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Im Jahre 998 war Rom ein deutsches Kaisertum geworden, und der deutsche Kaiser Römer. Otto III., von seiner griechischen Mutter Theophano erzogen, hatte ihren Geschmack für die südlichen Länder geerbt, und darum wohnte er meist in seinem Palast auf dem Mons Aventinus, richtete sich als Kaiser ein und hegte Pläne, Rom in die Hauptstadt des deutschen Reiches zu verwandeln. Er war jetzt zwanzig Jahre alt, ehrgeizig, phantastisch, fromm und grausam.
Während seiner Abwesenheit war der alte Römergeist erwacht, und der edle Senator Crescentius hatte sich als Volkstribun aufgestellt, Rom von den Deutschen befreit, den Papst Gregor V. vertrieben, und Johannes XVI. eingesetzt.
Der Kaiser kehrte schnell nach Rom zurück, nahm Crescentius mit seinem Papst gefangen, und liess darauf ein lebendiges Schauspiel den Römern aufführen, dessengleichen sie nicht gesehen hatten, wohl aber ihre Väter.
Der Leoninische Stadtteil, der den vatikanischen Hügel mit der ältesten Peterskirche und einem päpstlichen Palast umfasste, hing mit der Stadt durch den pons Aelius oder die Brücke Hadrians zusammen. Am Brückenkopf auf der rechten Seite lag das Grab Hadrians, ein turmähnliches Gebäude, in dem die Kaiser bis zu Caracalla begraben wurden. Als die Goten Rom einnahmen, wurde das Grab Festung, und blieb es lange.
Als die Römer an dem denkwürdigen Morgen des Jahres 998 erwachten, sahen sie zwölf grosse Holzkreuze auf der Burgterrasse Hadrians errichtet. Ganz oben war der Erzengel Michael mit gezogenem Schwert zu sehen, der seinerzeit von Gregor dem Grossen aufgestellt war
Auf der Aeliusbrücke war viel Volk versammelt, um zu schauen, und unter ihnen befanden sich ein französischer Kaufmann und ein gotischer Pilger, die von Westen über den leoninischen Stadtteil gekommen war.
Die Sonne war längst aufgegangen, und das Schwert des Erzengels flammte.
– Was sind das für Kreuze dort? fragte der Pilger, die Augen beschattend.
– Zwölf sind es! Sollen sie vielleicht die zwölf Apostel bedeuten?
– Nein, die haben ausgelitten; und der fromme Kaiser kreuzigt die Jünger des Herrn nicht von neuem.
– Ja, der Kaiser! Der Sachse! Weder der Gote noch der Langobarde noch der Franke sollte Rom bekommen, sondern der Sachse aus dem verfluchten Volk, das Karl der Grosse von der Erde ausgerodet zu haben glaubte! Er sandte zehntausend nach Gallien hinein, um den Feind mit diesen Wilden zu beglücken, und er enthauptete viertausendfünfhundert an einem Tag, ohne eine schlaflose Nacht davon zu haben. Wunderbar sind die Wege des Herrn!
– Die Letzten werden manchmal die Ersten ...
– O Herr Jesus, Erlöser der Welt, es bewegt sich etwas an den Kreuzen! Siehst du!
– Ja, bei Gott! Nein, ich kann es nicht sehen! Es sind gekreuzigte Menschen!
Es standen zwei Römer neben den Fremdlingen.
– Hermann, du bist gerächt! sagte der eine.
– War Arminius Sachse? wandte der andere ein.
– Wahrscheinlich, da er am Harz wohnte.
– Vor tausend Jahren ging Thusnelda hier auf den Strassen im Triumphzug des Germanicus und trug den ungeborenen Thumelicus unter ihrem Herzen. Dass tausend Jahre nötig sind, um sich zu rächen!
– Tausend Jahre sind ja wie ein Tag! Aber sind diese unsere römischen Brüder am Kreuz nicht auch Märtyrer für Roms Freiheit?
– Märtyrer für unser Recht! Aber diesmal hatten sie unrecht, weil es den Göttern so gefiel.
Jetzt änderte sich die Szene! Unterhalb der Burg wurde der Volkshaufe von einem Soldatenhaufen geöffnet. Rücklings auf einem Esel kam Papst Johannes XVI. angeritten. Seine Ohren waren abgeschnitten, seine Nase ebenfalls, und seine Augen waren ausgestochen. Es war ein kläglicher Anblick, der noch grässlicher dadurch gemacht war, dass eine Schweinsblase über seinem Kopf im Winde wehte.
Das Volk schwieg und schauerte zusammen, denn es war doch immer Christi Statthalter, der Nachfolger Petri, jedoch ohne ein Märtyrer zu sein.
Ein Siziilaner stand auf der Brücke neben einem Juden. Der Sizilianer war Muhamedaner, denn Sizilien war damals im Besitz der Sarazenen, und zwar seit hundert Jahren ungefähr.
– Der muss wohl für seine Vorgänger leiden! sagte der Jude. Das ist ja der christliche Glaube: satisfactio vicaria.
– Gelitten muss werden, antwortete der Sarazene; und ich weine nicht, dass die Pornokratie ein solches Ende nimmt! Hundert Jahre haben die Päpste wie Kannibalen gelebt. Du erinnerst dich an Sergius III., der mit der Dirne Theodora und ihren Töchtern lebte. Und Johannes X. fährt fort mit Mutter und Tochter Marozia, welch letzte mit eigener Hand zuerst seinen Bruder tötet und dann den Papst mit einem Kissen erstickt. Johannes XII. war nur neunzehn Jahre alt, als er Papst wurde. Er liess sich bestechen, und hat einen Zehnjährigen in einem Stall zum Bischof geweiht; beging Blutschande mit der Konkubine des Vaters und verwandelte den Lateran in ein Bordell. Er spielte Karten, trank und schwur bei Jupiter und Venus ... Ja, das weisst du wohl!
– Ja, antwortete der Jude, die Christen leben in Gehenna, seit sie den einzigen und wahren Gott verlassen haben. Die Toren haben uns jedoch die Messiasverheissung gestohlen, aber die Verheissung Abrahams haben wir noch. Rom ist ein Irrenhaus, Deutschland ein Schlachthaus und Frankreich ein Hurenhaus! Erfreulich ist es aber jedenfalls, wie sie sich gegenseitig umbringen.
Er setzte sich aufs Brückengeländer, um besser sehen zu können, was jetzt folgte.
Zwischen den zwölf Patrioten, die sich an den Kreuzen wie Angelwürmer wanden, zeigten sich jetzt fünf rotgekleidete Männer und zimmerten eine Estrade auf.
– Das sind die Henker – auf dem Kaisergrab! sagte der Jude. Gegen Crescentius habe ich nichts, das war ein nobler Mann, der für den römischen Staat kämpfte. Aber es ist immer ein Christ weniger!
– Die Christen haben immer zwei Arten der Erklärung, warum ein Mensch leidet. Ist er unschuldig, so ist die Qual eine Prüfung, und ist er schuldig – ja, dann verdiente er sein Schicksal! – Jetzt kommt er!
Crescentius, der letzte Römer, wurde vorgeführt. Sein Kopf fiel, und damit war Rom deutsch oder Deutschland römisch. Bis 1806.
Und am Nachmittag desselben Tags wurde die neue Papsternennung, denn Wahl konnte man nicht sagen, bestätigt, und damit war Gerbert, der Auvergnat, Papst unter dem Namen Silvester II.
Der Kaiser sass in seinem Palast auf dem Aventin und wagte nicht auszugehen, denn die Römer hassten ihn.
In der kleinen Zelle am Abhang des Berges, wo sein eben getöteter Freund, der Missionar und Märtyrer Adalbert von Prag, gewohnt hatte, schloss er sich mit seinem Lehrer, dem neuen Papst Silvester II., ein.
Dieser Franzose hatte in Cordova studiert, wo die Kalifen eine Universität errichtet und wo man arabische Wissenschaft lehrte, auf der Grundlage jedoch von griechischer und indischer Weisheit. In Rheims hatte er dann selber Philosophie, Mathematik, Astronomie und Chemie gelesen. Wurde Abt in Bobbio, Erzbischof in Rheims und Ravenna, und nachdem er auf mehreren Kirchenversammlungen gegen den Verfall des Papsttums aufgetreten, wurde er deutscher Papst in Rom.
Die Aufregung nach der Hinrichtung des Crescentius zwang ihn, auf dem Aventin bei seinem Schüler, dem Kaiser, Schutz zu suchen, und aus der Zelle des kleinen Klosters neben der Kapelle Adalberts lenkte er die Schicksale Europas, während er sich in freien Augenblicken seinen Wissenschaften widmete, meist der Astronomie und Chemie, weshalb er in den Ruf eines Schwarzkünstlers kam.
Eines Nachts, als er in Gedanken versunken, an seinem mit Briefen überschwemmten Schreibtisch sass, trat der Kaiser ein, ohne vorher seinen Besuch angesagt zu haben. Es war ein hoch aufgeschossener Jüngling, in eine höchst ungewöhnliche Tracht gekleidet, eine Dalmatica, die mit Bildern aus dem Buch der Offenbarung bemalt war, dem wilden Tier und der Hure, dem Buch der Insiegel und dergleichen mehr.
– Lass mich sprechen, sagte er; ich kann nicht schlafen.
– Was ist geschehen, mein Sohn?
– Briefe sind angekommen, Warnungen. Träume.
– Erzähle!
– Ja, du hörst mich an, aber du glaubst mir nicht, wenn ich die Wahrheit sage, und du hast eine Furcht vor allen neuen Gedanken ...
– Was Neues unter der Sonne? Sagt nicht der Kirchenvater Augustinus sogar über unsere heilige Glaubenslehre: »Was man in unseren Tagen Christentum nennt, gab es bereits bei den Alten und hat es immer gegeben, seit Entstehung der Menschheit bis zu Christi Geburt, als man begann, Christentum die wahre Religion zu nennen, die vorher schon existiert hatte. Christi Wahrheiten sind nicht anders als die alten, sondern sind dieselben, nur mehr entwickelt.«
– Hereticus, Ketzer, hüte dich! Du weisst nicht, was in der Welt geschieht.
– Lass hören!
– Pilger aus mehreren Ländern sind hier angelangt und erzählen von Wahrzeichen, Gesichten und Wundern. So ist im südlichen Frankreich Pest und Hungersnot ausgebrochen, und man hat Menschenfleisch im Schlächterladen verkauft; in Deutschland hat man eine eiserne Rute in Feuer am Himmel gesehen; und hier in Italien hat man wieder diese Wallfahrten ohne Ende begonnen. In Jerusalem ist die Kirche des heiligen Grabes geplündert und der Tempel des »Grossen Betrügers« ist errichtet worden. Das Volk, die ganze Christenheit zittert; denn sie haben in den liederlichen Päpsten des letzten Jahrhunderts, die von Huren gewählt sind, den Antichrist gesehen. Christi Gesandter wird ermordet, ja, mein Freund Adalbert war der letzte oben in Polen; die Heiden haben alle Eroberungen Christi in Asien und Afrika wieder zurückgenommen; das Volk des »Betrügers« sitzt in Spanien, auf Sizilien, hier in Neapel und bedroht Rom. Das kann nichts anderes bedeuten, als dass das Gericht und der Untergang der Welt bevorsteht, wie sie die Apokalypse verkündet hat.
– So, die alte Geschichte taucht wieder auf!
– Geschichte? »Geh, Satan, denn du findest kein Gefallen an Dingen, die von Gott sind, sondern an denen, die von Menschen sind.«
– Nennst du mich Satan?
– Ja, wenn du das Wort leugnest. Steht nicht in Johannes' Offenbarung dies: »Und wenn tausend Jahre vollendet sind, wird der Satanas los werden aus seinem Gefängnis. Und wird ausgehen, zu verführen die Heiden an den vier Enden der Erde, die Gog und Magog ...« Da hast du die nordischen Völker, die jetzt in England, der Normandie, auf Sizilien sitzen ... Ist nicht Theodora die grosse babylonische Hure? Ist nicht der Betrüger Mahomed das wilde Tier? ...
– Warte, mein Sohn, ich möchte einen Vers aus demselben Kapitel zitieren! Dort steht unmittelbar vorher: »Wer teilhat an der ersten Auferstehung, wird mit Christus tausend Jahre regieren.« Also beginnt jetzt das tausendjährige Reich und kann mithin nicht enden.
– Das alte endet, und das neue beginnt!
– Eben! Das alte dunkle ist vergangen, und wir stehen vor Christi zweiter Wiederkunft auf Erden! Wenn du dich still in der Hoffnung hieltest, würdest du das neue sehen!
– Ich glaube nicht ein Wort von dem, was du sagst. Das letzte Jahr des Jahrtausends ist da, und jetzt gehe ich hinaus in die Einöde, um mit Fasten, Gebet und Busse den Tag des Herrn und die Ankunft meines Erlösers zu erwarten. Ich werde beten für dich, mein Vater, aber hier trennen sich unsere Wege, und du siehst mich nicht mehr!
Der Kaiser ging, und Silvester blieb allein.
– Ich warte! sprach er zu sich selbst, aber während der Zeit ordne ich unsere weltlichen Angelegenheiten!
Und er entfaltete eine Karte von der damals bekannten Welt. Mit einer roten Kreide verteilte er Kreuze und Kronen, meist im Norden, über Jerusalem aber zeichnete er eine Fahne mit einer Lanze.
Das Jahr 999 näherte sich seinem Ende und die Christenheit lebte in einer Todesangst. In Rom und Umgegend hatte alles Leben aufgehört. Der Acker wurde nicht besäet, sondern lag im Unkraut; der Handel stockte; die Läden waren geschlossen. Wer etwas besass, verschenkte es, und musste noch den Empfänger suchen. Die Kirchen standen Tag und Nacht offen, drei Monate lang, und es war wie Sonntag jeden Tag; auch weil man seine besten Kleider verbrauchte, da es keinen Zweck hatte, sie zu behalten; und da man gut gekleidet sein wollte, um den Erlöser bei seiner Ankunft zu empfangen.
Man hatte Weihnachten mit ungewöhnlicher Andacht gefeiert, und die Menschen lebten in friedvoller Eintracht. Die Wache der Stadt hatte nichts zu tun, denn der Schreck vor dem, was kommen sollte, hielt Zucht und Ordnung. Man schlief hinter offenen Türen, und niemand wagte zu stehlen oder zu betrügen; das brauchte man auch nicht, denn wer etwas verlangte, erhielt es geschenkt; die Bäcker teilten das Brot umsonst aus, und beim Gastwirt gab es unbegrenzten Kredit; Schulden wurden nicht eingetrieben. Die Kirchen waren Tag und Nacht überfüllt; Beichte und Absolution, Messen und Abendmahl hörten den ganzen Tag nicht auf.
Der Tag vor Neujahrsabend war da. Die Ansichten über die Natur der Katastrophe waren geteilt; entweder kam sie als Flut oder als Erdbeben. Aber die meisten Einwohner hielten sich draussen im Freien auf, einige auf ebenem Boden, andere auf den Hügeln; alle aber richteten die Blicke gen Himmel.
Das Marsfeld war am Morgen voll Menschen, und eine Gruppe hatte um einen Holzstoss einen Kreis gebildet; ein verrückter Mann stand auf dem Holzstoss und redete, einen Stoss Papiere und Pergamente in der Hand.
Es war ein reicher Bürger, der drei Monate lang Busse und Besserung geübt hatte, und jetzt, einem Skelett ähnlich, dem kommenden Zorn entgehen wollte. Er hatte deshalb einen grossen Arm voll trockenes Holz herbei geschleppt, unter dem Vorwand, er wolle allen Lastträgern und Zugtieren Wärme geben. Da der eine sich nicht darum kümmerte, was der andere tat, liess man ihn gewähren.
Neben dem Scheiterhaufen stand der Überrest eines alten Rednerstuhls, und auf den stellte er sich, nachdem er das Feuer angesteckt hatte.
– Im Namen des ewigen Gottes, sprach er; so wie ich jetzt diese Schuldscheine verbrenne, wird der Herr mein Gott meine Schulden aus dem Buch des Lebens streichen. Für alle Leiden, die ich andern verursacht, werde ich jetzt selber leiden. Reinigendes Feuer, verbrenn meinen elenden Körper mit allen seinen Sünden; steigende Flammen, lasset mich euch hinauffolgen! Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!
Er machte einen Sprung vom Rednerstuhl und fiel mitten in die Flammen, wo er auf den Knien liegen blieb, mit gefalteten Händen, bis er erstickt wurde und es mit ihm zu Ende war.
Auf dem Forum sah man einen Mann mit einer Brechstange an einem Schutthaufen arbeiten, der ihn verschütten sollte. »Sagt zu den Bergen: bedeckt uns!« sang er.
Vom Pons Sublicius sprang ein junges Paar in den Fluss, in einer Umarmung, die der Tod in den Wellen nicht lösen konnte.
Zur Mittagszeit wurden die Gefängnisse geöffnet, und die Gefangenen wie Helden und Märtyrer aufgenommen. Sie wurden in die Häuser der Vornehmen geführt, mussten sich zu Tisch setzen, und Senatoren und deren Frauen wuschen ihnen die Füsse.
– Alle sind wir Sünder und haben nichts, dessen wir uns rühmen könnten. Diese Gefangenen haben ihre Strafe erlitten, während wir frei herumgingen!
So sprach man.
Niemals hatte Menschenliebe und Barmherzigkeit sich so gezeigt, seit den ersten Tagen des Christentums nicht.
Jetzt wollten die Kranken in den Hospitälern unter freien Himmel hinaus, und ihre Betten wurden auf Strassen und Märkte getragen. Alles was lebte, wollte unter freien Himmel, und die Familien brachten ihre Möbel auf die Strasse.
Vögel wurden aus ihren Käfigen gelassen, und die Pferde aus den Ställen. Zuerst liefen die in der Stadt herum, als sie aber die frische Luft witterten und die Stadttore erreicht hatten, machten sie sich auf den Weg nach der Campagna, um einige grüne Stellen zu suchen: manche aber blieben in der Stadt und lagen hier und dort herum, während die Kinder auf ihre Rücken kletterten.
Die Kinder waren die einzigen, die keine Furcht hatten. Sie sprangen und spielten wie sonst, sich über die Freiheit und das Ungewöhnliche freuend. Niemand mochte sie züchtigen, und da sie nicht verstanden, um was es sich handelte, blieben sie sorglos und spielten ihre Spiele.
Der Neujahrsabend war gekommen, und die Angst gestiegen. Man sah Herren und Diener einander weinend umarmen, während die einen ihre Härte, die andern ihre Unehrlichkeit bekannten. Alte Feinde, die sich auf der Strasse trafen, fassten sich bei den Händen, und einander wie Kinder führend, wanderten sie auf und nieder, Loblieder singend.
Es war wie im goldenen Zeitalter oder so, wie sich die Kirchenväter das tausendjährige Reich gedacht hatten.
Die Luft war mild wie an einem Frühlingstag, und der Himmel war klar bis zum Mittag. Da bewölkte er sich.
Niemand ass, niemand trank, alle aber nahmen Bäder und kleideten sich festlich. Am Nachmittag zogen Prozessionen von Priestern und Mönchen durch die Stadt und sangen Litaneien, in die das Volk einstimmte.
Kyrie eleison! erschallte es über die ganze Stadt. Herr, erbarme dich, Christus, erbarme dich!
Ganz Rom bereitete sich auf seine Hinrichtung vor.
Es gab aber eine Schar Ungläubige und Verkommene, die nichts Neues erwarteten; die hatten sich unten in den Katakomben und Ruinen versammelt, wo sie Bachanale und Orgien feierten.
In den Ruinen von Neros goldenem Haus hatten die Libertins und Dirnen der Stadt ein Symposion in grossem Stil veranstaltet. Mitten auf dem Boden brannte ein Feuer, das von Tischen und Bänken umgeben war. Essen und Wein gabs im Überfluss, denn man brauchte nur aus Vorratskammer und Keller zu nehmen. Es gab Musik, Gesang und Tanz, und als Zwischenspiel genoss mans, wie Fledermäuse und Eulen sich am Feuer verbrannten und lebendig gebraten wurden.
Die Freude war laut, aber nicht ungezwungen. Auch hier wurde philosophiert und prophezeit:
– Heute kommt kein jüngstes Gericht, meinte ein junger Mann, der ein Nachkomme des Kaisers Nero hätte sein können.
– Übrigens, wenn es kommt, schlimmer als wir es im Leben gehabt haben, kann der Tod es uns nicht bieten.
– Ich habe immer gefunden, wir sind in der Hölle gewesen! Kopfschmerzen jeden Morgen, Schulden und Schande, etwas Gefängnis ab und zu.
– Der Kaiser sitzt nackt in einer Grotte am Fuss des Sorakte ...
– »Vides, ut alta stat naive candida, Soracte!«
– »Mitten im Wort flieht uns das neidische Leben! Nütze den Tag, nicht eine Spur trauend dem folgenden!«
– Und der Papst wird die Mitternachtsmesse halten! Er, der nicht daran glaubt.
– Aber er muss gute Miene machen und so tun ...
– Von einer weiss ich, dass sie heute nacht nicht in die Messe geht ...
– Das ist die schöne Stephania, die Witwe des Crescentius ...
– Aber wachen tut sie, wie die Rache ...
– Diese Teutonen, was haben sie in Rom zu tun! Ich wünschte, der Wirt dieses goldnen Hauses stände von den Toten auf. Das war der letzte Römer!
– Ein Mann war es, der mit seinen Feinden nicht schön tat! Er fürchtete nichts zwischen Himmel und Erde, nicht einmal den Blitz. Der schlug einmal in seinen Speisesaal ein, als er zu Tisch lag. Wisst ihr, was er sagte? – Prosit! sagte er und erhob seinen Becher.
In diesem Augenblick fiel ein erhitzter Stein vom Gewölbe herab und ins Feuer hinein, dass die Funken sprühten. Aber durch das entstandene Loch drang der Nachtwind hindurch und wirbelte den Gästen den Rauch ins Gesicht; zuerst fanden die das Abenteuer lustig; bald aber wurden sie genötigt, die Höhle zu verlassen.
– Lasst uns hinausgehen und uns den Weltuntergang ansehen! schrie einer von den Jünglingen.
Und der Zug bildete sich aus Bachanten und Mänaden, ein gefüllter Weinschlauch an der Spitze, Flötenspieler hinterdrein und alle Gäste mit Bechern in der Hand.
Unten in der alten Basilika des Sankt Peter stand der Papst vorm Altar und verrichtete die stille Mitternachtsmesse.
Die Kirche war überfüllt und die Menschen lagen auf den Knien. Die Stille war so tief, dass man den flüsternden Laut von dem weissen Hemdärmel des Offizianten hörte, wenn er den Kelch hob.
Aber da war auch ein anderer Laut zu hören, der gleichsam die letzten Minuten des Jahrtausends ausmass. Er klang wie der Puls im Ohr des Fieberkranken, und schlug ebenso viele Schläge. Die Tür der Sakristei stand nämlich offen, und die grosse Uhr, die dort hing, tickte so ruhig und sicher, einmal in der Sekunde.
Der Papst, der ein ebenso ruhiger Mann war, hatte wahrscheinlich die Tür offen stehen lassen, um die höchste Wirkung in dem grossen Augenblick zu erzielen, denn sein Gesicht war leichenblass vor Erregung, rührte sich aber nicht, und seine Hände zitterten nicht.
Die Messe war aus und ein Todesschweigen trat ein. Man erwartete, der Diener des Herrn am Altar werde einige Worte des Trostes sagen; er sagte aber nichts; war nur im Gebet versunken, wie es schien, und hatte die Hände gen Himmel gestreckt.
Die Uhr tickte, das Volk seufzte, aber nichts geschah. Wie Kinder, die sich im Dunkeln fürchten, lag die Gemeinde mit dem Gesicht auf dem Boden und wagte nicht aufzusehen. Angstschweiss tropfte von vielen eiskalten Stirnen, eingeschlafene Knie schmerzten oder wurden gefühllos, als seien sie abgenommen.
Da hörte plötzlich die Uhr auf zu ticken ....
War das Werk ausgelaufen? War es ein Wahrzeichen? Sollte alles stehen bleiben, die Zeit zu Ende sein, und die Ewigkeit beginnen?
Aus der Gemeinde waren einige Ansätze zu Geschrei zu hören, und vom Entsetzen getötet, fielen einige Körper auf den steinernen Fussboden.
Da begann die Uhr zu schlagen: eins, zwei, drei, vier ... Der zwölfte Schlag schlug, hatte geschlagen, war verklungen und ein neues Todesschweigen folgte.
Da drehte sich Silvester um, und mit dem stolzen Lächeln eines Siegers streckte er die Hände zum Segen aus. Im selben Augenblick läuteten alle Glocken des Turmes, fröhlich, jubelnd, und vom Emporium der Orgel erschallte ein Chor von Stimmen, junge und alte, etwas unsicher anfangs, bald aber fester und heller:
– Te Deum Laudamus!
Die Gemeinde stimmte ein, aber es dauerte eine Weile, ehe die erstarrten Rücken sich gerade machen konnten, und bis man sich von dem Anblick der vor Schreck Gestorbenen erholt hatte.
Der Gesang war aus, und die Menschen fielen sich in die Arme, weinten und lachten wie Wahnsinnige und gaben sich Friedensküsse.
So endete das erste Jahrtausend nach Christi Geburt.
In der kleinen Burg Paterno am Sorakte hatte der Kaiser die Weihnachtswochen und den Neujahrsabend unter strengsten Fasten und Bussübungen zugebracht. Als aber der Neujahrstag gekommen und alles unverändert war, zog er in Rom ein, um Silvester zu treffen und für die Zukunft zu sorgen.
Der ältere Freund und Lehrer empfing den Kaiser mit einem Lächeln, das nicht missverstanden wurde; noch aber war der Monarch von seinem Schreck so beherrscht, dass er nicht zornig zu werden wagte.
– Willst du jetzt zur Erde zurückkehren, mein Sohn, und deine weltlichen Angelegenheiten besorgen? sagte Silvester.
– Ich will, aber ich habe zuerst zwei Gelübde, ex-voto, zu erfüllen, die ich in der Stunde der Not abgelegt habe.
– Dann erfüll sie!
– Ich gehe nach dem Grab meines Freundes, Adalbert in Gnesen, und ich muss die Gruft Karls des Grossen in Aachen besuchen.
– Tue das, aber du musst gleichzeitig einige Aufträge ausführen, die ich dir mit auf die Reise gebe.
Und dabei blieb es.
Zwei Jahre waren vergangen, als der Papst Silvester an einem Tag im Januar nach Paterno gerufen wurde, der kleinen Burg am Sorakte, wo der römisch-deutsche Kaiser wohnte und jetzt krank lag.
Als Silvester ins Krankenzimmer eintrat, sass der Kaiser aufrecht, sah aber kümmerlich aus.
– Du bist krank; ist es Seele oder Körper?
– Ich bin müde.
– Bereits, im Alter von zweiundzwanzig Jahren!
– Ich bin missmutig.
– Du bist missmutig, obwohl du die Welt nach ihrem Albtraum erwachen sahst! Bedenk doch, Undankbarer, was haben diese beiden Jahre nicht alles gebracht, welche Siege für Christus, der wirklich wiedergekommen zu sein scheint. Ich will sie aufzählen; hör zu! – Böhmen hat seinen Herzog bekommen, der das Heidentum ausgerodet; Österreich hat sich als Donaustaat geeinigt; der heidnische Magyar hat sich taufen lassen und die Krone von unsrer eignen Hand empfangen, als Stephan der Erste; Boleslaw von Polen hat auch eine Krone und einen Erzbischof bekommen; das neue Reich der Russen hat die Taufe angenommen, und Wladimir der Grosse schützt uns gegen untergehende Sarazenen und die aufgehenden Seldschuken oder Türken; Harald von Dänemark und Olof von Schweden haben das Christentum befestigt; Olof Tryggveson ebenfalls in Norwegen und Island, auf den Farörinseln, in Shetland und Grönland; und mit dem Dänen Tveskägg wurde Britannien fürs Christentum gesichert. In Frankreich sitzt der fromme Robert II. aus dem neuen Geschlecht der Kapetinger, aber von sächsischer Herkunft wie du. In Spanien haben die nördlichen Staaten Leon, Castilien, Aragonien, Navarra sich endlich geeinigt und wehren uns die Mauren in Cordova ab. Das alles in fünf Jahren, und unter Roms Ägide! Ist das nicht Christi Wiederkehr, und verstehst du jetzt, was die Vorsehung mit dem tausendjährigen Reich meint! Die in tausend Jahren leben, werden vielleicht die Früchte reifen sehen, während wir nur die Blüte gesehen haben! Ein Paradies ist es ja nicht, aber es ist besser als früher, etwas besser als damals, als wir Wilde im Norden und Osten hatten. Und von Rom holen alle ihre Kronen und ihr Pallium. Du bist ein Herrscher über die Völker, mein Kaiser.
– Ich? Du regierst die Geister, nicht ich, und ich will nicht herrschen.
– Nein, ich habe es gehört, denn du hast dir eine Herrscherin angeschafft!
– Wer sollte das sein?
– Man sagt und du kennst das Gerücht ebenso gut wie ich, dass es die Witwe des Crescentius ist, die schöne Stephania. Nun, das ist deine Sache, aber Salomo rät: Nimm dich in acht vor deinen Feinden, aber sei auch vorsichtig mit deinen Freunden!
Der Kaiser sah aus, als wollte er sich verteidigen, vermochte es aber nicht, und so war das Gespräch zu Ende.
Einige Tage darauf war Otto III. tot, nach der Sage vergiftet, auf die eine oder die andere Art, von der schönen Stephania.
Und ein Jahr später starb Silvester II.