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24.6. bis 5.7.1916
Erinnerungsreiche Tage liegen hinter uns, da wir als Gäste des bulgarischen Volkes Land und Volk unserer Verbündeten kennengelernt haben. Eine Erwiderung des Besuches von Vertretern der bulgarischen Sobranje sollte unser Besuch sein. In den amtlichen Berichten, die über diesen Besuch veröffentlicht worden sind, überwiegt die Note des Repräsentativen, und manch einer stellte sich vielleicht vor, daß die Reise eine ununterbrochene Folge von Festessen mit gegenseitigen Begrüßungsreden war. Sie war aber mehr, war die Kundgebung einer Volksseele von so unwiderstehlicher Gewalt, daß die Zeugen dieser Entfaltung einer reichen Begeisterungsfähigkeit nur mit tiefster Ergriffenheit daran zurückdenken können.
Man kann Kundgebungen organisieren, aber man kann nicht ihren Geist bestimmen. Das Programm unserer Reise war bis in alle Einzelheiten vorbereitet. Niemals aber konnte diese Teilnahme des bulgarischen Volkes an dem Empfang der deutschen Volksvertreter vorbereitet sein. Wenn die Erinnerung das einzige Paradies ist, aus dem wir nicht vertrieben werden können, so dürfen wir Abgeordneten wohl sagen, daß die in Bulgarien verlebten Stunden und Wochen uns immer vor Augen stehen werden. Die Zehntausende, die uns jubelnd in Sofia und Philippopel begrüßten, diese Begeisterung einer Bevölkerung, die uns mit Blumen überschüttete und mit deutschen Fahnen zuwinkte, diese unübersehbare Menge von Schulkindern, die, deutsche Lieder singend, an uns vorüberzogen, der mächtige nächtliche Fackelzug am zweiten Tage unseres Aufenthaltes, die Ansprachen der Mazedonier, die immer wieder dem Deutschland dankten, das für Bulgariens und Mazedoniens Freiheit gekämpft hatte, der Vorbeimarsch der bulgarischen Kadetten, die mit jugendhellen Stimmen das deutsche Lied uns zusangen: »Ich hatt' einen Kameraden« – das alles waren die gewaltigen Eindrücke in Bulgariens Hauptstadt.
Nicht so gewaltig, aber ebenso ergreifend waren die Empfänge in den kleinen Orten. Da waren sie herbeigeeilt, oft meilenweit in ihren malerischen Trachten, um die Germanski Deputati zu sehen und zu begrüßen. In schlichten, aber wohlgesetzten Worten hielten sie ihre Reden, Früchte des Landes brachten sie dar, um die Gäste zu ehren, hier Blumen, dort Getreide, da Pfirsiche und Kirschen, Rosenöl und andere Landesprodukte. Selbst in der Nacht, wenn der Zug an irgendeiner kleinen Station hielt, dann standen manchmal Hunderte, um ihn zu begrüßen. Mächtig geht der Siegeszug der deutschen Sprache durch das Land, kaum ein Ort, in dem die Schulkinder unsere deutschen Lieder nicht in deutscher Sprache sangen, in dem die jungen Mädchen, die uns Blumensträuße überbrachten, uns nicht ein deutsches Willkommen entboten hätten. Prächtige Bilder des Zusammenlebens deutscher und bulgarischer Soldaten in Warna, wie sinnbildlich das Modell, das uns dort überreicht wurde, das einen deutschen und bulgarischen Kameraden zeigt, die zusammen kämpfen für die Größe und Freiheit Bulgariens, für die Unabhängigkeit ihrer Lande. Im hohen Felsen steht in der alten Krönungsstadt Tirnowo die Inschrift, die späteren Geschlechtern noch davon erzählen soll, daß es deutsche Soldaten waren, die neben Bulgaren für Bulgariens und Mazedoniens Freiheit gefochten haben. Dankbares Anerkennen der großen Kräfte des mächtigen Verbündeten, ein Hinaufschauen zu der Kulturgröße Deutschlands, ein festes Bestreben, ihm nachzuahmen auf allen Gebieten, das klang in unzähligen Variationen uns immer wieder entgegen, das wurde uns bestätigt in vielen privaten Besprechungen, die wir haben konnten, und die das Bild vervollständigten, das die offiziellen Empfänge boten. Die deutschen Soldaten, die deutschen Techniker und die deutschen Schulmänner, die haben uns die Herzen dieses Volkes erobert. Wenn da im Lazarett ein verwundeter bulgarischer Offizier aufsteht und in hinreißenden Worten uns begrüßt, wenn da ein deutscher Arzt erzählt, wie meilenweit die Menschen zu ihm kommen, weil sie der festen Überzeugung sind, daß die deutsche Wissenschaft ihnen alles wiederzugeben vermag, was die Natur ihnen genommen hat, dann hat man die Empfindung, die sich in jedem von uns niederlegte, daß dieses Land gewillt ist, treu mit uns zu gehen, und daß wir herzlich und freundschaftlich die Hand ergreifen sollten, die es uns darbietet.
Reich und gesund ist Land und Volk. Reich und überströmend an Volkskraft. Ein kernhaftes Volk ohne die Kulturunsitten der modernen Völker im Anfang des 20. Jahrhunderts. Hier bedarf es keines Vereins für Bevölkerungspolitik, keiner französischen Gesetze gegen die Beschränkung der Kinderzahl. Ein Überschuß von Männern sichert Mädchen und Frauen einen Heimstand, keine Prostitution, keine unehelichen Kinder, ein unendlich reicher Kindersegen, ein einfaches und inniges Familienleben, das ist der Grundtypus bulgarischen Lebens. Wer sich als Soldat im Kriege eine geschlechtliche Infektion zuzieht, wird vor der Front erschossen, das ist bulgarische Auffassung von den Pflichten des Soldaten, die hundertmal mehr wert ist, als das Gewährenlassen jeden Übels, das anderwärts eingerissen ist. Mit verhältnismäßig geringen Verlusten ist Bulgarien bisher in diesem Krieg an das Ziel seiner Wünsche gekommen, es ist ein wachsendes Volk, dieses Bulgarien von heute.
Reich und gesegnet ist seine Volkswirtschaft. Vieles kann noch erweitert und vergrößert werden auf dem Gebiete seiner landwirtschaftlichen Erzeugung. Ebenso liegen in seinem Boden noch ungehobene Schätze, die Tatkraft und Kapitalkraft zu fördern vermögen werden. Seine modernen Städte, wie Sofia, wachsen riesenhaft, haben aber mit dem Wachstum verstanden, auch ihre sozialen und hygienischen Einrichtungen mit zu entwickeln. Die Handelsstraßen des Orients, über Philippopel hingehend, zeigen sich ebenso in dem Handel dieser Städte, wie die Wege des Seeverkehrs die große Hafenstadt Bulgariens, Warna, hervorgerufen haben. Was auf dem Gebiete handelspolitischer Ausbildung und der Hingabe von Mitteln für die Förderung von Handel und Industrie geleistet werden kann, konnten wir an der Tätigkeit der Handelskammern beobachten. Unterstützt wird das alles durch ein reiches Bildungsstreben, das geradezu überwältigend anmutet. Ich glaube nicht, daß unsere ersten Großstädte besser ausgestattete Gymnasien haben, als sie uns hier in kleinen bulgarischen Städten vor Augen geführt wurden. Ich glaube nicht, daß sich in deutschen Städten derartige Mädchengymnasien halten könnten, wie wir sie besuchen konnten. Dabei wird Bulgarien durch seine Vergrößerung davor bewahrt werden, sich ein Bildungsproletariat großzuziehen, das sonst vielleicht entstehen könnte. So sind nach jeder Richtung hin für die Landwirtschaft, Industrie und die akademischen Berufe die Aussichten auf das beste bestellt.
Schön ist dieses Land. Wie wenige kennen diese Schönheiten. Die 250 Kilometer lange Fahrt, die wir in Automobilen nach dem Königssitz Tscham Korya und vorher nach dem Kloster Rilo unternommen haben, haben uns Schönheiten der Natur vor Augen geführt, auf die wohl die Worte des Dichters passen: »Trinkt ihr Augen, was die Wimper hält, von dem goldnen Überfluß der Welt.« Wie viele Wege sind uns für die Zukunft verschlossen, auch wenn der Frieden wieder gekommen sein wird, welch dankbare Aufgabe bietet sich hier der Deutsch-Bulgarischen Gesellschaft und anderen Organisationen, um dem wanderlustigen und schönheitsdurstigen Deutschen diese Welt der bulgarischen Berge näherzubringen, auf denen sich ihm ebenso wie uns das Herz weiten wird, wenn er den Sonnenuntergang auf den Höhen des Balkans genießt, wenn er seine Schritte in diese noch unberührten Naturgebiete lenkt. Und wer das Meer liebt, dem kann es gar nicht köstlicher rauschen, als im Meeresgarten in Warna, wo die Stadt die Anlage großer Seebäder plant, und wer in der Lage ist, sich Schlösser zu errichten, oder wer von einfachen Landhäusern aus hinausschauen möchte über Wälder ins Meer, dem wird sich dort ebenso Gelegenheit bieten, wie mancher Deutsche früher in Italien und anderen Ländern sein Tuskulum besaß.
Die stärkste Erinnerung wird für jeden von uns wohl die Begegnung mit Bulgariens König gewesen sein. Nicht der König, sondern die Persönlichkeit war es, von der eine große Anziehungskraft ausströmte, die jedem von uns unvergeßlich sein wird. Was hat die Intelligenz dieses Mannes in seiner neuen Heimat nicht alles geschaffen, trotzdem er sich gewiß nur schwer durchsetzen konnte. Wenn der König mit uns hinausgeschaut hätte auf die freudig bewegte Menge, die bei dem Fackelzug vor dem Offizierskasino uns deutschen Abgeordneten immer wieder und wieder zujubelte, dann wäre wohl die Erinnerung in ihm wachgerufen worden, was Sofia war, als er dort einzog, und was es geworden ist in der Gegenwart. Wie auch die Gemütsanlage dieses Volkes anders geworden ist, das uns von Kennern des Landes geschildert wurde als ein früher mürrisches und verdrossenes, das jetzt zu einem zur Lebensfreude erwachenden, von tiefem nationalem Gefühl erfüllten Volk wurde.
Für die Landwirtschaft seines Landes, für Forsten und Ackerkulturen hat dieser Freund der Wälder und der Pflanzen unendlich viel getan. Seine Schlösser Euxinograd und Tscham Korya sind ebenso ein Denkmal seiner Tätigkeit wie die wundervollen zoologischen und botanischen Gärten, in denen fast alles von seiner Arbeit zeugt. So wie er dem spröden Felsgestein des Schwarzen Meeres wundervolle Gärten abgerungen hat, die sein Schloß dort zieren, so hat er der spröden Natur des Volkes die großen Leistungen abgerungen, und ein faustisches Gefühl tiefen Glückempfindens mag diesen deutschen Fürsten durchströmen, wenn er auf das Erreichte zurückschaut, den Weg zur Höhe abmißt, den er gegangen ist und den sein Volk mit ihm ging: Durch diplomatische Verhandlungen und durch Waffengänge hindurch, nicht immer in gerader Linie, manchmal zurückgeworfen, manchmal die Fahne einrollend für bessere Zeiten, aber schließlich doch vorwärtsschreitend zu Macht und Größe und Ehre und Ruhm.
Das deutsche Volk, so groß und gewaltig es ist, braucht Freunde in der Welt da draußen, um diesen Weltkrieg zu bestehen und etwaigen Weltkriegen zu begegnen. Bündnisse sind wie Blumen, die gepflegt werden müssen, um sich zu entfalten. In unseren Adern rauscht anderes Blut als in denen der Bulgaren. Noch versteht unser Ohr nicht, was ihr Mund spricht, aber wir alle hatten die Empfindung, daß ein gleicher Schlag des Herzens uns miteinander verbindet und die Tage erst möglich machte, deren Erinnerung noch stark in uns ist. Lassen wir dieses Bündnis nicht als ein trockenes Pergament in der Schublade vermodern, sorgen wir dafür, die kulturellen Zusammenhänge mehr zu pflegen, versuchen wir aus unserer spröden Natur, die so oft ihre Empfindungen scheu in sich verbirgt, herauszugehen, wie die Bulgaren es verstanden haben, ihre Tore und Herzen weit aufzumachen. Was durch die Besuche von Parlamentariern angeknüpft worden ist, muß durch Besuche von Künstlern und Malern, von Studenten und Professoren immer weiter gepflegt werden, um dem Volke der Bulgaren seinen mächtigen starken Freund, um dem deutschen Volke Land und Volk eines treu mit ihm Verbündeten näherzubringen. Noch lebt in Bulgarien manche alte Tradition der Dankbarkeit gegen das große Rußland, das sich einst zur Befreiung Bulgariens anschickte. Falsch wäre es, ob solcher Traditionen irgendwie zürnen zu wollen. In Deutschland sind Gefühle der Dankbarkeit gegenüber dem großen Korsen, der der Rheinprovinz den Code-Napoleon gab, noch lange vorhanden gewesen, ehe die Rheinprovinz ihr deutsches Herz entdeckt hatte. Die Zeiten schreiten vorwärts. So wie heute der Krieg von 1870/71 mehr und mehr Erinnerung und überschattet wird von den gewaltigen Ereignissen der Gegenwart, so gräbt sich die Gegenwart ein in die Herzen und Sinne der kommenden Geschlechter Bulgariens. Diese Gegenwart steht für den Bulgaren im Zeichen Deutschlands, im Zeichen seines Kaisers, der sich herzliche und unverlöschliche Sympathien bei seinem Aufenthalt in Nisch erworben hat. Die gewaltige Wirkung der bulgarischen Marseillaise, dieses Lied von den Verbündeten, die sich als Räuberbrut gegenüber dem aufrichtigen Bulgarenvolk zeigten, ein Lied, dessen Bedeutung für diesen Krieg gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, – sie klingt und singt in den Herzen des heutigen Bulgariens, und mit diesen vorwärtsstürmenden Melodien vermischen sich die erinnerungsschweren Lieder von dem Verlust der Dobrudscha, den das Land durch den Verrat der einstigen Bundesgenossen erlitten hat. Gefühl und Überzeugung, Idealismus und politischer Verstand weisen Bulgarien hin auf das Bündnis mit uns, so wie unsere Stimmung ebenso wie realpolitische Erwägungen – wir brauchen nur an den Wunsch einer von unseren Feinden unabhängigen Donau zu denken – uns dieses Bündnis wertvoll und wichtig machen.
Als die Presse der Entente vor wenigen Wochen Zweifel darüber aussprach, ob in Bulgarien der Gedanke des Bündnisses mit Deutschland lebendig sei, da schrieb der bulgarische Gesandte in Bern, der Empfang der deutschen Reichstagsabgeordneten werde beweisen, wie das bulgarische Volk empfinde. Der Beweis ist restlos im Sinne eines überströmenden Treugefühls für Deutschland geliefert worden. Bauen wir auf, was hier begonnen wurde, dann wird auch aus dieser Reise reicher Gewinn erblühen können für die Zukunft.