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Aus dem Aufsatz »Das bittere Ende« in den »Deutschen Stimmen«. 22. 6. 1919
Beginnt es auch in den Schichten zu tagen, die bisher als größte Verächter nationaler Empfindung galten? Wir haben kürzlich in den »Deutschen Stimmen« als ein Dokument der Kriegsgeschichte jene bittere Klage wiedergegeben, die in Wilhelmshaven gegen die Marine zu der Zeit geschleudert wurde, als man tannenumkränzt unsere Flotte nach Scapa Flow abführte, als die Marinedivisionen in den Großstädten die Träger revolutionärer und bolschewistischer Ideen waren. Daß jene heftige Anklage in dem Rufe der Verachtung ausmündete, hat nicht der ganzen Marine gegolten, das hat Korvettenkapitän Hintzmann in seinem Buche »Marine, Krieg und Umsturz« klar zum Ausdruck gebracht. Jetzt will die Marine selbst den Fluch wegwaschen, der seitdem auf ihr lastete. Wie ein Fanal beleuchtet die Versenkung der deutschen Flotte und die Aufnahme dieser Tat in der Öffentlichkeit den beginnenden Sieg des deutschen Gedankens in weiten Schichten des Volkes. Lieber die Schiffe in die Luft sprengen, als sie dem Engländer lassen, das war die Idee, die jener kühnen Tat zugrunde lag. Ihr, die ihr das Schwarz-weiß-rot nicht mehr ertragen zu können glaubtet, die ihr die alten Reichsfarben aufgeben wolltet, beugt euch in Achtung vor denen, die noch einmal auf der stolzen deutschen Flotte die Kriegsflagge hißten und dann ihre Schiffe dem Meeresgrund überantworteten, um so Deutschland vor dem Schimpf und der Schande zu retten, die in der Auslieferung der Flotte bestanden hätte. Gewiß, das mag internationale Verwicklungen geben, schon sprechen Angsthasen in Weimar vom Vormarsch der englischen Armee zur Strafe für dieses Vorgehen. Vielen aber, denen dieser Tag ein Tag des Niederbruchs war, feuchteten sich die Augen im Stolz, als sie davon hörten, daß die einstmals stolze kaiserliche Marine vierundzwanzig Stunden vor Übergabe ihrer alten Kriegsschiffe die Vernichtung der ehrlosen Auslieferung vorzog. Wir grüßen die Treuen, die diesen Schritt taten, die Marineuniform hat ihre Ehre dadurch wieder in Deutschland gewonnen. Wie ein Empfinden, das herüberklang aus den Gewässern der englischen Küste, war es, als am Nachmittag nach der Abstimmung in der Nationalversammlung in Weimar das Lied ertönte: Stolz weht die Flagge schwarz-weiß-rot. Die Bedenklichen allerdings, die politischen Philister, diejenigen, die von ihrer Verantwortung Tag und Nacht sprechen, die werden die Köpfe schütteln und die Hände ringen. So rangen sie die Hände im Königlichen Schlosse in Berlin, als Yorck die Konvention von Tauroggen schloß, so stöhnten sie im Senat von Karthago, als Hannibal Sagunt belagerte, so schüttelten sie den Kopf, als Schill auszog zum Kampfe gegen Napoleon. Sie ringen auch die Hände über die Deutschen in der Ostmark, die Widerstand leisten wollen, vielleicht auch über jenen Hauptmann im Osten, der die Brücke sprengte, auf der die Hallertruppen weiterbefördert werden sollten, weil er in seinem einfachen politischen Verstand nicht einsah, weshalb er dazu beitragen sollte, die Henkersknechte des Deutschtums ungefährdet in ihre Aufmarschstellung gelangen zu lassen. Aber bei jenem Offizier und den Tapferen von Scapa Flow spiegelte sich etwas deutsches Empfinden und von höheren Gesichtspunkten gesehen mehr groß empfundene Politik ab, als in den Reden derer, die dem deutschen Volke sagten, daß es nun alles über sich ergehen lassen muß. Denn wenn wir dem Geiste von Scapa Flow treu geblieben wären, dann hätte uns der Weg niemals zu diesem Frieden von Versailles geführt.
Das war auch der Grundton, der die Rede durchzog, die Geheimrat Kahl für die Deutsche Volkspartei hielt. »Wenn wir noch ein Schwert hätten.« Wie oft haben sich deutsche Männer und Frauen diese Frage vorgelegt, die Unabhängigen riefen dazwischen: »Das Heer war schon aufgelöst, als die Revolution kam.« Nein, das war es noch nicht, trotz aller geschickten Propaganda der feindlichen Front und trotz der Zermürbung durch die Heimatfront. Die Schale war faul und wurmstichig geworden, aber ein Kern von Hunderttausenden deutscher Streiter hielt noch stand, und wenn auch nur noch diese Hunderttausend weitergekämpft hätten, und wenn wir die Friedensverhandlungen geführt hätten, mit der Feder in einer, aber dem Schwerte in der anderen Hand, dann hätte man uns wohl zurückdrängen können bis zum Rhein, aber man hätte uns nicht einen Friedensvertrag vorlegen dürfen, in dem wir wie ausgestoßene Hunde unter den Völkern der Erde behandelt werden. Dann hätte die Entente die große moralische Belastung zu tragen gehabt, ob sie ihre Söhne weiter verbluten lassen wollte um des Ausmaßes des Friedens willen. Jetzt steht kein Heer dem Feinde mehr entgegen, und deshalb stimmen 237 deutsche Abgeordnete für den furchtbarsten Frieden, der je einem Volke auferlegt wurde. Aus der Rede Kahls, der wieder einmal, wie einst ein unparteiisches Blatt schrieb, als das Gewissen der deutschen Nation sprach, klang es heraus wie der Ruf Siegfrieds: »Ein Schwert verhieß mir der Vater, ich fand es in höchster Not. Wälse, Wälse, wo ist dein Schwert!« Wir rufen nach dem Schwert, aber kein Gott kann es uns wiedergeben. Wir besaßen es einst, und es war der köstlichsten eines, das einem Volke gegeben wurde. Aber wir zerbrachen es mutwillig selbst und ziehen deshalb zunächst als Volk und Reich in eine Zukunft von Elend und Schande.