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Bei der Teilung der Erde kam der Poet zu spät, da er im Land der Träume sich verweilte:
»Mein Auge hing an deinem Angesichte,
An deines Himmels Harmonie mein Ohr;
Verzeih dem Geiste, der, von deinem Lichte
Berauscht, das Irdische verlor.«
Des Gottes Tröstung, daß der auf Erden zu kurz gekommene Dichter ihm in seinem Himmel stets willkommen sei, hat kaum ein anderer so erfahren wie Mozart. So ununterbrochen fähig, im Himmel göttlichen Schaffens unterzutauchen, ist wohl kein anderer Künstler gewesen. Solch nie versagende Schöpferfähigkeit, solche Beglückung im Schaffen, so niemals in Zwang und Zweifel über die Art des zu Gestaltenden, so immer befähigt, das Höchste und Größte zu geben, aber auch das Kleinste liebevoll zu gestalten, war keinem anderen Künstler in gleichem Maße beschieden wie ihm. So dürfen wir uns auch nicht wundern, könnten es kaum als Schicksalshärte bezeichnen, wenn er nun bei der Verteilung der irdischen Güter so schlecht weggekommen wäre.
Man hat wohl oft Mozart als Urbild des Künstlerschicksals hingestellt: Im Leben verkannt, arm, ja völlig an ihm zerschellend, nach dem Tode gefeiert, seine Werke erfolgreich, gewinnbringend für alle, die mit ihm zu tun hatten. Ich halte in diesem Sinne Mozarts Lebens schicksal nicht für tragisch. Sein früher Tod als Sechsunddreißigjähriger, aus der höchsten Schaffensfülle heraus, ist tragisch für uns; für ihn war er es nicht. Denn ihm bedeutete der Tod nichts Tragisches. Außerdem hatte er viel gelebt. Es ist ihm schon als vierjähriges Kind das Leben bewußt geworden, da er damals schon zu schaffen vermochte. Wie wenigen war es beschieden, dreißig Jahre lang wirklich schöpferisch zu leben und zu gestalten! Auch sein Außen- und Innenleben war nicht im gewöhnlichen Sinne tragisch. An Anerkennung hat es ihm nie gefehlt. Er durfte das Gefühl haben, daß die Befeindung, die er als Künstler erfuhr, aus der Erkenntnis erwuchs, daß seine Werke zu groß, zu bedeutend seien. Die besten aber, und an ihnen lag ihm allein, waren Freunde seiner Kunst. Vor der tragischen Auffassung des Mißlingens seiner äußeren Lebenspläne aber schützte ihn eine wunderbare Natur. Die meisten werden sie Leichtsinn nennen. Gewiß, es war der leichte Sinn des Naturkindes, das sich so geborgen in Gottes Vaterhand weiß, wie die Lilien auf dem Felde, die auch nicht säen und nicht ernten, und denen doch selbst Salomo nicht gleicht in all seiner Pracht. Ja, zwei oder drei Jahre lang seines Lebens, und gerade die letzten, hat auch ihn oft die Sorge schwer gedrückt. Sorge ums nackte tägliche Brot. Ich glaube trotzdem nicht, daß sie allzu schwer auf ihm gelastet hat. Er hatte damals in der Tat die Anwartschaft auf bessere Zeiten fest in der Tasche in der Gestalt der Rechtsnachfolgerschaft auf einen gut besoldeten Organistenposten. Und so handelte es sich für ihn doch nur darum, über eine schwere Zeit, die nach menschlichem Ermessen bald zu Ende gehen mußte, hinwegzukommen. Tragisch kann ich diese Einstellung zum Leben nicht nennen, wenn ich etwa an Richard Wagners schweren Kampf ums Dasein denke. Daß man trotzdem Mozarts Lebensgang so empfindet, liegt daran, daß er die äußere Krönung dieses Lebens nicht mehr erfuhr, daß wir kein äußerlich glänzendes Ende sehen, daß der Tod vielmehr die Hand gerade in dem Augenblick auf ihn legte, als es ihm äußerlich am schlechtesten ging. Das ist aber eigentlich mehr tragisch für die Welt als für denjenigen, den es traf. So wie Haydn es empfand, der aus London schrieb: »Ich war über seinen Tod eine geraume Zeit ganz außer mir und konnte es nicht glauben, daß die Vorsicht so schnell einen unersetzlichen Mann in die andere Welt fordern sollte.« Aber abgesehen von diesem schweren Verlust, den die Welt zu früh erfuhr, haben auch viele von jenen, die Mozart im Leben nahestanden, bei der Nachwelt dafür gebüßt, daß es ihm äußerlich nicht besser gegangen ist. Zu ihnen gehört zunächst seine
Frau Konstanze.
Mozarts ältester Biograph, Niemetschek, der beide kannte, urteilte über ihren Bund: »In seiner Ehe mit Konstanza Weber lebte Mozart vergnügt. Er fand an ihr ein gutes, liebevolles Weib, die sich an seine Gemütsart vortrefflich anzuschmiegen wußte und dadurch sein ganzes Zutrauen und eine Gewalt über ihn gewann, welche sie nur dazu verwandte, ihn oft von Übereilungen abzuhalten. Er liebte sie wahrhaft, vertraute ihr alles, selbst seine kleinen Sünden – und sie vergalt es ihm mit Zärtlichkeit und treuer Sorgfalt.« An den Vater schrieb er aus den ersten Tagen der jungen Ehe: »Mit einem Wort: Wir sind füreinander geschaffen, und Gott, der alles anordnet, und folglich auch dieses alles also gefüget hat, wird uns nicht verlassen.« Aus seinen Briefen ist keine Stelle beizubringen, daß er jemals anders über seinen Ehebund gedacht hat. Mit vollem Recht hat Konstanze am 29. September 1799 an Breitkopf & Härtel geschrieben: »Ganz vorzüglich charakteristisch ist seine seltene Liebe zu mir, die alle seine Briefe atmen. Nicht wahr, die in seinem letzten Lebensjahr sind ebenso zärtlich, als die er im ersten Jahr unserer Verheiratung geschrieben haben muß?« Zum Beweis dessen hören wir eine Stelle aus einem Briefe vom 7. Juli 1791, also wenige Monate vor seinem Tode: »Nun wünsche ich nichts, als daß meine Sachen schon in Ordnung wären, nur um wieder bei Dir zu sein, Du kannst nicht glauben, wie mir die ganze Zeit her die Zeit lang um Dich war! – ich kann Dir meine Empfindung nicht erklären, es ist eine gewisse Leere – die mir halt wehe tut, – ein gewisses Sehnen, welches nie befriedigt wird, folglich nie aufhört – immer fortdauert, ja von Tag zu Tag wächst; – wenn ich denke, wie lustig und kindisch wir in Baden beisammen waren – und welch traurige, langweilige Stunden ich hier verlebe – es freut mich auch meine Arbeit nicht, weil gewohnt, bisweilen auszusetzen und mit Dir ein paar Worte zu sprechen, dieses Vergnügen nun leider eine Unmöglichkeit ist – gehe ich ans Klavier und singe etwas aus der Oper, so muß ich gleich aufhören – es macht mir zu viel Empfindung – Basta! – wenn diese Stunde meine Sache zu Ende ist, so bin ich schon die andere Stunde nicht mehr hier ...«
Ob eine Ehe glücklich ist, müssen doch schließlich die dabei zunächst Beteiligten am ehesten wissen. Daß Konstanze die Größe, die künstlerische Einzigartigkeit ihres Mannes begriffen habe, ist ausgeschlossen, obwohl sie sicher von seiner künstlerischen Bedeutung überzeugt war. Denn das waren ja die ihm Nahestehenden alle. Daß sie zu Lebzeiten ihrem Mann jemals schwere Stunden darüber gemacht hat, daß es ihm nicht gelang, ein auskömmliches Dasein zu schaffen, glaube ich nicht. Nach seinem Tode, als sein Ruf so ungeheuer anwuchs, als sie selber an der Seite des überpeinlichen und geschäftskundigen Staatsrats von Rissen die Behaglichkeit des Wohlstandes kennen lernte, da mag sie, wie Jahn hervorhebt, in »einen Widerstreit der Vorstellungen« geraten sein, so daß sie sich jetzt nicht erklären konnte, wieso es ihrem ersten Gatten bei seiner einzigartigen Künstlerschaft nicht gelungen war, das äußere Leben zu gestalten. Aber diese verspätete Bitterkeit, wenn sie wirklich vorhanden war, hat ja Wolfgang nicht mehr wehe getan. Gerade wie sich ihm das Leben gestaltet hat, war für ihn eine Frau die beste, die selber unter der »Künstlerwirtschaft« nicht litt, sondern sie von Kind an gewohnt war. Sie wird die Nöte des Augenblickes kaum so peinlich empfunden haben wie er, der doch von Hause her an gute Ordnung gewöhnt war, danach aber doppelt freudig mit ihm zu Lustigkeit und Lebensgenuß aufgelegt gewesen sein, wenn die besseren Tage kamen, an denen es doch vor allem in den ersten Jahren der Ehe nicht gefehlt hat. Gewiß wäre es um seinen Hausstand besser bestellt gewesen, ja es wäre nie zu wirklicher Not gekommen, wenn sie eine gute Haushälterin gewesen wäre. Ob aber Mozart sich dann mit ihr so glücklich gefühlt hätte, scheint mir recht zweifelhaft. Es ist vielfach bezeugt, daß sie ihren Mann wirklich betreute, daß sie Verständnis dafür hatte, wie er dem Leben gegenüber häufig unbeholfen war. Wenn er z. B. über den Tönen, die in seinem Innern klangen, die Welt vergaß, so besorgte sie ihn wie ein Kind, schnitt ihm das Fleisch, erzählte ihm heitere Geschichten, las ihm Märchen vor. Sie war auch musikalisch genug, um mit ihm gehen zu können. Sie hatte das ursprüngliche Musiktalent aller Weberschen Kinder, den Instinkt für Musik. So hatte sie die in jener Zeit gewiß recht seltene Vorliebe für Fugen und Werke des strengen Satzes, so daß die erste Fuge mit Präludium, die Wolfgang am 20. April 1782 seiner Schwester zuschickte, auf ihre Veranlassung hin geschrieben worden ist. Sie sang so gut, daß sie imstande war, die Sopransoli seiner Messe in C-moll zu übernehmen, die doch eine ganz bedeutende Sängerin erfordern, und, was für ihn wohl wertvoller war, sie sang gut vom Blatt. Gewiß hat sie ihm viel Sorge bereitet durch ihr häufiges Kranksein, und der mehrfache Kuraufenthalt in Baden erheischte schwere Opfer. Aber seiner Liebe hat das keinen Eintrag getan. Alle Zeugnisse stimmen darin überein, daß er mit höchster Schonung und zärtlichster Hingabe seine Frau in den Krankheiten, die mit den zahlreichen Wochenbetten zusammenhingen, pflegte. So besteht trotz allem jenes Wort zu Recht, das er an den Vater schrieb: sie waren wohl wirklich füreinander geschaffen, und der geniale Naturinstinkt Mozarts hatte auch in diesem Falle das Richtige getroffen.
Es darf nicht verschwiegen werden, daß trotz dieser nicht anzuzweifelnden Liebe Mozart seiner Frau nicht immer die Treue gewahrt zu haben scheint; jedenfalls erzählte sie selber später, daß er ihr seine »Stubenmädeleien« selbst bekannt, und daß sie sie ihm verziehen habe. »Er war so lieb, daß es nicht möglich war, ihm böse zu sein, man mußte ihm wieder gut werden.« Ihre Schwester berichtet, daß es darüber doch zu manchen heftigen Auftritten gekommen sei, und ein Brief Wolfgangs an seine Frau vom Juli 1789 enthält die Stelle: »Sei lustig und vergnügt und gefällig mit mir – quäle Dich und mich nicht mit unnötiger Eifersucht – habe Vertrauen in meine Liebe, Du hast ja doch Beweise davon! – und Du wirst sehen, wie vergnügt wir sein werden, glaube sicher, nur das kluge Betragen einer Frau kann dem Mann Fesseln anlegen.« Das letztere geht darauf, daß Konstanze im Verkehr mit Männern leicht etwas zu nachgebend war, wohl in der Art, die aus jenem Briefe hervorgeht, in dem er ihr als Bräutigam ein etwas zu freies Benehmen verweisen mußte (s. S. 341). Man braucht das nicht zu entschuldigen, kann aber doch manches aus der ganzen leichten Lebensauffassung der Zeit begreiflich finden. Daß alle diese Entgleisungen das innige Verhältnis der Ehegatten auf die Dauer nicht zu stören vermochten, ist bereits betont. Hier wurde dieser Sache nur Erwähnung getan, um aufs schroffste Widerspruch gegen jene noch heute vielfach umlaufenden Gerüchte zu erheben, die aus Mozart so etwas wie ein Abbild des Don Juan machen. Es ist eine lange Reihe von Liebesverhältnissen, die ihm angedichtet worden ist; danach hätte er überhaupt kaum mit einer Frau näher zu tun gehabt, ohne auch ein Liebesverhältnis mit ihr anzustreben. Wir haben im Gegensatz dazu in den Briefen Mozarts unwiderlegliche Zeugnisse für seine ernste Lebensauffassung, für seine reine sittliche Anschauung. Es geschah eben auch ihm, wie seiner Frau, daß er sich gegen die Schicklichkeit verging, nicht aber gegen die Sittlichkeit. Seine ungeheure Arbeitsleistung in diesem kurzen Leben bezeugt des weiteren, daß er sich nicht allzuviel hat gehen lassen können. Neid und Klatschsucht haben sich schon zu seinen Lebzeiten an sein Privatleben geheftet, und er hat nur zu sehr immer an jenem Grundsatze festgehalten, zu dem er sich seinem Vater gegenüber bekannte, daß er gegen Verleumdungen, von denen er sich nicht getroffen fühlte, sich grundsätzlich nicht verteidigte. Dadurch konnten diese dann um so fester Fuß fassen, zumal Wolfgang gerade in seiner letzten Lebenszeit, der »Zauberflöte« wegen, viel mit Schikaneder verkehrte, der als Schwelger und Wüstling bekannt war. Viele Verleumdungen richten sich auch gegen die sonstige
Lebensführung Mozarts
Wollte man den Gerüchten glauben, so wäre er ein arger Trinker gewesen. Ein Blick schon auf seine sauber geschriebenen Partituren genügt, um jeden Vorwurf der Unmäßigkeit zurückzuweisen. Aber freilich war er Freund eines heiteren Zechens, bei dem er selber sicher leicht in jene ausgelassene Fröhlichkeit geriet, die manchen nur aus einer Unmäßigkeit des Trunkes erklärlich ist, während es bei dem leicht erregten Mozart bloß einer sorglosen Stunde bedurfte. Auffälliger ist es, daß er bei der Arbeit gern trank. Dafür sind die Erfahrungen bei den einzelnen ja sehr verschieden. Mozart konnte seiner ganzen Art nach eine Stunde der Unproduktivität nicht vertragen und hat sicher – das bezeugt die Masse seiner Werke – seinem Körper viel mehr abverlangt, als dieser hergeben konnte. Da mochte ihm dann die Anregung durch einen Punsch, eine Flasche Wein oder gar schäumenden Champagner sehr willkommen sein. Sein Geist war eben niemals müde, den Körper zwang er auf diese Weise zu neuer Tätigkeit. Es mag sein, daß ihm gerade dieser Genuß alkoholischer Getränke auch geschadet hat; aber es ist auch nicht ein sicheres Zeugnis vorhanden, das jenen recht gibt, die ihn zu einem übermäßigen Trinker stempeln wollten. Überhaupt ist der Vorwurf der Schwelgerei und Schlemmerei in jedem Betracht unberechtigt. Wenn man mit der scharfen Brille des Bücherrevisors den Einnahmen und Ausgaben Mozarts nachgeht, so mag Pedanterie von gelegentlicher Verschwendung reden. Mozart hätte die Künstlernatur nicht sein müssen, als die wir ihn lieben, wenn ihm das Geld mehr gewesen wäre als ein Mittel, das körperliche Leben zu erhöhen. Und wenn dann ein dreißigjähriger Mensch, der doch alle Anwartschaft auf steigenden Erfolg hat, einmal mit leichterer Hand das Geld hinausgibt als eine scharf gezügelte Beamtennatur, so darf man da doch nicht von Verschwenden sprechen. Und muß man zugeben, daß bei ruhiger Überlegung viele dieser Ausgaben aus Rücksicht auf die Familie und Kinder hätten unterbleiben sollen, so muß man sich immer gegenwärtig halten, daß Mozart eben dieses Haushalttalent abging, daß die ganze Art seiner Kunstübung, wie wir ja nun aus vielen Stellen bereits erfahren haben, eine Fröhlichkeit, eine Sorglosigkeit der Lebensführung bedingte. Er wollte sich freuen und konnte auch nicht andere leiden sehen. Er hat immer eine offene, viel zu offene Hand gehabt. Er, dem gegenüber man meistens recht kleinlich war, hat immer großherzig unterstützt. Gewiß, er hat verschwendet, aber unendlich mehr verschwendet an Güte zu den Menschen; verschwendet auch seine Kunst, offenbar weil er wußte, daß der Quell derselben unerschöpflich floß. Da mochte er nie rechnen; aber alle die Kaufmannsseelen, die ihm nachher die üble Lebensführung nachrechneten, haben sich nicht gescheut, ihn zu übervorteilen, wo sie nur irgend konnten. Theaterdirektoren, Verleger, Kopisten, zahlreiche Privatleute haben ihn um den Erwerb verkümmert, den ihm seine Kompositionen hätten bringen können. Er hat keinen derselben belangt, nicht einmal die geringen Rechtsmittel angewendet, die auch das damalige Gesetz bereits geboten hätte. Ein rasches Aufbrausen, ein aufwallender Ärger, ein erlösendes Schimpfwort wie »der Lump«, und die Sache war abgetan. Ich gebe zu, daß das leichtlebig ist. Aber die Menschheit ist doch so glücklich über diese Kunst Mozarts, die ihr das Leben erleichtert. Wäre eine schwerblütige Natur imstande, solche Werke zu schaffen?
Es muß doch nachdenklich stimmen, wenn Mozarts Schwager Lange bekundet, daß Wolfgang dann am lustigsten und ausgelassensten sich gebärdet habe, wenn er sich mit schweren und großen Werken trug. Alles Genie ist ein Wunder und die Weg des künstlerischen Schaffens können nicht die des gewöhnlichen Lebens sein. Die Wege aber sind mannigfaltig. Bei Mozart vollzieht sich der eigentlich schöpferische Prozeß wie in einer anderen inneren Welt, die mit der äußeren gar nicht in Zusammenhang zu stehen scheint. Oder höchstens in dem, daß aus dieser äußeren Welt etwas in jene gewaltsam eindringen könnte. Da ist es dann, als hätte er dieser äußeren Welt alles das von seiner Persönlichkeit hingegeben, was mit dem eigentlichen künstlerischen Schaffen nichts zu tun hat, bloß um jene innere vollkommen freizuhalten. Denn es ist ja klar, daß, während jedes ernste Gespräch, jeder ernste Kunstgenuß ihm Geist und Seele beschäftigen mußten, diese völlig freiblieben, wenn er herumtanzte, wenn er Billard spielte, Kegel schob und lustige Spässe riß. Er wurde doch durch all diese Dinge nicht »zerstreut«, das beweisen hundert Tatsachen; vielmehr ging er nachher hin und schrieb. Schrieb seine Kompositionen so, als ob er sie kopierte. Sie waren also doch offenbar in jenen Stunden geschaffen worden, in denen er ein Gebahren zur Schau trug, das die Welt für den bedeutenden Komponisten Mozart unbegreiflich fand. Gerade dann war er der große Schöpfer gewesen.
Ich würde mich auf alle diese Dinge nicht einlassen – ein Mensch, der uns so Wundervolles geschaffen hat, trägt die Rechtfertigung seines ganzen Tuns in seinen Werken –, aber wir müssen eben alles tun, um uns die Freude an der Gesamterscheinung eines solchen Künstlers nicht trüben zu lassen. Wir machen nun immer und immer wieder die Erfahrung – man denke an Goethe, an Beethoven, neuerdings an Richard Wagner –, daß große Künstler große Menschen waren. Je näher wir sie gerade in ihren intimsten Äußerungen kennen lernen, um so höher steigen sie als Menschen, um so schöner wird ihre Gesamterscheinung. Und darin liegt der große Wert aller solcher Untersuchungen. Bei Mozart trifft das gleiche zu. Seine Gesamterscheinung ist Notwendigkeit bei dieser Kunst, und diese Gesamterscheinung ist eine hoch erfreuliche, sobald wir sie nicht mit kleinlichen, beschränkten Augen ansehen.
Diese Erkenntnis gibt uns aber kein Recht, auf das Verhalten der Zeitgenossen großer Künstler verächtlich herabzusehen, weil sie nicht zu ihr gelangt sind. Denn diese Zeitgenossen sehen den Künstler in der Beschränktheit des Alltags, nicht als jene Gesamtheit, als die er uns Späteren erscheint. Und darum ist es natürlich, daß sie sich meistens beschränkt dem Künstler gegenüber erweisen. Mozarts Lebensumstände sind, wie gesagt, erst in den letzten Jahren so traurige geworden. Sicher stand er damals als Künstler bereits auf einer solchen Höhe, wo eigentliche Popularität nicht mehr möglich ist. Man denke an Goethe. Andererseits war er noch zu jung, um eine so überragende Stellung, wie dieser, einnehmen zu können. Dazu wäre es wohl erst gekommen, wenn sich das äußere Behagen des Lebens mit den festen Stellungen, die ihm in sicherer Aussicht standen, eingestellt hätte. Man muß auch bedenken, daß Mozart nach der »Entführung« zunächst keine Werke geschaffen hat, die ihn eigentlich volkstümlich machen konnten. »Figaro« und »Don Juan«, die uns als so einzig erscheinen, waren für die Mehrzahl der Zeitgenossen italienische Opern, die mit den anderen italienischen in Wettbewerb traten und von diesen hinsichtlich der leicht faßlichen Sinnlichkeit geschlagen wurden. Die Popularität hätte unbedingt wieder eingesetzt mit der »Zauberflöte«, als der deutschen Oper. Diese Wirkung hat er aber nicht mehr erlebt. Die Tragik besteht also darin, daß er nicht vor die Aufgaben sich gestellt sah, in denen er damals seinem Volke ein einzigartiger Wert werden konnte. Das ist Tragik der gesamten deutschen Kulturentwicklung. Ich glaube nun, daß gerade die vornehmen Gönner und Freunde Mozarts über seine Notlage nicht recht unterrichtet waren. Ihm lag mit Recht außerordentlich viel an völlig unbeschwertem Verkehr in diesen Kreisen. Das war nur möglich, wenn er sich ihnen gegenüber auch pekuniär unabhängig fühlen konnte. Er war darin eine sehr empfindliche Natur, die nicht gern Werte empfing ohne Gegenleistung. Es ist bekannt, wie bitter er über das Gehalt, das ihm der Kaiser bewilligt hatte, gelegentlich sich aussprach: »Zu viel für das, was ich tue, zu wenig für das, was ich leisten könnte.« So hat er lieber versucht, sich durch Leihen einer größeren Summe über die bösen Jahre hinwegzuhelfen und sich dabei auf das spätere sichere Einkommen verlassen. Um diese Art der Regelung von Geschäftsleuten zu erhalten, war er aber geschäftlich zu unerfahren. Er nahm dann die Hilfe am ehesten von einem Logenbruder an; aber auch da bezeichnenderweise von einem Kaufmanne, Puchberg, weil er diesem gegenüber wenigstens den Schein des Geldgeschäftes wahren konnte. Im übrigen hat sicher auch gerade Mozarts Lustigkeit die vornehmen Bekannten über seine Notlage leicht hinweggetäuscht, so daß man die Gerüchte darüber leicht als übertrieben ansehen mochte. Sonst hätte wohl sicher auch seine Schwester, die seit 1784 als Frau von Sonnenberg in guten Verhältnissen lebte, einmal etwas von der Notlage ihres Bruders gehört, was nach ihrer Beteuerung aber erst nach dem Tode desselben geschah.
Bei Mozarts ganzer Art, bei der Art auch seiner Frau und unter den nun einmal vorhandenen äußeren Verhältnissen, wonach beide ohne jedes Vermögen die Ehe eingingen, wäre ein geordneter Haushalt nur bei einem beträchtlichen, sicheren Einkommen möglich gewesen. Dieses regelmäßige Einkommen vermochten auch an sich größere, aber immer ungewisse Einnahmen nicht aufzuwiegen. Wir sehen ja dasselbe bei den Künstlern unserer Tage. Es gehört gerade für den Künstler, der naturnotwendig zu einer leichten, genußfrohen – im schönsten Sinne des Wortes – Lebensführung neigt, ein bei der Künstlernatur doppelt seltenes Verwaltungsvermögen dazu, um auf der Grundlage ungewisser und unregelmäßiger Einnahmen einen geordneten Haushalt aufzubauen. Nach dem starken Erfolg der »Entführung« rechnete Mozart unbedingt mit der festen Stellung und damit einem sicheren Gehalt. Es ist ja natürlich, daß alle seine Bewunderer ihn in dieser Auffassung bestärkten, wodurch dann sein leicht entflammtes Temperament bereits in greifbarer Nähe erblickte, was sich doch nicht so ohne weiteres verwirklichen ließ. Denn für den kühler Zusehenden war Mozart ein junger Anfänger, der recht schöne äußere Erfolge hatte, den man für den nächsten freiwerdenden Posten im Auge behielt, um dessentwillen man aber noch keine neue Stellung zu schaffen brauchte. Aus den vorhandenen konnte man aber doch ihre Inhaber nicht hinausdrängen. Wolfgang seinerseits wurde durch das Mißlingen seiner Pläne dann allzu leicht erregt. Darin kannte ihn der Vater sehr gut, der am 23. August 1782 an die Frau von Waldstätten schrieb: »Ich würde ganz beruhigt sein (über die Heirat), wenn ich nur nicht bei meinem Sohn einen Hauptfehler entdeckte, und dieser ist, daß er gar zu geduldig oder schläfrig, zu bequem, vielleicht manchmal zu stolz und wie Sie dieses alles zusammen taufen wollen, womit der Mensch ohntätig wird: oder er ist zu ungeduldig, zu hitzig und kann nichts abwarten. Es sind zween einander entgegenstehende Sätze, die in ihm herrschen – zu viel oder zu wenig und keine Mittelstraße. Wenn er keinen Mangel hat, dann ist er allsogleich zufrieden und wird bequem und ohntätig. Muß er sich in Aktivität setzen, dann fühlt er sich und will allsogleich sein Glück machen. Nichts soll ihm im Weg stehen, und leider werden eben nur den geschicktesten Leuten, den besondern Genies die meisten Hindernisse in den Weg gelegt. Wer steht ihm in Wien im Wege, seine angetretene Laufbahn fortzugehen, wenn er ein wenig Geduld hat? – Kapellmeister Bono ist ein uralter Mann – Salieri rückt nach dessen Tod vor und macht einem anderen Platz, und ist nicht Gluck auch ein alter Mann!?« – Die »alten« Männer haben aber alle fast ebenso lange oder länger gelebt als Mozart. Dieser hat im Unmut wiederholt den Gedanken gefaßt, Wien zu verlassen. Bald nach seiner Verheiratung wollte er nach Paris. 1786 faßte er dann fest den Plan, nach England zu gehen. Die Absicht ist wohl nur am Vater gescheitert, der sich besonders in diesem Fall recht unfreundlich seinem Sohn gegenüber gezeigt hat, der ihn gebeten hatte, für die Zeit seiner Abwesenheit, da Konstanze ihn begleiten werde, die beiden Kinder mit den Mägden zu sich ins Haus zu nehmen. Der Vater hatte ihm das schroff abgelehnt, wie er seiner Tochter schreibt: »Das wäre freilich nicht übel – sie könnten ruhig reisen – könnten sterben – könnten in England bleiben – da könnte ich ihnen mit den Kindern nachlaufen – oder der Bezahlung, die er mir für Menscher und Kinder anträgt usw.« Es ist aus diesen und späteren Plänen mit dem Ausland nichts geworden und die wenigen Unternehmungen im Inland haben ihm keinen Gewinn gebracht. Er fühlte sich selber eigentlich nur in Wien wohl, und zunächst hatte er dazu auch allen Grund. Da er keine feste Anstellung fand, verblieb der
Erwerb durch Unterricht, Konzerte und Kompositionen.
Daß Mozart keine Freude am Unterrichten hatte, wissen wir von früher. Die Abneigung hatte sicher noch zugenommen. Sie hat natürlich auch auf die Art seines Unterrichts eingewirkt, der gewiß niemals so beschaffen war, daß er viele dazu verlocken konnte, sich um ihn zu bewerben. Wo er hervorragendes Talent fand oder sich menschlich angezogen fühlte, gab er weit mehr als man verlangen konnte, aber auch das natürlich nicht in einer dem Gewöhnlichen entsprechenden Art. Es konnten wohl nur genial veranlagte oder sehr vornehm gesinnte Menschen an diesem Unterrichte Gefallen finden. So hat er denn auch an einigen adligen Damen – der Gräfin Thun, der Frau von Trattner, der Gräfin Rumbeck, Gräfin Zichy, den Kindern des Hauses von Jacquin – treue Schüler gehabt; Fürst Karl Lichnowsky und Graf August Hatzfeld wurden aus Schülern zu wahren Freunden. Dann hat ein hochbegabter Knabe wie Johann Nepomuk Hummel von ihm außerordentlich viel gelernt, weil er der Art Mozarts nahekam. Andere haben wieder seine Gutmütigkeit ausgenutzt, kamen für einige Stunden zu ihm, in denen er ihnen dann, wie wir es etwa von Fräulein Aurnhammer oder dem berühmten Arzt Joseph Frank wissen, am liebsten vorspielte, wovon sie natürlich auch als bereits fertige Spieler den meisten Nutzen hatten. Wir haben auch Zeugnisse genug dafür, wenn wir es nicht schon aus seinem Charakter schließen konnten, daß er eher vom Unterrichtnehmen abriet, als daß er jemanden ermunterte. So ist es dann dahin gekommen, daß er im Notjahre 1790 froh gewesen wäre, wenn er Schüler bekommen hätte. Man rechnete also offenbar mit ihm als Lehrer gar nicht mehr.
Wenn er aber so niemals – wir wiederholen, nach eigenem Wunsche – zu den gesuchten Klavierlehrern gehört hat, so hat er durch einige Jahre als Klavierspieler höchste Volkstümlichkeit genossen. Sein Vater hatte ihn vor dem Wankelmut der Wiener gewarnt. Darauf hat ihm Wolfgang am 2. Juni 1781 geantwortet: »Die Wiener sind wohl Leute, die gern abschießen, – aber nur am Theater; und mein Fach ist zu beliebt hier, als daß ich mich nicht soutenieren sollte. Hier ist doch das Klavierland! – Und dann, lassen wir es zu, so wäre der Fall erst in etlichen Jahren, eher gewiß nicht, unterdessen hat man sich Ehre und Geld gemacht.« Bis auf die letzte Bemerkung hat Wolfgang in diesem Falle seinem Vater gegenüber recht behalten. So oft er als Klavierspieler öffentlich aufgetreten ist, haben ihn die Wiener mit Beifall überschüttet. Die eigentliche Konzertzeit war die Fastenzeit, weil da die Theater geschlossen waren. In ihr fanden auch die meisten musikalischen Gesellschaften in Privathäusern statt. Am 3. März 1782 hatte er das erste derartige Konzert gegeben. Sein Erfolg ermutigte ihn, für das nachfolgende Frühjahr sich mit einem gewissen Philipp Jakob Martin zu zwölf Konzerten im Augarten und vier Nachtmusiken auf den schönsten Plätzen in der Stadt zu verbinden, die im Laufe des Sommers stattfinden sollten. Vom ersten Konzerte erfahren wir, daß es am 26. Mai gut ausgefallen war; die weiteren scheinen die darauf gesetzte Hoffnung doch nicht erfüllt zu haben. Dagegen war Mozart in der Fastenzeit 1783 sehr erfolgreich. Am 11. März hatte er seine Schwägerin Lange bei ihrer Akademie unterstützt und dabei als Komponist und Klavierspieler hervorragende Erfolge gewonnen. In seiner eigenen Akademie am 22. März waren denn auch »alle Logen besetzt und das Theater konnte nicht voller sein«. Die Einnahme dieses Konzertes wird in einem gleichzeitigen Bericht auf 1600 fl. geschätzt. Der Kaiser zeichnete ihn bei diesen Konzerten ganz auffällig aus. Für das Jahr 1784 hatte er drei eigene Akademien angekündigt, für die er schon 174 Subskribenten (zu sechs Florin) gewann, unter denen in der Tat die erlesenste Gesellschaft des damaligen Wien vollständig vertreten ist. Außerdem gab er zwei Akademien im Theater, für die er sich zwei große Konzerte und das Quintett für Klavier und Blasinstrumente schrieb, das außerordentlichen Beifall fand. Im folgenden Jahre, 1785, nahm Vater Mozart die Gelegenheit wahr, die Konzerttätigkeit seines Sohnes kennen zu lernen. Die Triumphe desselben, zumal die ausgesprochene Huldigung des Kaisers erfüllte ihn mit berechtigtem Erzieherstolze. Auch 1786 hat Mozart drei Subskriptionsakademien gegeben, für die er 120 Teilnehmer von vornherein hatte. Dazu kamen dann vier Akademien in der Adventszeit desselben Jahres, und im Januar 1787 hatte er bei einem Konzert in Prag die stattliche Einnahme von tausend Gulden.
Zu diesen öffentlichen Konzerten kam ferner die Mitwirkung in den Gesellschaftsakademien der vornehmen Welt. Vom Jahre 1783 haben wir einen Brief an den Vater, worin er ihm vorrechnet, daß er vom 26. Februar bis 3. April fünfmal beim Fürsten Gallizin, neunmal bei Esterhazy zu spielen habe. Da dazu noch drei Konzerte von Kapellmeister Richter und fünf eigene Akademien kamen, brauchte er freilich nicht zu fürchten, »außer Übung zu kommen«. Und der Vater berichtet vom Jahre 1785, daß in einem Monat seines Sohnes Flügel »wohl zwölfmal ins Theater oder zum Fürsten Kaunitz, Grafen Zichy usw. getragen worden sei«. Auch in seiner eigenen Wohnung veranstaltete Mozart in dieser Zeit an den Sonntagvormittagen Musikaufführungen, hauptsächlich natürlich für die Freunde, doch konnten gegen Entgelt auch fremde Musikliebhaber daran teilnehmen.
Ob Mozart in diesen Jahren zu viel öffentlich aufgetreten ist, ob das Wiener Publikum tatsächlich von solchem Wankelmut war, ist schwer zu entscheiden, jedenfalls ist es kaum begreiflich, daß nach so großartigen Erfolgen in den ersten Jahren wir nach 1787 nichts mehr von öffentlichen Konzerten hören. Und doch kann diese Zurückhaltung kaum auf freier Entschließung beruht haben, denn es wäre für Mozart doch das einfachste Mittel gewesen, sich durch Konzerte aus der drückenden Not der letzten Jahre zu befreien. In einem Briefe an Puchberg vom 12. Juli 1789 findet sich die Stelle, daß er »ungeachtet seiner elenden Lage sich entschlossen habe, bei sich Subskriptionsakademien zu geben, um doch wenigstens die dermalen so großen und häufigen Ausgaben bestreiten zu können ... Aber auch dies gelinget mir nicht; mein Schicksal ist leider – aber nur in Wien – mir so widrig, daß ich auch nichts verdienen kann, wenn ich auch will; ich habe vierzehn Tage eine Liste herumgeschickt, doch da steht der einzige Name Swieten!« Jedenfalls hat in diesen letzten Jahren Mozart durch Konzertreisen nach außerhalb versucht, sich Hilfe zu schaffen; allerdings auch vergeblich.
Nach unseren heutigen Begriffen hätten für Mozart vor allen Dingen seine Kompositionen ertragreich sein müssen. Aber sein Leben fällt auch hier gerade in eine Übergangszeit. Der Musikalienhandel hat sich noch etwas später als der Buchhandel entwickelt. Wohl war ja auch das Buch nicht sorgsam genug gegen Nachdruck geschützt; immerhin wußten, wie uns aus den Verlagserfahrungen unserer Klassiker bekannt ist, große Verleger neben dem eigenen auch ihrer Anbefohlenen Vorteil zu wahren, und vor allen Dingen waren wenigstens die Verkaufseinrichtungen bereits weit entwickelt. In der Musik war aber das Hauptverbreitungsmittel immer noch die Abschrift. Da bedurfte es dann natürlich einer strengen Aufsicht, wenn der Komponist vermeiden wollte, daß andere als von ihm bezogene und somit ihm bezahlte Abschriften in den Handel kamen. Mozarts Sache war eine solche Aufsicht jedenfalls nicht. Vieles hat er ja überhaupt aus Gefälligkeit für Freunde, Schüler und Künstler komponiert. Das ging dann leider durch unberechtigte Abschriften weiter. Nur mit seinen Klavierkonzerten, die er sich für das eigene Auftreten sichern wollte, war er so vorsichtig, daß er auf Reisen nur die Orchesterstimmen mitnahm, vom Klavierpart aber eine bloß andeutende Niederschrift, aus der er allein klug wurde. Was vornehmen Gönnern gewidmet war, wurde natürlich auch entsprechend honoriert. Für das erste der Friedrich Wilhelm II. 1789 gewidmeten Quartette erhielt er eine kostbare goldene Dose mit hundert Friedrichsdor, für das Requiem wurden fünfzig Dukaten im voraus bezahlt. Daß seine noble Gutmütigkeit gelegentlich auch von sehr hochgestellten Leuten mißbraucht wurde, geht aus jenem Erlebnis mit einem polnischen Grafen hervor, von dem die Witwe berichtet. Dieser hatte Mozarts im März 1784 komponiertes Klavierquintett mit Blasinstrumenten gehört und war darüber so entzückt, daß er Mozart ersuchte, ihm gelegentlich ein Trio mit obligater Flöte zu schreiben. Kurz darauf schickte ihm der Graf hundert halbe Souverändor mit einem sehr verbindlichen Schreiben, so daß Mozart das Geld als Geschenk betrachten konnte. Als Gegengabe überwies er dem Grafen die Originalpartitur des Quintetts und rühmte noch überall den Edelmut dieses Gönners. Ein Jahr später kam dieser zu Mozart und erkundigte sich nach dem Trio. Mozart entschuldigte sich, daß er sich noch nicht aufgelegt gefühlt habe, etwas des Grafen Würdiges zu komponieren. »So werden Sie sich wohl auch nicht aufgelegt fühlen,« erwiderte der Graf, »mir die hundert halben Souverändor wiederzugeben, die ich Ihnen dafür vorausbezahlt habe.« Trotzdem ihm hier offenbares Unrecht geschah, zahlte Mozart das Geld, so schwer es ihm fiel, zurück. Der Graf aber behielt die Partitur des Quintetts, das bald darauf ohne Mozarts Zutun als Quartett für Klavier mit Streichinstrumenten in Wien gestochen wurde. Auch für dieses Benehmen hatte er nur das eine Wort: »Der Lump!«
Von Verlegerhonoraren wissen wir nur den einen Fall, daß für die Joseph Haydn gewidmeten Quartette von Artaria hundert Dukaten bezahlt worden sind; für damalige Verhältnisse ein ansehnliches Honorar. Im allgemeinen bedeuteten Mozarts Werke damals kein Verlagsgeschäft, wie aus der Tatsache hervorgeht, daß auch sein Logenbruder Hofmeister eine kontraktlich vereinbarte Folge von Klavierquartetten nach dem Erscheinen der zwei ersten eingestellt und lieber das vorausbezahlte Honorar im Stich gelassen hat, weil das Publikum die Werke zu schwer fand und nicht kaufen wollte. So erschien zu Lebzeiten Mozarts das meiste auf seine eigenen Kosten gegen Subskription, wobei dann natürlich von einem eigentlichen Überschuß nur selten die Rede sein mochte. Später haben gerade Mozarts Werke zur Hebung des deutschen Musikalienhandels viel beigetragen, und bereits Beethoven sah sich ganz anderen Verhältnissen gegenüber. Auch die Opernkompositionen brachten im Verhältnis zu heute verschwindend wenig ein. Ein festes Honorar von hundert bis zweihundert Dukaten und allenfalls eine Benefizvorstellung war das höchste. Die Weiterverbreitung der Opern auf andere Bühnen pflegte dem Komponisten in der Regel nichts einzubringen. Natürlich wußten auch hier geschäftskundige Leute wenigstens aus dem Verkauf der Partitur etwas herauszuschlagen. Aber ein Geschäftsmann ist Mozart eben nicht gewesen.
Sein Vater, der doch gewiß für Einnahmen und Lebensweise ein scharfes Auge hatte, schrieb von seinem Aufenthalt in Wien aus an die Tochter am 19. März 1785: »Ich glaube, daß mein Sohn, wenn er keine Schulden zu bezahlen hat, jetzt zweitausend Florin in die Bank legen kann; das Geld ist sicher da, und die Hauswirtschaft ist, was Essen und Trinken betrifft, im höchsten Grad ökonomisch.« Dem Vater wäre es ja gewiß auch gelungen, in den ersten fetten Jahren so viel beiseitezubringen, daß er über die mageren hinweggekommen wäre, so daß nachher das gewiß nicht übermäßige feste Gehalt von achthundert Gulden, das Mozart seit 1788 vom Kaiser bezog, ausgereicht hätte, einen geordneten Haushalt durchzuführen. Wir wissen, wie sehr der Vater sich in seiner guten Meinung täuschte. Wolfgangs Hausstand ist aus einer stets schwankenden Künstlerwirtschaft nie hinausgekommen und später immer elender geworden. Nach seinem Tode haben die Nekrologe ihm darüber schwere Vorwürfe gemacht und die von den Schwatzmäulern herumgetragenen Gerüchte über seine Verschwenderei festgelegt. Sie sind zum mindesten so weit übertrieben gewesen, wie die Nachricht von seinen Schulden, die man auf 30 000 Florin angab, während die Witwe den Kaiser Leopold dahin aufklärte, daß sie mit 3000 Florin alles sehr gut berichtigen könnte. Und damit sei dieser wenig erquickliche Gegenstand verlassen. Gewiß ist das Gefühl peinlich, daß ein so einzigartiger Künstler nicht den Lohn von der Welt erhielt, den diese tausend Kleineren willig gab. Aber die Schuld daran wollen wir weniger bei Personen, sondern in den Verhältnissen suchen: den allgemeinen sozialen und den besonderen Lebensumständen dieses Künstlers, die ihn nicht dazu gelangen ließen, die Früchte zu ernten, die doch auch für ihn heranreiften. Denn die ihm kontraktlich zugesicherte, mit zweitausend Gulden ausgestattete Kapellmeisterstelle an der Stephanskirche wurde 1793 frei; Mozart wäre dann 38 Jahre alt gewesen.
Erfreulicher als in ökonomischer Hinsicht sind Mozarts Verhältnisse nach der Seite des
sozialen Verkehrs.
Gerade bei seiner Natur war aber das für ihn besonders wichtig. Dem Verhältnis zu seinem ältesten Freunde, zum Vater, den früheren schönen Einklang wiederzugeben, hat sich Mozart allerdings umsonst bemüht. Der alternde Mann hätte vielleicht den eigenmächtigen Austritt aus des Erzbischofs Diensten dem Sohne verziehen; mit der Ehe aber konnte er sich nie befreunden. Wolfgang erwartete zuversichtlich, daß es nur der persönlichen Bekanntschaft mit seiner Konstanze bedurfte, um auch die daheim für sie einzunehmen. So betrieb er die baldige Reise nach Hause und suchte vor allem durch einen lebhaften Briefwechsel Teilnahme für seinen jungen Hausstand zu wecken. Aber der Besuch verschob sich aus vielerlei Gründen, so daß der Vater dahinter sogar Absicht witterte. Selbst Konstanzens erste Entbindung am 17. Juni 1783 ging noch vorüber, bevor sie sich Ende Juli 1783 auf den Weg machten. Mozart hatte in seinem Herzen das Versprechen getan, in Salzburg eine neu komponierte Messe aufzuführen, wenn er mit seiner Konstanze dorthin komme. Seine Frau hat bei der Aufführung derselben die Sopranpartie gesungen. Auch sonst war er in Salzburg mannigfach tätig, beriet mit dem Textdichter seines »Idomeneo« eine neue Oper, schrieb für den erkrankten Michael Haydn die diesem vom Erzbischof auferlegten Duette für Violine und Bratsche, knüpfte auch sonst allerlei alte Bande wieder fester. Aber der Hauptzweck, um dessentwillen er die Reise unternommen, gelang ihm nicht. Äußerlich wurde ein erträgliches Verhältnis mit Konstanze hergestellt; das innere Mißtrauen aber war zu groß, als daß es sich hätte überwinden lassen. Mozart empfand diese Enttäuschung sicher sehr schmerzlich, und es bezeugt seine Herzensgröße, daß er in sich gegen den Vater nie eine bittere Stimmung aufkommen ließ, auch nicht, als dieser ihm bei seinen Reiseplänen jegliches Entgegenkommen verweigerte. Dabei war diese Zurücksetzung um so schwerer zu verwinden, als der Vater der seit August 1784 verheirateten Tochter seine Liebe so tatkräftig bezeugte, daß Wolfgang das Wohl als ein Auftrumpfen gegen ihn hätte ansehen können. Mußte sie doch ihr Wochenbett in des Vaters Haus abhalten, der auch ihr Kind fast immer um sich hatte, wogegen er Wolfgang die Aufnahme seiner Kinder während der Englandreise so schroff abschlug. Freilich war die Heirat der Tochter mit dem Herrn von Sonnenberg sicher mehr nach dem Herzen des Vaters. Viel Glück hat sie allerdings in ihrer Ehe nicht gefunden.
Auch der Besuch des Vaters in Wien vom 10. Februar bis 25. April 1785 vermochte das menschliche Verhältnis nicht mehr so innig zu gestalten, wie es früher war, so sehr sich Leopold in den Erfolgen seines Sohnes sonnte. Die größte Freude war ihm da sicherlich, als ihm Haydn, den Mozart gleich zwei Tage nach des Vaters Ankunft zum Quartettspiel eingeladen hatte, versicherte: »Ich sage Ihnen vor Gott als ein ehrlicher Mann, Ihr Sohn ist der größte Komponist, den ich von Person und dem Namen nach kenne; er hat Geschmack und überdas die größte Kompositionswissenschaft.« Doppelt auffallend ist es unter diesen Umständen, daß es Wolfgang gelang, seinen Vater während dieses Aufenthaltes in Wien zum Eintritt in die Freimaurerloge zu bewegen, der er selber seit 1783 angehörte. Ob der Vater von diesem Schritte dieselbe Befriedigung empfunden hat wie der Sohn, entzieht sich unserer Kenntnis, da wir den Briefwechsel aus der folgenden Zeit nur in wenigen Bruchstücken erhalten haben, vermutlich, weil ihn der Vater gerade wegen der darin enthaltenen Stellen über Freimaurerei vernichtet hat. Diese schöne Wiener Zeit war das letzte Beisammensein, das Vater und Sohn beschieden war. Der letztere mochte fühlen, daß der Vater mehr verlor und schwerer darunter litt, wenn er den alten Ton nicht mehr fand, als er selbst. Es ist bezeichnend, daß er, der dem Sohne gegenüber nicht mehr leicht herzliche Worte fand, in den Briefen an seine Tochter mit großer Freude jeden Erfolg Wolfgangs bespricht. Noch hat er die glänzenden Erfolge in Prag erlebt, über die ihn auch drei englische Künstler, die Geschwister Storace und der Sänger Kelly, echte Freunde Mozarts, auf der Durchreise in Salzburg berichten konnten. Bald danach fing er an zu kränkeln. Der Brief, den ihm Wolfgang am 4. April 1787, als die Kunde davon an ihm gelangte, schrieb, darf hier nicht fehlen: »Diesen Augenblick höre ich eine Nachricht, die mich sehr niederschlägt – um so mehr, als ich aus Ihrem Letzten vermuten konnte, daß Sie sich gottlob recht wohl befinden. – Nun höre ich aber, daß Sie wirklich krank seien! Wie sehnlich ich einer tröstenden Nachricht von Ihnen selbst entgegensehe, brauche ich Ihnen doch wohl nicht zu sagen; – und ich hoffe es auch gewiß – obwohl ich es mir zur Gewohnheit gemacht habe, mir immer in allen Dingen das Schlimmste vorzustellen. – Da der Tod (genau zu nehmen) der wahre Endzweck unsres Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Menschen so bekanntgemacht, daß sein Bild nicht allein nichts Schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel Beruhigendes und Tröstendes! Und ich danke meinem Gott, daß er mir das Glück gegönnt hat, mir die Gelegenheit (Sie verstehen mich) zu verschaffen, ihn als den Schlüssel zu unsrer wahren Glückseligkeit kennen zu lernen. – Ich lege mich nie zu Bette ohne zu bedenken, daß ich vielleicht (so jung als ich bin) den andern Tag nicht mehr sein werde, – und es wird doch kein Mensch von allen, die mich kennen, sagen können, daß ich im Umgang mürrisch oder traurig wäre, – und für diese Glückseligkeit danke ich alle Tage meinem Schöpfer und wünsche sie von Herzen jedem meiner Mitmenschen. – Ich habe Ihnen in dem Briefe, so die Storace eingepackt hat, schon über diesen Punkt (bei Gelegenheit des traurigen Todesfalls meines liebsten, besten Freundes, Grafen v. Hatzfeld) meine Denkungsart erklärt – er war eben 31 Jahre alt, wie ich. – Ich bedauere ihn nicht – aber wohl herzlich mich und alle die, welche ihn so genau kannten wie ich. – Ich hoffe und wünsche, daß Sie sich, während ich dieses schreibe, besser befinden werden; sollten Sie aber wider alles Vermuten nicht besser sein, so bitte ich Sie bei ... mir es nicht zu verhehlen, sondern mir die reine Wahrheit zu schreiben oder schreiben zu lassen, damit ich so geschwind, als es menschenmöglich ist, in Ihren Armen sein kann. Ich beschwöre Sie bei allem, was – uns heilig ist. – Doch hoffe ich, bald einen trostreichen Brief von Ihnen zu erhalten, und in dieser angenehmen Hoffnung küsse ich Ihnen samt meinem Weibe und dem Karl tausendmal die Hände und bin ewig Ihr gehorsamer Sohn.«
Danach mußte auch der Vater die Überzeugung haben, daß sein Sohn, den er immer so gern als Kind weiter gehegt hätte, in jeder Beziehung ein vollwertiger Mann geworden war. Am 28. Mai 1787 ist dann Leopold gestorben. Damit war das letzte Band, das Wolfgang mit Salzburg verknüpfte, zerrissen, denn das Verhältnis zur Schwester ist immer mehr erkaltet. Mannigfache Erbschaftsstreitereien, hauptsächlich um die Erinnerungszeichen von den Konzertreisen in der Jugendzeit, mögen diese betrübliche Entwicklung begünstigt haben.
Dagegen gewannen im Laufe der Jahre die Beziehungen zu den Familienmitgliedern in Wien. Das anfangs so schlechte Verhältnis mit der Schwiegermutter besserte sich, als diese beim ersten Kindbett »alles das Üble, was sie ihrer Tochter ledigerweise zugefügt hat, nun wieder mit allem Guten hereinbrachte«. Von Konstanzens Schwestern erwies sich die jüngste, Sophie, als treue Freundin und aufopfernde Pflegerin in den vielen Krankheitstagen. Auch mit der einst angebeteten Aloysia und ihrem Gatten Lange scheint sich rasch ein freundschaftlicher Verkehr angebahnt zu haben. Das Ehepaar lebte ja nicht glücklich, aber Lange scheint die Eifersucht, unter der er sonst so litt, auf Mozart nicht erstreckt zu haben, was jedenfalls ein gutes Zeichen für dessen Verhalten ist. Im übrigen stand gerade dieses Paar durch seine künstlerischen Fähigkeiten Mozart sehr nahe. Aloysia hatte sich als Sängerin immer glänzender entwickelt und gehörte zweifellos zu den größten Künstlerinnen ihrer Zeit; so bezeichnete Hufeland 1783 ihre Stimme als die schönste, die er je gehört habe. Lange war ein vielseitig gebildeter Mann und auch künstlerisch mannigfach begabt. Er zeichnete auch sehr gut; wir verdanken ihm u.a. das vorzügliche, unserem Buch vorangestellte Bild Mozarts, das diesen beim Schaffen darstellt. Auch Konstanzes älteste Schwester Josepha war eine treffliche Künstlerin, später die erste Königin der Nacht, und auch mit ihrem Manne Hofer, dem Geiger, hat sich ein echt freundschaftliches Verhältnis entwickelt.
Dieselbe stete Hilfsbereitschaft, die Mozart diesen Familienmitgliedern gegenüber bewahrte, erwies er auch anderen Künstlern, die ihn darum angingen. Nach Jahn gibt es wenigstens dreißig einzelne Arien, die Mozart für solche Anlässe komponiert hat. Dazu kamen viele Sonaten und auch ganze Konzerte. Er konnte einer Bitte um Hilfe wohl überhaupt nicht widersagen. Freilich mußten die Bittsteller sich dann gelegentlich auch gefallen lassen, daß er an ihnen seine Launen ausließ, wie etwa der aus Salzburg stammende Leutgeb, der ein ausgezeichneter Waldhornbläser, aber sonst nicht gerade ein Kirchenlicht gewesen zu sein scheint. Die Art des Schabernacks, den ihm Mozart gern spielte, zeigt, wie er in dieser Hinsicht zeitlebens ein rechter Kindskopf geblieben ist. Künstlerische Fähigkeiten haben ihn aber auch leicht über den Minderwert von Menschen hinweggetäuscht. So bei dem vollkommen verbummelten Klarinettisten Stadler, den er trotz wiederholten bösesten Vertrauensbruches nicht fallen ließ. Auch sonst hat er reichlich Undank erfahren. Vor allem von den Welschen, gegen die sich ja sicher bei ihm selber eine wachsende Bitterkeit festsetzte, denen er aber doch als Künstler in vornehmster Weise gegenübertrat. Dabei hätte er wohl Grund gehabt, diesen italienischen Komponisten wie Paesiello und Sarti gegenüber, die man in Wien an denselben Stellen mit Ehren und Geld überhäufte, die gegen ihn immer so knauserig waren, Zorn und Neid zu empfinden. Freilich hielt er mit seiner künstlerischen Meinung nie zurück. Franz Niemetschek sagt in seiner bereits 1798 erschienenen Biographie: »Verstellung und Schmeichelei waren seinem arglosen Herzen gleich fremd, jeder Zwang, den er seinem Geiste antun mußte, unausstehlich. Freimütig und offen in seinen Äußerungen und Antworten, beleidigte er nicht selten die Empfindlichkeit der Eigenliebe und zog sich dadurch manchen Feind zu.« Das um so eher, als er mit seinen Urteilen nicht zurückhielt und die in sehr witziger, oft das Gehaben der betreffenden Personen köstlich karikierender Art vorbringen konnte. Die italienischen Sänger mochten seine Sachen nicht, da sie ihnen zu schwer waren, und Mozart nicht darauf einging, ihnen mit den kleinen Mätzchen, durch die sie das Publikum fingen, aufzuwarten. Er seinerseits behauptete von ihnen, daß sie keine rechte Methode hätten, »sie jagen oder trillern und verschnörkeln, weil sie nicht studieren und keinen Ton halten können«. Überhaupt waren seine Sachen dem Zeitgeschmack ungünstig, wie aus einer Briefstelle an den Vater hervorgeht, wo er sich an die Vertonung eines Bardengesanges von Denis machte, der den Sieg der Engländer bei Gibraltar verherrlichte. »Die Ode ist erhaben, schön, alles, was Sie wollen, allein zu übertrieben schwülstig für meine feinen Ohren. Aber was wollen Sie! – Das Mittelding, das Wahre in allen Sachen kennt und schätzt man jetzt nimmer; um Beifall zu erhalten, muß man Sachen schreiben, die so verständlich sind, daß es ein Fiaker nachsingen könnte, oder so unverständlich, daß es ihnen, eben weil es kein vernünftiger Mensch verstehen kann, gerade eben deswegen gefällt.«
So scharf aber Mozart zu kritisieren pflegte, wirklicher Begabung gegenüber hielt er mit seiner Anerkennung nie zurück. Den bekannten Klavierspieler Leopold Kozeluch, der über alle Maßen eingebildet war, hat er sich durch seine Parteinahme für Haydn zum erbitterten Feinde gemacht. Haydn war damals ja noch nicht der allgemein anerkannte Komponist. Kaiser Joseph wollte von ihm nichts wissen, und auch sonst scheint den Leuten, die mit ihrem Geschmack prahlten, der Humor Haydns nicht aufgegangen zu sein; das waren für sie gewöhnliche Späße. Wie Mozart Haydn verehrte, das bekundet am schönsten die Widmung, mit der er ihm seine Quartette zu Füßen legte. »Meinem teuren Freunde Haydn. Wenn ein Vater beschlossen hat, seine Söhne in die weite Welt zu schicken, so sollte er sie, meine ich, dem Schutz und der Führung eines hochberühmten Mannes anvertrauen, der durch ein gütiges Geschick unter seinen Freunden der beste ist. So, Mann des Ruhmes und teuerster Freund, bringe ich hier meine sechs Söhne. Sie sind, das ist wahr, die Frucht einer langen und mühevollen Arbeit; allein die Hoffnung, welche mir mehrere Freunde machten, dieselbe wenigstens zum Teil belohnt zu wissen, gibt mir Mut und überredete mich, daß diese Werke mir eines Tages zum Troste gereichen werden. Du selbst, teuerster Freund, bewiesest mir bei Deinem letzten Aufenthalte in dieser unserer Hauptstadt Deine Zufriedenheit. Dieses Urteil beseeligt mich über alles, und deshalb empfehle ich sie Dir und gebe mich der Hoffnung hin, daß sie Dir Deiner Gunst nicht ganz unwürdig erscheinen. Nimm sie also gütig auf und sei ihnen Vater, Führer und Freund. Von diesem Augenblicke an übertrage ich Dir meine Rechte über sie und bitte Dich, nur die Fehler, die mir das schonende Auge des Vaters verborgen haben mag, mit Nachsicht zu betrachten und auch trotz derselben Deine großmütige Freundschaft mir zu bewahren, die ich so sehr hochschätze. Derweilen ich von ganzem Herzen bleibe Dein aufrichtigster Freund W. A. Mozart.« Daß diese Widmung eines so kerndeutschen Musikers an einen ebenso deutsch empfindenden Künstler in italienischer Sprache gedruckt wurde, ist auch ein bezeichnendes Kulturbildchen. Ebenso freudig erkannte Haydn Mozarts Genie an. Für ihn war Mozart »der größte Komponist, den die Welt jetzt hatte«. Und er empörte sich, daß der jüngere Kunstgenosse die Anerkennung nicht fand, die ihm gebührte. »Denn könnte ich jedem Kunstfreund, besonders aber den Großen, die unnachahmlichen Arbeiten Mozarts so tief und mit einem solchen musikalischen Verstande, mit einer so großen Empfindung in die Seele prägen, als ich sie begreife und empfinde, so würden die Nationen wetteifern, ein solches Kleinod in ihren Ringmauern zu besitzen.« Mozart selber hat wenigstens einmal Gelegenheit gehabt, mit dem großen Fortsetzer seines Werkes, Beethoven, zusammenzutreffen, als dieser, siebzehnjährig, auf kurze Zeit nach Wien kam. Er wurde zu Mozart geführt und spielte diesem etwas vor. Da Mozart das für ein eingelerntes Paradestück hielt, lobte er nur kühl. Beethoven, der den Grund ahnte, bat darauf um ein Thema, über das er fantasieren wolle. Schon damals spielte der junge Titane nie besser, als wenn er gereizt war, und so nahm auch jetzt Mozarts Spannung stetig zu, bis er endlich zu den im Nebenzimmer harrenden Freunden ging und ihnen sagte: »Auf den gebt acht, der wird einmal in der Welt von sich reden machen.« So ist es eine schöne Tatsache, daß, wenn auch die Kleinen oft neidisch sich erwiesen, die Großen untereinander sich zu schätzen wußten.
Erfreulich ist es auch, daß die gesellschaftlich Großen dieser Zeit gerade diesen großen Künstlern gegenüber ein schönes menschliches Verhältnis zu gewinnen wußten. Mozart hat nirgendwo eine so freundliche Aufnahme gefunden wie in den vornehmen Wiener Familien, in denen ihm doch offenbar auch niemals seine häusliche Mißwirtschaft geschadet hat. Die Gräfin Thun wird allerseits als eine der geistreichsten und liebenswürdigsten Frauen des damaligen Wien genannt. Die Freundschaft, die sie von Anfang an mit Mozart verband, übertrug sich auf ihren Schwiegersohn, den Fürsten Karl Lichnowsky. Brennpunkte des musikalischen Lebens waren die Käufer des Hofrats Greiner, des Geheimrats v. Keeß, der Geschwister Martinez. Überall war Mozart gern und häufig gesehener Gast. Er war ja unermüdlich im Spielen und konnte, wenn er erst warm geworden, nicht so leicht aufhören, verlangte allerdings seinerseits größte Aufmerksamkeit und wußte sich für den Mangel derselben auf launige Art zu rächen. Sehr wohl hat sich Mozart vor allem im Hause des berühmten Botanikers Freiherrn v. Jacquin gefühlt, zu dessen Sohn Gottfried er das Verhältnis eines beratenden älteren Freundes fand. Wertvolle musikalische Anregung verschaffte ihm aber vor allen Dingen der Verkehr mit dem Baron Gottfried van Swieten, der nicht frei von menschlichen Schwächen war, Mozart auch kaum werktätige Hilfe erwiesen hat, ihm aber in ungeahntem Maße künstlerisch nützte, da er ihn mit den norddeutschen Meistern, voran mit Bach und Händel, bekanntmachte.
Das starke Freundschaftsbedürfnis, das Mozart empfand, hat dann wohl auch dazu beigetragen, daß er in Wien dem eben neu aufblühenden Freimaurerorden beitrat. Es ist hier nicht der Ort, die strittige Frage über den Wert der Freimaurerei zu behandeln. Tatsache ist, daß damals in Wien die hervorragendsten Männer dem Bunde angehörten; daß man in diesem das beste Mittel zur Pflege tiefdringender Herzens- und Geistesbildung sah; daß Wolfgang wie sein streng katholischer Vater die Zugehörigkeit mit ihrem kirchlichen Glauben vereinbar hielten. Tatsache, daß Mozart bis ans Lebensende ein eifriges Mitglied der Loge geblieben ist, wie auch die Trauerrede, die in der Loge auf ihn gehalten wurde, bezeugt, wo es heißt: »So sehr es die Billigkeit erfordert, seine Fähigkeiten für die Kunst in unser Gedächtnis zurückzurufen, ebensowenig müssen wir vergessen, ein gerechtes Opfer seinem vortrefflichen Herzen zu bringen. Er war ein eifriger Anhänger unseres Ordens; Liebe für seine Brüder, Verträglichkeit, Einstimmung zur guten Sache, Wohltätigkeit, wahres inniges Gefühl des Vergnügens, wenn er einem seiner Brüder durch seine Talente Nutzen bringen konnte, waren Hauptzüge seines Charakters – er war Gatte, Vater, Freund seiner Freunde, Bruder seiner Brüder – nur Schätze fehlten ihm, um nach seinem Herzen Hunderte glücklich zu machen.«