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Mozart muß trotz seiner jungen Jahre dem hervorragenden Musikerkreise in Mannheim einen sehr nachhaltigen Eindruck gemacht haben. Obwohl er weder in Mannheim noch nachher in Paris zu bedeutenden Arbeiten Gelegenheit gefunden hatte, trauten ihm doch offenbar alle die Fähigkeit zu einer großen dramatischen Komposition zu. Nun war dieser Musikerkreis mit dem Hofe Karl Theodors nach München übergesiedelt in größere und auch äußerlich glänzendere Verhältnisse. Jetzt nach Jahr und Tag war es den vereinten Bemühungen der Cannabich, Raaff, Ramm, Wendling usw. gelungen, alle Bedenken der Hofkreise – den Intendanten Graf Seeau hatten sie »wie Wachs zusammengeschmolzen« – zu überwinden: Mozart wurde mit der Komposition der Opera seria » Idomeneo« für den Karneval 1781 betraut. Es war das in der Tat ein großes Vertrauensstück. Mozart war in den letzten Jahren hauptsächlich mit Instrumentalwerken hervorgetreten. Die »Zaide« war unbekannt, auch von der Musik zu »König Thamos« wird man in München wohl kaum etwas gehört haben; so blieben hier nur die Arien für Aloysia Weber, die diese sicher in Hofkonzerten vorgetragen hat, und die Erinnerung an den Erfolg der » Finta giardiniera«, der auch bereits sechs Jahre zurücklag. Aber das war eine komische Oper gewesen, jetzt wollte man eine heroische Oper großen Stils haben, wobei auch wieder in Betracht kam, daß man in deutschen Landen, zumal an diesem Münchener Hofe, der früher in Mannheim eine deutsche Nationaloper zu begründen bestrebt gewesen war, doch mit einer Opera seria der überkommenen Art kaum zufrieden gewesen wäre. Die Tätigkeit Holzbauers, Schweitzers, Glucks, die starke Einwirkung des Melodramas, die in der damaligen Welt einzig entwickelte Fähigkeit des Orchesters endlich, mußten hier die künstlerischen Ansprüche zu einer Höhe gehoben haben, wie kaum an einem anderen Orte. Es bedeutet darum ein doppeltes Vertrauen und eine unbedingte Anerkennung des Genies des fünfundzwanzigjährigen Salzburger Komponisten, wenn man die ganze Saison eines Jahres auf ein Werk von ihm stellte. Andererseits mochte man auch gerade ihn für besonders geeignet halten, eine Oper zu schaffen, die jenseits des ästhetischen Streites lag.
Wir wenden zu gern für die Beurteilung der Kulturverhältnisse der Vergangenheit die aus den heutigen Zuständen gewonnenen Anschauungen an. Nun sind wir aber gerade über das geistige Leben Münchens in dieser Zeit sehr schlecht unterrichtet; die Zeitungen geben uns so gut wie gar nichts, auch fehlt es an irgendwelchen bedeutenden Memoiren aus diesen Kreisen. Hervorragende Schriftsteller fanden sich damals in der Hauptstadt Bayerns nicht, dessen Hof seine ganze Kunstliebe der Musik und der bildenden Kunst zuwandte. So besitzen wir für die Begebnisse, die wir zu schildern haben, als einzige ergiebige Quelle den Briefwechsel zwischen Wolfgang und seinem Vater. Es ist natürlich, daß dieser sich gerade auf die innersten Fragen nicht erstreckt; die konnten bei dem fast ununterbrochenen Beisammensein gesprächsweise erledigt werden. Allerdings, auch wenn Wolfgang von den ästhetischen Problemen in stärkerem Maße ergriffen worden ist, so hat er jedenfalls dafür bei seinem Vater nicht viel Widerhall gefunden. Leopold Mozart war eine konservative Natur, ein Mann, dem gerade für alles Geistige und Seelische in der Kunst der Erfolg ausschlaggebend war, während er als vorzüglich geschulter Musiker hinsichtlich der Urteilsfähigkeit der Masse über technische Dinge recht gering dachte. Aber dieses Technische, oder sagen wir, die formale Auffassung der Musik war bei ihm so herrschend, daß ihn die Probleme des Verhältnisses zwischen Musik und Dichtung sicher kaum berührt haben. Das überrascht zunächst bei einem so grundgescheiten Manne und so gewissenhaften Pädagogen. Erst recht wenn wir bedenken, daß er Zeitgenosse (L. M. 1719–1787) von Gluck (1714–1787) und Lessing (1729–1781) war, daß in die Kindheit seines Sohnes die heftigen Reformkämpfe Glucks in Wien (Orpheus 1762, Alceste 1767) fielen, denen sich der erbitterte Kampf um die Oper in Paris anschloß. Dazu kamen dann jene Bestrebungen um eine deutsche Nationaloper, die Versuche mit dem Melodrama, das Singspiel, der ungeheure Aufschwung, den die deutsche Dichtung in dieser Zeit nahm: kurz, es war eine Zeit, in der nicht nur das Kunstschaffen aufs höchste erregt war; vielmehr war auch die Behandlung ästhetischer Fragen für alle künstlerisch veranlagten Menschen geradezu zur Notwendigkeit geworden, was sich auch aus der Tatsache ergibt, daß auch unsere hervorragenden Dichter sich ausgiebig mit ästhetischen Problemen beschäftigten.
Aber wir wollen bedenken, daß Leopold Mozart in Salzburg lebte, einem kleinen, vom großen Verkehr völlig abgeschlossenen Städtchen, in dem der gute Schachtner mit seinen unfreiwillig komischen Versen allen Ernstes als Operndichter in Betracht kommen konnte. Das zu einer Zeit, als denn doch immerhin schier ein volles Menschenalter seit dem Erscheinen von Klopstocks »Messias« vergangen war; als bereits Lessings Dramen und Goethes »Götz« auf der Bühne standen; als derselbe Goethe neben Bürger den Wundergarten deutscher Lyrik erschlossen hatte. Von dem neuen geistigen Leben, das Nord- und Mitteldeutschland und auch die Südwestecke wie ein Sturm durchbrauste, kam doch nur ein ganz schwacher Luftzug bis in die Salzburger Alpen. Überdies wirkte auch noch die Scheidewand der Religion hemmend. Auch Wolfgang schreibt in einem Briefe an den Vater von den »lutherischen Komponisten«, wo er eigentlich die Norddeutschen meint.
Aber den Ausschlag gab doch, daß des sonst so regen Mannes musikalisches Empfinden einseitig formalistisch musikalisch war, auch dort, wo die Musik mit dem Worte verbunden auftrat. Auch hierin ist Leopold ganz das Kind der eben ablaufenden Periode. Und gerade nach der Richtung hin hat seine sonst so vortreffliche Erziehung Wolfgangs ihre einengenden Grenzen gehabt. Es fehlen die Ausdrücke, um das leicht genug zu sagen, da es ja an sich fast vermessen ist, gegenüber der wunderbaren Entfaltung Wolfgangs, seinem ungeheuren Reichtum, noch von unerfüllten Wünschen sprechen zu wollen. Aber andererseits hat diese Einzigartigkeit Wolfgangs in Verbindung mit seinem frühen Tode doch auf die Musikgeschichte insofern irreführend gewirkt, als man sich daran gewöhnt hat, in dem von Mozart auf den verschiedenen Gebieten des damaligen musikalischen Strebens Geleisteten nicht nur etwas in sich Vollkommenes, sondern auch jeweils den Gipfel der betreffenden Richtung zu sehen. Man kümmert sich nicht darum, ob nicht manche wertvollen Anfänge ohne die rechte Fortsetzung geblieben sind. Gerade, wenn man Mozarts Gesamterscheinung als so einzigartig ansieht, wie ich es tue, hat man das Recht, auch die Grenzen seiner Wirksamkeit aufzudecken. Er wird nicht kleiner dadurch und bedarf zu seiner Ausnahmestellung in der Kunstgeschichte nicht der Verringerung der Verdienste und der Bedeutung anderer. Und auch seinem Vater wird niemand einen Vorwurf daraus machen, daß er, abseits der großen Entwicklungslinie der Kunst, nicht den höchsten Standpunkt fand. Erst recht nicht, wenn man seine äußeren Lebensumstände bedenkt, die ihm als nächste Lebensaufgabe seines geliebten Sohnes den Erfolg bei der Mitwelt, die glückliche äußere Lebenshaltung und Gestaltung erscheinen ließen.
Es ist aber sicher, daß er gerade nach dieser Richtung hin auf seinen Sohn später hemmend gewirkt hat; und vielleicht hat die stete Klage Wolfgangs über die engen Verhältnisse seiner Heimat, darüber, daß ihm alle Anregung an einem Orte wie Salzburg fehle, darin den Grund, daß er keine Gelegenheit zur Aussprache über jene künstlerischen Fragen fand, die ihn als so hervorragend musikdramatische Natur zweifellos aufs tiefste ergriffen haben. Man fühlt das ja doch auch aus seinen Briefen. Die Art, wie ihn der Gedanke an eine deutsche Oper in Mannheim zuerst sehr lebhaft begeistert, wie er dann in Paris doch wieder davon abkommt, indem die ganze Liebe zur italienischen Musiksprache wieder erwacht; die Art, wie er gegenüber den Kämpfen der Gluckisten und Piccinisten sich durch die Betonung der eigenen Persönlichkeit, durch unverkennbare Zurückhaltung und Beiseitestellen zu sichern strebt; wie er nachher vom Melodrama gepackt wird – das alles sind Zeichen dafür, daß ihn diese Fragen aufs heftigste bewegt haben. Das alles in einem Alter, das gerade für derartige Probleme recht empfänglich zu sein pflegt und sie leidenschaftlich vertritt. Aus der Tatsache, daß in seinen Briefen so wenig von allem steht, darf man keinesfalls den Schluß ziehen, daß ihn alles das wenig berührt habe; wohl aber wirkt die Tatsache beredt, daß der Vater in seinen Briefen auf die von Wolfgang »angeschnittenen« Themata nie eingeht. Dagegen möchte man aus der Tatsache, daß man in München gerade in dieser Zeit an Wolfgang als Schöpfer einer großen heroischen Oper dachte, schließen, daß in diesen Münchener Musikerkreisen die – doch jedenfalls aus dem mündlichen Verkehr – gewonnene Überzeugung bestand, Wolfgang würde die verschiedenen Richtungen auszunutzen, die Gegensätze auszugleichen wissen. Denn daß in diesen Musikerkreisen alle diese Fragen lebhaft erwogen wurden, unterliegt doch gar keinem Zweifel, zumal in Mannheim eine recht reformerische Kunstluft geweht hatte und man sich dort einer führenden Stellung nach der »Moderne« der Musik hin vollauf bewußt gewesen war.
Wolfgangs Heimat dagegen war von allen derartigen Strömungen frei. Dieses Salzburger Land war tatsächlich eine Provinz der italienischen Musik, wenigstens soweit Gesang in Betracht kam. An eine Auflehnung wider diese Herrschaft der italienischen Musik dachte hier keiner. Dagegen mochte es als ein besonderer Vorteil erscheinen, wenn man ihr von anders woher neue Kräfte zuführen konnte. Mozarts ursprüngliche Kunsterziehung und seitherige Entwicklung mußte diese Auffassung, daß eine Vermehrung der musikalischen Mittel die natürlichste Bereicherung auch der Oper sei, begünstigen.
Ich habe auf den Eingangsseiten dieses Buches ausgeführt, wie gerade infolge der außerordentlichen Frühreife Wolfgangs von ihm eigentlich der gesamte, damals lebendige musikalische Formbesitz in einem Alter aufgenommen wurde, das jede kritische Einstellung ausschloß. Er empfing einfach; er nahm alles auf, was ihm begegnete. Und irgendwie oder irgendwo wertvoll, lebensfähig und lebensberechtigt ist alles, was lebt, auch in der Welt der Kunst. Auch die später vollkommen erstarrte, ganz schulmäßige Form, auch alles, was in der Musik als geradezu mathematische Linienführung oder als rein technisches Figurenspiel erscheint, war einmal Ausdruck, war einmal als die Weise erschienen, wie ein gewisses Empfinden musikalisch am besten auszudrücken sei. Es gehört zum wunderbarsten in der Natur Mozarts, wie rasch, wie kampflos ihm alles Musikalische, dem er begegnete, zu eigen wurde. Das alles, wie gesagt, in einer Zeit, als er über die ästhetische Berechtigung solcher Formen, über ihre innere seelische und geistige Bedeutung nachzudenken gar nicht in der Lage gewesen wäre. So übernahm er sie kampflos, und da sie alle an sich betrachtet echt musikalische Äußerungen sind, konnten sie für seine urmusikalische Natur keine Widersprüche in sich tragen noch erzeugen. Vielmehr verwuchs das alles in ihm zu einer ihm allein gehörigen Einheit, aus der heraus er es dann nach Belieben verwendete: d.h. eben dort, wo es ihm das Natürlichste zu sein schien.
Das alles ist in dieser Form nur bei einem Musiker möglich gewesen. Es gibt bekanntlich nur auf dem Gebiete der Musik (und bezeichnenderweise noch der Mathematik) Wunderkinder, vor allen Dingen schöpferisch tätige Wunderkinder. Bei der Musik ist alles anders als bei den anderen Künsten. Die Reproduktion ist hier in einem Maße Vorbedingung zum Erleben, ja zum Leben der Musik, daß sich dazu bei anderen Künsten gar keine Parallele findet. Ohne daß sie erklingt, also reproduzirt wird, ist Musik als lebendiger Wert nicht vorhanden. Das Bildwerk, das Gebäude, sie alle stehen unverändert da, sind von jedem zu genießen, der an ihnen vorübergeht, der Augen hat. Die Dichtung ist so sehr mit den Kräften des Erkennens verbunden, dadurch daß ihr Material die Sprache, die Verdichtung unserer Erkenntnisse und Kenntnisse ist, daß auch ihr Gehalt, ihre Form ein für allemal feststeht. Nur die Musik bekommt das, was sie in die sinnliche Welt hineinbringt, erst durch den jeweils neu entstehenden Klang. Die Bedeutung der Reproduktion verleiht dieser etwas dem echt Schöpferischen Verwandtes, und es ließen sich nun sämtliche Stufen aufbauen, wie diese Reproduktion in musikalische Produktion übergeht. In jene Art Produktion nämlich, die Spielen mit »tönend bewegten Formen« ist. Hier zeigt sich wieder die Verwandtschaft der Musik mit Mathematik. Alle Komposition ist in gewisser Hinsicht eine stete Permutation von Tonverbindungen. Diese Tatsache wird ganz offenbar, wenn man die alte kontrapunktische Polyphonie ansieht; wenn man sich ins Gedächtnis zurückruft, daß die künstlerische Mehrstimmigkeit überhaupt dadurch entstanden ist, daß man zu einer gegebenen Melodie andere Melodielinien so » punctus contra punctum« setzte, so kontrapunktierte, bis eine Gefallen erregende Gesamtheit entstand. Grundsätzlich gibt es unendliche Möglichkeiten dieser Gegenstellung von Tönen zu einer gegebenen Linie, und dieses Variieren eines Gegebenen bildet bezeichnenderweise nur in der Musik eine ergötzende Kunstform.
Ich wollte durch diese Ausführungen dartun, wie es kommt, daß auf dem Gebiete der Musik schöpferisch Wertvolles auch von Menschen geleistet werden kann, die noch keinen eigenen Lebensinhalt besitzen, die selber dem Leben erst als Aufnehmende gegenüberstehen. Darauf beruht das, was wir Wunderkindschaft in der Musik nennen, wobei allerdings jene Wunderkindschaft, die sich musikschöpferisch äußert, weniger häufig ist als die der Virtuosenhaften Reproduktion. Aber immerhin ist sie nicht so selten, daß nicht jedes Zeitalter merkwürdige Beispiele dafür besäße. Dabei braucht die so entstehende Musik keineswegs bloßes Formspiel zu sein. Sie kann sehr gut Ausdrucksmusik sein, aber wohlverstanden Ausdruck eines typischen Empfindens, einer von den Kämpfen und Erfahrungen des Lebens noch unberührten, Empfindungsweise.
Der junge Mozart ist dafür das beste Beispiel. So wunderbar seine ganze Erscheinung ist, so ist es doch ganz selbstverständlich, daß auch ihm die Erfahrungen des Lebens erst in jenen Zeiten zuteil werden konnten, in denen die psychologischen und physiologischen Vorbedingungen dafür vorhanden waren. Er hat als Kind große Liebesszenen geschrieben, wo er nicht wissen konnte, was diese Liebe zwischen Mann und Weib bedeutet. Ja, es ist für die merkwürdige Entwicklung Mozarts sicher von höchster Bedeutung geworden, daß ihn nicht nur die sorgsame Hut des Elternhauses, sondern doch auch offenbar die eigene Veranlagung länger vor geschlechtlichen Wirrungen bewahrt hat, als das gerade bei Künstlern sonst die Regel ist. Jedenfalls ist der Zwanzigjährige in Mannheim eine in seltenem Maße nach der geschlechtlichen Seite hin unberührte Natur. Gerade das, was man vielleicht dagegen anführen könnte, die oft mehr als drastische Redeweise seiner Briefe, spricht für diese Unberührtheit; er weiß eigentlich da gar nicht, was er sagt. Nur so wirkte es damals und wirkt es noch heute für den genauer Zusehenden völlig harmlos. Auch das trotzige Jünglingsbewußtsein, das Verlangen nach Selbständigkeit, der Drang die eigene Persönlichkeit durchzusetzen, erwachte bei Mozart später, als man es sonst gewohnt ist. Das kommt so recht erst nach der Vollendung seines fünfundzwanzigsten Lebensjahres. Nun war gewiß auch danach seine Natur niemals das, was man als heldenhafte Persönlichkeit, als Tatmenschen bezeichnet; es fehlte ihm alles Titanische, Prometheische. Sein Wesen war Harmonie. Darin liegt ja der beglückende Zauber, den er auf uns ausübt. Auch er ist später in die Tiefen der Welt hinabgetaucht durch das Leid, das ihn zum Mitleiden erzog. Aber auch dann bezeichnenderweise so, daß dieses Leid nicht zur Zerrissenheit wurde. Auch jene Menschen, die er uns als Unglückliche vorführt, haben die Kräfte in sich, zur Harmonie des Lebens zu gelangen. Immerhin wollen wir nicht vergessen, daß die geistige und seelische Entwicklung Mozarts noch lange nicht zu Ende war, als ihn der Tod fällte. Wie wächst dieser Mann als Mensch in seinen Briefen der späteren Zeit, obwohl diese als Ganzes viel rascher hingeworfen, viel gleichgültiger geschrieben sind als jene, die er an den Vater gerichtet hat. Aber in einzelnen Sätzen offenbart sich mit der Ruhe des Selbstverständlichen manchmal eine Größe des Empfindens, eine Weite der Auffassung, die zeigt, daß in diesem Menschen die höchste Fähigkeit tragischen Erlebens vorhanden war. Sie ist nicht zur Entwicklung gekommen. Das Schicksal hat ihm ein Ähnliches beschieden, wie er den Gestalten seiner Kunst. Selbst das Tragische verklärt sich bei ihm zur Harmonie, und sein früher Tod wirkt gewiß traurig, aber nicht tragisch. Dazu ist das gelebte Leben zu reich, zu unsterblich in jeder seiner Betätigungen.
Aber eines bleibt bestehen: merkwürdig spät beginnt bei Mozart diese Art der geistigen und seelischen Einstellung zur Welt. Sonst sind die Jünglingsjahre die Zeit des Faustischen, Titanischen, Prometheischen. Und diesem Jünglingsalter entsprechend vollzieht sich diese Entwicklung dann als Sturm und Drang, als fröhlich zugreifender oder auch wild hin- und herzerrender Kampf. So wirft gerade dem Jüngling das Leben alle Probleme in Hirn und Herz, und er muß sich hindurchringen; darum wirkt auch die Jünglingsperiode der Künstler immer als Kampfzeit. Bei Mozart ist davon nichts. Wahrscheinlich beruht es darauf, daß er vermöge seiner Natur erst in verhältnismäßig späten Jahren das Leben problematischer nahm, daß ihm vor allen Dingen auf dem Gebiete der Kunst der Zwiespalt zwischen Form und Inhalt, auf dem doch letzterdings sonst alles bewußte Stilempfinden beruht, nicht vorhanden war. Er hat auch in späteren Jahren gegenüber dem Leben einen gewissen Fatalismus behalten, der, wenn auch in der Anlage bei ihm vorhanden, doch sicher durch die lange Fürsorge, aber auch Bevormundung des Vaters vermehrt worden ist. Und eines hat er auch dauernd behalten: daß er seine Kunst von diesem Leben freizuhalten strebte. Immer wieder kommen die Stellen, in denen er verlangt, daß man ihn mit traurigen Lebenserscheinungen und schweren Lebensfragen verschonen möge; er brauche ein heiteres Gemüt, um zu schaffen. Es ist das etwas geradezu Göttliches an ihm, dieses Schaffen aus der Freudigkeit heraus, aus Überfülle, aus Gebensdrang, so garnichts von jener Art wie Prometheus schafft: der gegen die Gottheit schafft.
Gerade so etwas Göttliches in ihm ist das Allumfassende alles Vorhandenen, und damit das Schaffen mit diesem Vorhandenen und aus diesem heraus. Das meint Wolfgang, wenn er sich seinem Vater gegenüber mit froher Zuversicht rühmte: »Ich kann, wie Sie wissen, aller Art Stil annehmen.« Man könnte eine derartige Anlage sonst auch als Tadel anführen, als einen Beweis für Unselbständigkeit und Unpersönlichkeit. Bei Mozart will es aber bedeuten, daß er in jedweder Form und mit jedweden Mitteln sich, d. h. eben Mozart, auszudrücken vermag. Seine ungeheure Bedeutung für die Entwicklung der Orchestertechnik, die Individualisierung jedes Instrumentes ist auf diese Weise zustande gekommen, daß er die Fähigkeit eines jeden Instrumentes ins Genauste kennen lernte, und wenn er für dieses Instrument schrieb, sich ihm gemäß musikalisch ausdrückte. Das sogar bei jenen Instrumenten, die er nicht leiden konnte. Andere Komponisten würden für solche Instrumente überhaupt nicht schreiben; Mozart nimmt den äußeren Anlaß, das zu tun, sehr wohl auf und schreibt dann für die Flöte oder Harfe durchaus dem Instrumente gemäß, so wie dieses eben imstande ist, die gestellte Aufgabe zu lösen.
Genau so ist sein Verhältnis zur Menschenstimme, wo ihm der einzelne Träger der Stimme als das Instrument gegenübertritt. Es gibt dafür auch in diesen Fällen gewissermaßen kein objektives Material des Ausdruckes, sondern nur ein subjektives. Dieser einzelne Sänger ist im vorliegenden Fall der Verkörperer der vom Drama vorgeführten Gestalt. Die Ausdrucksweise dieses im Drama stehenden Menschen ist natürlich bestimmt durch das betreffende Sängerindividuum. Wenigstens jetzt in der Zeit des »Idomeneo« steht er noch ganz auf diesem Standpunkt, der den überlieferten Verhältnissen der italienischen Oper entsprach, wo für ein ganz bestimmtes Ensemble an einer ganz bestimmten Bühne ein Werk geschaffen wurde. Mozart sagt es hier einmal selbst, daß die und die Arie für den Raaff ausgezeichnet sei, daß sie aber mehr den Worten entsprechend geworden wäre, wenn er sie für Zonca (einen anderen Sänger) geschaffen haben würde.
Es ist nun sehr bezeichnend, wie er über dieses ältere Verhältnis des Komponierens aus der Art des Instrumentes heraus (ob Instrument oder Menschenstimme, ist dabei gleichgültig) zu dem neueren Standpunkt fortschreitet, daß ihm alle diese Instrumente nur Ausdrucks-, nur Mitteilungsmittel sind für die innerlich gewonnene Gestaltung eines künstlerischen Inhalts. Er hat diesen Standpunkt durch seine Orchestertätigkeit gewonnen. Die Mitglieder des Mannheimer Orchesters waren so vollkommen, dieses Orchester war nach damaligem Begriff so voll besetzt, daß er hier das ideale Verhältnis gewinnt und auf diesem Orchester wie auf einem ihm zur Verfügung stehenden Instrumente spielt. Gleichsam wie auf einer Orgel, bei der jedes Instrument nur ein Register mehr ist, das er in dem Augenblick und nur in dem Augenblick herauszieht, in dem es ihm zur Vermittlung des Inhalts geeignet erscheint. Wir werden nachher kurz zu erwähnen haben, wie er keineswegs immer die Gesamtheit der ihm zur Verfügung stehenden Instrumente aufruft, sondern manche derselben nur für eine einzelne Szene, ja für wenige Takte zur Mitwirkung aufbietet. Also hier dem Orchester gegenüber ist er schon jetzt ganz selbstherrlicher Schöpfer, für den die Tonerzeuger weiter nichts sind, als die körperlichen Mittel zur sinnlichen Vermittlung eines geistig und seelisch Erfaßten aus seiner Persönlichkeit heraus an die Welt.
Nun, ein ähnliches Verhältnis liegt bei ihm auch gegenüber den verschiedenen Musikformen und Musikstilen vor. Mozart war eine urmusikalische Natur. So konnte für ihn die künstlerische Gestaltung eines Inhalts auch nur aus musikalischem Empfinden heraus erfolgen. Trat Musik und Dichtung in Verbindung, so sah er die Dichtung nur daraufhin an, wie weit sie ihm für Musik Gelegenheit bot, d. h. er suchte aus ihr heraus möglichst viel Musik zu gewinnen; niemals aber war für ihn eine Einstellung denkbar, wie sie Gluck von sich verkündigte, der vergessen wollte, daß er Musiker sei. Er empfand deshalb sehr Wohl einer Dichtung gegenüber, ob sie der Musik günstig sei oder nicht, und danach beurteilte er sie, lehnte sie ab oder erbat Änderungen. Denn selbstverständlich wäre es ihm wider die Natur gegangen, eine Musik zu schreiben, die »gegen die Worte« ging. Freilich kommt auch der Wunsch nach einer Dichtung vor: »wo ich nicht so sehr an die Worte gebunden, nur so ganz leicht auch fortschreiben kann« (8. November 1780). Da sollte die Dichtung also nur einen mehr allgemeinen Stimmungsausdruck festhalten, der ihm Freiheit für eine größere musikalische, in diesem Falle sinfonische Behandlung ließ. Niemals aber ist der urmusikalischen Natur Mozarts der Gedanke gekommen, daß die Musik nicht Endzweck sei, sondern nur ein Mittel, um eine Dichtung auszudrücken. Nein, seine Musik sollte das Leben selber ausdrücken und die Wortdichtung, das Operndrama, das ihm dargeboten wurde, war nur das Veranschaulichungsmittel dieses Lebensausschnittes. So sah er dann wohl die Dichtung daraufhin kritisch an, ob sie der Natur der gewählten Vorgänge entspreche. Er machte gewissermaßen dramaturgische Bemerkungen zum Text. Diese gingen so weit, daß er bei der »Entführung« am vorliegenden Singspiel Bretzners wesentliche Änderungen der szenischen Behandlung angab, um innerlich vorhandene musikalische Gelegenheiten auch äußerlich nutzbar zu machen. Dagegen dachte er nicht daran, selber in die eigentliche dichterische Gestaltung des Vorganges einzugreifen oder sich selbst einen Stoff zu suchen. Das war für ihn Sache des Textdichters, der ihm ein fertiges Buch unterbreitete, aus dem heraus er an Musik gewann, was irgendwie von innerer oder äußerer Musikgelegenheit geboten wurde. Er erfand also für jeden Charakter eine diesem entsprechende Musiksprache; ersuchte alle in der Dichtung vorgetragenen Gefühle musikalisch wahrhaft auszudrücken und nutzte, was an musikalischen Situationen irgendwie geboten wurde, aus.
Aber so fern es ihm einerseits lag, mit seiner Musik lediglich eine höhere Ausdrucksform des Wortes zu schaffen, so wenig dachte er andererseits daran, durch die Musik ein eigentlich dramatisch Neues hineinzubringen. Er wollte nicht in Tönen dichten, sondern er wollte bereits Gedichtetes musikalisch gestalten. Daraus erklärt es sich, daß Mozart nicht auf den Gedanken kommen konnte, daß die Oper einen besonderen Musikstil brauche. Wir haben kein einziges Zeugnis dafür, daß er in Glucks Tätigkeit etwas durchaus Neuartiges oder doch Grundsätzliches gesehen hätte. Er sah auch Glucks Opern lediglich als Musik an, empfand dabei als Bereicherung das ausdrucksvolle Rezitativ, die bedeutsame Gestaltung des Chores und die logische Eingliederung der Tänze aus dem Geschehen. Er konnte allerdings diese Eigenschaften auch anderswo finden. Dieses musikalische Vermögen übernahm er von Gluck mit der gleichen Selbstverständlichkeit, wie er sonst alle Stile und Musikformen in sich aufnahm. Und für Mozart bedeutete das genau so eine Vermehrung seiner musikalischen Ausdrucksmittel, wie etwa die Beobachtungen, die er bei der Orchestertechnik des Mannheimer Orchesters gemacht hatte, wie die Kenntnisnahme der Klarinette als Orchesterinstrument. In einem Augenblick, wo ihm das der natürliche Ausdruck der betreffenden Situation zu sein schien, wendete er es an.
Es liegt in dieser Art der Mozartischen musikalischen Erfindung, daß wir von einem Stilgemisch nicht reden können, daß Lied, Tanz, Rezitativ, Arie, Instrumentalsätze, Chöre, Ensembleformen der verschiedensten Art, obwohl eine jede vollkommen in sich geschlossen ist und vollkommen für sich dasteht, doch zu einem großen Ganzen zusammengehen. Diese ganze Musik ist eben Ausfluß einer einzigen Persönlichkeit, für die alle diese verschiedenen Kunstformen jeweils die wahrste und natürlichste Ausdrucksform einer Empfindung, eines Charakters, einer Situation sind. Diese Mozartische Persönlichkeit ist die zwingende Einheit in seinen Werken bei der Vielheit ihrer Gestaltung.
Sie bringt es auch mit sich, daß seine Opern eigentlich eine Stellung für sich einnehmen. Bezeichnenderweise beginnt ja die starke Wirkung der Mozartschen Oper erst geraume Zeit nach seinem Tode, als von dem Widerstreit zwischen italienischer, Gluckischer oder französischer Oper kaum mehr die Rede war. Ebensowenig hat die Wirkung der großen Meisterwerke Mozarts durch die spätere Entwicklung der Oper zum eigentlichen Musikdrama gelitten. Andererseits ist in der Folgezeit auch nichts geschaffen worden, was dieser Mozartischen Oper wirklich wesensverwandt wäre. Genau so, wie auch die Zeitgenossen Mozarts ihn eigentlich nirgendwo in eine Richtung einstellen konnten. Für die Italiener war er nicht italienisch, den Anhängern der Gluckischen Oper entsprach seine Art auch nicht; über das deutsche Singspiel wuchs, was er auf diesem Gebiete schuf, so weit hinaus, daß Dittersdorf diesen »hohen Aufschwung« in der komischen Oper ausdrücklich als stilwidrig tadelte. Mozarts Opern bedeuten an sich nichts für noch gegen alle diese Richtungen. Sie stehen neben denselben; genau so wie Mozart selbst, der als Jüngling in Paris bei dem heftigen Opernkampfe daselbst gar nicht fühlt, worauf es den Leuten ankommt. Er stellt sich nicht auf die Seite Glucks, nicht auf die der Franzosen, aber ebensowenig sieht er ein, weshalb Grimm ihn fortwährend zu Piccini schickt. »Er kann seine Sache und ich die meinige, damit basta!« So hat Mozart bereits in Kinderjahren in der Instrumentalmusik wie in der Oper die Grenzwände niedergelegt, die zwischen Komik und Tragik von jeher aufgerichtet waren. Für ihn gibt es das alles nicht; für ihn gibt es bloß Empfindung. Die ist bald heiter, bald ernst, ausgelassen und traurig. Aber nicht schroff geschieden, sondern in steter Mischung, nein, in vollkommen einheitlicher Verschmelzung, genau so wie im wirklichen Leben.
Es wird die Aufgabe des letzten Kapitels unseres Buches sein, Mozarts musikgeschichtliche Stellung auch hinsichtlich der Oper festzulegen. Aber schon aus dem Gesagten ergibt sich, daß es unrichtig ist, wenn man Mozart allgemein als » Abschluß der italienischen Oper« oder als » Erfüllung Glucks« bezeichnet. Gegen die erste Auffassung hat schon früher Chrysander (Allgemeine musikalische Zeitung, Jahrg. 1878 u. 1882) in seiner Untersuchung über »Mozarts Jugendopern« Stellung genommen. Neuerdings ist seine Auffassung durch Hermann Kretzschmar (Jahrbuch der Musikbibliothek Peters 1905) eindringlich begründet worden. Nur die Unkenntnis, in der wir uns seit einem Jahrhundert gegenüber den Werken der großen Perioden der italienischen Oper befanden, hat die Auffassung bestehen lassen können, daß Mozarts Werke den Gipfel der italienischen Opera seria darstellten. Diese großen Perioden waren schon beinahe vorbei, als Mozart auf den Plan trat, und die ganzen Verhältnisse brachten es mit sich, daß er sich jener Richtung anschloß, die in sich bereits den Verfall der Gattung bedeutete. Aber Mozart hat sich, nachdem er einmal zu selbständiger Künstlerschaft gekommen war, gar nicht mehr ernstlich um die Bebauung dieses Feldes bekümmert. Er war auch darin eine viel zu selbständige Natur, und was er schuf, lag abseits von dem bisher Angebahnten, trotzdem seine Opern italienische Texte haben und auch im äußeren Zuschnitt zur Gattung der italienischen Oper gehören.
Noch viel verkehrter ist es, etwa mit Oskar Fleischer, in seiner Mozartbiographie, zu sagen, daß Mozart mit seiner »sicheren Hand das ausgeführt habe, was Gluck gefordert und in Worten ausgesprochen hatte, aber nicht selbst vollkommen in Tönen zustande bringen konnte.« Nein, Mozart ist kein unmittelbarer Nachfolger Glucks, keineswegs sein Erbe; vielmehr haben die beiden, wie auch Willibald Nagel in einer Studie über »Gluck und Mozart« dargetan hat, nur wenige äußere und keine inneren Berührungspunkte. Man vergleiche nur die Forderungen, die Gluck an die Oper stellte (s. Kapitel 8) mit Mozarts Bekenntnis vom 13. Oktober 1781: »Bei einer Oper muß schlechterdings die Poesie der Musik gehorsame Tochter sein. – Warum gefallen denn die welschen komischen Opern überall? – mit all dem Elend, was das Buch anbelangt! – sogar in Paris, wovon ich selbst Zeuge war. – Weil da ganz die Musik herrscht und man darüber alles vergißt. Um so mehr muß ja eine Oper gefallen, wo der Plan des Stücks gut ausgearbeitet, die Worte aber nur bloß für die Musik geschrieben sind und nicht hier und dort einem elenden Reim zu Gefallen (die doch bei Gott zum Wert einer theatralischen Vorstellung, es mag sein, was es wolle, gar nichts beitragen, wohl aber eher Schaden bringen) Worte setzen oder ganze Strophen, die dem Komponisten seine ganze Idee verderben. Verse sind wohl für die Musik das Unentbehrlichste, aber Reime – des Reimens wegen – das Schädlichste. Die Herren, die so pedantisch zu Werke gehen, werden immer mitsamt der Musik zugrunde gehen. Da ist es am besten, wenn ein guter Komponist, der das Theater versteht und selbst etwas anzugeben imstande ist, und ein gescheiter Poet als ein wahrer Phönix zusammenkommen. Dann darf einem vor dem Beifall der Unwissenden auch nicht bange sein. Die Poeten kommen mir fast vor wie die Trompeter mit ihren Handwerkspossen! Wenn wir Komponisten immer so getreu unsern Regeln (die damals, als man noch nichts Besseres wußte, ganz gut waren) folgen wollten, so würden wir ebenso untaugliche Musik als sie untaugliche Bücheln verfertigen.«
Das sind grundverschiedene Welten. Demgegenüber haben einzelne Anklänge oder die Verwendung etlicher Errungenschaften Glucks durch Mozart nichts anderes zu bedeuten, als daß dieser sich eben alles zu eigen zu machen wußte, was ihm als gut erschien.
Es bleibt zu bedauern, daß Mozart sich nicht eingehender mit Glucks Auffassung von den Aufgaben der Oper beschäftigt hat. Denn seiner Natur hätte vor allem Glucks Auffassung, daß das Musikdramatische in der Betonung des Psychologischen liegt, zusagen müssen. Es ist natürlich müßig, sich auszumalen, wie dann wohl Mozarts weiteres Schaffen ausgefallen wäre. Aber sein » Idomeneo« würde dann auch noch heute auf unserer Bühne, wenigstens in dem Maße wie Glucks Werke, leben können. Denn daß in musikalischer Hinsicht dies Werk allen Opern Glucks überlegen ist, versteht sich bei der unendlich reicheren musikalischen Veranlagung Mozarts fast von selbst.
Dabei ist sicher, daß Stoff und Handlung des »Idomeneo« einem verständnisvollen Dichter, wie Gluck ihn gefunden hatte, sehr wohl die Möglichkeit geboten hätten, den Schwerpunkt des Dramas ins Seelenleben zu verlegen, wodurch Mozart gerade für seine musikalische Anlage die reichste Anregung gefunden hätte. Aber der Salzburger Hofkaplan Giambatt. Varesco, der von München aus mit der Abfassung des Textbuches beauftragt wurde, hat eine echt italienische Opera seria zu dichten getrachtet. Sein Vorbild war der als Dichter bei uns weit unterschätzte Metastasio, dem allerdings der versgewandte Varesco an eigentlichem dichterischen Vermögen nicht zu vergleichen ist. Alles, wozu sich Varesco bereitfinden ließ, vermutlich auf Mozarts Drängen, war das Bestreben, in reicherem Maße Ensemblesätze zu schaffen, diese nicht an den herkömmlichen Stellen einzuschieben, sondern aus dem dramatischen Gang herauswachsen zu lassen. Ein gleiches gilt für die Chöre, die hier zu einer dramatischen Bedeutung gesteigert sind, wie sie der italienischen Oper vollkommen fremd geworden war. Allerdings hätte nach beiden Richtungen hin mehr geschehen können. Vor allen Dingen ist der dritte Akt dichterisch zu sehr im Herkömmlichen stecken geblieben, was um so bedauerlicher ist, als dadurch auch Mozart in seiner musikalischen Entfaltung behemmter erscheint als im zweiten Akt. Auch die Sprache des Textbuches ist ganz in der überlieferten Art, ebenso die für die dramatische Wirkung ungemein schädliche und vor allen Dingen uns Heutigen unkünstlerisch berührende Tatsache, daß die Arien eigentlich außerhalb des dramatischen Gefüges stehen. Die vorangehenden Rezitativs enthalten immer bereits alles Wesentliche, die Arie ist nur noch die lyrische Umschreibung des bereits Gesagten. Für Mozart, der in der Melodiebildung als solcher so ungemein ausdrucksreich war, hätte ein Dichter, der die Arien selbst zum Kern der dramatischen Entwicklung zu machen verstand, herrliche Aufgaben geschaffen. Ich glaube, daß gerade hier die Hauptursache für jene Abneigung gegen das Rezitativ zu sehen ist, die Mozart dauernd verblieb. Das Rezitativ gab ihm nicht die Gelegenheit zu voller musikalischer Entfaltung, beeinträchtigte auf der anderen Seite in höchstem Maße den dramatischen Gehalt der Arien. Es ist jedenfalls immer wieder bewunderungswürdig, wie Mozart in diesem »Idomeneo« auf ganz sententiösen und gezierten Arientexten diese echt dramatischen Ausdrucksmelodien gebaut hat. Dagegen ist es ein Verdienst Varescos, daß er die Blutrünstigkeit und die allzu große Häufung von Intrigen beseitigte, die sein Vorbild, die von Danchet gedichtete, von Campra komponierte Oper » Idomenée« (1712) für uns unerträglich machen.
Der Jephtastoff, wie ihn jetzt die Dichtung zu Mozarts »Idomeneo« zeigt, ist in der antiken Mythologie nur zum Teil begründet, und Varescos Gedicht ist ein Beispiel für die Art, wie man antike Heroengeschichten durch Einfügung von Liebeskonflikten für das 18. Jahrhundert schmackhaft zu machen versuchte. Während Idomeneo, der König von Kreta, nach dem Falle Trojas durch Irrfahrten lange der Heimat ferngehalten wurde, hat sein Sohn Idamante die Regierung übernommen. Zu ihm ist Agamemnons Tochter Elektra, die nach Orests Muttermord vor den Argivern hierher geflohen ist, in Liebe entbrannt. Idamante aber liebt Ilia, eine troische Gefangene, deren Empfinden zwischen dem Haß gegen den Feind ihres unglücklichen Vaterlandes und der Liebe für den edlen Jüngling hin- und hergerissen wird. Schon ist die Flotte Idomeneos in Sicht, als sie erneut durch schwere Stürme ins Meer hinausgeschleudert wird. Da gelobt Idomeneo, Poseidon den Menschen, der ihm zuerst auf dem Lande begegnen wird, zu opfern. So findet er Rettung. Der erste Mensch aber, der ihm begegnet, ist Idamante. Aus dem Gespräch erkennt der Vater seinen Sohn und sieht sich vor dem entsetzlichen Zwiespalt, entweder sein Gelübde zu brechen oder den Sohn zu opfern. Er versucht diesen zu retten, indem er ihn aus dem Lande zu entfernen sucht. Aber die Gottheit scheint auf ihrem Opfer zu beharren. Ein schreckhaftes Ungeheuer entsteigt dem Meere und richtet furchtbare Verwüstungen an. Zwar tötet Idamante das Untier, aber Idomeneo muß doch bekennen, welches Opfer er der zürnenden Gottheit geweiht hat. Gern ist Idamante, der sich nun die Zurückhaltung seines Vaters ihm gegenüber erklären kann, zum Opfertode bereit. Da, angesichts der Gefahr, die dem Königssohn droht, kündet Ilia die heimlich bewahrte Liebe in lautem Geständnis. Sie will das Opfer sein. Den edlen Wettstreit der Liebenden beendet die Gottheit, in deren Tempel eine unterirdische Stimme verkündet, daß sie durch diese treue Liebe versöhnt sei: Idomeneo solle vom Thron steigen und dem mit Ilia verbundenen Idamante die Herrschaft übertragen.
Wie man sieht, ein Geschehen, das uns Heutigen nur dann Teilnahme abgewinnen könnte, wenn der Schwerpunkt auf die Entwicklung der seelischen Zustände der Hauptbeteiligten gelegt wäre. Mozart hat bis zu einem gewissen Grade das Versäumnis des Textdichters wettgemacht; er hat vor allen Dingen die Verschiedenartigkeit der Liebe in der hingebungsvoll einfachen Natur Ilias und der leidenschaftlichen Elektra scharf herausgearbeitet. Wahrscheinlich wären auch Idomeneo und Idamante blutvoller gestaltet worden, wenn hier der Komponist so frei hätte schalten können wie bei den beiden Frauenrollen. Aber gerade hier sah er sich ins Herkömmliche gebannt.
In Salzburg hatte er noch von der vollendeten Dichtung die meisten Rezitative und wohl auch die ersten Arien geschaffen, dann eilte er nach München, um dort in steter Berührung mit den Sängern die Musik zu vollenden. Da war denn der alte Raaff so »auf den alten Schlendrian versessen, daß man Blut dabei schwitzen möchte«. Schlimmer noch war es um den Kastraten del Prato bestellt, der »um keinen Kreuzer Methode, keine Intonation, keine Empfindung hatte«, sondern sang »wie etwa der beste unter den Buben, die sich hören lassen, um in einem Kapellhause aufgenommen zu werden«. Außerdem waren diese beiden schlechte Schauspieler. So konnte Mozart hier weder die volle Kunst der alten Opera seria entfalten, noch weniger aber in neuartiger Weise komponieren. Dagegen hatte er mit den Vertreterinnen der beiden weiblichen Hauptrollen, Dorothea und Liesel Wendling, die über eine vollendete Technik und über volle Jugendkräfte verfügten, keine Schwierigkeiten. So erklärt es sich, daß uns, abgesehen von der Tatsache, daß uns ein Sopranist als Held und Liebhaber wider alles natürliche Gefühl geht, die Arien der Sänger auch vom rein musikalischen Standpunkte aus nicht mehr vollauf zu befriedigen vermögen. Es steckt zu viel rein Formales darin. Bemerkenswert ist es allerdings, wie Wolfgang auch in diesen Stücken durch die Behandlung des Orchesters die Ausdruckskraft zu steigern versucht und dem Ganzen charakteristische Färbung verleiht. Was die Frauen zu singen haben, ist noch heute von unverblichener Schönheit, zumal Ilias Gesänge, deren maßvoll harmonische Empfindungsweise derjenigen Mozarts verwandt war. Viel bedeutsamer als man es in der vorangehenden Zeit gewöhnt war, sind hier die Ensemblesätze. Da ließ sich Wolfgang, der sich sonst alle Mühe gab, den Sängern zu Willen zu sein, nichts dreinreden. Auch von dem hochverehrten Raaff nicht. Der hatte sich vor allen Dingen gegen ein Quartett (3. Akt Nr. 21) ausgesprochen. Es sei darin keine Gelegenheit, die Stimme zur Entfaltung zu bringen. »Als wenn man«, schreibt Mozart (27. Dez.), »in einem Quartett nicht viel mehr reden als singen sollte! – Dergleichen Sachen versteht er gar nicht. Ich sagte nur: ›Liebster Freund, wenn ich nur eine Note wüßte, die in diesem Quartett zu ändern wäre, so würde ich es sogleich tun, allein ich bin noch mit keiner Sache in dieser Oper so zufrieden gewesen, wie mit diesem Quartett; und hören Sie es nur einmal zusammen, so werden Sie ganz anders reden. Ich habe mir bei Ihren zwei Arien alle Mühe gegeben. Sie recht zu bedienen, werde es auch bei der dritten tun und hoffe, es zustande zu bringen, aber was Terzetten und Quartetten anbelangt, muß man dem Kompositeur seinen freien Willen lassen.‹«
In der Tat gehört dieses Quartett zu den größten Meisterwerken dramatischer Ensemblesätze, die wir besitzen. Musikalisch ist es gewiß an sich sehr unbequem, ein Quartett für drei Sopran- und eine Tenorstimme zu schreiben; aber in musikalisch formaler Hinsicht gab es für Mozart ja überhaupt keine Hindernisse. Im Gegenteil gewann er diesen Verhältnissen besonders reizvolle Klangwirkungen ab. Bedeutsam ist, wie hier jeder der vier verschiedenen Charaktere durchaus seinem Charakter und seiner eigentümlichen Empfindung gemäß singt und dennoch das Ganze zur harmonischen Einheit ausgeglichen wird. Den dramatischen Höhepunkt bilden die Chöre. Der erste (Nr. 5), der den Schiffbruch des Idomeneo darstellt, erscheint als Doppelchor; beide nur für Männerstimmen, von denen der eine vierstimmige meist in vollen Akkorden von fernher ertönt, während der nähere zweistimmige in bewegten imitatorischen Formen gehalten ist. Wie diese Chöre gegeneinander geführt und wieder zusammengestellt sind, wie sie mit dem nach Saiten- und Blasinstrumenten scharf geschiedenen Orchester zu einer Gesamtheit verschmelzen, ist von packender Wirkung. Noch gewaltiger sind die beiden Chöre, die den zweiten Akt beschließen. Auch hier wieder ein Unwetter. Das Seeungeheuer steigt ans Land. Das von Entsetzen gepackte Volk stürmt drohend einher. Hier ist die Musik von packender Wildheit in kühnen Dissonanzen und höchster Charakteristik des Ausdrucks. Ebenso ergreifend wirkt der Trauerchor des dritten Aktes, in dem das Volk sein tiefes Mitgefühl mit dem Schicksal des Königshauses zum Ausdruck bringt. Hochdramatisch ist auch die Behandlung des Rezitativs, das in vollkommener Freiheit die bloße Deklamation des Seccorezitativs durchbricht und, zweifellos angeregt durch das Melodrama, die Orchesterstimmen zur Erhöhung der Ausdruckskraft in ausgiebiger Weise verwertet.
In dieser Behandlung des Orchesters liegt überhaupt der großartigste Wert dieses Werkes. Jahn hat recht, daß »in Idomeneo die Orchesterpartie so reich und glänzend und bis ins kleinste Detail sorgfältig ausgeführt ist, wie es in dieser Art bei Mozart später nicht wiederkehrt.« Das Orchester war so zahlreich besetzt, daß er aus dem Vollen schaffen konnte: von der Posaune bis zur Pikkoloflöte war auch der Bläserchor vollkommen. Am so höher werden wir es schätzen, daß angesichts der Fülle Wolfgang so bewundernswert Maß hält. Er kennt nicht nur die Charakteristik durch Verwenden der Instrumente, sondern auch durch Weglassen. Die Ouvertüre ist eine sinfonische Einleitung, die mit erschütternder Gewalt und tiefem seelischen Inhalt uns in die Ereignisse einführt. In der Oper selber verzichtet Mozart »für manche Nummern von vornherein völlig auf gewisse Instrumente; man könnte sagen, er schafft sich jedesmal sein eigenes Orchester so, wie er es eben braucht. Da begnügt er sich wieder mit den Streichern, oder er nimmt Hörner und Fagott oder Hörner und Oboen dazu; einen kurzen Chor läßt er nur von Trompeten und Pauken (in althergebrachten Phrasen) begleiten, und den Orakelspruch läßt er unter weihevollen Akkorden von drei Posaunen und zwei Hörnern erschallen. Mit völliger Freiheit sind alle Instrumentgruppen und einzelnen Instrumente des Orchesters angewandt. Es ist nicht nötig, von der Beherrschung der Saiteninstrumente zu sprechen; wohl aber ist doch zweierlei anzuerkennen: die Befreiung der Violincelli von dem steten Unisonogehen mit den Bässen und dann die Erlösung der Viola aus ihrer untergeordneten Rolle – sei es, daß sie durch volle Akkorde die eigentliche Grundharmonie für die Violinen herstellt; sei es, daß sie etwa im Verein mit den Fagotten ganz selbständig zu düsterer Färbung – eine Vorahnung gewisser Stellen in der Zauberflöte – gebraucht wird! Im allgemeinen ist sodann die völlig freie Bewegung der Holzbläser festzustellen, die gar oft ganz und gar selbständig, nicht einmal mit Berücksichtigung der Streichergruppe auftreten – sie trennen und vereinigen sich, kommen einander zu Hilfe, lösen sich ab, bekämpfen sich und wetteifern miteinander; neuartige Klangmischungen entstehen dadurch, daß Mozart etwa Flöten und Oboen und Klarinetten unisono gehen läßt, nicht selten verteilt er auch Figuren auf das entzückendste und wirksamste unter die ganze Gemeinschaft.« (Komorzynski, M.s Kunst der Instrumentation, S. 17.)
Gerade die Behandlung des Orchesters in Idomeneo zeigt, wie sehr Mozart auch für die große heroische Oper befähigt war. Und darum ist es doppelt zu bedauern, daß er nicht zur Erfüllung seines Vorsatzes kam, dieses von ihm immer hochgeschätzte Werk später für Wien neu zu bearbeiten. Wir müssen doch bedenken, daß Wolfgang jetzt erst fünfundzwanzig Jahre alt war, daß eine solche Lebenskenntnis und das Verständnis für die gewaltigsten Leidenschaften auch dem Genie erst in reifen Mannesjahren werden können.
Ganz erstaunlich ist die Arbeitsleistung, die Wolfgang in diesen zweieinhalb Monaten zu München vollbracht hat. Er hat nicht nur weitaus den größten Teil seiner Oper in dieser Zeit komponiert, sondern auch die vielfach sehr mühselige Einstudierung des Werkes geleitet. Aber aus seinen Briefen fühlen wir heute noch, wie glücklich er in dieser Zeit war, trotz mancher kleinen Hemmungen, trotzdem ein böser Katarrh ihn die ganze Zeit über quälte. Andererseits war das ganze Künstlervolk begeistert, auch der Hof hielt in seiner Anerkennung nicht zurück. Aber den Erfolg, den »Idomeneo« bei der öffentlichen Aufführung am 29. Januar 1781 davongetragen hat, sind wir allerdings nicht unterrichtet; denn da Vater und Schwester aus Salzburg herbeigeeilt waren, lag kein Anlaß zum Schreiben vor. Doch ist sicher anzunehmen, daß die öffentliche Aufführung das nach den Proben gefällte günstige Urteil bestätigt hat.
Man kann sich denken, wie Mozart nach der fast zweijährigen Abgeschlossenheit in Salzburg hier in München aufgelebt war. Sein Herzenswunsch, mit einer großen dramatischen Aufgabe betraut zu werden, war erfüllt. Das Orchester, das er in Mannheim so sehr hatte schätzen lernen, stand zu seiner Verfügung. Die alten Freunde aus jenen glücklichen Wochen waren ihm treu geblieben; die eine untreue Freundin Aloysia war bereits an die Wiener Oper übergesiedelt und konnte ihn so an den einzigen Verlust, den er erlitten, nicht erinnern. Überall, auch in den Hof- und Adelskreisen, kam man ihm mit größter Hochachtung entgegen. Das war so ganz anders als in Salzburg, wo ihm, wie er am 16. Dezember 1780 an den Vater schreibt, »der Fürst, die stolze Noblesse, alle Tage unerträglicher geworden war«. »Ich würde also«, fährt er fort, »mit Vergnügen erwarten, daß er mir schreiben ließe, er brauche mich nicht mehr. Ich würde auch bei der großen Protektion, die ich dermalen hier habe, für gegenwärtige und zukünftige Umstände gesichert sein, Todesfälle ausgenommen, für welche niemand stehen kann, und welche aber einem Menschen, der ledig ist, keinen Schaden bringen. Doch – Ihnen zuliebe alles in der Welt, – und leichter würde es mir noch ankommen, wenn man doch nur bisweilen auf eine kurze Zeit weg könnte, um Odem zu holen. Sie wissen, wie schwer daß es gehalten hat, dieses Mal wegzukommen, ohne große Ursache ist gar kein Gedanke nicht – es ist zum Weinen, wenn man daran gedenkt.«
Den nur auf sechs Wochen gewährten Urlaub hatte Wolfgang übrigens dieses Mal ohne Schwierigkeiten überschreiten können; denn der Erzbischof war durch den am 29. November 1789 erfolgten Tod der Kaiserin Maria Theresia veranlaßt worden, für längere Zeit nach Wien zu gehen. Wolfgang nutzte die Zeit, um sich, wenn möglich, in München eine Stellung zu verschaffen. Um seine vielseitige Verwendbarkeit zu beweisen, komponierte er neben der Oper noch andere Werke. So bewährte er sich als Kirchenkomponist in der groß angelegten Komposition eines Kyrie, schuf eine große Serenade für Blasinstrumente, da diese Harmoniemusik damals besonders beliebt war. Ein Quartett für Oboe, Violine, Bratsche und Violincell gab dem Kammermusiker Ramm Gelegenheit, seine Virtuosität leuchten zu lassen. Wir finden es begreiflich, daß er nach dieser Arbeitsleistung und der erfolgreichen Aufführung seiner Oper mit vollen Zügen das lustige Münchener Karnevalsleben genoß. »Ich dachte mir: Wo kömmst du hin? – Nach Salzburg! Mithin mußt du dich letzen« entschuldigte er später dem Vater gegenüber diese »übertriebene« Lustigkeit.
Er sollte nicht mehr nach Salzburg kommen. Am 12. März 1781 erhielt er vom Erzbischof den gemessenen Befehl, sofort nach Wien zu kommen. Nach der durch den Tod der Kaiserin veranlaßten Trauerzeit wurde das gesellschaftliche Leben verdoppelt nachgeholt. Da damals in den vornehmen Kreisen das beliebteste Unterhaltungsmittel die Musik war, konnte der Erzbischof mit seinem jungen Konzertmeister Wolfgang Mozart sich ganz besondere Ehre einlegen.
Nach den damaligen Verhältnissen hätte diese Art, gerade in den vornehmsten Kreisen als Virtuose und Komponist eingeführt zu werden, für Wolfgang von größtem künstlerischem und pekuniärem Vorteile werden müssen, wenn nicht der Erzbischof ihm mit Willen alles zuschanden gemacht hätte. Aus allem ergibt sich, daß der Erzbischof mit ganz besonderem Hasse diesen nun fünfundzwanzigjährigen Künstler verfolgt haben muß. Ich habe schon früher (S. 130 f.) die psychologischen Gründe dafür nachzuweisen gesucht. Sicher hatte sich der Haß des Erzbischofs noch dadurch vermehrt, daß er durch die Verhältnisse gezwungen worden war, Mozart ein zweites Mal anzustellen. Nun hatte der Erfolg in München und die ganze Behandlungsweise daselbst dazu beigetragen, Wolfgangs männliches Selbstbewußtsein zu wecken, und der Erzbischof, der sehr wohl wußte, was er an seinem Konzertmeister besaß, mochte in seiner hochmütigen Despotennatur als das beste Mittel, dieses nach Selbständigkeit strebenden jungen Komponisten Meister zu werden, eine systematische Zurücksetzung und Unterdrückung desselben ansehen.
Wir dürfen nicht vergessen, daß wir uns für die soziale Stellung des Musikerstandes in einer Übergangszeit befinden. Die musikalische Entwicklung hatte es mit sich gebracht, daß den Opernsängern alle Bewunderung galt, daß nur sie gut bezahlt und entsprechend behandelt wurden. Jener für die Entwicklung unserer Instrumentalmusik so außerordentlich segensreich gewordene Zustand, daß fast alle adligen Familien sich ein zuweilen ziemlich großes Hausorchester hielten, war natürlich nur möglich, wenn die Ausgaben für diese Orchester verhältnismäßig gering blieben. Das wurde dadurch erreicht, daß die meisten Mitglieder solcher Hauskapellen gleichzeitig Dienerstellungen hatten. Von den hervorragenden Mitgliedern der Kapelle wurden ja gewiß keine eigentlichen Lakaiendienste verlangt, aber ihre gesellschaftliche Stellung unterschied sich nicht allzusehr von der der übrigen Angestellten. Rechnet man hinzu den Adelstolz, bedenkt man, daß der ärmere Adel ebenfalls auf solche Brotstellung angewiesen war und nun durch doppelten Standesstolz seinen Unterschied gegenüber dem bürgerlichen Gesinde hervorhob, so kann man sich vorstellen, daß es besonders günstiger Umstände bedurfte, damit ein derartiges Verhältnis für die Künstler nicht gerade kränkend wurde. So war die Stellung eines Haydn beim Fürsten Esterhazy, trotzdem sein Kontrakt durchaus ein mehr dienerhaftes Verhältnis bedeutete, durch die Freundschaft mit seinem Brotherrn geadelt. Und auch diese Zeit sah mehrfach ein menschlich schönes Zusammengehen von Fürst und Künstler. Aber das hing eben von der schönen Menschlichkeit dieser Fürsten ab. Es war inzwischen eine Zeit angebrochen, in der das Bürgertum Rechte verlangte und keine Wohltaten. Dazu hat für den Musikerstand im allgemeinen die hohe Entwicklung der Orchestermusik am meisten beigetragen. Künstler, die imstande waren, den gesteigerten Anforderungen der weit entwickelten sinfonischen Musik Genüge zu leisten, konnten sich nicht mehr als Domestiken behandeln lassen. Dieses erhöhte Künstlerbewußtsein mußte auch das Standesgefühl heben. So hatte Mozart in Mannheim einen ganz anderen Künstlerstand getroffen, als er ihn in Salzburg kennen gelernt hatte. Die ganze Musikentwicklung brachte es ferner mit sich, daß die einseitige Vorherrschaft des Gesangvirtuosen gebrochen wurde. Erst war nur der Instrumentalvirtuose hervorgetreten, nun mit der steigenden Entwicklung des Orchesterspiels tat es immer mehr der Kapellmeister und vor allem auch der Komponist. Leider fand die soziale Höherentwicklung des letzteren, die in weitesten Volkskreisen als natürlich angenommen wurde, nicht die nötige ökonomische Unterstützung durch eine vernünftige Gesetzgebung, die das geistige Eigentum an Kunstwerken dem Urheber geschützt hätte. So stand sich in finanzieller Hinsicht im ganzen Musikerstand eigentlich niemand schlechter als der Komponist, der gegen widerrechtlichen Nachdruck seiner Werke keinen ausreichenden Schutz genoß und sogar als erfolgreicher Theaterkomponist einen kaum nennenswerten Anteil an den großen Einnahmen seiner Werke hatte. Unterrichtgeben war so neben einer festen Anstellung die einzige Erwerbsmöglichkeit. Die Veröffentlichung von Kompositionen versprach nur pekuniären Erfolg, wenn es gelang, vor der Drucklegung des Werkes auf dem Subskriptionswege eine größere Zahl von Abnehmern zu gewinnen. Es ist erklärlich, daß die Begleitumstände bei diesen Subskriptionen sehr leicht auch wieder eine Begönnerung durch vornehme Adelspersonen mit sich brachte und so für den Komponisten leicht den Beigeschmack der Demütigung haben konnte.
Das alles müssen wir uns gegenwärtig halten, wenn wir die Lebensumstände Mozarts richtig würdigen wollen. Gerade sein Leben fiel in die Übergangszeit, und wenn das auch niemals klar gesagt erscheint, fühlen wir doch überall, wie hier aus den Auffassungen von Vater und Sohn zwei verschiedene Zeiten sprechen. Gewiß war der Vater eine viel männlichere Natur als der Sohn, viel kräftiger gestählt im Lebenskampf; aber andererseits trug er die Überhebung der adligen Brotherren als ein selbstverständliches Los und sah den einzigen Vorteil darin, durch Klugheit die Erträglichkeit des Daseins zu erreichen. Er hatte in seinem Sohn dieselben Anschauungen großzuziehen gesucht, war darin aber an der ganz anders gearteten, an der völlig »unpraktischen« Natur Wolfgangs gescheitert. Doch finden wir in hundert Äußerungen Wolfgangs das Echo dieser väterlichen Ermahnungen. Hinzu kam, daß bei Wolfgang das allgemein strenge Verhältnis der Unterwürfigkeit des Sohnes unter die väterliche Autorität durch die große Liebe und Bewunderung, die er für seinen Vater hegte, zu einer zwar weniger fühlbaren, aber im Grunde nur um so festeren Fessel gegen selbständige Entwicklung geworden war.
Am so erfreulicher ist es für uns nun, zu erleben, daß die innere Überzeugung von Menschenwert und Menschenrecht es ist, die Wolfgang zum selbständigen Manne heranreifen läßt, die ihm sogar das Rückgrat stärkt gegen den eigenen Vater. Und wenn dieser mit seinen düsteren Vorahnungen für Wolfgangs äußeres Ergehen im Leben noch so sehr recht behalten sollte, es war doch die wahre Befreiung, die sich Wolfgang jetzt erkämpfte. Und wenn sich das äußere Leben ihm zerschlug, vielleicht nicht ganz ohne eigene Schuld, so baute sich ihm dafür das innere um so schöner und harmonischer auf. Das aber war ganz allein sein Verdienst.
Mozarts Briefe aus dieser Zeit lassen uns deutlich den Kampf der Sohnesliebe mit dem erwachenden Mannesbewußtsein erkennen. Daneben zeigen sie auch, wenn auch minder deutlich, den Widerstreit zwischen der ihm anerzogenen Anschauungsweise, die auf eine Mischung von Unterwürfigkeit und Klugheit ausging, und der ihm natürlichen mehr revolutionären Zeitstimmung. Daraus und aus der steten Absicht, den Vater ja niemals zu verletzen, ihm in jedem Worte die kindliche Ehrfurcht zu bezeugen, erklärt es sich, wenn auf den heutigen Leser die Briefe manchmal widerspruchsvoll oder doch nicht klar und fest genug wirken. Wer tiefer zusieht, erkennt aus ihnen die Schwere der Kämpfe, die Wolfgang in dieser Zeit durchmachte, die Willenskraft, die er aufwendete, um die Wünsche des Vaters zu erfüllen, die tiefe seelische Kränkung, das schwere Herzeleid, das es ihm bereitete, in diesem schwersten Lebenskampfe den Vater nicht auf seiner Seite zu wissen.
Schon gleich der erste Brief kündigt den nahenden Sturm an. Wolfgang war unmittelbar nach Erhalt des erzbischöflichen Befehls von München abgereist und traf am 16. März 1781 in Wien ein. Er hatte »ein charmantes Zimmer im nämlichen Hause, wo der Erzbischof logiert«, während der Geiger Brunetti und der Kastrat Ceccarelli in einem anderen Hause wohnten, » Che distizione«, höhnt Wolfgang. Und er hatte recht, diese Einquartierung nicht als Auszeichnung zu empfinden, denn sein Mittagsmahl erhielt er an der Bediententafel. » NB. die zwei Herrn Leibkammerdiener sitzen obenan. Ich habe doch wenigstens die Ehre vor den Köchen zu sitzen. Nun, – ich denke halt, ich bin in Salzburg. Bei Tische werden grobe, einfältige Spässe gemacht; mit mir macht keiner Spässe, weil ich kein Wort rede, und wenn ich was reden muß, so ist es allezeit mit der größten Seriosität. Sowie ich abgespeist habe, so gehe ich meines Wegs. Abends haben wir keine Tafel, sondern jeder bekommt drei Dukaten, – da kann einer weit springen. Der Herr Erzbischof hat die Güte und gloriert sich mit seinen Leuten, raubt ihnen ihre Verdienste und zahlt sie nicht dafür.«
Der Vater sah den Sturm kommen und suchte Wolfgang damit zu beschwichtigen, daß der Erzbischof ihn doch offenbar nur deshalb nach Wien habe kommen lassen, um mit seinen Leistungen großzutun. Wolfgang antwortete ihm darauf am 24. März: »Was Sie mir vom Erzbischof schreiben, hat, was seinen Ehrgeiz, meine Person betreffend, kitzelt, insoweit seine Richtigkeit, – allein was nützt mir alles dies? – von diesem lebt man nicht. Glauben Sie nur sicher, daß er mir hier gleich einem Lichtschirm ist. Was gibt er mir denn für Distinktion? Herr v. Kleinmaym, Bönike haben mit dem Erlauchten Grafen Arco eine Extratafel; – das wäre Distinktion, wenn ich bei dieser Tafel wäre, – aber nicht bei den Kammerdienern, die außer dem ersten Platz beim Tisch die Lüster anzünden, die Türe aufmachen und im Vorzimmer bleiben müssen, wenn ich darin bin – und bei den Herrn Köchen. Und dann, wenn wir wo hingerufen werden, wo ein Konzert ist, so muß der Herr Angerbauer heraus passen, bis die Herrn Salzburger kommen, und sie dann durch einen Lakai weisen lassen, damit sie hineindürfen.«
Diese dienerhafte Behandlungsweise ließ er sich allerdings nicht gefallen, sondern trat auch in den vornehmsten Häusern zwar mit Bescheidenheit, aber doch mit Selbstbewußtsein auf. Die Wiener fanden das auch durchaus natürlich, und er bekam rasch Zutritt zu den vornehmsten Häusern, in denen er schnell beliebt wurde.
»Nun ist meine Hauptabsicht hier, daß ich mit schöner Manier zum Kaiser komme, denn ich will absolument, daß er mich kennen lernen soll. Ich möchte ihm mit Lust meine Oper durchpeitschen und dann brav Fugen spielen, denn das ist seine Sache. O, hätte ich gewußt, daß ich die Fasten nach Wien kommen würde, hätte ich ein kleines Oratorium geschrieben und zu meinem Vorteil im Theater gegeben, wie es hier alles macht. Ich hätte leicht vorher zu schreiben gehabt, weil ich die Stimmen alle kenne. Wie gern gäbe ich ein öffentliches Konzert, wie es hier der Brauch ist, aber – es wird mir nicht erlaubt, das weiß ich gewiß. Denn, stellen Sie sich vor, – Sie wissen, daß hier eine Sozietät ist, welche zum Vorteil der Witwen von den Musizi Akademien gibt; alles, was nur Musik heißt, spielt da umsonst – das Orchester ist 180 Mann stark – kein Virtuos, der nur ein bißchen Liebe des Nächsten hat, schlägt es ab, darin zu spielen, wenn er von der Sozietät darum ersucht wird. Denn man macht sich auch sowohl beim Kaiser als beim Publikum darum beliebt. – Starzer hatte den Auftrag, mich darum zu bitten, und ich sagte es ihm gleich zu, doch müßte ich zuerst meines Fürsten Gutachten darüber vernehmen – und ich hatte gar keinen Zweifel, weil es eine geistliche Art und unentgeltlich, nur um ein gutes Werk zu tun ist; er erlaubt es mir nicht. Die ganze Noblesse hier hat ihm dieses übelgenommen.«
In diesem Fall mußte allerdings der Erzbischof doch nachgeben, da ihn der ganze Adel um die Mitwirkung seines Hofmusikers bestürmte. Wolfgang hatte in diesem Konzert so außerordentlichen Beifall gehabt, daß er mit einer eigenen Akademie auf großen Geldgewinn rechnen durfte, »allein unser Erzbischof erlaubt es nicht, will nicht, daß seine Leute Profit haben sollen, sondern Schaden« (4. April). Hinzu kam jetzt, daß stets die plötzliche Abreise von Wien drohte, da der Erzbischof hatte verlauten lassen, seine Leute müßten nach Salzburg zurück. Wolfgang geriet bei dem Gedanken, daß alle die schönen Aussichten, die sich ihm darboten, ungenützt vorübergehen sollten, in begreifliche Erregung. Erst recht, da er sehr viel für den Erzbischof zu tun hatte und von ihm doch keinerlei Anerkennung erfuhr. Schon drängte sich ihm immer der Gedanke auf, seinen Dienst preiszugeben, und nur die Rücksicht auf den Vater hielt ihn. Aber wenige Tage später, schon am 11. April, tritt er mit diesem Plan offen vor den Vater hin. »Künftigen Sonntag acht Tage, das ist den 22., sollen Ceccarelli und ich nach Hause reisen. Wenn ich daran denke, daß ich von Wien wegreisen soll, ohne wenigstens 1000 fl. wegzutragen, so tut mir doch das Herz weh! Ich soll also wegen einem schlechtdenkenden Fürsten, der mich mit lausigen vierhundert Gulden alle Tage kujoniert, tausend Gulden mit Füßen wegstoßen? – denn das mache ich gewiß, wenn ich ein Konzert gebe. Als wir hier im Hause das erste Konzert hatten, schickte uns Dreien der Erzbischof jedem vier Dukaten. Bei dem letzten, wo ich dem Brunetti ein neues Rondo, mir eine neue Sonate und dem Ceccarelli auch ein neues Rondo gemacht habe, bekomme ich nichts. Was mich aber halb desparat macht, ist, daß ich an dem nämlichen Abend, als wir die Sch... musik da hatten, zur Gräfin Thun invitiert war und also nicht hinkommen konnte; und wer war dort? – Der Kaiser. – Adamberger und die Weigl waren dort, und hat jedes 50 Dukaten bekommen! – Und welche Gelegenheit! – Ich kann ja doch dem Kaiser nicht sagen lassen, wenn er mich hören will, so soll er bald machen, denn in so viel Tagen reise ich ab. So was muß man ja doch immer erwarten. Und hier bleiben kann und mag ich nicht, außer ich gebe ein Konzert. Denn ich stehe freilich, wenn ich nur zwei Skolaren hier habe, besser als bei uns; aber – wenn man 1000 oder 1200 fl. im Sack hat, kann man sich ein wenig mehr bitten lassen, mithin auch besser bezahlen lassen. Und das erlaubt er nicht, der Menschenfeind! – Ich muß ihn so nennen, denn er ist es und die ganze Noblesse nennt ihn so. Genug davon. O, ich hoffe nächsten Posttag zu lesen, ob ich noch ferner in Salzburg meine jungen Jahre und mein Talent vergraben soll, oder ob ich mein Glück, wenn ich es machen kann, machen darf, oder warten soll, bis es zu spät ist.«
Der Vater ermahnte seinen Sohn in langen Briefen, auszuharren. Sein Mißtrauen in die Finanzpläne Wolfgangs war ja durch Erfahrungen gerechtfertigt, und so beschwor er ihn, doch ja auszuhalten und das sichere Brot nicht preiszugeben. Wolfgang wurde immer wieder gerührt und versprach es: »Sie erwarten mich mit Freude, mein liebster Vater! – Das ist auch das einzige, was mich zum Entschluß bringen kann, Wien auch zu verlassen. Ich schreibe das alles nun in der natürlichen deutschen Sprache [Gewöhnlich bedienten sich Mozarts in ihren Briefen einer Geheimschrift. D. V.], weil es die ganze Welt wissen darf und soll, daß es der Erzbischof von Salzburg nur Ihnen, mein bester Vater, zu danken hat, daß er mich nicht gestern auf immer (versteht sich für seine Person) verloren hat. Gestern war große Akademie bei uns, vermutlich die letzte. Die Akademie ist recht gut ausgefallen, und trotz all den Hindernissen Seiner Erzbischöflichen Gnaden habe ich doch ein besseres Orchester gehabt als Brunetti; das wird Ihnen Ceccarelli sagen; denn wegen diesem Arrangement habe ich so vielen Verdruß gehabt, – o, das läßt sich besser reden als schreiben. Doch wenn, wie ich aber nicht hoffen will, wieder so etwas vorgehen sollte, so kann ich Sie versichern, daß ich die Geduld nicht mehr haben werde, und Sie werden mir es gewiß verzeihen. Und das bitte ich Sie, mein liebster Vater, daß Sie mir erlauben, künftige Fasten zu Ende Karneval nach Wien zu reisen, – nur auf Sie kommt es an, nicht auf den Erzbischof: denn will er es nicht erlauben, so gehe ich doch; es ist mein Unglück nicht, gewiß nicht! – O könnte er dies lesen, mir wäre es ganz recht. Aber Sie müssen es mir im nächsten Briefe versprechen, denn – nur mit dieser Bedingung gehe ich nach Salzburg, aber gewiß versprechen, damit ich den Damen hier mein Wort geben kann. Stephanie wird mir eine deutsche Oper zu schreiben geben. Ich erwarte also Ihre Antwort hierüber.« (28. April.)
Aber die Gereiztheit über die fortwährenden Kränkungen, der Ingrimm über das durch die Schikanen des Erzbischofs herbeigeführte Versäumnis zahlreicher vielversprechender Gelegenheiten, hatte Wolfgang in solche Erregung versetzt, daß es nur noch eines letzten Anstoßes bedurfte, um die Katastrophe herbeizuführen, das geschah am 9. Mai 1781. »Ich bin noch ganz voll der Galle! – und Sie als mein bester, liebster Vater find es gewiß mit mir. Man hat so lange meine Geduld geprüft, – endlich hat sie aber doch gescheitert. Ich bin nicht mehr so unglücklich, in salzburgischen Diensten zu sein – heute war der glückliche Tag für mich. Hören Sie!
Schon dreimal hat mir der – ich weiß gar nicht, wie ich ihn nennen soll – die größten Sottisen und Impertinenzen ins Gesicht gesagt, die ich Ihnen, um sie zu schonen, nicht habe schreiben wollen, und nur, weil ich Sie immer, mein bester Vater, vor Augen gehabt habe, nicht gleich auf der Stelle gerächt habe. Er nannte mich einen Buben, einen liederlichen Kerl, sagte mir, ich sollte weitergehen, und ich – litt alles, – empfand, daß nicht allein meine Ehre, sondern auch die Ihrige dadurch angegriffen wurde; allein – Sie wollten es so haben, – ich schwieg. Nun hören Sie. Vor acht Tagen kam unverhofft der Lauser herauf und sagte mir, ich müßte den Augenblick ausziehen. Den andern allen bestimmte man den Tag, nur mir nicht. Ich machte also alles geschwind in den Koffer zusammen, und die alte Mad. Weber war so gütig, mir ihr Haus zu öffnen. Da habe ich mein hübsches Zimmer, bin bei dienstfertigen Leuten, die mir in allem, was man oft geschwind braucht, und wenn man allein ist, nicht haben kann, an die Hand gehen. Auf Mittwoch setzte ich meine Reise (als heute den 9.) mit der Ordinaire fest; ich konnte aber meine Gelder, die ich noch zu bekommen habe, in der Zeit nicht zusammenbringen, mithin schob ich meine Reise bis Samstag auf. – Als ich mich heute dort sehen ließ, sagten mir die Kammerdiener, daß der Erzbischof mir ein Paket mitgeben will. Ich fragte, ob es pressiert; so sagten sie, ja, es wäre von großer Wichtigkeit. – »So ist es mir leid, daß ich nicht die Gnade haben kann, Se. Gnaden zu bedienen, denn ich kann (aus obengedachter Ursache) vor Samstag nicht abreisen. Ich bin aus dem Hause, muß auf meine eigenen Kosten leben, da ist es nun ganz natürlich, daß ich nicht eher abreisen kann, bis ich imstande dazu bin, – denn kein Mensch wird meinen Schaden verlangen.« Kleinmayrn, Moll, Brunetti und die zwei Leibkammerdiener gaben mir ganz recht. Als ich zu ihm hineinkam, – NB. muß ich Ihnen sagen, daß mir der Schlaucka (einer der Leibkammerdiener) sagte, ich sollte die Exküse nehmen, daß die Ordinaire schon besetzt sei, das sei bei ihm ein stärkerer Grund. Als ich also zu ihm hineinkam, so war das erste: »Wann geht er, Bursch?« Ich: »Ich habe wollen heute nacht gehen, allein der Platz war schon verstellt.« Da ging's in einem Odem fort: ich sei der liederlichste Bursch, den er kenne, kein Mensch bediene ihn so schlecht wie ich, er rate mir, heute noch wegzugehen, sonst schreibt er nach Haus, daß die Besoldung eingezogen wird. Man konnte nicht zur Rede kommen, das ging fort wie ein Feuer. Ich hörte alles gelassen an, er log mir ins Gesicht, ich hätte 500 fl. Besoldung, hieß mich einen Lump, Lausbuben, Fex – o ich möchte Ihnen nicht alles schreiben! – Endlich, da mein Geblüt zu stark in Wallung gebracht wurde, so sagte ich: »Sind also Ew. H. Gnaden nicht zufrieden mit mir?« – »Was, er will mir drohen, er Fex, o er Fex! – dort ist die Tür, schau er, ich will mit einem solchen elenden Buben nichts mehr zu tun haben.« – Endlich sagte ich: »Und ich mit Ihnen auch nichts mehr.« – »Also geh er«, und ich im Weggehen: »Es soll auch dabei bleiben, morgen werden Sie es schriftlich bekommen.« – Sagen Sie mir also, bester Vater, ob ich das nicht eher zu spät als zu früh gesagt habe? – Nun hören Sie; meine Ehre ist mir über alles, und ich weiß, daß es Ihnen auch so ist. Sorgen Sie sich gar nichts um mich; ich bin meiner Sache hier so gewiß, daß ich ohne mindeste Ursache quittiert hätte. Da ich nun Ursache dazu gehabt habe, und das dreimal, so habe ich gar kein Verdienst mehr dabei, au contraire, ich war zweimal Hundsfott, das drittemal konnte ich es halt doch nicht mehr sein.
Solang der Erzbischof noch hier sein wird, werde ich keine Akademie geben. Daß Sie glauben, daß ich mich bei der Noblesse und dem Kaiser selbst in üblen Kredit setzen werde, ist grundfalsch. Der Erzbischof ist hier gehaßt, und vom Kaiser am meisten. Das ist eben sein Zorn, daß ihn der Kaiser nicht nach Laxenburg eingeladen hat. Ich werde Ihnen mit künftigem Postwagen etwas Weniges von Geld überschicken, um Sie zu überweisen, daß ich hier nicht darbe. Übrigens bitte ich Sie, munter zu sein, denn jetzt fängt mein Glück an, und ich hoffe, daß mein Glück auch das Ihrige sein wird. Schreiben Sie mir heimlich, daß sie vergnügt darüber sind, und das können Sie in der Tat sein, – und öffentlich aber zanken Sie mich recht darüber, damit man Ihnen keine Schuld geben kann. Sollte Ihnen aber der Erzbischof ungeachtet dessen die mindeste Impertinenz tun, so kommen Sie allsogleich mit meiner Schwester zu mir nach Wien, wir können alle drei leben, das versichere ich Sie auf meine Ehre. Doch ist es mir lieber, wenn Sie ein Jahr noch aushalten können. – Schreiben Sie mir keinen Brief mehr ins Deutsche Haus und mit dem Paket, ich will nichts mehr von Salzburg wissen – ich hasse den Erzbischof bis zur Raserei.«
Schon am 12. Mai folgt wieder ein Brief, in dem er dem Vater die ganze Roheit der Beleidigungen, die ihm widerfahren waren, noch weiter ausführt und als seinen unbeweglichen Entschluß verkündet: »Wenn ich beim Erzbischof von Salzburg 2000 fl. Gehalt bekommen kann und in einem andern Orte nur 1000, so gehe ich doch in den andern Ort, – denn für die andern 1000 lf. genieße ich meine Gesundheit und Zufriedenheit des Gemüts. – Ich hoffe also bei aller väterlichen Liebe, die Sie mir von Kindheit auf in so hohem Grade erwiesen haben und wofür ich Ihnen zeitlebens nicht genug dankbar sein kann (am allerwenigsten aber in Salzburg), daß, wenn Sie Ihren Sohn gesund und vergnügt haben wollen, mir von dieser ganzen Sache gar nichts zu schreiben und sie ganz in die tiefste Vergessenheit zu vergraben, – denn ein Wort davon wäre genug, um mir wieder neuerdings und Ihnen selbst – gestehen Sie es nur – Ihnen selbst – Galle zu machen.« Am gleichen Tage schrieb er noch einen zweiten Brief, da er in dem ersten nach seiner Meinung so gesprochen hatte, »als wenn wir in Gegenwart des Erzbischofs wären. Nun spreche ich aber ganz allein mit Ihnen, mein bester Vater. – Von allem Unrecht, welches mir der Erzbischof von Anbeginn seiner Regierung bis jetzt angetan, von dem unaufhörlichen Schimpfen, von allen Impertinenzen und Sottisen, die er mir in das Gesicht sagte, von dem unwidersprechlichen Recht, das ich habe, von ihm wegzugehen, wollen wir ganz schweigen, denn da läßt sich nichts dawider sagen. Nun will ich von dem sprechen, was mich – auch ohne alle Ursache einer Kränkung – von ihm wegzugehen verleitet haben würde. Ich habe hier die schönsten und nützlichsten Connaissancen von der Welt, bin in den größten Häusern beliebt und angesehen, man erzeigt mir alle mögliche Ehre, und bin ich noch dazu dafür bezahlt, – und ich soll um 400 fl. in Salzburg schmachten – ohne Bezahlung, ohne Aufmunterung schmachten und Ihnen in nichts nützlich sein können, da ich es doch hier gewiß kann. Was würde das Ende davon sein? Immer das nämliche, ich müßte mich zu Tode kränken lassen oder wieder weggehen. – Ich brauche Ihnen nichts mehr zu sagen. Sie wissen es selbst. Nur noch dieses, – die ganze Stadt Wien weiß schon meine Geschichte, die ganze Noblesse redet mir zu, ich soll mich ja nicht mehr anführen lassen. Liebster Vater, man wird Ihnen bald mit guten Worten kommen, aber es sind Schlangen, Vipern, – alle niederträchtigen Seelen sind so; sie sind bis zum Ekel hoch und stolz, und dann kriechen sie wieder – abscheulich... Wenn ich nicht gesorgt hätte, daß es Ihnen dadurch vielleicht nicht zum besten gehen könnte, so wäre es vielleicht anders. – Aber in der Hauptsache, was
kann er Ihnen tun? – Nichts. – Wenn Sie wissen, daß es mir gut geht, so können Sie leicht des Erzbischofs Gnade entbehren. Die Besoldung kann er Ihnen nicht nehmen, und übrigens tun Sie Ihre Schuldigkeit. Und daß es mir gut gehen wird, bin ich Ihnen Bürge, ich würde sonst diesen Schritt jetzt nicht getan haben, – obwohl ich Ihnen gestehen muß, daß nach dieser Beleidigung ich – und hätte ich betteln müssen, weggegangen wäre. Denn wer wird sich denn kujonieren lassen, und besonders, wenn man's besser haben kann? – Mithin – fürchten Sie sich, so tun Sie zum Schein, als wenn Sie böse wären auf mich, – zanken Sie mich in Ihrem Briefe recht aus; wenn nur wir zwei wissen, wie die Sache steht.«
Aber Wolfgang hatte sich dieses Mal in seinem Vater getäuscht. Der sah nur, daß sein Sohn das sichere Brot aufgab, um sich einer ungewissen Zukunft anzuvertrauen. Die Kränkungen konnte er nicht so ernst nehmen. Wolfgang war ganz entsetzt: »Gott weiß es, wie schwer es mir fällt, von Ihnen zu gehen. Aber sollte ich betteln gehen, so möchte ich keinem solchen Herrn mehr dienen, – denn das kann ich mein Lebtag nicht mehr vergessen, und – ich bitte Sie, ich bitte Sie um alles in der Welt, stärken Sie mich in diesem Entschluß, anstatt Sie mich davon abzubringen suchen. Sie machen mich untätig. – Nun erwarte ich mit Sehnsucht ein Schreiben von Ihnen, mein bester, liebster Vater. Heitern Sie Ihren Sohn auf, denn nur der Gedanke, Ihnen zu mißfallen, kann ihn mitten unter seinen gut aussehenden Umständen unglücklich machen.«
Aber auch dieser erflehte Brief kam nicht, sondern ein Schreiben mit noch strengeren Ablehnungen und noch heftigeren Ermahnungen. Wir hören es Wolfgangs Brief vom 19. Mai an, wie er durch seines Vaters Haltung ganz verwirrt wurde. »Ich weiß auch nicht, was ich zuerst schreibe, mein liebster Vater, denn ich kann mich von meinem Erstaunen noch nicht erholen und werde es nie können, wenn Sie so zu denken und so zu schreiben fortfahren. Ich muß Ihnen gestehen, daß ich aus keinem einzigen Zuge Ihres Briefes meinen Vater erkenne! – Wohl einen Vater, aber nicht den besten, liebevollsten, den für seine eigene und für die Ehre seiner Kinder besorgten Vater, – mit einem Wort, nicht – meinen Vater. Doch das war alles nur ein Traum, – Sie sind nun erwacht – und haben gar keine Antwort von mir auf Ihre Punkte nötig, um mehr als überzeugt zu sein, daß ich – nun mehr als jemals – von meinem Entschluß gar nicht abstehen kann. Doch muß ich, weil meine Ehre und mein Charakter bei einigen Stellen am empfindlichsten angegriffen sind, etwelche Punkte beantworten. – Sie können es niemals gutheißen, daß ich in Wien quittiert habe? Ich glaube, daß wenn man schon Lust dazu hat (obwohl ich es dermalen nicht hatte, denn sonst würde ich es das erstemal getan haben), so würde es an dem Orte am vernünftigsten sein, wo man gut steht und die schönsten Aussichten von der Welt hat. – Daß Sie es im Gesicht des Erzbischofs nicht gutheißen können, ist möglich; – aber mir können Sie es gar nicht anders als gutheißen. Ich kann meine Ehre durch nichts anderes retten, als daß ich von meinem Entschlusse abstehe? – Wie können Sie doch so einen Widerspruch fassen? Sie dachten nicht, als Sie dieses schrieben, daß ich durch einen solchen Zurückschritt der niederträchtigste Kerl von der Welt, würde. Ganz Wien weiß, daß ich vom Erzbischof weg bin – weiß warum! – weiß, daß es wegen gekränkter Ehre – und zwar zum dritten Male gekränkter Ehre geschah – und ich sollte wieder öffentlich das Gegenteil beweisen? – soll mich zum Hundsfott und den Erzbischof zu einem braven Fürsten machen? – Das erste kann kein Mensch und ich – am allerwenigsten, und das andere – kann nur Gott, wenn er ihn erleuchten will.
Ich habe Ihnen also noch keine Liebe gezeigt? – muß sie also erst jetzt zeigen? – Können Sie das wohl sagen? – Ich wollte Ihnen von meinem Vergnügen nichts aufopfern? – Was habe ich denn für ein Vergnügen hier? – Daß ich mit Mühe und Sorge auf meinen Geldbeutel denke! – Mir scheint. Sie glauben, ich schwimme in Vergnügen und Unterhaltungen. O, wie betrügen Sie sich nicht! – Wenn das Vergnügen heißt, wenn man von einem Fürsten los ist, der einen nicht zahlt und zu Tod kujoniert, so ist es wahr, ich bin vergnügt. Denn sollte ich von frühmorgens bis nachts nichts als denken und arbeiten, so würde ich es gern tun, nur um so einem – ich mag ihn gar beim rechten Namen nicht nennen, nicht um Gnade zu leben. – Ich bin dazu gezwungen worden, diesen Schritt zu tun, und da kann ich kein Haarbreit davon mehr abweichen – unmöglich. – Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist dies, daß es mir (wegen Ihnen, nur wegen Ihnen, mein Vater) sehr leidtut, daß man mich so weit gebracht hat, – und daß ich wünschte, daß der Erzbischof gescheiter gehandelt hätte, nur daß ich Ihnen noch meine ganze Lebenszeit widmen könnte. – Ihnen zu Gefallen, mein bester Vater, wollte ich mein Glück, meine Gesundheit und mein Leben aufopfern, – aber meine Ehre – die ist mir – und die muß Ihnen über alles sein.«
Es scheint, daß die Hofgesellschaft nun doch alle Hebel in Bewegung setzte, um den Austritt Wolfgangs zu hintertreiben, was ja nur bezeugt, daß man in der Tat allgemein auf Seite des jungen Künstlers stand. Bald sollte dieser noch mehr erfahren, wie sehr man seinen Austritt als Blamage des Erzbischofs empfand. Er konnte sein formelles Abschiedsschreiben nicht anbringen, und des Erzbischofs Haushofmeister, Graf Arco, zögerte ihn bis zum Vorabend der Abreise des Erzbischofs hin. Außerdem hatte man sich hinter den Vater gesteckt, der nun in seinem Sinne an Graf Arco schrieb, so daß dieser Wolfgang einen Brief des Vaters vorhalten konnte. Dieser gab von jedem seiner Schritte nach Hause Rechenschaft, blieb aber unerschütterlich in seinem Vorsatz. »Auf Ihren Brief will ich nur kurz antworten. Denn ich bin der ganzen Sache so müde, daß ich gar nichts mehr davon zu hören wünschte. – Nach der ganzen Ursache, warum ich quittiere (die Sie wohl wissen), würde es keinem Vater einfallen, über seinen Sohn darüber böse zu sein; vielmehr wenn er es nicht getan hätte. Desto weniger, wie Sie wußten, daß ich schon ohne alle Ursache dazu Lust hatte ... Und ernst kann es Ihnen unmöglich sein, Sie müssen sich wegen dem Hof also verhalten. Doch bitte ich Sie, mein bester Vater, nicht zu viel zu kriechen, denn der Erzbischof kann Ihnen nichts tun. Meine einzige Absicht ist, weiß Gott, Ihnen und uns allen zu helfen. Muß ich es Ihnen denn hundertmal schreiben, daß ich Ihnen hier mehr nütze bin als in Salzburg! – Ich bitte Sie, mein liebster, bester Vater, schreiben Sie mir keine solchen Briefe mehr, ich beschwöre Sie, denn sie nützen nichts, als mir den Kopf warm und das Herz und Gemüt unruhig zu machen. – Und ich – der nun immer zu komponieren habe, brauche einen heitern Kopf und ruhiges Gemüt.«
Es kam aber noch besser, wie der Brief vom 13. Juni zeigt: »Bester aller Väter! Wie herzlich gerne wollte ich Ihnen nicht ferner noch meine besten Jahre an einem Orte aufopfern, wo man schlecht bezahlt ist, – wenn dies allein das Übel wäre. Allein schlecht bezahlt und obendrein verspottet, verachtet und kujoniert, das ist doch wahrlich zu viel. Ich habe für des Erzbischofs Akademie hier eine Sonate für mich, dem Brunetti und Ceccarelli ein Rondo geschrieben, habe bei jeder Akademie zweimal gespielt und das letztemal, da alles aus war, eine ganze Stunde noch Variationen (dazu mir der Erzbischof das Thema gab) gespielt, und da war so ein allgemeiner Beifall, daß, wenn der Erzbischof nur ein wenig ein menschliches Herz hat, er gewiß hat Freude fühlen müssen; und anstatt mir wenigstens seine Zufriedenheit und Wohlgefallen oder meinetwegen gar nichts zu zeigen, macht er mich aus wie einen Gassenbuben, sagt mir ins Gesicht, ich soll mich weiterscheren, er bekomme hundert, die ihn besser bedienten als ich. Und warum? Weil ich nicht eben den Tag abreisen konnte, da er sich es eingebildet hat; ich muß vom Hause weg, muß von meinem Geld leben und soll nicht die Freiheit haben, abzureisen, wenn es mir mein Beutel gestattet, – da ich dazu in Salzburg nicht nötig war und der ganze Unterschied in zwei Tagen bestand. Der Erzbischof hat mir zweimal die größten Impertinenzen gesagt, und ich habe kein Wort gesagt; noch mehr, ich habe bei ihm mit dem nämlichen Eifer und Fleiß gespielt, als wenn nichts wäre; und anstatt daß er meinen Diensteifer und mein Bestreben, ihm zu gefallen, erkennen sollte, geht er eben in dem Augenblick, da ich mir eher was anderes versprechen konnte, zum drittenmal auf die abscheulichste Art von der Welt mit mir um. – Und damit ich nur gar kein Anrecht habe, sondern gänzlich recht behalte, – es ist, als wenn man mich mit Gewalt weg haben wollte. Nun, wenn man mich nicht haben will, es ist ja mein Wunsch. Anstatt daß Graf Arco meine Bittschrift angenommen oder mir Audienz verschafft oder geraten hätte, selbe nachzuschicken oder mir zugeredet hätte, die Sache noch so zu lassen und besser zu überlegen, afin, was er gewollt hätte, – nein, da schmeißt er mich zur Tür hinaus und gibt mir einen Tritt im H...... Nun, das heißt auf deutsch, daß Salzburg nicht mehr für mich ist, ausgenommen mit guter Gelegenheit dem Herrn Grafen wieder ingleichen einen Tritt im A.... zu geben, und sollte es auf öffentlicher Gasse geschehen. Ich begehre gar keine Satisfaktion deswegen beim Erzbischof, denn er wäre nicht imstande, sie auf solche Art mir zu verschaffen, wie ich sie mir selbst nehmen muß, sondern ich werde nächster Tage dem Herrn Grafen schreiben, was er sich von mir zuverlässig zu erwarten hat, sobald das Glück will, daß ich ihn treffe, es mag sein, wo es will, nur an keinem Ort, wo ich Respekt haben muß.«
Mit diesem Fußtritt haben sich Graf Arco und sein Auftraggeber, der Erzbischof, in eine traurige Unsterblichkeit hineingeschmuggelt. Wolfgang schäumte über vor Zorn und Ingrimm. Zwar hat er sich durch den Vater von einer Wiedervergeltung am Grafen zurückhalten lassen; aber das war auch alles. Vermittlungsvorschläge, die ihm der Vater jetzt noch unterbreitete, nahm er nicht mehr an.
Des Vaters Verhalten ist ja aus all den geschilderten Umständen, auch aus seinen früheren Erfahrungen mit Wolfgang schließlich begreiflich und allenfalls auch als Fürsorge für den so ganz Weltunerfahrenen Sohn entschuldbar. Aber ein schweres Unrecht an Wolfgang war es doch, daß er sein Empfinden so gar nicht verstehen konnte, und unklug war es, daß er vom Fünfundzwanzigjährigen noch die gleiche unselbständige Unterwürfigkeit verlangte wie von einem Knaben. Dem Vater mochte ja wohl die Art, wie er Wolfgang von Paris weg- und noch einmal in die Dienste des Erzbischofs hineingebracht hatte, noch immer als eine kluge Tat erscheinen. Wolfgang wird es ihm kaum gezeigt haben, wie schwer er unter dieser Maßregel gelitten hatte. Ein zweites Mal durfte sich Wolfgang nicht beugen, wenn er sich nicht verlieren wollte. Es ist erfreulich, die stolze Sicherheit zu sehen, mit der er auch des Vaters Hinweis auf sein Seelenheil beantwortet: »Wegen meinem Seelenheil seien Sie ohne Sorgen, mein bester Vater! Ich bin ein fälliger junger Mensch wie alle andern, und kann zu meinem Trost wünschen, daß es alle so wenig wären wie ich. Sie glauben vielleicht Sachen von mir, die nicht also sind. Der Hauptfehler bei mir ist, daß ich nach dem Scheine nicht allezeit so handle, wie ich handeln sollte ... Übrigens seien Sie versichert, daß ich gewiß Religion habe, – und sollte ich das Unglück haben, jemals (welches Gott verhüten wird) auf Seitenwege zu geraten, so spreche ich Sie, mein bester Vater, aller Schuld los. Denn nur ich allein wäre der Schurke; Ihnen habe ich alles Gute sowohl für mein zeitliches als geistliches Wohl und Heil zu danken.« (13. Juni 1781)
Der Vater hat ihm diese Enttäuschung nie verziehen; er hat auch – das nächste Kapitel wird es zeigen – mit einer etwas kleinlichen Rechthaberei und einer unschönen Verletztheit in der Zukunft seinem Sohn jene liebevolle Unterstützung versagt, um die ihn dieser anhielt. In der Hinsicht hat Wolfgang zweifellos den größeren Charakter bewährt. Denn er hing nach wie vor dem Vater mit gleicher Liebe und Verehrung an. Aber das war ihm in diesem Streite klar geworden, daß er nun auf sich allein gestellt war. Er war frei geworden, frei vom Dienst, frei auch von der gewiß immer gut gemeinten, aber doch oft recht kurzsichtigen Bevormundung des Vaters. Als Künstler stand der Komponist des »Idomeneo« selbstherrlich da; der Mensch war aus dem Jüngling zum Mann geworden.