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Die Zeit verging mit allerhand leichten Arbeiten, mit Spiel und Spaß.
Owe und ich hatten bald unsere Prügel vergessen und waren wieder ebenso munter und zufrieden wie zuvor.
Da kam ein Tag, den ich wohl nie vergessen werde, solang ich lebe.
Hatten Owe und ich ein paar Tage zuvor Seeungeheuer gespielt, so war es an jenem Tage ein wirkliches Meeresungetüm, das beinahe meiner Reise und meinem jungen Leben ein plötzliches Ende bereitet hätte.
Vormittag war's. Die Sonne schien hell und warm vom azurblauen, wolkenleeren Himmel herab. Kein Lüftchen regte sich.
Es war ein Wetter, das sich vorzüglich zum Fischen eignete.
Man holte die langen Fischleinen und senkte sie über die Reling hinab bis zum Meeresgrunde.
Der eine zog dann die Schnur etwas in die Höhe, bis die Angel sich dort befand, wo die Dorsche zu schwimmen pflegen; andere ließen sie ganz unten, wo die Steinbutten sich aufhalten.
Die Fischer hatten Glück. Bald lag eine stattliche Anzahl silberweißer, prächtiger Dorsche und niedlicher, purpurrot gefleckter Goldbutten auf dem Deck.
Da rief mich ein Matrose, derselbe, der mich mit dem Tauende geschlagen hatte:
»Hör mal, kleiner Isländer, halte mir einen Augenblick die Leine; ich muß in die Kajüte.«
Ein Knabe läßt sich natürlich so etwas nicht zweimal sagen, und so war ich gleich dabei.
Die Schnur war sehr stark und wohl so dick wie mein kleiner Finger.
Ich wickelte sie einigemal um mein Handgelenk, damit sie mir nicht entgleite, wenn ein großer Dorsch anbisse.
Auf die Reling gelehnt, streckte ich die Arme über das Wasser und achtete auf jeden Ruck.
Wie gern hätte ich doch einen guten Fang gemacht, bevor der Matrose zurückkam!
Ich streckte den Oberkörper immer weiter und weiter über die Reling und schaute in das dunkelblaue Wasser.
Mit den einladendsten Worten ermunterte ich die Fische, anzubeißen und sich fangen zu lassen.
»Fischlein, Fischlein, beiß doch an, o beiß doch an«, summte ich beständig halblaut vor mich hin.
Da auf einmal erhielt ich aus der Tiefe eine Antwort, deren ich zeitlebens gedenke.
An der Leine tat es einen Ruck, daß ich um ein Haar über Bord gefallen wäre.
Ich hielt mich krampfhaft am Geländer fest.
Der Ruck wiederholte sich, und die Leine wurde mit solcher Gewalt hinabgezogen, daß ich meinte, die Hand werde mir abgerissen.
»Hilfe! Hilfe!« schrie ich, so laut ich konnte. »Ich falle über Bord! Hilfe! Hilfe!«
Zum Glück war der Steuermann in der Nähe.
Er sah die Gefahr, stürzte heran, faßte mich um den Leib und ergriff selbst die Leine.
Handgelenk und Brust schmerzten mich sehr.
Meine Hand war ganz blau geworden, und die Haut auf meiner Brust war durch das gewaltsame Reiben an der Reling an mehreren Stellen verletzt.
Inzwischen waren die andern auch herbeigelaufen.
Der Steuermann hatte vollauf zu tun, die Schnur festzuhalten; so heftig zog es nach unten.
»Was für ein Tier muß das wohl sein?« fragten sich alle verwundert.
»Ich glaube fast«, antwortete schmunzelnd der Steuermann, »es ist ein Haifisch; er zieht so gewaltig, daß ich die Leine sicher nicht allein heraufkriege.«
Schnell kam ein Matrose ihm zu Hilfe, und beide zogen nun aus Leibeskraft.
Der Kapitän teilte Befehle aus.
Er ließ sofort das Boot ins Wasser bringen und einen Schiffshaken holen, eine feste Stange mit einem Eisenhaken am Ende. Ein Matrose, mit dieser kräftigen Waffe ausgerüstet, mußte ins Boot hinabsteigen.
Dann gab der Kapitän die Weisung:
»Jetzt langsam und vorsichtig die Leine aufgezogen! Paßt aber auf und gebt nach, sooft der Fisch unten zerrt und heftig zieht; sonst ist Gefahr, daß er sich losreißt. Sobald das Tier bis an die Oberfläche kommt, dann Achtung im Boot und schnell ihm den Haken in den Rachen gestoßen! Anders können wir es nicht aufs Deck bringen.«
Die Schnur war so straff, daß sie zu reißen drohte.
Das Boot lag zur Seite, und der Matrose mit dem Haken stand auf seinem Posten, jeden Augenblick zum Stoß bereit.
Atemlose Stille folgte. Gespannt und aufmerksam schauten wir alle nur noch auf die Leine und das Wasser.
Die Leine war – ich hatte sie gesehen – wohl dreißig Meter lang.
Steuermann und Matrosen zogen mit Leibeskräften, langsam und bedächtig.
An ihren Bewegungen konnte man merken, mit welch gewaltsamen Rucken und Stößen sich das gefangene Tier zur Wehr setzte.
Nach einigen Minuten angestrengtester Arbeit hatten sie etwa den vierten Teil der Leine an Bord liegen, dann die Hälfte, und so weiter, bis ungefähr nur noch sechs Meter im Wasser waren.
Die Spannung stieg aufs höchste.
Ganz erregt, wie ich war, vergaß ich meine Schmerzen.
Wir hatten uns alle über die Reling gelehnt und stierten ins Wasser.
Nun kam's allmählich herauf. –
Plötzlich erscholl von allen Seiten der Ruf:
»Da ist es! Da ist es!«
Ja, das war's. – Einige Meter tief unter der Oberfläche sahen wir eine große, glänzend weiße Scheibe, die gleich wieder verschwand; dann eine schwarze, dann wieder die weiße, und so ging es fort.
Auf einmal rief der Kapitän:
»Es ist ein Helleflunder! ein Riesenhelleflunder!«
»Hurra!« schrien die Matrosen.
Das gewaltige Tier wurde langsam noch etwas höher gezogen. Als es nun aber, gewohnt an die Dunkelheit des Grundes, die Helle der Luft wahrnahm, wurde es so rasend und schlug so wild um sich, daß der Kapitän laut kommandierte:
»Gebt nach! Laßt los!«
Die beiden Männer ließen schnell die Leine wieder ins Wasser hinuntergleiten.
Der Helleflunder sank oder vielmehr schoß wie der Blitz in die Tiefe.
»Wir müssen das Tier recht müde machen«, erklärte der Kapitän, »sonst reißt es die Schnur sicher durch. Erst wenn es müde genug geworden ist, können wir ihm den Haken in den Rachen stoßen.«
Die Arbeit begann von neuem. Man zog und zog wie vorher.
Mit Mühe brachte man das Tier wieder bis oben. Aber nochmals gebärdete es sich so unbändig, daß man es wieder in die Tiefe lassen mußte.
Dies wiederholte sich wenigstens fünfmal.
Als endlich der Riesenfisch sichtlich ermattet an die Oberfläche kam, stieß der Matrose mit der Stange so sicher und fest zu, daß der Haken ihm tief in den Rachen drang. Dann zog er die Stange etwas an sich, bis der spitze Widerhaken fest im Kopfe des zappelnden Tieres stak.
Die ganze Besatzung mußte nun helfen, den prächtigen Fang, der mehrere hundert Pfund wog, aufs Deck zu ziehen.
Das war eine schwere Arbeit.
Als sie endlich geglückt war, wurden wir plötzlich überrascht durch einen dreimaligen lauten Hurraruf.
Er kam von dem Schiff »Ludwig Popp« herüber, das ja in unserer Nähe lag. Seine Besatzung hatte das ganze Abenteuer mit angesehen und beglückwünschte uns nun zu der herrlichen Beute.
Als Antwort wurde der Riesenflunder von kräftigen Armen in die Höhe gehoben und den Freunden auf »Ludwig Popp« gezeigt.
Wiederum erscholl ein Hurraruf, und der Fisch wurde aufs Deck niedergelegt.
So endete das ungewöhnliche Ereignis. –
Ich hatte erwartet, man würde mir wegen des reichen Fischfangs gratulieren; hatte doch der Helleflunder bei meiner Leine angebissen.
Aber niemand fiel so etwas ein.
Das fand ich sonderbar und dachte: Undank ist der Welt Lohn.
Übrigens war mein Verdienst um den ganzen Fang eigentlich recht gering; ich konnte froh sein, daß ich meine Unvorsichtigkeit nicht schlimmer hatte büßen müssen und mit dem Leben davongekommen war.
Als wir den mächtigen Fisch genug beschaut und bewundert hatten, wurde er nach allen Regeln der Kunst geschlachtet und in Stücke von Form und Größe eines Ziegelsteines zerlegt.
Bald lag ein ansehnlicher Haufen am Boden aufgestapelt.
Dann wurde das kostbare Fleisch gewaschen und in einer Tonne eingesalzen. Es war eine willkommene Vermehrung unseres Mundvorrates. –
Sobald alles fertig war, meldete ich mich zur ärztlichen Behandlung bei meinem Freunde, dem Steuermann. Er untersuchte, reinigte und verband meine Wunden mit großer Sorgfalt.
Während meiner Genesung durfte ich mich täglich an dem Übeltäter, der mir die Wunden beigebracht hatte, stärken.
Und noch lange war Helleflunder eine der feinsten Nummern auf unserem Speisezettel.