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Brauchen wir Kolonien?

Vortrag in der Deutschen Kolonial-Gesellschaft. 7. 6.1916

Dreierlei hat uns England geneidet: Die Entwicklung zur Weltwirtschaft, die Erstarkung der deutschen Handels- und Kriegsflotte und die Erwerbung und den Ausbau unserer Kolonien! In ihnen prägte sich Neudeutschland aus. Von diesem Neudeutschland hat Bismarck, wie Bülow berichtet, einmal gesprochen, als er nach seiner Entlassung im Hamburger Hafen das gewaltige Bild auf sich einwirken ließ, wie an dieser brausenden Stätte des Weltverkehrs die Schiffe aus- und einzogen, die Hämmer auf den Werften dröhnten, und alles Leben, Arbeit und Weltgeltung predigte. Da brach er in die Worte aus: »Sie sehen mich ergriffen und bewegt, ja, das ist eine neue Zeit, das ist eine ganz neue Welt.«

Das Einst und Jetzt tritt uns vor Augen, wenn wir in diesem Kriege erkennen, wie man uns die Weltgeltung neidete. »Uneins zu Haus, nach außen klein«, das war das alte Deutschland. Mit der Reichsgründung setzte die neue Entwicklung ein, die uns in rascher Folge an die zweite Stelle des Welthandels brachte. Vor uns nur noch England, nach ihm in engem Abstande wir, erst an dritter Stelle die großen mächtigen, einem Weltteil gleichenden Vereinigten Staaten von Amerika. Das war der Zustand der Weltwirtschaft vor Ausbruch des Krieges. Für denjenigen, für den Ziffern zum Leben erwachen, zeigen die letzten zwanzig Jahre, wie in fortwährendem Ringen der Abstand zwischen England und Deutschland immer kleiner wurde und wie die Zeit immer näher rücken mußte, in der überhaupt nicht mehr England, sondern Deutschland an der Spitze des Welthandels stehen mußte. Industriell hatten wir England längst überflügelt. Da, wo es sich um Länder mit freiem Wettbewerb handelte, stand Deutschland an führender Stelle. Eines vor allem predigte uns die Ziffer der Ausfuhr, nämlich, daß wir England auf dem Gebiete der Ausfuhr von Erzeugnissen längst um Milliarden überholt hätten, wenn England nicht ein gewaltiges Aufnahmebecken für englische Waren gehabt hätte: die englischen Kolonien. Auf dem Gebiete des freien Wettbewerbes, also ohne Kolonien, führte Deutschland 1912 für 8905 Millionen Mark aus, England für 6113 Millionen Mark. Hier führte Deutschland also. Von seiner führenden Stelle wurde es aber herabgedrückt, weil Englands Kolonialreich für 3830 Millionen Mark dem Mutterlande abnahm und diese hierdurch noch einmal insgesamt an die erste Stelle im letzten Jahre vor dem Kriege aufrückte. So zeigt uns England, wie auf dem Besitz von entwicklungsfähigen Kolonien die Wirtschaftsentwicklung großer Völker aufgebaut werden kann, und deshalb möchte ich dieses Bild an die Spitze unserer Betrachtungen stellen.

Es zeigt uns aber auch ein Zweites. Deutlich ist in dieser Entwicklung der Satz ausgeprägt, daß der Kaufmann der Macht folgt: Nur das mächtige England, das die Meere beherrschte, konnte ein so gewaltiges Kolonialreich aufrechterhalten und zum wirtschaftlichen Untergrund seiner mächtigen Handelsentfaltung machen. Auch in Deutschland hatte nach der Gründung des Reiches die Industrie in gewaltiger Entwicklung eingesetzt. In einem unserer markantesten Industriegebiete, im Königreiche Sachsen, entstanden 80 vom Hundert der Industriebetriebe erst nach der Gründung des Deutschen Reiches. Mit der deutschen Flagge zugleich zog der deutsche Kaufmann hinaus in die Welt und arbeitete an der gewaltigen Entwicklung des deutschen Welthandels, die bezeichnenderweise zuerst das Reichsmarineamt in seiner Denkschrift niederlegte, die es über die Bedeutung der deutschen Überseeinteressen bei der vorletzten Flottenvorlage veröffentlichte. Diese große, weltwirtschaftliche Entwicklung, in die Deutschland hineingezogen wurde, verlangte die Begründung einer deutschen Flotte und die Entwicklung einer deutschen Kolonialpolitik: einer deutschen Flotte als militärischen Schutz dieses bis auf 20 Milliarden jährlich angewachsenen Welthandels; die Entwicklung deutscher Kolonien wegen der Notwendigkeit seiner wirtschaftlichen Fundierung. Wenn wir heute zurückblickend auf diese Dinge schauen, so können wir dies allerdings nicht ohne den Ausdruck des tiefsten Bedauerns darüber tun, daß wir auf beiden Gebieten doch nicht genug geleistet haben. Der deutsche Welthandel bedurfte zu seiner Sicherung auch einer großen Flotte deutscher Auslandkreuzer. Wie hat man aber diejenigen als Utopisten und uferlose Flottenphantasten hingestellt, die es gewagt haben, diese Forderung aufzustellen. Jetzt, als der Weltkrieg kam, sahen wir mit Beben, wozu unsere Auslandkreuzer und ihre tüchtige Besatzung verurteilt waren, zum Tod oder zum Anlaufen eines feindlichen Hafens. Wir selbst haben durch unsere Kleinlichkeit eine große Zahl in den sicheren Tod getrieben, weil es klar war, daß eine so kleine Flotte von Auslandkreuzern sich nicht halten konnte, weil wir weiter auch nie durchgesetzt hatten, Flottenstützpunkte zu schaffen, deren eine Auslandkreuzerflotte bedarf. England konnte ganze Länder einstecken, und die Welt fand es in Ordnung. Wenn aber irgendwo der Gedanke auftauchte, daß Deutschland eine Kohlenstation oder einen Flottenstützpunkt erwerben wollte, dann verwahrte sich die »Norddeutsche Allgemeine Zeitung« gegen diese bösen Leute, die Deutschland so etwas Furchtbares zutrauten.

Das war der eine Punkt, wo wir die Dinge nicht folgerichtig bis zum Letzten durchgedacht haben. Ähnlich ist es auch mit unseren Kolonien gewesen. Es gibt zwei Wege: Entweder verzichtet man auf Kolonialpolitik und Kolonialentwicklung, oder aber man treibt beides in großem Maße und stellt die genügenden Mittel dafür zur Verfügung. Jeder Kaufmann weiß, wenn er eine Filiale errichtet, muß er sie auch mit genügenden Mitteln ausstatten. Wie kleinlich, ja man kann wohl sagen, wie erbärmlich hat sich Deutschland seinen kolonialen Bedürfnissen gegenüber lange Zeit verhalten. Wie ist gefeilscht worden um jede Million, die hineingesteckt werden sollte in die deutschen Kolonien. Erst in den letzten Jahren ist etwas Dampf in die Entwicklung gekommen, die Folgen sind nicht ausgeblieben und haben sich in der Steigerung der wirtschaftlichen Entwicklung unserer Kolonien gezeigt.

Aber hier blieben wir wieder bei einem anderen Punkte stehen. Wenn man Kolonien hatte, über denen die deutsche Flagge wehte, dann war es auch Pflicht der Regierung, für die Verteidigung dieser Kolonien ausreichend zu sorgen. Dann mußte das Heer verstärkt, mußte die Zahl der Kanonen vermehrt, die Grenzen befestigt werden. Wenn ich nicht irre, hat Fürst Bülow 1907 vorgeschwebt, wenn die Wahl eine große Mehrheit für zielbewußte Kolonialpolitik ergeben würde, für Südwestafrika eine derartige Sicherung zu schaffen. Es hätte dies auch völlig im Sinne Bülowscher Politik gelegen, denn aus seinen Darlegungen, die er zum Regierungsjubiläum des Kaisers veröffentlichte, geht das eine klar hervor, daß er den Kampf mit England für unvermeidlich ansah und sich darauf einstellte. Andere glaubten, die Dinge richtiger zu sehen, wenn sie alles auf eine Verständigung mit England einstellten und weiter auf das ungeschriebene Gesetz, daß der schwarze Erdteil in diesen Weltkrieg nicht hineinzuziehen sei, als einem feststehenden Grundsatz in dem Herzen aller Völker bauten. Der Verlust des größten Teiles unserer Kolonien, die Divisionen von Schwarzen, die gegen uns fechten, mögen uns Antwort darauf geben, auf welcher Seite die Utopisten gestanden haben.

Indessen lohnt es nicht, nur rückblickend die Dinge zu betrachten. Was in der Vergangenheit versäumt wurde, muß uns in der Gegenwart und Zukunft als Lehre dienen. Jetzt müssen wir die Folgerung ziehen aus dem, was wir erlebt haben. Die Erhaltung unseres Kolonialbesitzes ist eine dieser ersten Forderungen. Dafür sprechen einmal wirtschaftliche Gründe. In dem Wirtschaftskampf unserer Gegner, der auch nach dem Kriege fortgesetzt werden wird, brauchen wir die möglichst ungehinderte Rohstoffzufuhr, zu der unser nach Möglichkeit erweiterter Kolonialbesitz einen großen Teil beitragen kann. Wir müssen uns daran gewöhnen, in Weltteilen zu denken und dürfen nicht zusehen, daß auf der Welt Gebiete der Rohstofferzeugung, die für uns notwendig sind, lediglich in den Händen anderer Völker sich befinden, die es dann bestimmen können, ob und zu welchen Bedingungen sie uns Rohstoffe liefern wollen. Geht doch das Gespenst der Ausfuhrzölle schon heute durch die Länder, bemüht man sich doch, Deutschland dadurch wettbewerbsunfähig zu machen, daß man die Quellen seiner wirtschaftlichen Entwicklung durch unterschiedliche Behandlung in der Preisfrage verstopfen will.

Ebenso groß ist aber auch die Bedeutung des Kolonialbesitzes für die Ausfuhr deutscher Erzeugnisse. Nicht auf Ziffern der Gegenwart kommt es allein an, sondern auf ihre Entwicklungsfähigkeit in der Zukunft. In einer Zeit, in der England durch die Vorzugsbehandlung seiner Kolonien sich jenes Großengland schafft, das einst Chamberlain vorschwebte: Einig in der gemeinsamen militärischen Rüstung, einig in der gemeinsamen wirtschaftlichen Rüstung, einer Zeit, in der der Begriff der »offenen Tür«, d. h. der Begriff der wirtschaftlichen Gleichberechtigung der Völker in kolonialen Gebieten, eine nicht größer ernst zu nehmende Bedeutung hat, als etwa die Beachtung der Neutralität Griechenlands, müssen wir uns um so mehr dagegen wehren, daß uns die Gebiete verlorengehen, in denen wir die Gesetze der Ein- und Ausfuhr bestimmen. Je mehr unsere Feinde den Wirtschaftskampf predigen, um so mehr wollen wir uns auf unsere eigene Kraft verlassen und deshalb auf koloniale Geltung nicht verzichten.

Dies um so weniger, als diese deutschen Kolonien doch auch ein Stück der deutschen Seele sind. Tausenden waren sie die Heimat, mit deutschem Blut sind sie getränkt, Schritt für Schritt wurden sie verteidigt, ehe wir die Flagge niederholen mußten im ungleichen Kampfe. Was steckt nicht für deutsche Arbeit in Deutschostafrika. Was hat nicht das Reichsmarineamt aus Kiautschau gemacht, wieviele deutsche Sehnsuchtsträume gelten den deutschen Besitzungen auf Samoa und allen anderen Gebieten sonst. Wir leben heute in einer Zeit, in der die Seele ihre Flügel ausbreiten kann, lassen wir unsere Gedanken und Empfindungen nicht untergehen im Alltagsgetriebe ewig gleichbleibender Großstadtbewegung, sondern hegen und pflegen wir auch jedes Samenkorn deutscher Romantik, das sich im Maschinenzeitalter noch aufrechterhalten läßt! Das Reich hat durch seine Flagge denen, die in den Kolonien Heimatsstätte erworben, Schutz versprochen und muß ihnen diesen Schutz halten in dem kommenden Frieden. Wir lassen uns von England wirtschaftlich nicht aushungern, und wir lassen uns von England auch weltpolitisch nicht aushungern. Das soll unser Losungswort in der Gegenwartsstunde sein.

Die Wiederherstellung unserer Kolonien ist deshalb eine Forderung, in der das ganze deutsche Volk einig ist. Werden sie uns aber wiedergegeben, hoffentlich in erweiterter Gestalt, dann lassen Sie uns in Zukunft auch den festen Willen zeigen und Zähne und Nägel daransetzen, um in einer intensiven kolonialwirtschaftlichen Entwicklung zu erreichen, was überhaupt Fleiß, Tüchtigkeit, Technik und Wissenschaft, unterstützt durch große finanzielle Mittel, aus einem deutschen Kolonialbesitz machen kann. Dazu ist aber weiter ein großer militärischer und maritimer Schutz notwendig. Wie die Grenzlande in Elsaß und Ostpreußen, so müssen wir die Kolonien schützen gegen feindliche Überfälle. Deutsche Kolonialpolitik, gestützt durch ausreichende militärische Verteidigung und durch eine starke deutsche Flottenpolitik, wird uns Kolonien schaffen, die in der Lage sind, sich gegebenenfalls auch selbst zu behaupten. Nur wenn diese Sicherheit gegeben ist, wird sich auch die deutsche Unternehmungslust den Kolonien wieder zuwenden, während es die Tötung jedes kaufmännischen kolonialen Wagemutes bedeuten würde, wenn die Behauptung der deutschen Kolonien weiter von Englands Gnaden abhinge.

Der Deutsche ist ein seltsamer Kauz, seine Truppen und seine Flotte erfechten die größten Siege der Weltgeschichte, aber vor nichts bangt ihm mehr als vor dem Bewußtsein seiner eigenen Größe. Er vernimmt, ohne irgendwie aufzuzucken, daß England in Calais bleiben könnte, daß es sich in Saloniki festsetzt, daß es Lissabon zu einem englischen Hafen besetzt, daß es die letzten strategisch wichtigen Inseln im Mittelmeer besetzt, die noch nicht sein eigen sind, und denkt, daß es so sein muß und gewissermaßen von Gott gewollt ist. Wenn aber ein Deutscher auszusprechen wagt, daß Deutschland mit seinen siebzig Millionen Einwohnern dasselbe Recht hat, dann hat er sich nicht nur zu wehren gegen die deutschen Feinde im Auslande, sondern auch gegen die Philister im Innern. Wenn noch einmal gerungen werden muß um Sein oder Nichtsein, so soll den Brüdern in den Kolonien nicht die Wahl bleiben zwischen Tod und englischer Gefangenschaft, sondern wir müssen zeigen, daß uns die deutschen Kolonien und ihre Bewohner ebenso wert sind wie jeder Deutsche in seiner engeren Heimat. Dieser feste Wille möge uns beseelen, wenn wir an die Schaffung eines neuen deutschen Kolonialreichs gehen, und die Deutsche Kolonialgesellschaft möge das ihre tun, um dem zum Ausdruck zu verhelfen, damit bei den Friedensverhandlungen unsere Unterhändler in diesem Sinne den Grundstein für die zukünftige koloniale Arbeit Deutschlands legen.


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