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Es gab im Hundejahr eine merkwürdige Zeit. Da überkam einen eine seltsame Unruhe, ein drangvolles Rauschen des Blutes und ein unbändiger Drang nach etwas Unsagbarem. Die Luft war voll von Ahnungen aufregender Gerüche, die man in ihrem letzten Verschwimmen von ferneher sehnsüchtig einsog, weil sie einem holdselige, begehrte Weiblichkeit vorgaukelten. Eine Art Besessenheit, eine süße Raserei war es, die einen von den Menschen fort und zu seinesgleichen zwang. Da war über dem Anruf der Natur alle gute Erziehung vergessen, denn diese war auch nicht so weit übertrieben worden, daß etwa unter einem blinden Gehorchen alle unentrinnbaren Angelegenheiten des Lebens hätten verkümmern müssen.
So stand man also beharrlich auf dem Lugaus an der Gartenecke unter dem Akazienbäumchen und fragte alle vorüberkommenden Genossen nach Nam' und Art und unterhielt sich mit ihnen, so gut es eben durch einen Gartenzaun hindurch möglich war. Es war eine Verständigung mit Hindernissen, wie die des Pyramus mit Thisbe, und die Sehnsucht wurde nicht gestillt.
Mehr als je lauerte man aufs Mitgenommenwerden. Man trieb, sobald man Anstalten zum Ausgehen treffen sah, ihr Tempo durch ungeduldiges Winseln an, brachte alles geschleppt, was einem vor die Schnauze kam und schoß, wie man einmal auf der Gasse war, mit auskratzenden Hinterbeinen spornstreichs in die liebesduftende Welt hinein. Leidenschaftlicher als je raste man die Gartengitter ab, hinter denen man seine Widersacher wußte, gründlicher als je untersuchte man die Ecksteine und, wenn man auch Rex hieß und ein Dobermann mit nahezu vollendeter Polizeidressur war, hielt man sich nicht für zu vornehm, sich unter die Schatten der Bewerber zu mischen, die wie die Freier aus Ithaka die Schwelle einer jeden vierbeinigen Penelope belagerten. Was man da für kuriose Gesellen antraf, war allerdings oft genug unerfreulich: höchst zweifelhafte Straßenmischungen, Pudel mit Dackelbeinen, Stallpintscher mit Foxlköpfen, heitere Zerrbilder der Natur, vergnügliche Abenteuerlichkeiten des schöpferischen Witzes der Liebe, man traf auch Einäugige, Lahme und Greise mit gichtischen Beinen und schäbigem Fell, man geriet mit wüsten, gewalttätigen Raufbolden zusammen, die man sich erst durch Knurren und Beißen vom Leib schaffen mußte, und mit verwöhnten Schoßhündchen kleinsten Kalibers, die in einem unbewachten Augenblick durch die Türspalte gewischt waren. Es hielt sich keiner für so häßlich oder so alt, um nicht den Versuch zu machen, auch sein Teil an der großen, über die gesamte Hundewelt ergossenen Glücksspende zu erraffen.
Darüber geschah es, daß man mitunter den Pfiff und Ruf des Herrn überhörte, daß man sich mit dem Schwarm im blinden Eifer hinter einer Spur verlor und erst nach geraumer Zeit inne wurde, daß man sich gegen Gesetz und Ordnung vergangen habe. Man kam dann, betrübt über die eigene Schlechtigkeit, auch vielleicht ein wenig scheinheilig, mit umgeklappten Ohren zurück, und zitterte mitleiderregend an allen Vieren.
»Schämst du dich nicht,« pflegte der Doktor zu sagen und zog Rex mit der Peitsche ein paar übers schwarze Fell, daß Streifen entstanden.
Sobald dies erledigt war, stellte man Schweif und Ohren wieder auf, schüttelte sich und sprang mit jäh zurückkehrendem Lebensübermut den Herrn oder die Herrin an. Bei der Herrin wurde dies übel vermerkt, denn sie trug das Geheimnis neuen Werdens in ihrem Schoß.
»Du darfst mit dem wilden Kerl nicht mehr ausgehen,« sagte der Doktor, »es könnte doch einmal ein Unglück geschehen.«
So kam es, daß Rex auf seine Ausgänge mit der Herrin verzichten mußte. Es nützte kein Werben und Betteln und traurig mußte er dem unverständlichen Verbot gehorsamen.
»Wir sollten Rex Hochzeit halten lassen,« sagte Frau Hella, »der Frühling macht den Bengel ganz verrückt. Warum soll er Junggeselle bleiben?«
Der Doktor wollte etwas sagen, begnügte sich aber mit einem Lächeln, und Frau Hella wandte sich mit einem Erröten ab. Auch er fand, daß man Rex nicht seiner gottgewollten Bestimmung entziehen und zu einem mönchischen Dasein verurteilen dürfe, und so verband er seine Krankengänge mit einer Brautschau für den erglühten Jüngling. Nach einigen Tagen konnte er melden, daß eine standesgemäße Verbindung gefunden sei. Frau Stutzi, des Rittmeisters Reumeyer Stutzi, eine Dame aus dem Stamme der Dobermänner, kam dringend in Betracht.
Rex wurde bräutigammäßig gekämmt und gestriegelt, bekam das neue Halsband und zog in strahlender Schönheit mit seinem Herrn zur Vermählung aus, nicht anders, als wenn in alten Zeiten Fürstlichkeiten, deren Ehebündnis auf diplomatischem Wege eingeleitet worden, nun der noch nie gesehenen Braut zugeführt werden.
Es kläffte ein ganzer Schwarm vor des Rittmeisters Reumeyer Tür, balgte und stieß sich und mitten darunter trieb sich der Pudel Bimm um, verjüngt durch die Liebe. Es fand aber niemand Einlaß als Rex, der Auserkorene, und Bimm, auf seine alten freundschaftlichen Beziehungen pochend, sich hinter ihm einschleichen wollte, wurde er rauh unter Drohungen von der Schwelle zurückgestoßen.
Stutzi kam Rex im Garten entgegen, schwarz und schlank, eine Dame im Besitz eines Stammbaumes und einer Ausstellungsprämie. Sie war Rex an Alter und Erfahrung überlegen, denn er war nicht ihr erster Ehegespons. Sie wußte also sogleich, worum es sich handle und ihre Begrüßung war ernst und sachgemäß, während Rex mit etwas stürmisch ungeschicktem Übereifer vorging. Da begann sie mit ihm ein frauenhaft kokettes Spiel vom Versprechen und Versagen, und Seite an Seite nebeneinander herlaufend verloren sie sich in die Hintergründe des Gartens.
In den Kronen der Obstbäume sangen die Amseln.