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43.
Klara Sigrists Bericht

Mein Mann hatte mich in eine Ecke der Zelle gezogen und mir schnell zugeflüstert, was geschehen war. Dann ließ er mich mit Margot Sandner allein.

Ich war von dem Schicksal der unglücklichen Lisbeth noch ganz erschüttert. Aber ich nahm mich zusammen. Hier ging es nicht um die Tote, sondern um die Lebende von uns drei einzigen Schulkameraden – um die Margot. Die mußte man seelisch wieder auf die Beine bringen. Man mußte zu ihr wie zu einer Schwester reden. Und zugleich wie zu einer Kranken. Man mußte gut zu ihr sein.

Ich hatte die Margot zuletzt im Winter ein paar Tage vor der Schreckensnacht gesehen. Sie war in der Zwischenzeit sehr blaß geworden – und nun gar nach dem Tod der Lisbeth. Aber sie hatte sich gar nicht verändert. Ich glaube, diese Frau wird sich nie verändern. Die wird immer im Traum durchs Leben gehen. Wir anderen müssen ihr helfen.

»Margot«, sagte ich und saß ihr gegenüber, »wir kennen uns von der Schulbank her. Wir waren immer Freundinnen. Das Wort brauche ich nicht so leichthin. Das weißt du! Ich nenne mich deine Freundin – nicht weil du ein sonderbarer, aparter Mensch bist und eigentlich mein gerades Gegenteil – oder vielleicht gerade deswegen – aber vor allem, weil du ein furchtbar anständiger, rein und vornehm denkender Mensch bist, bei all deinen Verdrehtheiten. Niedrige Sachen kommen gar nicht an dich heran. Das habe ich immer gesagt – mein Mann kann es bezeugen, wie ich ihm damit die Monate durch in den Ohren gelegen hab', und gepredigt: Laßt doch um Gottes willen die Margot laufen! Glaubt ihr doch nicht! Das ist ja Unsinn, daß die Margot so etwas anstellt!«

Ich nahm die Hände der Margot in meine und schaute ihr ins Gesicht und sagte:

»Aber, Margot – jetzt mußt du reden! Das gehört sich. Sogar die unglückliche Lisbeth hat ihre Schuld eingestanden! Herrgott – das kann doch nicht so schwer sein!«

»Doch. Sehr«, sagte die Margot. Sie redete wenigstens. Nur jetzt nicht drängen.

»Wenn es schwer ist«, sagte ich, »dann lastet es sicher auch schwer auf dir, und es wird dich erleichtern, wenn du dein Herz endlich einmal ausschütten kannst. Das kannst du bei mir ruhig tun. Ich bin einer von den wenigen Menschen, die dich verstehen, Margot!«

»Ja. Das weiß ich!« sagte sie leise. Ich habe ihre Hände festgehalten und gesagt:

»Das ist nicht so leicht! Du machst es nämlich deinen Mitmenschen gar nicht leicht, Margot!«

»Das weiß ich auch!« sagte die Margot schon weicher und ließ ihre Hände in meinen. »Aber – du bist so ganz anders wie ich.«

»Eben deshalb!« rief ich.

»Du bist so klar«, sagte sie. »So ganz in dir ausgeglichen. Du bist so ein tüchtiger Mensch. Du machst es dir auch nicht leicht. Du nimmst das Leben wahrhaftig auch nicht leicht, sondern sehr ernst und voll Pflichten. Aber du wirst eben mit dem Leben fertig. Du stehst immer darüber. Ach – ich wollte, ich wäre wie du!«

»Dann wärst du eben nicht du, du arme, närrische liebe Margot!« sagte ich. »Sondern die ganz hausbackene, selbstverständliche, einfache Frau Sigrist, wie es deren ungezählte in Deutschland gibt!«

»Ach – es kann gar nicht genug von euch geben!«

»Weißt du«, sagte ich, »ich bin nicht gekommen, um Komplimente von dir zu hören, sondern um dir zu helfen. Du hast keine Schwester. Du bist allein bei deinem Vater aufgewachsen, und der war Witwer, und das hat dich auch so eigenbrödlerisch gemacht. Aber du mußt jetzt denken: Du hast eine Schwester, und da sitzt sie und begreift alles sehr gut, was du ihr jetzt erzählen wirst.«

»Ach – das ist zu hoch und zu heilig ...«, sagte die Margot scheu.

»Das ist doch schön!« sagte ich. Darauf sie, träumerisch und leise, recht so wie sie so ist:

»Das ist zu märchenhaft für diese Welt!«

»Erzähle mir dein Märchen!« bat ich und nickte ihr herzlich zu. Jetzt sah ich an ihren dunklen Augen, daß sie endlich Zutrauen zu mir bekam.

»Es ist doch das Wunderbare in mein Leben gekommen!« sagte sie plötzlich lebhaft und setzte sich auf und fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Ich habe doch immer gedacht und geträumt: Es kommt!«

»Das kommt jedem Menschen einmal, Margot! Sonst lohnte es sich gar nicht zu leben!«

»Wer gerade zu mir! Ich habe mich oft gefragt: Warum gerade zu dir? Dich hat die Natur doch nicht mit ihren Gaben überschüttet. Du hast keinen Anspruch darauf. Nur die Sehnsucht. Die große Sehnsucht.

Und auf einmal war es da!«

Das hat die Margot ganz geheimnisvoll ausgesprochen. Sie saß ganz verklärt da, in der Erinnerung, wie ein Kind vor dem Weihnachtsbaum.

»Da ist er gekommen!« sagte sie leise und schwärmerisch. »Du liebst gewiß deinen Mann. Aber wie ich meinen geliebt habe, das kann ich dir gar nicht sagen. Du würdest das gar nicht verstehen!«

»Das war mehr Anbetung!« sagte ich. »Das haben wir, deine Freundinnen, wohl gemerkt!«

»Das war mehr!« sagte die Margot. »Das war die Erfüllung. Das war für mich der Sinn des Lebens. Nicht, daß er mich aus meinen schlichten Verhältnissen heraus mit allem erdenklichen Luxus umgeben hat und immer gut und freundlich zu mir war – dafür war ich ihm gewiß dankbar, aber das war es nicht. Ich habe zu ihm aufgeschaut! Ich habe gedacht: So etwas gibt es auf der Welt nicht wieder!«

»Du hast dir, wie du eben bist, aus dir heraus eine Lichtgestalt geschaffen!« begann ich. Die Margot sprang auf und schrie:

»Nun, und wenn ich sie geschaffen habe, dann gehört sie mir. Dann lebt sie. Dann ist sie mein Leben. Das gebe ich euch nicht wieder her. Das behalte ich für mich. Nur für mich! Das ist zu schön!«

»Aber dann kam das furchtbare Erwachen!« sagte ich. Die Margot ging außer sich in der kleinen Zelle auf und nieder.

»Nein. Das waren zwei Menschen!« sagte sie. »Meiner und der andere. Von meinem habe ich mich nicht trennen können, und den anderen durftet ihr nicht sehen. Sonst wäre auch das Bild des Meinen in mir zerstört worden, wenn die Leute auf der Straße mit Fingern auf mich gewiesen hätten: ›Da geht die Frau von dem berüchtigten Sandner – wenn der nicht tot wäre, säße er jetzt im Gefängnis und klebte in Sträflingskleidern Tüten!‹ ... Er ... Er ...

Nein – so wollte ich ihn euch nicht preisgeben!« rief sie. »Das, was mir das Höchste auf Erden war, das sollte auch nach seinem Tode so weiterleben! O pfui – pfui – pfui – so darf man doch die Welt nicht entweihen ...«

»Das ist doch nicht die Welt, Liebste, sondern deine Einbildung ...«

»Ich lebe in der Einbildung. Das ist meine Welt. Sonst ist die Welt für mich ohne Wert ... Als ich Sandner in seiner wahren Gestalt sah, da ist die Welt für mich untergegangen. Ich habe sie nicht mehr verstanden. Ich wollte nur weg aus der Welt.«

Plötzlich lächelte Margot Sandner und blieb stehen und sagte:

» ... und das große Geheimnis hinter mir lassen, so daß hinter ihm und mir alles in Schönheit zurückbleibt, so wie ich mit ihm gelebt habe. Ich habe ja gar nicht gewußt, wer der Mörder war. Ich habe nur gewußt: Wenn man ihn herauskriegt, dann weiß man bald auch, wer Leopold Sandner war. Dann ist alles hin. Es bleibt nur der Ekel und die Häßlichkeit ...

Trotzdem hätte ich mir das alles vielleicht nicht so klar gemacht«, fuhr die Margot ruhiger fort und setzte sich wieder, »wenn sie nicht gleich nach dem Schuß, wie ich ganz starr dasaß, in die Villa gedrungen wären und auf mich gewiesen und geschrien hätten: ›Da sitzt ja die Mörderin!‹ Da habe ich geschwiegen und sie in dem Glauben gelassen, um dem Mörder Zeit zu geben, zu entfliehen, und bin auf alle Fälle während der Untersuchungshaft bei meinem Schweigen geblieben und habe so jede Spur verwischt, wenn sie überhaupt je auf eine gekommen wären. Aber sie haben sich ja immer mehr hinein verbissen, daß ich es war. Dein Mann an der Spitze. Ich trage es ihm nicht nach. Ich habe ihn ja selber in seinem Irrtum bestärkt ... «

»Und in dieser Einsamkeit der Haft habe ich eine solche Todessehnsucht bekommen: Nur fort aus dieser Welt..«, schloß die Margot Sandner, »daß ich in der Gerichtsverhandlung mir dachte: ›Wenn du stirbst, dann ist es ganz sicher, daß nie jemand auf der Welt erfährt, wer Sandner war, und du nimmst sein Bild vor den Menschen unzerstört auf immer mit hinüber. Denn der Mörder wird sich schon nicht melden.‹ Da ist das plötzlich übermächtig in mir geworden, und ich habe gestanden! Und das andere, Klara, weißt du ja!«


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