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Der Assessor Huber wurde durch folgendes Rescript aus dem Justizministerium überrascht:
»Sie werden aufgefordert, sich sofort nach Empfang dieses hierher zu begeben und bei dem Justizminister zu melden, der Ihnen einen wichtigen Auftrag zu ertheilen hat. Ihr Herr Chef wird Sie bei Vorzeigung dieses Schreibens, dessen Inhalt im Uebrigen geheim zu halten ist, beurlauben.
Der Justizminister.«
Der Assessor Adalbert Huber war Hilfsarbeiter bei einem Obergericht seiner Heimatprovinz. Er war ein eben so tüchtiger, wie ehrgeiziger junger Beamter. Der wird seine Carriere machen, sagten sie von ihm. Er wollte sie auch machen. Er war freilich kein »junger Streber«, wie man in neuerer Zeit eine Sorte solcher tüchtigen und ehrgeizigen jungen Beamten nennt. Er hatte Charakter und hielt auf seine Ehre.
So hatte er auch namentlich sich niemals um eine »demagogische Untersuchung« beworben, obwohl er in der Zeit der sogenannten demagogischen Umtriebe und der Demagogenhetze lebte, und, was damals an jungen Beamten seine Carriere machen wollte, sich danach drängte, zu dieser Hetze mit verwendet zu werden.
Dagegen hatte er durch manche vortreffliche Arbeiten sich ausgezeichnet, und eine von diesen war zur unmittelbaren Kenntniß des Justizministers gelangt. Es war eine Untersuchung gegen einen älteren Beamten des Departements, der in seiner langen amtlichen Laufbahn sich manche Verdienste erworben, in neuerer Zeit aber auch manche Bedrückungen gegen seine Gerichtseingesessenen sich hatte zu Schulden kommen lassen. Die Arbeit hatte sich in solcher Weise den Beifall des Ministers erworben, daß dieser bei Zurücksendung der Acten dem Präsidenten des Obergerichts den Auftrag ertheilte: »vor versammeltem Collegium dem Assessor Huber die besondere Zufriedenheit des Justizministers auszusprechen mit der Gewissenhaftigkeit und Unparteilichkeit, sowie mit der Energie und dennoch rücksichtsvollen Humanität, die der junge Beamte in Führung dieser Untersuchung an den Tag gelegt habe.«
»Der macht sein Glück!« sagten sich die Mitglieder des Collegiums.
»Ich werde mein Glück machen, auch ohne demagogische Untersuchung!« rief freudestrahlend der junge Assessor seiner Braut zu, als er nach Hause kam.
Er war verlobt, seit drei Monaten, mit der reizenden Tochter eines Arztes der Stadt, und den beiden Brautleuten fehlte zu ihrem vollen Glücke nur ein festes Amt des Assessors, damit sie heirathen konnten.
Vier Wochen nachher kam das Rescript, das den Assessor in die Residenz zu dem Minister rief, um von diesem einen wichtigen geheimen Auftrag zu empfangen.
Es war ihm in der Sitzung des Collegiums zugestellt. Er konnte es lesen, ohne eine Veränderung seiner Mienen zu zeigen. So legte er es auch nach einer Weile dem Präsidenten vor. Der Präsident – Präsidenten sind Diplomaten – las es mit derselben äußeren Gleichgiltigkeit und gab es dann mit einer stillschweigenden Neigung des Hauptes zurück, die den erforderlichen Urlaub ertheilen sollte.
Der Assessor verließ darauf die Sitzung, mit keiner anderen Miene, als wenn er draußen frühstücken wolle.
In der Garderobe war im Moment nachher der Präsident bei ihm, für einen Moment.
»Ich wünsche Ihnen Glück, mein junger Freund. Ihre Carriere ist gemacht. Sie verdienen es. Meinen Respect dem Herrn Minister!«
Damit verschwand der diplomatische Herr wieder.
Dem Collegium war doch etwas aufgefallen.
Was war das mit dem Huber?
Ein Ministerialsiegel.
Eine Beförderung!
Aber wozu diese Heimlichkeit?
Und diese Eile?
Sie zerbrachen sich die Köpfe.
Der Präsident kam zurück. Sein Gesicht war verschlossen, wie vorher.
Der älteste Rath, der neben ihm saß, durfte sich schon eine heimliche Frage herausnehmen.
»Der junge Mann hatte wohl etwas ganz Besonderes?«
»Ich denke, es war nicht viel,« lautete die Antwort.
Der Assessor war zu seiner Braut geeilt.
»Emilie, ich muß verreisen. Auf der Stelle!«
»Wohin?« fragte das Fräulein.
»Zur Residenz.«
»Und was sollst Du da?«
»Hm, das kann ich Dir nicht sagen.«
»Wie, Adalbert? Das kannst Du mir nicht sagen?«
»Ich darf es Dir nicht sagen, liebes Kind!«
»Du darfst es nicht? Wer verböte es Dir?«
»Die Pflicht der Amtsverschwiegenheit, mein Kind!«
»So, so! Ja, ich bin ein Kind!«
»Liebe Emilie!«
»Geh'.«
Welche Braut, die seit drei oder vier Monaten verlobt ist, wäre nicht empfindlich geworden und hätte nicht geschmollt, wenn der Bräutigam plötzlich zu ihr hereingestürzt wäre und ihr erklärt hätte, er wolle eine Reise nach der Residenz machen, aber was er dort wolle, das könne er ihr nicht sagen, es sei ein Amtsgeheimniß?
»Emilie, nicht so!« bat er sie.
»Was willst Du von mir?«
»Ein freundliches Gesicht!«
»Vielleicht zu der Trennung von Dir?«
Das konnte er nicht aushalten.
Er zog sein Rescript hervor.
»Lies, Emilie!«
Ihre Augen strahlten in Freude.
«Adalbert, Du hast Dein Glück gemacht!«
Sie umarmte ihn; vielmehr sie wollte es.
Er stand stumm da, mißmuthig, unzufrieden.
»Bist Du mir böse geworden, Adalbert?«
»Nein!«
»Doch, doch! Ich war ein Kind! Verzeihe mir!«
»Nein, nein, nicht Du! Ich habe gehandelt wie ein Kind! So leicht konnte ich mein Amtsgeheimniß brechen! Das ist meine Energie, auf die der Minister baut!«
Sie mußte doch lächeln.
»Ich bin ja Deine Braut, Adalbert!«
»Ja, ja! Wenn ich nun auch gegen andere Frauen so schwach wäre?«
Er sagte es ernst; er war einmal verstimmt.
Die junge Braut nahm in ihrem Glücke es als Scherz auf.
»Ich wollte es Dir nicht rathen, Adalbert!«
Dann kam doch auf einmal der Ernst der Sache über sie, die Eifersucht der Braut, die den Bräutigam aus der kleinen Provinzstadt in die große Residenz ziehen lassen mußte.
»Adalbert, nimm das Wort zurück! Sei mir nicht mehr böse!«
Sie küßte ihn.
Er hatte nichts mehr gegen sie auf dem Herzen.
Dann auch nicht mehr Anderes.
»An die Braut, Adalbert, kann man ja kein Geheimniß verrathen, auch kein Amtsgeheimniß.«
»Ja, ja, Du bist verschwiegen!«
Sie waren ganz glücklich. Sie plauderten von dem wichtigen und geheimen Auftrage des Ministers, von der neuen Carriere, die in Aussicht stehe.
Die Braut hatte ein Bedenken.
»Wenn er nun eine Demagogenuntersuchung für Dich hätte, Adalbert?«
Der Assessor wurde sehr ernst.
»Ich nähme sie nicht an,« sagte er entschieden.
»Und Du kämst ohne Beförderung zurück?«
»Ja!«
»Und mit Deiner Carriere wäre es für alle Zeit vorbei! Deine Ablehnung würde den Minister verletzen.«
»Emilie, verlange nicht das Unmögliche von mir!«
Das Fräulein lachte.
»Mein Gott, ich verlange ja nichts von Dir!«
Und ernst und liebevoll setzte sie hinzu:
»Adalbert, darum achte ich Dich ja so besonders, daß Du nicht bist wie die Anderen, denen die Carriere über der Ehre steht. Bleibe stets so; solltest Du auch immer Assessor darüber bleiben müssen. Deine Assessorin wird Dich um so mehr lieben.«
Und als sie dann Abschied von einander nehmen mußten und die Thränen der Braut flossen, kam ihr doch wieder Anderes in den trüben Sinn.
»Behalte mich lieb, Adalbert, und – und werde mir nicht böse – aber ich weiß es ja, Du siehst gern hübsche Frauen – versprich es mir, Adalbert, sieh keiner Anderen in die Augen. Nicht wahr, Du versprichst es mir?«
Er versprach es ihr. Was verspricht man nicht bei solchem Abschiede der Braut?
Im Postwagen nachher wollten aber allerlei Gedanken über ihn kommen.
»War denn Sinn in ihrer Bitte? Kann ich denn verhindern, daß mir andere Frauen begegnen? Und wo sollte ich dann meine Augen lassen? Und dennoch versprach ich es ihr! Ah, ich war wiederum ein schwacher Mann! Unmittelbar vorher war ich es auch schon gewesen. Und ich hatte mir so fest vorgenommen! Da mußte ich ihr wieder in die Augen sehen, und sie hatte gar Thränen darin! Ja, sie hat Recht, vor schönen Frauenaugen muß ich mich hüten!« –
Andere Gedanken brachten ihm dann andere Sorgen.
Auf dem ganzen Wege zu der Residenz hörte er fast kein anderes Gespräch, als über Demagogenuntersuchungen, die aller Orten in Deutschland wieder im Gange waren oder in Gang gesetzt werden sollten.
Es war in den letzten Tagen des Aprils im Jahre 1833.
»Wozu hat der Minister mich berufen?« fiel es ihm schwerer und schwerer auf das Herz. »Werde ich ihm gegenüber stark und fest sein? Hätte ich mich am Ende mehr vor seinen, als vor schönen Frauenaugen zu fürchten?