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23. An der Küste Norwegens

»Nonni! Nonni! Wann stehst du denn auf?« rief am Morgen Owe mir laut in die Ohren.

Langsam hob ich den Kopf, rieb mir die Augen und sah meinen kleinen dänischen Freund an meinem Bette stehen.

»Mach schnell, Nonni! Ein Boot vom Lande!«

Jetzt erst wurde ich wach und sprang aus dem Bett wie aus einer Flinte geschossen.

»Ein Boot vom Lande! – Was für ein Land?« fragte ich und griff in aller Hast nach meinen Kleidern.

»Norwegen natürlich.«

»Sind wir denn nach Norwegen gekommen?«

»Ja, unser kleiner Singvogel ist heute früh fortgeflogen. Wir sind schon lang bei der Küste. Wir haben den schönsten Sonnenschein. Alles da drüben auf dem Lande können wir sehen, und es ist reizend schön.«

»O Gott! ist das wahr, Owe?«

»Ja, Nonni, man sieht deutlich die Häuser und auch die Menschen. Nahe am Strand stehen schöne Gebäude, und Kinder laufen umher und spielen auf grünen Wiesen.«

»O wie herrlich, Owe!« rief ich jauchzend und kannte mich fast nicht mehr aus vor Freude.

Ich kann nicht beschreiben, wie glücklich ich war.

Im Nu hatte ich die Kleider angelegt.

Als ich oben ankam, sah ich die Küste Norwegens vor meinen Augen liegen wie gebadet im Sonnenschein: hohe Abhänge, saftige, grüne Wiesen, Häuser und Höfe mit roten Dächern, und am Strande eine Schar munterer Kinder, die sich im Grase tummelten.

Das war also Norwegen, das Land, das mir schon aus den alten Sagas bekannt war, das Land der mächtigen Jarle und Könige, das Land eines Harald und Olaf, eines Hakon und Erik Blutaxt. Das entzückend schöne, alte, ehrwürdige Norwegen!

Das Land, von dem aus meine Vorfahren in längst geschwundener Zeit zum fernen Island zogen!

Ich war überwältigt.

Daß die Matrosen geradeso alltäglich umhergingen wie sonst, konnte ich gar nicht begreifen.

Denn welch ein Ereignis in meinem Leben!

Mein erster Blick auf die Welt, von der ich so lange geträumt und der ich nun endlich mich nahte!

»Das Boot kommt, Nonni! Sollen wir uns nicht die Norweger ansehen?«

Es war Owe, der mich aus meinen goldnen Träumen riß und mich in die Wirklichkeit zurückrief.

»O ja, das wollen wir. Aber wo ist das Boot?«

Jetzt erst warf ich einen Blick auf die See und entdeckte ein Ruderboot, das in rascher Fahrt herankam.

Fünf erwachsene Männer saßen darin, einer am Steuer, die vier andern an den Rudern.

Schon näherte sich das Boot und glitt in einem leichten Bogen an die Seite unseres Schiffes.

Wie auf Kommando wurden alle Ruder eingezogen, und die kräftigen Hände der Ruderer fingen ein Tau auf, das einer von unsern Matrosen ihnen zuwarf.

»Guten Morgen!« riefen sie zu uns herauf und nahmen die Mützen ab.

»Guten Morgen!« erwiderten wir den Gruß.

»Von wo kommen Sie?«

»Von Island«, antwortete der Steuermann.

»Haben Sie gute Überfahrt gehabt?«

»Nein.«

»Sturm?«

»Ja.«

»Eisberge?«

»In Masse.«

»Wie lange hat die Reise gedauert?«

»Bald einen Monat.«

»Ja so!«

Die Norweger nickten sich ernsthaft zu.

Kapitän Foß sagte:

»Ist im letzten Monat auf dem Festlande etwas von Bedeutung vorgefallen?«

»Ja, der Krieg zwischen Frankreich und Deutschland ist in vollem Gang.«

Wir lehnten uns alle über die Reling und horchten in atemloser Spannung.

»Ist die Sache ernst geworden?« fragte der Kapitän weiter.

»O ja, sehr ernste Dinge sind geschehen.«

»Sehr ernste Dinge?« wiederholten wir alle wie aus einem Mund und lehnten uns noch mehr hinab, um genau zu hören.

»Konnte der Krieg wirklich nicht verhindert werden?« fragte wieder der Kapitän.

»Nein, die Auseinandersetzungen sind im Gange.«

»Sind schon Verluste zu beklagen?«

»Leider ja. Es hat ein Gefecht bei Wörth stattgefunden, das Menschenleben kostete.«

»Wie schrecklich! Wenn es doch gelingen könnte, Streitfragen zwischen den Völkern auf menschlichere Art auszutragen!«

»Ja, wenn wir doch erst so weit wären!«

Wir schauten uns alle ernst an. – Diese Nachricht hatten wir nicht erwartet.

Wie mußte es den Menschen jetzt zumute sein, die in den Kriegsgebieten wohnten!

Alle wären sicher lieber ihrer friedlichen Arbeit nachgegangen. Jetzt sind sie in Not, und vielleicht müssen Tausende von ihren Wohnstätten fort in die Fremde ziehen.

Die Leute vom Boote riefen herauf:

»Wünschen Sie Milch oder Rahm?«

»Jawohl, wenn wir bitten dürfen«, antworteten Kapitän und Steuermann beide zugleich.

Und der Kapitän fügte hinzu:

»Kommt doch alle zu uns herauf und bringt die Milch und den Rahm mit und erzählt uns etwas mehr von diesen Ereignissen.«

Behend kletterten die seegewandten Norweger die Leiter herauf.

Der Steuermann nahm die Milch und den Rahm entgegen und bezahlte den verlangten Preis.

Dann hieß der Kapitän die Leute Platz nehmen.

»Hat der deutsch-französische Krieg sonst Folgen gehabt?«

»Ja, Herr Kapitän, besonders für Dänemark.«

»Wieso?«

»Die dänische Regierung überlegt ein Bündnis mit Frankreich gegen Deutschland. Die Dänen hoffen auf diese Weise ihre zwei verlorenen Provinzen Schleswig und Holstein wieder zu gewinnen, je nach dem Ausgang des Krieges.«

»Ist der Krieg schon erklärt?«

»Nein, noch nicht. Der dänische König soll als einziger sehr gegen den Plan sein. Sein Wort gilt noch immer, und wir hoffen alle sehr, daß es weiterhin gehört werde zum Besten des Landes selbst.«

»Also bis jetzt bestehen keine Feindseligkeiten zwischen Dänemark und Deutschland?«

»Nein, soviel ich weiß, noch nicht. Aber sie können jeden Tag ausbrechen.«

Der Kapitän war nachdenklich geworden und schaute vor sich hin.

Nach einer kleinen Weile wandte er sich an den Steuermann und sagte:

»Das sind ernste Dinge; die können für uns sehr verhängnisvoll werden.«

Der Steuermann nickte zustimmend.

»Was meinen Herr Kapitän damit?« fragte ein Norweger.

»Ja, sehen Sie«, erwiderte Herr Foß, »wir sind Dänen und befinden uns auf dem Wege nach Kopenhagen. Sollte Dänemark wirklich daran denken, Deutschland den Krieg zu erklären, dann ist es sehr gut möglich, daß die Preußen bereits Kaperschiffe in diesen Fahrwassern haben und auf alle dänischen Fahrzeuge, die sie finden, Jagd machen. Der Weg nach Kopenhagen könnte somit für uns gefährlich sein.«

»Da haben Sie recht«, antwortete der Norweger.

»Dann wäre es vorläufig gewiß nicht ratsam, weiterzusegeln«, meinte der Steuermann.

»Ja, aber wo sollen wir dann hin?« entgegnete der Kapitän.

Der Steuermann wußte nicht gleich zu antworten.

Mit fragendem Blick schaute Herr Foß den norwegischen Bootsführer an.

»Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf«, sagte dieser, »so meine ich, Sie sollten den Hafen von Bergen zu erreichen suchen und dort liegen bleiben, bis der Weg nach Kopenhagen frei ist.«

»Das ist ein guter Rat«, sagte der Kapitän. »Wir sind ja nicht weit von Bergen. Was meinen Sie, Herr Steuermann?«

Der Steuermann bedachte sich etwas.

»Ich glaube, wir sollten sehen, daß wir einige der neuesten Zeitungen bekommen. Erst dann können wir einen Beschluß fassen.«

»Haben Sie vielleicht einige Tagesblätter bei sich?« fragte der Kapitän den Norweger.

»Leider nicht. Aber wenn Sie so lange warten wollen, will ich Ihnen gern die letzten Zeitungen besorgen und sie noch vor Mittag hierher bringen lassen.«

»Ich danke Ihnen«, sagte der Kapitän; »das wird wohl das beste sein.«

»Gut also; ich werde so schnell wie möglich meinen kleinen Sohn zu Ihnen schicken.«

»Ja, sind Sie so gut«, antwortete Herr Foß.

Die Norweger nahmen nun Abschied von uns, kletterten die Leiter hinab in ihr Boot und ruderten dem Lande zu.

Auf unserem Schiff wurde jetzt selbstverständlich über nichts anderes gesprochen als über den großen Krieg zwischen Deutschland und Frankreich und die Stellung Dänemarks dazu.

»Wird das kleine Dänemark wirklich diesen Schritt wagen?«

Diese Frage flog von Mund zu Mund. Die Ansichten waren geteilt.

Der große Matrose meinte, es wäre ein arge Dummheit, wenn Dänemark es nicht täte.

»Jetzt oder nie!« schrie er wiederholt mit erregter Stimme.

»Wenn wir unsere verlorenen Provinzen zurückhaben wollen, so muß es jetzt geschehen, solange die Preußen vollauf mit den Franzosen zu tun haben. Nie wird sich wieder eine so günstige Gelegenheit bieten.«

»Aber«, bemerkte ein anderer, »wenn der Krieg nicht so ausgeht, wie es die dänische Regierung erwartet?«

»Bist du von Sinnen, Mensch?« fuhr der Große ihn an.

»Ein Krieg geht immer gut für die eigene Sache aus, wenn man sie nur fest genug will!«

»Ist das wirklich wahr? Warum soll das denn immer so sein? Es gibt doch auch Stärkere, als ich einer bin!«

»Du siehst auch nicht weiter, als deine Nase reicht. Es gibt doch auch Kriegslisten, begreifst du das denn nicht? Einen Krieg verliert nicht der Schwächere, sondern der Dümmere. Das ist doch so klar, wie zwei mal zwei vier ist.«

Solch »weisen« Worten wagte niemand zu widersprechen.

Doch bei näherem Nachdenken kam mir der Matrose etwas zu großsprecherisch vor, um ihn ernst nehmen zu können. Ich wußte mir aber selber nicht zu raten und wünschte, mit irgend jemand über diese Sache sprechen zu können, der es besser verstand.

Da fiel mir ein, daß ich die Sache auch noch mit Owe besprechen könnte.

Ich ging also zu ihm und fragte ihn, was er meine.

»Weißt du was, Nonni?« war seine Antwort, »ich glaube nicht, daß es nur darauf ankommt, wer listiger ist. Und wenn es je so wäre, dann schiene es mir doch viel besser, wenn die Menschen ihre Klugheit darauf verwenden wollten, die Kriege zu verhindern, statt sich die Köpfe blutig zu schlagen, in welchen ja die Klugheit sitzt. Mir scheint das jedenfalls mehr dumm als listig zu sein.«

Das leuchtete mir ein. Ich mußte meinem Freund Owe recht geben und dachte mir, daß der siegesgewisse Matrose seinen Mund ziemlich voll genommen habe.

So fand ich mich wieder beruhigt und wartete mit den andern, bis der Knabe die letzten Zeitungen brächte.

Einige Stunden vergingen. Da bemerkte ich unter den Leuten auf Deck eine Bewegung.

Das sehnlichst erwartete Boot stieß vom Strande.

Deutlich konnten wir den flinken kleinen Norweger erkennen. Er ruderte kräftig und rasch wie ein echter Seemann.

Eher, als wir glaubten, lag er an der Seite unseres Schiffes.

»Guten Tag!« rief er und band das Boot fest.

Mit einem Pack Zeitungen unter dem Arm, stieg er hurtig zum Deck herauf.

»Ich möchte gern mit dem Kapitän sprechen.«

»Der Kapitän ist hier«, antwortete Herr Foß.

Der Knabe ging zu ihm hin, übergab ihm die Zeitungen und sagte:

»Herr Kapitän, das kostet eine halbe Mark.«

»Das ist ja billig, mein Junge«, lächelte der Kapitän und bezahlte ihm das Geld.

»Da mußt du schon noch einen Botenlohn für dich haben.«

»Das ist nicht nötig, Herr Kapitän.«

»Ich meine aber doch«, erwiderte Herr Foß und gab ihm noch ein Geldstück dazu.

Der Knabe reichte dem Kapitän die Hand und dankte höflich.

Dann meldete er noch:

»Ich sollte einen Gruß von meinem Vater bringen und Ihnen sagen, Sie möchten sich in acht nehmen; denn bald kommt ein starker Strom, der zum Lande hin treibt, und hier in der Nähe sind gefährliche Riffe.«

»Grüß deinen Vater, mein Junge, und sag ihm vielen Dank.«

Der Knabe wollte schon gehen, als der Steuermann ihn zurückhielt und mir zurief:

»Nonni, geh rasch in die Kajüte hinab und hol einige Rosinen für den kleinen Norweger.«

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Mit einigen Sprüngen war ich unten, öffnete die wohlbekannte Lade, füllte meine beiden Hände mit Rosinen und lief, so schnell ich konnte, wieder hinauf.

Der Knabe hatte eine große Freude, als ich ihm die vielen Rosinen reichte, und lachte über das ganze Gesicht.

Erst wußte er gar nicht recht, wohin damit. Da kam ich ihm zu Hilfe. Behutsam und geschäftig füllten wir die zwei kleinen Taschen seiner Jacke.

Dann gab er zu Dank und Abschied dem Steuermann sowohl als mir die Hand, stieg wieder in sein Boot und ruderte ans Land.

Mit Spannung wartete ich nun der Dinge, welche die Zeitungen brächten.

Doch wie war ich erstaunt, als Kapitän und Steuermann die Blätter liegen ließen und in keines auch nur einen Blick warfen!

Ihre Hauptsorge war jetzt, was zu tun sei, um der Gefahr, auf die der Knabe aufmerksam gemacht hatte, zu entgehen. Sie berieten eifrig hin und her.

»Das ist ganz richtig mit dem Strom«, sagte der Kapitän, »die Karte gibt ihn auch an. Aber das ist nun eine böse Geschichte. Gerade jetzt können wir keinen Gebrauch von den Segeln machen; es geht ja nicht der leiseste Wind.«

»Nun, dann müssen wir eben rudern«, bemerkte der Steuermann.

»Ja, es ist nichts anderes zu machen«, stimmte der Kapitän bei, »und wir dürfen keine Zeit verlieren.«

Sofort rief er die Matrosen zusammen und erklärte ihnen kurz:

»Wir befinden uns in ernster Gefahr; der Strom fängt schon an, uns ans Land zu treiben. Solang wir keinen Wind haben, müssen wir rudern, um dem Strom entgegenzuarbeiten.«

»Jawohl, Herr Kapitän«, antworteten die Matrosen und machten sich eilig ans Werk.

Schnell wurden aus dem Lastraum zwei lange Schiffsruder herbeigeholt.

»Das Boot ins Wasser!« befahl der Kapitän, und alsbald glitt das kleine Boot an der Seite der Strickleiter hinab.

Ein langes Tau wurde hineingeworfen und mit dem einen Ende an einem Ring unter dem Bugspriet, mit dem andern am Boot befestigt.

Zwei Matrosen erhielten Befehl, in den Kahn zu steigen, und ruderten bald mit aller Kraft, um das schwere Schiff vom Lande wegzuziehen.

Kapitän und Steuermann ergriffen die zwei großen Ruder und machten sich daran, der eine an der Steuerbord-, der andere an der Backbordseite, das Schiff vorwärts zu bringen.

Ob es sich wirklich vom Land entfernte, konnten wir nicht entscheiden.

Das lange Tau hing schlaff zwischen Schiff und Boot und spannte sich nur ein wenig, wenn besonders stark gerudert wurde. Nie brachten die Männer es dahin, daß es sich ganz über die Oberfläche erhob. In der Mitte lag es stets im Wasser.

»Ich glaube, wir müssen mitrudern«, sagte ich zu Owe. »Geh du zum Kapitän, ich will dem Steuermann helfen.«

»Ja, du hast recht«, antwortete er. – »Dann wird es wohl ganz anders vorangehen!« fügte er schelmisch hinzu.

Gesagt, getan.

Die beiden Herren nahmen unsere Hilfe gern an.

Oben auf dem Schiff ruderten nun an jeder Seite ein Mann und ein Knabe, während die Matrosen sich im Boote abplagten.

Ob es jetzt rascher voranging als vorher, konnte ich nicht sehen; aber ich glaubte es bestimmt.

Eine gute Stunde rangen wir so mit dem Strom, daß uns der Schweiß vom Antlitz perlte.

Da endlich, als wir vor Müdigkeit uns kaum noch regen konnten, meldete sich ein starker Helfer, der allein imstande war, die harte Arbeit zu vollführen: vom Lande her strich eine leichte Brise.

»Alle Segel auf!« rief frohgemut der Kapitän.

Und die Segel flogen nur so in die Höhe.

Wir waren auf einmal gerettet.

Das schwache Lüftchen zeigte sich stärker als Kapitän und Steuermann und Matrosen und wir Knaben zusammen.

Lautlos faßte es die Segel, und jetzt erst konnte man sehen, daß unser Schiff auf dem noch spiegelglatten Wasser wirklich vorwärts kam.

Wir pflegten nun der ersehnten Ruhe.

Kapitän und Steuermann vertieften sich mit Muße in die Zeitungen.

Sie lasen lange, gewiß wohl ein paar Stunden.

Die Neuigkeiten vom Festlande, von dem sie den ganzen Sommer getrennt gewesen, hielten sie wie gefangen.

Endlich nahm der Kapitän wieder das Wort und sagte mit ernster Miene, er sei dafür, nach Bergen zu segeln und dort zu warten.

Der Steuermann dagegen war der Meinung, man dürfe die Fahrt durch das Skagerrak und Kattegat bis Kopenhagen ruhig wagen.

»Aber später«, fügte er hinzu, »wenn wir von Kopenhagen nach Bornholm weiterfahren und in die Ostsee kommen, da könnten wir eher Grund zu Besorgnis haben.«

Ich hörte, wie sie über die Sache hin und her berieten.

»Ich halte es für ganz ausgeschlossen«, sprach der Steuermann weiter, »daß die Dänen sich in diesen Krieg mischen, zumal jetzt, wo die Preußen die Oberhand haben. Was könnte auch unser kleines dänisches Heer gegen die Riesenheere Deutschlands ausrichten?«

»Schon recht«, antwortete der Kapitän, »es wäre Torheit. Aber mit dieser Torheit muß man rechnen. Alle Blätter schreiben öffentlich davon. Es ist daher wohl denkbar, daß die Preußen Gewalttätigkeiten ausüben und dänische Schiffe kapern. Ich bin darum der Ansicht, wir sollten einige Zeit in einem norwegischen Hafen warten.«

Der Steuermann verteidigte mit Eifer seine entgegengesetzte Meinung.

»Ich bin bereit, die ganze Verantwortung auf mich zu nehmen, Herr Kapitän, und rate dringend, gleich nach Kopenhagen zu segeln.«

Nach und nach ließ der Kapitän sich für dieselbe Ansicht gewinnen, und das Ende der wichtigen Beratung war, daß so rasch wie möglich nach Kopenhagen gefahren werden sollte.

»Also auf Ihre Verantwortung, Herr Steuermann«, schloß der Kapitän.

»Jawohl«, antwortete der Steuermann.

Wir alle nahmen den Beschluß mit großer Zufriedenheit auf. Jeder sehnte sich, bald nach dem schönen Kopenhagen zu kommen und dort sich von den Strapazen der langen Reise zu erholen. –

Die Brise nahm zu und wurde bald zu einer regelrechten frischen nordöstlichen Kühlte.

Das Schiff strich rasch über die niedrigen Wellen, und die schöne norwegische Küste zog in prachtvollen, mannigfachen Bildern an uns vorüber.

Bald war sie zu schauen wie ein bunter Teppich von Blumen in roten und gelben und blauen Farben, im Hintergrund die saftiggrünen Bergeshänge; bald hoben stolze dunkle Felsen sich lotrecht aus dem azurblauen Meere.

Dann wieder zeigte sich eine schmale Bucht, oder auch ein Fjord, der so breit wurde, daß das Land eine Zeitlang dem Blick entschwand und erst auf der andern Seite der Fjordmündung wieder auftauchte.

Als der Abend sich niedersenkte und das Land in Dunkel hüllte, funkelten zahlreiche Lichter herüber von Städten und Dörfern und einsamen Höfen, und in bestimmten Abständen der helle Schein von hohen Leuchttürmen.

Für mich war die norwegische Küste bei dem geheimnisvollen Dunkel der Nacht ebenso fesselnd wie am Tage.

Mein jugendlich träumender Sinn nahm sich freies Spiel und malte und zeichnete die wunderlichsten Dinge an die öden, dunklen Stellen zwischen den leuchtenden Punkten und den großen flammenden Lichtern.

Ich sah Städte und Burgen, anmutige, blumenreiche Ebenen, hohe Berge und tiefe Täler, kurz, eine Landschaft, die noch weit alles übertraf, was ich tagsüber geschaut hatte.

Und wie es immer dunkler wurde, erglimmte rund umher auf dem Wasser Licht um Licht, farbige Feuer, die nach allen Richtungen hin sich bewegten.

Sie sahen aus wie rote, grüne, goldne Sterne, die gespenstisch unser Schiff umschwärmten.

Es war ein überaus stimmungsvolles Bild.

Ich fragte den Steuermann, was das sei.

»Weißt du das nicht, kleiner Freund? Das sind ja Schiffe und Boote, die auf der See fahren geradeso wie wir. Sobald es dunkel wird, müssen sie drei Laternen anzünden, eine rote, eine grüne und eine weiße. Nur so kann man sie in der Dunkelheit wahrnehmen. Die verschiedenen Lichter geben zugleich an, in welche Richtung die Schiffe fahren. Hätten sie keine Laternen, so würden sie nachts leicht zusammenstoßen.«

»Aber«, fragte ich weiter, »warum sind denn eben jetzt so viele Schiffe um uns herum?«

»Es sind wahrscheinlich Fischerboote, die heimkehren.«

Damit war für mich der ganze Zauber gehoben.

Ich schämte mich fast, daß ich nicht selbst darauf gekommen war. Unser eigenes Schiff führte ja immer diese drei Lichter, sobald es dunkel wurde.

Als ich zu Bett ging, fühlte ich mich in einer ganz andern Stimmung als sonst.

Mein Herz schlug höher.

Der verflossene Tag war ja so denkwürdig in meinem Leben!

Schon winkte mein Ziel so nahe, und die Schönheit und Pracht der norwegischen Küste war mir ein Bild gewesen von den Herrlichkeiten, die meiner warteten.


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