Mal die Fähigkeiten der Instrumente ins beste Licht gesetzt sind. Wolfgang gab der Tochter des genannten Herzogs Unterricht in der Komposition; aber es ist leicht erklärlich, wenn gerade er, der Überreiche, nicht begreifen konnte, daß jemand »keine Ideen« habe. Umsonst mahnte ihn der Vater, nicht alle Leute hätten sein Genie: »Es wird schon kommen! Sie hat ein gutes Gedächtnis. Eh bien! laß sie stehlen – oder höflich, applizieren.« Aber Wolfgang fand nun einmal seine Schülerin dumm und faul und wußte also auch diese Bekanntschaft nicht auszunutzen, so daß man ihn später in schäbigster Weise für seinen vielen Unterricht mit drei Louisdor abfinden wollte, die er dann stolz zurückwies. Wir fühlen ihm leicht nach, daß er keine Freude am Unterrichtgeben fand. »Lektion zu geben ist hier kein Spaß, Sie dürfen nicht glauben, daß es Faulheit ist – nein! sondern weil es ganz wider meine Genie, wider meine Lebensart ist. Sie wissen, daß ich sozusagen in der Musik stecke, daß ich den ganzen Tag damit umgehe, daß ich gern spekuliere, studiere, überlege. Nun bin ich hier durch diese Lebensart dessen verhindert; ich werde freilich einige Stunden frei haben, allein die wenigen Stunden werden mir mehr zum Ausrasten als zum Arbeiten notwendig sein.« (31. Juli.)
Auch mit der Hoffnung, eine Oper in Auftrag zu bekommen, wurde er genarrt. Roverre, der berühmte Reformator des Balletts gerade nach der dramatischen Richtung hin, war seit 1776 Ballettmeister der Oper. Mozart mochte hier an die Ehrlichkeit der ihm angebotenen Freundschaft glauben; er war immer willkommener Gast im Hause des Ballettkönigs, und Roverre selber übernahm die Besorgung des Textbuches. Natürlich war Wolfgang Feuer und Flamme, obwohl er sich die Schwierigkeiten nicht verhehlte. »Wenn ich eine Oper zu machen bekomme, so werde ich genug Verdruß bekommen – das würde ich aber nicht viel achten, denn ich bin es schon gewohnt, wenn nur die verfluchte französische Sprache nicht so hundsföttisch zur Musik wäre! Das ist was Elendes – die deutsche ist noch göttlich dagegen, – und dann erst die Sänger und Sängerinnen – man sollte sie gar nicht so nennen – denn sie singen nicht, sondern sie schreien, heulen, und zwar aus vollem Halse, aus der Nase und Gurgel.« So im Briefe vom 9. Juli. Indes heißt es schon am 31. Juli: »Ich versichere, daß wenn ich eine Oper zu schreiben bekomme, mir gar nicht bang ist. Die Sprache hat der Teufel gemacht, das ist wahr, und ich sehe all die Schwierigkeiten, die alle Compositeurs gefunden haben, gänzlich ein; aber ohngeachtet dessen fühle ich mich imstande diese Schwierigkeiten so gut als alle andern zu übersteigen – au conttraire, wenn ich mir öfters vorstelle, daß es richtig ist mit meiner Oper, so empfinde ich ein ganzes Feuer in meinem Leibe und zittere auf Hände und Füße für Begierde, den Franzosen immer mehr die Deutschen kennen, schätzen und fürchten zu lehren.«
Zuvor hieß es noch, Wolfgang solle zu einem neuen Ballett von Roverre die Musik machen. Nachher war auch das nicht genau so. »Roverre hat just ein halbes Ballett gebraucht, und dazu machte ich die Musik, – das ist, sechs Stücke werden von andern darin sein, die bestehen aus lauter miserabeln französischen Arien; die Sinfonie und contredanses, überhaupt zwölf Stücke werde ich dazu gemacht haben. – Dieses Ballett ist schon viermal mit größtem Beifall gegeben worden. – Ich will aber jetzt absolument nichts machen, wenn ich nicht voraus weiß, was ich dafür bekomme, denn dies war nur ein Freundstück für Roverre.« (9. Juli.) – Es war Roverre offenbar nur darauf angekommen, so billig zu seiner Ballettmusik zu gelangen. Wenn er Wolfgang nur seinerseits das »Freundstück« erwiesen hätte, ihn als Verfasser der Ballettmusik recht bekanntzumachen, das hätte seinem Rufe nur nutzen können. Denn in den zwölf Nummern, die Mozart für dieses am 11. Juni 1778 in der großen Oper aufgeführte Ballett »Les petits riens« schrieb, steckt trotz des eng gespannten Rahmens und des geringen Aufwands an Instrumentation eine Fülle köstlichster Erfindung, zumal in der Richtung des Anmutigen und Zierlichen. Aber diese Musik ging unter dem Namen Roverres und niemand, auch nicht Grimm in seiner Correspondance litéraire, nannte den Namen des jungen Deutschen, der hier an einer für ihn völlig neuen Aufgabe seine unfehlbare Treffsicherheit erwiesen hat. Roverre vor allem ist der Vorwurf nicht zu ersparen, daß er den jungen Komponisten lediglich ausgenutzt hat. Denn seine Fürsprache würde schon gewirkt haben, und er hätte sich niemals so feige aus der Angelegenheit ziehen dürfen, daß er schließlich sagte, für einen Text wolle er schon sorgen, aber er könne nicht für die Aufführung einstehen. Das war für den im fremden Lande lebenden Jüngling, der auf eine baldige Einnahme angewiesen war, eine nur schlecht verblümte Absage.
So kam Wolfgang nur zu einem einzigen Kompositionserfolg in Paris. Le Gros hatte ihm den Auftrag für eine Sinfonie zum »Concert spirituel« gegeben. Das Werk war schnell fertig und wurde am Fronleichnamstage mit »allem Applaus« aufgeführt. Wolfgang berichtet darüber am 3. Juli an den Vater. »Sie hat also ausnehmend gefallen. Bei der Probe war es mir sehr bange, denn ich habe mein Lebtag nichts Schlechteres gehört. Sie können sich nicht vorstellen, wie sie die Sinfonie zweimal nacheinander heruntergehudelt und heruntergekratzet haben; mir war wahrlich ganz bang, ich hätte sie gerne noch einmal probiert, aber weil man allzeit so viel Sachen probiert, so war keine Zeit mehr, ich mußte also mit bangem Herzen und mit unzufriedenem und zornigem Gemüt ins Bett gehen. Den andern Tag hatte ich mich entschlossen, gar nicht ins Konzert zu gehen, es wurde aber abends gut Wetter und ich entschloß mich endlich mit dem Vorsatz, daß, wenn es so schlecht ginge wie bei der Probe, ich gewiß aufs Orchester gehen werde und dem Herrn La Hussaye, erstem Violin, die Violine aus der Hand nehmen und selbst dirigieren werde. Ich bat Gott um Gnade, daß es gut gehen möchte, indem alles zu seiner größten Ehre und Glorie ist, und ecce, die Sinfonie fing an, Raaff stand neben meiner, und gleich mitten im ersten Allegro war eine Passage, die ich wohl wußte, daß sie gefallen müßte, alle Zuhörer wurden davon hingerissen – und war ein großes Applaudissement; – weil ich aber wußte, wie ich sie schrieb, was das für einen Effekt machen würde, so brachte ich sie auf die Letzt noch einmal an – da ging's um Da capo. Das Andante gefiel auch, besonders aber das letzte Allegro – weil ich hörte, daß hier alle letzten Allegro wie die ersten mit allen Instrumenten zugleich und meistens unisono anfangen, so fing ich's mit den zwei Violinen allein piano nur acht Takte an, – darauf kam gleich ein Forte, – mithin machten die Zuhörer, wie ich's erwartete, beim Piano sch, – dann kam gleich das Forte. – Sie das Forte hören und die Hände zu klatschen, war eins. – Ich ging also gleich vor Freude nach der Sinfonie ins Palais Royal – nahm ein gutes Gefrorenes – betete den Rosenkranz, den ich versprochen hatte – und ging nach Haus.«
Trotz dieses Erfolges hat Wolfgang das Andante durch ein anderes ersetzt, nur um Le Gros zu Willen zu sein. Diese D-dur-Sinfonie (Nr. 31) ist an sich betrachtet kein bedeutendes Werk, wie ja Mozart in der reinen Instrumentalmusik später als in der Oper zu hervorragender Bedeutung gelangt. Die beiden Ecksätze sind sehr lebhaft bewegt, die thematische Durcharbeitung mehr andeutend; das dazwischenliegende Andante wirkt als behagliches Idyll ohne stärkeren Gefühlsüberschwang. Der Wert dieser wie der meisten andern Jugendsinfonien liegt in Einzelheiten. Und zwar sind es im vorliegenden Falle solche orchestaler und rhythmischer Art. Was er in Mannheim erfahren und in Paris beobachtet hatte, ist geschickt verwertet. Die Überraschung übrigens mit Piano und Forte am Eingang des letzten Allegro findet sich bei Haydn sehr oft.
Inzwischen waren auch die bereits in Mannheim begonnenen sechs Klaviersonaten mit Violinbegleitung vollendet worden. Bedeutender innerhalb Mozarts Gesamtwerk, vor allem aber hervorragend als persönliches Bekenntnisstück ist die A-moll-Sonate für Klavier, die auch in dieser Pariser Zeit entstand. Sie nimmt unter sämtlichen Klaviersonaten Mozarts eine Sonderstellung ein durch die Leidenschaftlichkeit des Ausdrucks einer hin- und hergerissenen Empfindung, durch eine fast bittere Energie und den schmerzhaften Ernst, alles gemildert durch die rührende Ergebenheit im Mittelsatze.
Diese Sonate ist ein treues Bild der Stimmung, in der sich Wolfgang in dieser Pariser Zeit befand. »Ich muß mich hier plagen, daß ich es Ihnen nicht genug sagen kann«, heißt es in einem Briefe an den Vater seiner Aloysia Weber in Mannheim; und am Schlusse desselben Schreibens heißt es, daß er für Vater und Schwester mehr leben müsse als für sich selbst. Zu allen seinen persönlichen Nöten kam eben noch die große Sorge um die Webersche Familie in Mannheim, bei der die Not aufs höchste gestiegen war. Wir besitzen seit 1891 von den ziemlich zahlreichen Briefen Mozarts an Weber einen, der sich in Goethes Handschriftensammlung erhalten hat (Goethe-Jahrbuch 1891, S. 100). Wir erkennen daraus, daß Mozart sich fast mehr Sorgen um die Mannheimer machte als um sich, und es ist rührend aber – wenn man seine eigene Hilflosigkeit in praktischen Dingen bedenkt – auch ergötzlich zu sehen, wie Wolfgang zu einem ganz durchtriebenen Diplomaten wird, wo es gilt, der – Geliebten zur Anerkennung zu verhelfen. Nun, die Webers sind schnell in gute Umstände gekommen, da Aloysia bald darauf an der Münchener Oper eine schöne Stellung fand; Wolfgang selber aber stand ein Erlebnis bevor, das ihn und die Seinen daheim aufs tiefste erschütterte:
der Tod der Mutter.
Die Mutter hatte sich nach den schönen Mannheimer Tagen in Paris nicht wohlfühlen können. In dem kleinen Gasthof » des quatre fils Aymon« waren Wohnung und Kost schlecht. Außerdem litt die an ein gemütliches Familienleben gewöhnte, immerhin bald sechzigiährige Frau schwer unter dem Alleinsein, zu dem sie verurteilt war, da ihr Sohn tagsüber seinen Geschäften nachging. Nachdem sie bereits im Mai mehrere Wochen krank gewesen, fühlte sie sich im Juni wieder unwohl. Ein Aderlaß brachte vorübergehend Besserung, aber dann wurde sie, bei der die Ärzte kein ernstes Leiden finden konnten, immer schwächer und verschied sanft am 3. Juli. In dem gleichen Briefe, der vom Erfolg seiner Sinfonie berichtet, sucht Wolfgang den Vater auf den schweren Verlust vorzubereiten. Die Sorge um die Lieben daheim beherrschte ihn ganz. Man muß den gesamten Briefwechsel dieser Wochen nachlesen (vgl. m. Ausgabe S. 88 ff.), um voll zu ermessen, wie sehr Wolfgang in dieser schweren Zeit innerlich und äußerlich gereift war. Er, dessen weiches Gemüt uns allseitig bezeugt wird, verbiß seinen großen Schmerz – die im Salzburger Mozarteum aufbewahrten Briefe zeigen viele Tränenspuren –, versenkte sich ganz in des Vaters Art, um wirksame Trostesworte zu finden, und wußte klug den traurigen Nachrichten so viele von lebendigem Schaffen beizufügen, daß des Vaters Schmerz abgelenkt wurde. Bald nahm ihm dann auch ein tiefempfundener Brief des Vaters die schwerste Angst vom Herzen; er sah, »daß ich wegen meinem besten Vater und liebsten Schwester außer Sorge sein kann... Jetzt, Gott Lob und Dank, bin ich ganz frisch und gesund, nur bisweilen habe ich so melancholische Anfälle – da komme ich aber am leichtesten davon durch Briefe, die ich schreibe oder erhalte; das muntert mich dann wieder auf.«
Briefe hat er denn auch jetzt mit besonderer Ausführlichkeit nach Hause geschrieben und sich dabei – ein schöner Zug – alle Mühe um eine gute Handschrift gegeben, um die ihn sein Vater früher immer mahnen mußte. Er sagte sich selbst, daß der Vater jetzt doppelt um ihn in Sorge sei, und vermied deshalb auch jene Anzeichen von Unzufriedenheit und Verstimmung, die in den vorangehenden Pariser Briefen recht häufig sind.
Leider hatte er aber auch jetzt von wirklich greifbaren Erfolgen nichts zu berichten. Nach der Mutter Tod hatte Grimm, oder genauer Mad. d'Epinay, den ganz alleinstehenden Jüngling – die Mannheimer Freunde waren wieder zurückgereist – zu sich ins Haus genommen. Wolfgang fühlte sich da nicht lange so »vergnügt«, wie er am 9. Juli nach Hause gemeldet halte. Er konnte zu Grimm kein gutes Verhältnis finden. Es ist über Grimms Charakter so mancherlei Unvorteilhaftes berichtet, daß man ihm oft auch sein Verhalten gegen den ihm anbefohlenen Jüngling übel ausgelegt hat. Doch wohl mit Unrecht. Er hat es in seiner Art mit den Mozarts sicher gut gemeint. Daß er Wolfgangs volle Bedeutung nicht erkannte, kann man ihm um so weniger verargen, als er damals seit vielen Jahren seine ganze Kraft für die italienische Oper eingesetzt hatte, Wolfgang aber über diese hinausgewachsen war, wozu ja gerade der Pariser Aufenthalt am meisten beigetragen hat. »Grimm will«, heißt es am 1l. September an den Vater, »ich soll immer zum Piccini laufen, zum Caribaldi [einem Sänger] – mit einem Wort, er ist von der welschen Partei – ist falsch – und sucht mich selbst zu unterdrücken.« Mozart war eben aufs heftigste gereizt, weil ihn Grimm immer so überlegen wie ein Kind behandelte, mit unwillkommenen Ratschlägen quälte, ihm auch – wie es scheint – »unter die Nase rupfte, wenn man ihm eine Gefälligkeit erwies.« In praktischer Hinsicht sah Grimm wohl ganz richtig, wie aus seinem Briefe (13. August) an den Vater hervorgeht: »Wolfgang ist zu treuherzig, zu wenig gerissen, leicht zu täuschen, zu unbewandert in den Mitteln, die zum Gelingen führen können. Um hier durchzudringen, muß man schlau, unternehmend, ja verwegen sein. Hätte er nur halb so viel Talent und doppelt so viel Gewandtheit, wäre mir um sein Glück nicht bange. Übrigens gibt es hier nur zwei Wege für ihn, um sich eine Stellung zu schaffen: der erste ist, Klavierstunden zu geben. Aber abgesehen davon, daß viel Bemühung, ja eine gewisse Scharlatanerie dazu gehört, um Schüler zu bekommen, bezweifle ich, daß er gesund genug ist, um diesen Beruf auszuhalten. Denn es ist ein mühseliges Ding, Paris nach allen Richtungen hin zu durchlaufen und sich mit allerlei Prahlreden zu erschöpfen. Außerdem aber gefällt ihm dieser Beruf nicht, weil er ihn am komponieren hindert, das ihm über alles lieb ist. So könnte er sich also ganz dieser Tätigkeit widmen. Aber in diesem Lande versteht man ja nichts von Musik. Deshalb geht man nur auf Namen, während der wirkliche Wert eines Werkes nur von wenigen anerkannt wird. Das Publikum ist augenblicklich aufs lächerlichste in die Parteien Piccinis und Glucks gespalten, die Urteile über Musik sind wahrhaft zum Erbarmen. So ist es für ihren Sohn sehr schwierig, zwischen den beiden Parteien sein Glück zu machen. Sie sehen also, lieber Meister, daß in einem Lande, in dem so viele mittelmäßige, ja ganz erbärmliche Musiker ihr Glück machen, ich für Ihren Sohn fürchte, daß er sich nicht einmal durchschlagen können wird.«
Dem Vater mochte einleuchten, daß Grimm die Lage richtig beurteile. Außerdem war er in Sorge, daß sein Sohn, dem nun die Hut der Mutter abging, in der liederlichen Pariser Gesellschaft moralischen Schaden nehmen könne. Da nun auch Wolfgang ihm offen bekannte, daß er sich darauf freue, »wenn er hier erlöst werde« (3l. Juli), wurde der Ausweg eifrig überlegt. Wolfgang hoffte und wünschte vor allem eine Anstellung beim Kurfürsten Karl Theodor, der seinen Hof im Juli nach München verlegt hatte. Wenn auch der Vater wohl merkte – übrigens gestand Wolfgang es offen ein –, daß für diese Wünsche die Sorge um die geliebte Weberin die mächtigste Triebfeder war, so gefiel ihm dieser Plan doch ganz gut, und er bemühte sich sogar beim Padre Martini um Empfehlungsschreiben für seinen Sohn. Aber, da der später so harmlos verlaufene bayrische Erbfolgekrieg recht bedrohlich aussah, war in München zunächst wenig zu hoffen, und so griff der Vater um so lieber nach der schönen Gelegenheit, die sich für seinen Sohn jetzt in Salzburg selbst zeigte.
Schon der Tod des Organisten Adlgasser (3l. Dezember 1777) hatte in Salzburg vielfach den Gedanken wachgerufen, daß der damals in Mannheim weilende junge Mozart ein geeigneter Ersatz wäre; die Frage war um so wichtiger, als der alte Kapellmeister Lolli keinen Dienst mehr verrichten konnte. Diese Veränderung der Lage für seinen Sohn und sich möglichst fruchtbar auszunützen, bot Vater Mozart seine ganze, oft bewährte Klugheit auf. Er wartete ruhig ab und ließ die Hofpartei an sich herantreten. Der geistliche Freund Bullinger, der erst jüngst wieder beim Tode der Mutter seine Treue bewährt hatte, mußte nach den verschiedensten Richtungen hin vermitteln. Man hört aus den Briefen des Vaters heraus, mit welcher Genugtuung und sicheren Überlegenheit er seine Vorteile ausnutzte. Den ersten Brief am 19. Juni konnte er noch an Frau und Sohn richten. Er erzählt, wie er bei seiner Zusammenkunft mit dem Domherrn Starhemberg diesen dahin brachte, daß er bei der Verhandlung über den neuen Organisten zuerst den Namen Wolfgangs nannte. – »Bravo! aufgesessen! dachte ich; schade, daß dieser Mann nicht ein großer Staatsminister und Abgesandter ist! – Dann sagte ich ihm: wir wollen recht aufrichtig sprechen; und fragte ihn, ob man nicht alles mögliche getan, ihn mit Gewalt aus Salzburg zu vertreiben? Ich fing vom Anfange an, und vergaß nichts herauszusagen, was alles vorbeigegangen, so daß sein Bruder ganz erstaunte, und er selbst aber nichts anderes sagen konnte, als daß alles die gründlichste Wahrheit wäre. Wir kamen auf alles von der ganzen Musik – ich erklärte ihm alles von der Brust heraus, – und er erkannte, daß alles die vollkommene Wahrheit wäre, und sagte endlich seinem Bruder, daß alle Fremde, die an den salzburgischen Hof gekommen, nichts anderes als den jungen Mozart bewundert hätten. Er wollte mich immer bereden, daß ich an meinen Sohn deswegen schreiben sollte; ich sagte ihm aber, daß ich dies nicht tun könnte, daß es eine vergebliche Arbeit wäre, daß mein Sohn über einen solchen Antrag lachen würde; es wäre denn die Sache, daß ich ihm zugleich den Gehalt, den er haben sollte, überschreiben könnte; denn auf den Gehalt eines Adlgassers würde nicht einmal eine Antwort zu hoffen sein. Ja, wenn Se. Hochfürstl. Gnaden ihm auch monatlich 50 fl. zu geben sich entschließen könnten, so stünde noch gar sehr zu zweifeln, ob er es annehmen würde.« – Der Vater wußte auch, daß der Erzbischof jetzt selber über Wolfgangs Leistungen günstig urteilen gelernt hatte, und fürchtete Wettbewerb von außerhalb um so weniger, als kein fremder Musiker neben ihm auf Privatstunden rechnen konnte, da in der Hinsicht der Ruf Leopolds als eines unübertrefflichen Pädagogen unerschütterlich war.
Aber noch lag alles in weiter Ferne. Leopold selber schließt seinen Brief: »Ich schreibe aber alles dieses nicht in der Absicht, Dich, mein lieber Wolfgang, zu bereden, daß Du nach Salzburg zurückkehren solltest – denn ich mache ganz und gar keine Rechnung auf die Worte des Erzbischofs.« Wolfgang ging denn auch gar nicht auf des Vaters Schreiben ein; noch dachte er nicht an die Möglichkeit der Rückkehr nach Salzburg. Dann starb in Paris die Mutter, in Salzburg starb fast gleichzeitig der alte Hofkapellmeister Lolli. Nun wurde eine Entscheidung dringlicher. Vater Mozart, der seines Sohnes Widerwillen gegen Salzburg wohl kannte, rief Bullingers Vermittlung zu Hilfe. Dieser schrieb seinem jungen Freunde, daß es jetzt vor allem Pflicht sei, an den durch den Verlust seiner Frau schwer heimgesuchten Vater zu denken. Es seien jetzt wirklich in Salzburg die günstigsten Umstände, zumal der Erzbischof ernstlich beabsichtige, neben der Haydn, der Frau des Hoforganisten, eine zweite Sängerin zu gewinnen. Damit hoffte man Wolfgang, dessen Sehnsucht nach Vereinigung mit der geliebten Aloysia Weber aus allen Briefen sprach, am ehesten zu gewinnen. Schon am 7. August antwortete Mozart dem geistlichen Freunde. Daß er stets sich seiner Pflicht gegen den Vater bewußt sei, wüßten sie ja längst. Aber Salzburg?! »Sie wissen, bester Freund, wie mir Salzburg verhaßt ist! Nicht allein wegen den Ungerechtigkeiten, die mein lieber Vater und ich dort ausgestanden, welches schon genug wäre, um so ein Ort ganz zu vergessen und ganz aus den Gedanken zu vertilgen! Aber lassen wir nun alles gut sein – es soll sich alles so schicken, daß wir gut leben können; gut leben und vergnügt leben ist zweierlei, und das letztere würde ich ohne Hexerei nicht können; – es müßte wahrhaftig nicht natürlich zugehen! ... Nun, es mag geschehen was will, mir wird es allzeit das größte Vergnügen sein, meinen liebsten Vater und liebste Schwester zu umarmen, und zwar je eher, je lieber; aber das kann ich doch nicht leugnen, daß mein Vergnügen und meine Freude doppelt sein würde, wenn es wo anders geschähe, weil ich überall mehr Hoffnung habe, glücklich und vergnügt leben zu können! – Sie werden mich vielleicht unrecht verstehen und glauben, Salzburg sei mir zu klein? – Da würden Sie sich sehr betrügen.« Und es folgt eine Schilderung der Salzburger Musikzustände, der Verlotterung der Musikanten, der Unwürdigkeit der Verhältnisse, der Unzulänglichkeit der Kräfte, der großen Ansprüche bei jämmerlichster Knauserei von einer bei Mozart ganz ungewohnten Bitterkeit, die uns nachfühlen läßt, welch ungeheures Opfer für ihn die Rückkehr nach der Heimat bedeutete. Das alles trotz der großen Sehnsucht nach den Lieben daheim, die sich rührend in seinen Briefen ausspricht, trotzdem er nichts sehnlicher wünschte, als das Pariser Leben zu enden, das er als seinem »Gemüte, Lust, Wissenschaft und Freude ganz zuwider« empfand.
Gerade jetzt kam in dieses Leben ein Lichtblick durch den Besuch des von Wolfgang so hoch verehrten Johann Christian Bach, der für Paris eine Oper in Auftrag erhalten hatte. Die Freundschaft mit dem Londoner Freunde wurde rasch erneuert, und Bach verschaffte dem jungen Landsmann allerlei Bekanntschaften, die Wolfgang freilich nicht mehr so optimistisch beurteilte wie früher: »Es geht alles sehr langsam, man muß sich Freunde machen – Frankreich ist auch wie Deutschland – man speist die Leute mit Lobeserhebungen ab.«
Als Wolfgang von St. Germain, wo er in Gesellschaft Bachs die Gastfreundschaft des Marschalls de Noailles genossen hatte, nach Paris zurückkehrte, fand er einen Brief vom 27. August, worin ihm der Vater mitteilte, daß er sich selber um die Kapellmeisterstelle Lollis beworben habe. Bei dieser Gelegenheit habe die sehr einflußreiche Schwester des Erzbischofs ihn gefragt, ob der junge Mozart nicht zurückkommen würde, wenn er mit dem Gehalt Adlgassers neben dem Vater angestellt würde. Leopold hatte geantwortet, daß er nicht Zweifel habe, daß sein Sohn aus Liebe zu ihm dieses Angebot annehmen würde, fügt aber Wolfgang gegenüber hinzu: »Ich mache keine Rechnung darauf, weil ich den Erzbischof kenne: obwohl es gewiß ist, daß er dich im Herzen zu haben wünscht; so kann er doch zu keinem Entschluß kommen, besonders wenn er geben soll.«
Aber die Entscheidung kam überraschend schnell. Schon vier Tage später (am 31. August) ging an den Sohn der folgende Brief: »Du bist nicht gern in Paris, und ich finde, daß Du eben nicht gar unrecht hast. Bis jetzt war mein Herz und Gemüt für Dich beängstigt, und ich mußte trotz einem Minister eine sehr kitzliche Rolle spielen, da ich bei aller meiner Herzensangst mich lustig anstellen mußte, um jedermann glauben zu machen, als wärst Du in den besten Umständen und hättest Geld im Überflusse, ob ich gleich das Gegenteil weiß. Ich verzweifelte fast, so, wie ich wollte, durchzudringen, weil, wie Du weißt, nach dem Schritte, den wir getan, von dem Hochmute des Fürsten wenig zu hoffen, und ihm Deine schnelle Abdankung zu sehr aufs Herz gefallen war. Allein durch mein tapferes Aushalten habe ich nicht nur allein durchgedrungen, der Erzbischof hat nicht nur alles akkordiert, für mich und für Dich, Du hast 500 fl.; sondern er hat sich noch entschuldigt, daß er Dich jetzt unmöglich zum Kapellmeister machen könnte, Du solltest aber, wenn es mir zu mühsam werde, oder wenn ich außerstande wäre, in meine Stelle unterdessen einrücken; er hätte immer Dir eine bessere Besoldung zugedacht zc. – mit einem Worte, zu meinem Erstaunen, die höflichste Entschuldigung. Noch mehr! Dem Paris (neben Haydn und Adlgasser der 3. Organist. D. V.) hat er 5 fl. Addition gegeben, damit er die mehrsten Dienste verrichten muß, und Du wirst als Konzertmeister wie vorher dekretiert werden. Wir kommen jetzt also vom Zahlamte, wie ich Dir schon geschrieben, jährlich auf 1000 fl. Nun kommt es darauf an, ob Du glaubst, daß ich noch einen Kopf habe, und ob Du glaubst, daß ich Dein Bestes besorge, – und ob Du mich tot oder beim Leben erhalten willst. Ich habe alles ausgedacht. Der Erzbischof hat sich erklärt, daß er, wenn Du eine Oper schreiben willst. Dich, wo es immer ist, hinreisen lasse; er sagte zur Entschuldigung der vorm Jahr uns versagten Reise, daß er es nicht leiden könne, wenn man so ins Betteln herumreise. Nun bist Du in Salzburg im Mittelpunkte zwischen München, Wien und Italien. Du kannst leichter in München eine Oper zu schreiben bekommen, als in Dienst kommen; denn deutsche Opern-Komponisten, wo sind sie? Und wie viele? – Nach des Kurfürsten Tode ist alles dienstlos, und da entsteht ein neuer Krieg. Der Herzog von Zweibrücken (der Thronfolger, später König Max I.) ist kein großer Liebhaber der Musik. Nun will ich aber nicht, daß Du eher von Paris abreisest, bis ich nicht das Dekret unterschrieben in Händen habe, weil der Fürst heute früh nach Laufen ist. – Die Mlle. Weber sticht dem Fürsten und allen ganz erstaunlich in die Augen: sie werden sie absolut hören wollen, da sollen sie bei uns wohnen. Mir scheint, ihr Vater hat keinen Kopf; ich werde die Sache besser für sie einleiten, wenn sie mir folgen wollen. Du mußt ihr hier recht das Wort reden, denn zum Kastraten will er auch eine andere Sängerin, um eine Oper aufzuführen.«
So hatte der Vater das Ziel erreicht, dank seiner Klugheit. Er hatte sich aber nicht nur dem Erzbischof gegenüber »musterlich wie ein Missus (Gesandter)« benommen, wie sich Wolfgang ausdrückt, sondern auch bei seinem Sohne. Er hatte diesen gar nicht gedrängt, hatte abgewartet, bis dieser selbst Paris übersatt hatte, ihm dann langsam das Leben daheim im besten Lichte dargestellt, hatte klug des Sohnes Liebe geschont und die Aussichten für Aloysia hervorgehoben, jetzt faßte er ihn bei seiner kindlichen Liebe und dem Pflichtgefühl gegen den Vater und setzte auch gleich alle Energie ein. So konnte er zuversichtlich schreiben: »Mein nächster Brief wird Dir sagen, daß (d. h. wann) Du abreisen sollst.«
Er hatte sich in seinem Sohne nicht getäuscht.
Gleich nach Empfang dieses Briefes schrieb Wolfgang am 11. September: »Ich habe Ihre drei Briefe richtig erhalten. Nun will ich Ihnen nur auf den letzten antworten, weil dies das Wichtigste ist. Als ich ihn durchlas, zitterte ich vor Freude, – denn ich sah mich schon in Ihren Armen. Es ist wahr, Sie werden es mir selbst gestehen, daß es kein großes Glück ist, was ich da mache; aber wenn ich mir vorstelle, daß ich Sie, liebster Vater, und meine liebe Schwester ganz von Herzen küsse, so kenne ich kein anderes Glück nicht. Dies ist auch wirklich das einzige, was mich bei den Leuten hier, die mir die Ohren voll anschreien, daß ich hier bleiben soll, entschuldiget, denn ich sage ihnen allzeit gleich: »Was wollen Sie denn? – ich bin zufrieden damit,– und da ist es gar; ich habe einen Ort, wo ich sagen kann, ich bin zu Haus, lebe in Frieden und Ruhe mit meinem besten Vater und liebsten Schwester, kann tun, was ich will, denn ich bin außer meinem Dienste mein Herr, habe ein ewiges Brot, kann weg wenn ich will, kann alle zwei Jahre eine Reise machen – was will ich mehr?« – Das einzige, ich sage es Ihnen, wie es mir ums Herz ist, was mich in Salzburg degoutiert, ist, daß man mit den Leuten keinen rechten Umgang haben kann und die Musik nicht besser angesehen ist und – daß der Erzbischof nicht gescheiten Leuten, die gereiset sind, glaubt. Denn, ich versichere Sie, ohne Reisen (wenigstens Leute von Künsten und Wissenschaften) ist man wohl ein armseliges Geschöpf! – und versichere Sie, daß, wenn der Erzbischof mir nicht erlaubt, alle zwei Jahre eine Reise zu machen, ich das Engagement unmöglich annehmen kann. Ein Mensch von mittelmäßigem Talent bleibt immer mittelmäßig, er mag reisen oder nicht, – aber ein Mensch von superieurem Talent (welches ich mir selbst, ohne gottlos zu sein, nicht absprechen kann) wird schlecht, wenn er immer in dem nämlichen Ort bleibt. Wenn sich der Erzbischof mir vertrauen wollte, so wollte ich ihm bald seine Musik berühmt machen; das ist gewiß wahr. Ich versichere Sie, daß mir diese Reise nicht unnützlich war – in der Komposition versteht es sich, denn das Klavier – spiele ich, so gut ich kann. Nur eins bitte ich mir zu Salzburg aus, und das ist: daß ich nicht bei der Violine bin, wie ich sonst war, – keinen Geiger gebe nicht mehr ab; beim Klavier will ich dirigieren, die Arien akkompagnieren. Es wäre halt doch gut gewesen, wenn ich hätte können eine schriftliche Versicherung bekommen auf die Kapellmeisterstelle; denn sonst habe ich etwa die Ehre, doppelte Dienste zu verrichten – für einen nur bezahlt zu sein – und auf die Letzt setzt er mir wieder einen Fremden vor. Allerliebster Vater! Ich muß es ihnen bekennen, wenn es nicht wäre, um das Vergnügen zu haben, Sie beide wiederzusehen, so könnte ich mich wahrhaftig nicht dazu entschließen.«
Dann entlud sich der lange angehäufte Groll gegen Grimm, der jetzt Wolfgang zur möglichst raschen Abreise von Paris drängte. Aber gerade darin handelte der »neubackene Baron«, wie ihn Wolfgang grimmig nennt, sicher im Einverständnis mit dem Vater, der nur mit großer Besorgnis aus dem Schreiben seines Sohnes las, daß dieser wieder bessere Aussichten in Paris zu haben glaubte. So kam Wolfgang die Abreise von Paris, von dem er sich so oft fortgesehnt hatte, nun doch zu schnell. Am 26. September 1778 verließ er in Mißstimmung, wie er hingekommen, die Stadt, in der ihm wenig Freude, wohl aber viel Ärger und tiefe Trauer beschieden gewesen. Aber abgesehen davon, daß ihn die schwere Prüfungszeit menschlich reifer gemacht hatte, Wolfgang durfte auch mit vollem Recht sagen: »Ich versichere Sie, daß mir diese Reise in der Komposition nicht unnützlich war.«