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Der Aufenthalt in Mödruvellir hatte sich länger hingezogen, als ich vorhatte.
Es wurde mir so schwer, mich von dem Hause zu trennen, in dem ich die liebsten Erinnerungen an meine Kinderjahre zurückließ.
Auf dem Heimweg flossen Tränen.
Ach ja, ich habe manche Träne geweint in diesen Tagen, wo ich mich losreißen mußte von allem, was mir das Teuerste auf Erden war. –
Nach einem Ritt von ein paar Stunden hatte ich Akureyri wieder erreicht.
Es war schon spät abends, gegen 11 Uhr, jedoch noch hell genug fürs Auge, die weitausgestreckte Reede zu überblicken. –
Da auf einmal fuhr es mir wie ein elektrischer Schlag durch den ganzen Körper!
Was sah ich dort im Hafen? – Ich hielt mein Pferd an und schaute genauer hin.
Ja, es ist so! – Es ist »Valdemar«, das Schiff, das mich mitnehmen sollte!
Ich hatte es gleich erkannt. Jedes Jahr kam es zu uns, und schon oft war ich auf das Verdeck geklettert, um von den niedlichen Sachen zu kaufen, die es immer von Dänemark mitbrachte.
Auf dem Schiffe war nämlich eine Kajüte in einen Kramladen umgewandelt.
Also »Valdemar« war wirklich gekommen. Es mußte in den Hafen eingelaufen sein, während ich mich in Mödruvellir aufhielt.
Nie vorher hatte seine Ankunft einen solchen Eindruck auf mich gemacht wie heute.
Früher empfand ich bei seiner Landung wohl Freude, weil ich einen lieben Bekannten wiedersah. Heute aber wurde es mir so eigenartig weh ums Herz.
Warum, das war leicht zu begreifen.
Denn diesmal bedeutete seine Ankunft etwas für mich unendlich Wichtiges: das Ende meiner glücklichen Jugendjahre daheim und den Anfang eines Lebens in der Fremde!
Ja, der erste Abschnitt meines Lebens sollte bald zur Neige gehen und ein neuer beginnen.
Den neuen Lebensabschnitt – wie soll ich ihn nennen?
Es war die unbekannte, geheimnisvolle, aussichtsreiche Zukunft, das Wundermärchen meines neuen Lebens. –
Schnell ritt ich heim, stieg ab und ließ das Pferd frei laufen. Sofort eilte es zu der ihm bekannten saftigen Weide.
Ich ging hinein zur Mutter und gab ihr meinen Taufschein.
Sie war sehr bewegt.
Ach, jetzt sollten wir bald voneinander scheiden, vielleicht für das ganze Leben!
Deshalb nahm ich mich zusammen, so gut ich konnte, und sagte in einem scheinbar gleichgültigen Tone:
»Mutter, Kapitän Foß ist angekommen. Wann wird er wohl wieder abfahren?«
»Einige Tage bleibt er hier, um seine Waren zu verkaufen. Aber er muß sich beeilen; die Eisberge nähern sich der Nordküste. Du mußt diese kurze Zeit benutzen, um von den Leuten hier in der Stadt Abschied zu nehmen und deine Sachen einzupacken.«
»Wann gehst du aber zu Kapitän Foß, Mutter, um mich bei ihm anzumelden?«
»Morgen früh, mein lieber Nonni.« –
Am folgenden Tage bat ich einen meiner Bekannten, er möge ein Boot herrichten.
Sodann ging ich mit der Mutter zum Hafen hinab. Ich selbst sollte den kleinen Kahn rudern.
Wir stiegen hinein. Zuerst half ich der Mutter zu einem bequemen Platz hinten im Boote. Dann löste ich die Kette und stieß vom Land.
Schweigend ruderte ich hinaus auf die große Reede, wo der Segler »Valdemar« lag.
Nach einer Viertelstunde lagen wir dicht an der pechschwarzen Schiffswand.
Der Steuermann hatte uns kommen sehen und half uns hinauf.
Die Mutter fragte ihn auf dänisch:
»Ist der Kapitän Foß an Bord?«
»Ja, Frau, ich werde ihn sofort rufen.«
Er stieg in die Kajüte hinab, wo Herr Foß hinter der Theke stand und seine Sachen an einige Isländer verkaufte. Der Steuermann löste ihn ab, und alsbald kam der Kapitän die enge Kajütstreppe herauf.
Kapitän Foß war ein Mann von gewinnendem Äußern. Er sah nicht aus wie ein verwetterter Seemann, sondern eher wie ein vornehmer Beamter.
Er war von mittlerer Größe. Sein Haar war schwarz und wohlgeordnet, er trug einen kleinen Schnurrbart; sonst war sein Gesicht glatt rasiert. Aus seinen schwarzen lebhaften Augen leuchtete ein scharf durchdringender Blick.
Der Kapitän begrüßte meine Mutter sehr höflich. Mir nickte er kurz zu. Dann sagte er:
»Frau, womit kann ich dienen?«
»Herr Kapitän, ich möchte gern einen Augenblick mit Ihnen allein sprechen.«
Sofort winkte er dem kleinen Schiffsjungen, der zur Seite stand, und hieß ihn drei Stühle auf das Vorderdeck bringen.
Dann geleitete er uns dorthin mit den Worten:
»Entschuldigen Sie, Frau, meine Kajüte ist für den Augenblick besetzt, deshalb müssen wir uns mit einem ruhigen Plätzchen hier oben auf dem Deck begnügen.«
Jetzt kam der Knabe mit den Stühlen, und wir drei nahmen Platz.
Das Wetter war herrlich, kein Lüftchen regte sich. Die breiten, ruhigen Grundwellen hoben und senkten das Schiff ganz behaglich, ohne die spiegelblanke See aufzurühren.
Meine Mutter nahm nun das Wort:
»Herr Kapitän, dieser Junge hier ist mein Sohn. Er soll ins Ausland reisen. Können Sie ihn mitnehmen nach Kopenhagen?«
Der Kapitän bedachte sich etwas, schaute mich an und fragte:
»Wie alt ist Ihr Sohn?«
»Zwölf Jahre, Herr Kapitän.«
»Er scheint ein gesunder, flinker Bursche zu sein. Meinen Sie, er kann die Strapazen aushalten, die mit einer so langen Seereise besonders in dieser Jahreszeit verbunden sind?«
»Ja, das kann ich ganz gut«, fiel ich ein. – Die Worte waren halb dänisch, halb isländisch.
Der Kapitän schaute mich lächelnd an und sagte:
»Schon gut, mein Junge; aber bedenke, der Herbst steht bevor; wir werden schwere Stürme durchmachen, bis wir nach Kopenhagen kommen.«
»Das macht mir gerade Spaß«, erwiderte ich und fügte in jugendlichem Übermut noch hinzu:
»Es ist mir gar nicht bange vor hohem Seegang.«
»Gut«, wandte der Kapitän sich an meine Mutter, »dann steht nichts im Wege. Doch muß ich noch bemerken, daß alle Kojen besetzt sind. Wir sind für Mitreisende eben nicht eingerichtet. Deshalb müssen Sie für Matratze und Bettzeug selbst sorgen. Wir wollen dem Knaben eine Schlafstelle in der Kajüte bereiten zwischen mir und dem Steuermann. Da wird er am besten aufgehoben sein.«
»Danke, Herr Kapitän. Es freut mich, daß Sie ihm dort ein Plätzchen einräumen; und ich werde Ihnen noch besonders dankbar sein, wenn Sie dafür sorgen wollen, daß er sich nicht mehr als notwendig mit den Matrosen abgibt.«
»In diesem Punkte können Sie beruhigt sein. Sowohl der Steuermann wie auch ich werden ein wachsames Auge auf Ihren Sohn haben. Nur muß er mir versprechen, während der Fahrt stramm zu gehorchen.«
»Ja, Herr Kapitän, das verspreche ich«, fiel ich wieder ein.
»Nun, mein Junge, dann wird wohl alles gut gehen.«
»Aber, Herr Kapitän«, fragte die Mutter, »wie steht es mit der Geldfrage? Was verlangen Sie für die Fahrt?«
Nachdenkend sagte der Kapitän:
»Für Kost und Aufenthalt während der unbestimmten Zeit, welche die Fahrt nach Kopenhagen dauern wird – sie kann nämlich zehn Tage dauern, sich aber auch ebensogut, zumal in dieser Jahreszeit, einige Wochen hinziehen –, ja, was soll ich sagen? Haben Sie sich eine bestimmte Summe gedacht?«
»Nein, Herr Kapitän.«
»Nun, wenn wir sagen zwanzig Reichstaler, scheint Ihnen das zuviel?«
»Nein, das ist mir nicht zu viel.«
»So sei das abgemacht. Der Knabe soll behandelt werden, als wäre er mein eigener Sohn. Seien Sie ohne Sorge, ich werde ihn wohlbehalten nach Kopenhagen bringen.«
Die Mutter reichte dem Herrn Foß die Hand und dankte ihm für seine beruhigenden Worte.
»Aber«, fragte der Kapitän, »zu wem soll ich Ihren Sohn in Kopenhagen bringen?«
»Zu Herrn Gísli Brynjúlfsson. Dieser wird ihn dann zum Präfekten Grüder führen. Herr Gísli Brynjúlfsson wohnt auf der Dossering, der Präfekt Bredgade 64.«
»Wann lichten Sie die Anker?« fragte die Mutter weiter.
»Die Stunde der Abfahrt ist noch nicht genau bestimmt; doch wird es an einem der nächsten Tage sein. Ich werde Ihnen Nachricht schicken.«
Die Mutter stand auf und verabschiedete sich vom Herrn Kapitän.
Beim Fortgehen besah sie sich nochmals das kleine Schiff, auf dem ihr Sohn nun bald die Fahrt durch die wilden Wogen des Atlantischen Ozeans machen sollte.
Wir stiegen hinab in unser Boot, das an der Seite des Schiffes ruhig auf und ab schaukelte.
Der Kapitän grüßte noch einmal auf seine höfliche Art, und ich ruderte wieder das kleine Boot nach Hause.